Wie erzeugt man eine unheimliche Stimmung?

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Anonymous

Guest
Mit der Musik ist es so eine Sache, vor allem dann, wenn man bestimmte Emotionen oder Stimmungen erzielen will. Ich persönlich bin ein Fan von "gruseliger Musik" und möchte gerne mal selbst ein solches Projekt starten.

Wenn ich mir allerdings vorstelle, einen Film von 90 bis 120 Minuten Länge mit einem passenden und in sich stimmigen und konsistentem Ambiente zu füllen, dann komme ich ganz schnell zu dem Schluss, dass diese Art der Musik wohl zur absoluten Königsdisziplin gehören muss. Einen direkten Ansatz habe ich nämlich leider nicht und bitte darum um ein paar Ideen von euch und vielleicht wird hier letztenendes sogar ein brauchbarer Leitfaden entwickelt.

Ich persönlich werde mir am Wochenende mal eine dieser 2-Satz-Horrorstories aussuchen und versuchen, ein halbwegs brauchbares Erzeugnis hin zu bekommen:
Deutsch: http://wortwanderin.blogspot.de/2014/10 ... atzen.html
Englisch: http://www.sunnyskyz.com/blog/153/20-Te ... k-Stood-Up

Vielleicht macht ja sonst noch jemand mit einem Brainstorming mit! Freuen würde es mich.

Hier ist mir aber grundsätzlich jeder mit Erfahrung, Ideen, Konzepten oder spezifischem Fachwissen in dieser Fachrichtung herzlich gerne willkommen, nur sollten die Beiträge hier eindeutig pragmatisch und umsetzbar bleiben und die philosophischen Grundsatzdiskussionen vielleicht irgendwo anders ausgetragen werden.

Danke und viel Spaß!
 
Nun, zunächst einmal gibt es ja die verschiedensten Arten von "gruseliger" Musik. Man siehe z.B.: Hitchcocks Psycho, da völlig orchestral ist. Im Kontrast kann man dann gerne einen Film wie John Carpenters The Thing sehen. Oder man guckt in die Spieleindustrie und nimmt Beispiele wie Silent Hill oder The Evil Within.

Alle diese Beispiele erzeugen die gleiche Stimmung, aber jeweils auf eine andere Art.

Ich für meinen Teil spiele diesbezüglich gern mit metallischen Klängen. Ich treibe das so weit, das ich ca. 1 Minuten in Ableton mit nur Metallgeräuschen "komponiere" und auch schon Efgekte einsetze, aber kein Reverb. Dafür Delay, Redux, Filter, Autopanorama, shutter Effekte usw. Diese Minute (das sind dann meist so 6 Audiotracks) resample ich und lade die in den Ableton Sampler und setze dann da alle Parameter und den Reverb rein und nun kann ich das ganze als Fläche spielen und auch im Sample selbst noch die unterschiedlichsten Loops und Startpunkte setzen. Je nach Tonlage wird das Sample ja schneller oder langsammer abgespielt und man kann so auch wunderbar Stimmung erzeugen.

Das zweite was ich mache: Reverse!!! & Stretch. Gerne auch den Paul Stretch verwenden!!!

Ok, soweit erstmal. Später mehr.
 
also bei mir spuckt der padshop granularsynth von cubase oft spookie sound aus. das ganze geht zwar eher so richtung athmosphären-sounds aber da könnte man auf jedenfall was mit machen.
 
Da jibbet n coolen FX.

Workflow.

Sample mit Vocals, Reverse, Reverb und bisschen Delay, Samplen/Export als *.wav
Sample wieder rein, Reverse

Fertig.
 
Der vorgezogene Reverse-Delay, wie ihn Oesic beschrieben hat, erzeugt bei mir eher eine sakrale, erleuchtete, erhabene und göttliche Stimmung. Finde ich auch plausibel, da man ja schon vorher ahnt, was passieren wird. In "Dark Light" auf John Frusciante's Album "The Empyrean" ist das klasse umgesetzt. Übrigens ein echt hörenswertes Album! Liegt musikalisch irgendwo zwischen Ratatat, Air und den Beach Boys.

Unheimlich = unbekannt, orientierungslos, gigantisch und unübersichtlich.

Für unheimliche Stimmung wähle ich ein langsames Tempo (<< 90 bpm) und einen laaaangen Reverb mit ordentlicher Dämpfung der Höhen auf ausgewählte Spuren (gelegentlich auch auf der Kickdrum). Das funktioniert bei jedem Hörer gut, weil ein solcher dumpfer Reverb magische Orte in alten Höhlen (oder anschaulich riesige verwinkelte Räume) simuliert. In meinem Privat-Jargon ist das der Reise-zum-Mittelpunkt-der-Erde-Effekt. Du kannst auch was ähnliches mit einem Delay (mit Feedback) machen. Den Delay etwas verzerren und seine Höhen dämpfen. Wenn du dann getragene Noten spielst, so dass das Delay den Originalton überlagert, hört sich das auch gruselig an. Die Idee dahinter ist die selbe.

Ich hab mit 16 aufgehört Gruselfilme zu kucken, aber bei der jüngeren Generation könnte auch ein Scheisshaus-Reverb (kurzer Raum mit gefließten Wänden = SAW!) Angst erzeugen.

Ansonsten is alles, was die Dinge kaputt macht (Ringmodulator, elektrischer oder mechanischer Verzerrer, DAW-Clipping, Kabel mit Wackelkontakten, kratzende Potis) dienlich, um Unbehagen zu erzeugen.

Wenn ich nur bei mir eine unheimliche Stimmung erzeugen will, genügt eine vier-viertel-kick. Nach dem Sommer bin ich echt kuriert....
 
Dafür gibt es ne Menge Sample Libraries die sich genau darauf spezialisiert haben. Damit ist es ein leichtes auch für einen 90 Minuten Film. Mit normalen Synths brauchst du 100 mal länger dafür und klingt warscheinlich trotzdem billiger.
 
Ich hab mal einen supergruseligen Sound gebaut, bei dem Lautstärke, Klangfarbe und Tonhöhe vom selben, sehr langsamen "saw down" LFO moduliert wurden.

Der Ton setzt also rhythmisch, vielleicht alle 20 Sekunden, ein. Dann wird er langsam leiser, dumpfer und tiefer. Dazu kam beim DX7 noch etwas Unruhe im Sound durch Operator-Verstimmung. Krasser Effekt :twisted:
 
coole Effekte gibt's meines Erachtens mit lowfi Sampler runtergepitched....Hatte sehr gute deepe Sachen mit Roland MKS100 Sachen...

unheimlich- gut finde ich die Burial Tracks....ich bin auch immer wieder überrascht wie er das so hinkriegt...hat da einer Ideen ?!?

Federhall ist auch cool.

Aphex twin- selected ambient works 1 und 2....classiker.... :school:
 
psicolor schrieb:
Der vorgezogene Reverse-Delay, wie ihn Oesic beschrieben hat, erzeugt bei mir eher eine sakrale, erleuchtete, erhabene und göttliche Stimmung. Finde ich auch plausibel, da man ja schon vorher ahnt, was passieren wird. In "Dark Light" auf John Frusciante's Album "The Empyrean" ist das klasse umgesetzt. Übrigens ein echt hörenswertes Album! Liegt musikalisch irgendwo zwischen Ratatat, Air und den Beach Boys.

Das Kalvier erinnert mich bisschen a Rozz Williams - Flower (pretty Flower), klingt nicht über stimmt. Effekt gut umgesetzt.
Manchmal reichen auch nur Geräusche die räumlich nah klingen, oder näher kommen, eine Mischung aus Real und unbekannt.
Sicherlich gruselig wenn eine Nachrichtensprecherin im Radio plötzlich schreit und dann weg ist...
Clown in der Nacht sind gruselig.

:D
 
Höre mir die letzte Zeit öfter wieder das Joakim '' Phantomes'' Album an. Teilweise schön gruselig.

Ehrlich gesagt finde ich es viel einfacher gruselige Musik zu machen. Die Töne müssen wackelig sein oder einfach zwischen zwei Halbtönen hin- und herspringen. Dumpfe tiefe unharmonische Folgen dazu dann hohe schräge Akkordflächen. Einfach mal bei einem E-Piano Klang im oberen Oktavbereich mit einer Hand zwei weiße und ne schwarze (oder umgekehrt oder variiert Taste drücken. Das hört sich dann unheimlich und vor allem Gefahrlauernd an.
 
ringmodifier schrieb:
coole Effekte gibt's meines Erachtens mit lowfi Sampler runtergepitched....

ja, das habe ich in diversen songs fürs intro auch so gemacht. das ausgangssample muss halt möglichst abwechslungsreich und höhenlastig sein - sonst wird's schnell zu dumpf.

ansonsten nutze ich auch gerne die Waldorf wavetables in sehr tiefen Tonlagen. da dann einfach die wavetable durchfahren. gerne auch in Kombination mit FM, ringmod oder beidem. hall und/oder reverb hintendrauf - fertig ist der gruselsound.
 
Unheimlich oder auch Gruselakustik sind sehr sehr subjektiv. Wer sich viel mit abstrakter oder experimental Musik beschäftigt, auf den wirkt das nicht mehr so. In den meisten Fällen funktioniert sowas nur durch den bereitgestellten Kontext im Film.
 
weniger ist auf alle Fälle mehr und Pausen sind wichtig. Ich würde es z.B. mit großen (Hall) räumen angehen und einem dunklen, grummelnden Pad als kaum wahrnehmbare Unterlage. Melodiefetzen mit einem dünnen, zirpenden Klang (Hochpass, FM vielleicht). Durch das Panorama "geisternde" rauchige Samples, Stimmfetzen die wie bei Poltergeist auch rückwärts abgespielt werden.
Ganz gut macht sich ein dumpfer Pulsschlag, am besten ein Sample von Herztönen, die aber etwas schneller als der gewöhnliche Ruhepuls und..allmählich schneller werden lassen
 
ich hab den "schwyzer sniper tatort" gesehen und gehört.
kommentare auf spon:
"über dessen stehenden Plot der Regisseur ein riesiges Fass Spannungsmusik-Soße gekippt hat."
"wegen penetranter Berieselung spaciger Sounds, die permanent läuft, es sei denn, einer der Protagonisten spricht. Soll anscheinend Atmo schaffen. Sorry Leute, Musik oder Sounds sollte man gezielt einsetzen, und nicht als ätzenden Klangteppich über 90 min. verteilen."
http://www.spiegel.de/kultur/tv/tatort- ... 50438.html
mir hat die musik gefallen.
unheimlich: teilweise vielleicht
spannend: teilweise bestimmt
Im nachspann stand nicht musik und ein name.
Es stand soundesign u. ein name.
Ich weiss nicht ob das heute so üblich ist.
 
Die Musik ist mir beim o.g. Tatort ebenfalls (gleich) positiv aufgefallen.
Ich meine, dass "Musik" gefolgt von einem Namen im Vorspann angezeigt worden wären.
 
hübsches Thema :)
Ich war als Zwerg immer von den Sounds und Geräuschen aus der Kirmes-Geisterbahn und dem Into von "Mumien-Monstren-Mutationen" (ARD/ZDF Serie) fasziniert. Irgendwann habe ich dann mit zwei "Cassettenrecordern", nem alten Kurzwellenempfänger und allerlei metallischem Gerümpel meine eigenen Soundscapes zusammengerührt. Als effektivster Protagonist mußte meine Schreibtischlampe mit ihren beiden Spiralfedern herhalten - noch ein bisschen Gitarrenverstärker Hall dazu und der Grusel war fast perfekt :phat:

T.
 
deeptune schrieb:
hübsches Thema :)
Ich war als Zwerg immer von den Sounds und Geräuschen aus der Kirmes-Geisterbahn und dem Into von "Mumien-Monstren-Mutationen" (ARD/ZDF Serie) fasziniert. Irgendwann habe ich dann mit zwei "Cassettenrecordern", nem alten Kurzwellenempfänger und allerlei metallischem Gerümpel meine eigenen Soundscapes zusammengerührt. Als effektivster Protagonist mußte meine Schreibtischlampe mit ihren beiden Spiralfedern herhalten - noch ein bisschen Gitarrenverstärker Hall dazu und der Grusel war fast perfekt :phat:

T.

Sowas gefällt mir, das ist echte Begeisterung...erinnert mich an meine "Zwergen-Zeiten" :) Ich hatte auch mal eine Melodica über einen Fahrradschlauch von einem Staubsauger blasen lassen. Damit sie nicht überblasen wurde, schnitt ich noch einen Schlitz in den Schlauch. Mit beiden Händen konnte ich also Melodika spielen und mit dem Fuß die Lautstärke "regeln". Ok, der Rauschpegel war wirklich nervig hoch ;-)
 
Cyborg schrieb:
Sowas gefällt mir, das ist echte Begeisterung...erinnert mich an meine "Zwergen-Zeiten" :) Ich hatte auch mal eine Melodica über einen Fahrradschlauch von einem Staubsauger blasen lassen. Damit sie nicht überblasen wurde, schnitt ich noch einen Schlitz in den Schlauch. Mit beiden Händen konnte ich also Melodika spielen und mit dem Fuß die Lautstärke "regeln". Ok, der Rauschpegel war wirklich nervig hoch ;-)

Yeae, cool - mehr von solchen Storys :D
T.
 
deeptune schrieb:
Yeae, cool - mehr von solchen Storys :D
T.

hmm, in unseren Synthesizerkursen verwendetem wir viele Medien um den Lernstoff möglichst für jeden zugänglich zu machen.
Kumpel Norbert "dozierte" mit Hilfe einer Schultafel, dann hatten wir ein Magazin mit DIAs auf denen entweder kompliziertere Skizzen oder auch Detailaufnahmen von Geräten zu sehen waren und ich war derjenige der möglichst zu jedem Thema gleich passende Sound-Patches bereit hatte und die dann auch mit einem Oszilloskop anschaulich machte. Als ich mal das Gefühl hatte, der enorme Nutzem von Steuerspannungen und die Anbindung auch externer Spannungsquellen war noch nicht wirklich begriffen worden, holte ich ein Fahrad in den Raum und schloß den Dynamo als Modulator für einen VCO an. Jede Wette, das hat von den Leuten keiner wieder jemals vergessen ;-)
 
Cyborg schrieb:
deeptune schrieb:
Yeae, cool - mehr von solchen Storys :D
T.

hmm, in unseren Synthesizerkursen verwendetem wir viele Medien um den Lernstoff möglichst für jeden zugänglich zu machen.
Kumpel Norbert "dozierte" mit Hilfe einer Schultafel, dann hatten wir ein Magazin mit DIAs auf denen entweder kompliziertere Skizzen oder auch Detailaufnahmen von Geräten zu sehen waren und ich war derjenige der möglichst zu jedem Thema gleich passende Sound-Patches bereit hatte und die dann auch mit einem Oszilloskop anschaulich machte. Als ich mal das Gefühl hatte, der enorme Nutzem von Steuerspannungen und die Anbindung auch externer Spannungsquellen war noch nicht wirklich begriffen worden, holte ich ein Fahrad in den Raum und schloß den Dynamo als Modulator für einen VCO an. Jede Wette, das hat von den Leuten keiner wieder jemals vergessen ;-)

Ihr ward schon ein Klasse-Team :supi: Kumpel Norbert an der Tafel
mehr für die Theorie und Du für die Praxis. Da ich damals selbst
Nachrichtentechnik studierte, kann ich sagen, dass Norbert besser
war als viele Dozenten, die ich zu der Zeit "geniessen" musste. War
er nicht damals auch Student der E-Technik ? (1983 oder 1984)

Die Fahrradschlauch-Story gefällt mir auch, ich liebe es, Geräte
zu zweckentfremden. :lollo: Neulich hab ich so ein Mini-Kurz-
wellenradio erstanden, das wird ein neues "Geräusch-Modul" in
der Größe eines Korg Monotrons. :mrgreen: Wenn ich mich recht
erinnere, hat damals Holger Czukay von Can ganze Konzerte mit
Radios gemacht. :D

LG
 
Mal ausgiebig die Musik von John Carpenter, Wendy Carlos (Shining!) und Popol Vuh hören und analysieren und beim Ansehen von Gruselfilmen darauf achten, wie Musik und Klänge eingesetzt werden um die Handlung zu unterstreichen oder gar (durch z.B. für die Szene eigentlich völlig unpassende Musik) in eine neue Richtung zu lenken.

Und mich wunderts, daß Genosse Tritonus hier noch nicht erwähnt wurde:

https://de.wikipedia.org/wiki/Tritonus
 
Aus wiki:

Der Tritonus kann in jeglicher Musik eingesetzt werden, die viel mit tonalen Spannungen arbeitet, da dieses Intervall stärker als viele andere nach Auflösung verlangt. Tritonushaltige Akkorde eignen sich auch besonders gut für chromatische oder enharmonische Modulationen. Oft ist der Tritonus aber auch in einer über diese alltägliche satztechnische Funktion hinausgehenden Bedeutung verwendet worden. Sein Ruf als „Teufelsintervall“ (diabolus in musica) wurde häufig genutzt, um tonsymbolisch Düsteres, Schmerzliches, Unheimliches oder Dämonisches darzustellen.
 
Das is halt ein ziemlich akademischer Ansatz und kommt aus einer Zeit in der Bach seine Sachen mit vielen Kreuzen notiert hat, um eine christliche Stimmung zu erzeugen.
Der Musikwissenschaftler wird möglicherweise tatsächlich sagen "das soll so oder so wirken", aber ob er diese Wirkung tatsächlich verspürt, bezweifle ich.

Oder Andersrum: Ich empfinde den Tritonus UNTER UMSTÄNDEN als Spannung. Genauso wie die Sekunde. Mehr aber nicht. Und als Egozentriker schließe ich von mir auf alle andere. Is das bei dir tatsächlich anders? Merkst du echt was unheimliches beim Tritonus?
 


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