Gesang und Elektronik in der Neuen Musik/Avantgarde

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Markus Berzborn

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In einem anderen Thread (weiß nicht mehr wo) sagte vor ein paar Wochen jemand, es gebe zu wenig gute Sachen mit Stimme und Elektronik und das passe wohl auch nur selten zusammen.
Daraufhin meinte ich, dass das im Bereich der Neuen Musik sogar des Öfteren gemacht wurde.
Da Interesse an solchen Beispielen geäußert wurde, mache ich jetzt einfach mal einen separaten Thread dazu auf.

Und fange an mit einem Klassiker aus dem Jahr 1961 - Luciano Berios "Visage".
Er hat darin die Stimme seiner damaligen Frau Cathy Berberian verarbeitet, die natürlich auch eine fantastische Sängerin war.

 
Die gleiche Cathy Berberian in einer Blaupause der Indetermination - John Cages Aria/Fontana Mix

Ein wesentlicher Unterschied zur reinen Bandproduktion von Berio ist hier, dass der Gesang live in Echtzeit zusätzlich zum Band erfolgt.

 
Meine insgesamt 9 Besuche des Elektronischen Studios in Köln mit ausgesuchten Interessente hier aus dem Forum haben gezeigt, dass selbst bei denen wenig bis kein Wissen vorhanden ist.
 
Hier noch ein Stück aus den 60er Jahren von Stockhausen, das ich für sehr wichtig halte, das aber kaum jemand kennt.
Der Grund dafür ist, dass es so gut wie nie aufgeführt wird wegen des hohen technischen Aufwands und des damit verbundenen Probeaufwands.
Unzufrieden mit der Situation, elektronische Musik grundsätzlich auf Band fixieren und somit das interpretatorische Element ausschalten zu müssen, suchte Stockhausen zunehmend nach Möglichkeiten live-elektronischer Realisationen (transportable Synthesizer gab es ja noch nicht). Und so kam er auf die Idee, live gespielte akustische Klänge auf der Bühne in Echtzeit elektronisch umzuwandeln.
Das hier vorgestellte Werk heißt "Mikrophonie II" - die Stimmen von Chorsängern werden mit Mikrophon abgenommen und in Ringmodulatoren geleitet. Als Trägerfrequenzen dienen dabei Sinustöne einer Hammond.
So entsteht eine sehr differenzierte Klangwelt mit unterschiedlichen Erkennbarkeitsgeraden, was die Stimmen angeht. Manchmal sind sie praktisch unverändert und im Extremfall hört man nur noch elektronische Klänge, die kaum noch als menschliche Stimme zu identifizieren sind - mit jeder Menge Abstufungen dazwischen.



 
Und bei dieser Thematik muss man natürlich auch unbedingt Luigi Nono nennen. Nicht zuletzt sein elektronisches Spätwerk ist großartig. Das scheint mir noch gar nicht ins allgemeine Bewusstsein der Öffentlichkeit vorgedrungen zu sein.

Zunächst eines seiner unangreifbaren Meisterwerke der 60er Jahre:





Und hier eines der fantastischen atmosphärischen Live-Elektronik-Stücke der Spätphase:







 
Hierzulande kaum bekannt ist der US-Amerikaner Milton Babbitt, der ebenfalls ein paar sehr schöne Sachen für Elektronik und Gesang gemacht hat.

Und im Gegensatz zu den bisherigen reinen Standbild-Clips sieht man hier auch endlich mal die Sängerin in Aktion.
Großartige Leistung von Tony Arnold, das Stück ist unglaublich schwierig.

 
Bitte, ich mache immer gerne Reklame für gute und außergewöhnliche Musik.
Obwohl ich diese youtube-Clips eigentlich kritisch sehe, weil viele der Sachen natürlich nicht legal da eingestellt wurden.
Aber gerade bei der Musik gehe ich davon aus, dass die von Leuten gehört wird, die - wenn ihnen ein Stück gefällt - mit der da gebotenen Klangqualität nicht zufrieden sind und sich dann auch einen offiziellen Tonträger kaufen.
 
Markus Berzborn schrieb:
Bitte, ich mache immer gerne Reklame für gute und außergewöhnliche Musik.
Obwohl ich diese youtube-Clips eigentlich kritisch sehe, weil viele der Sachen natürlich nicht legal da eingestellt wurden.
Aber gerade bei der Musik gehe ich davon aus, dass die von Leuten gehört wird, die - wenn ihnen ein Stück gefällt - mit der da gebotenen Klangqualität nicht zufrieden sind und sich dann auch einen offiziellen Tonträger kaufen.

Das ist normal, die GEMA oder die Musikfirmen selbst versemmeln meist diese wundervolle Möglichkeit der Vorschau. Ich finde die Videos idR geeignet um sich danach die Tonträger zu besorgen oder hochwertige Audiofiles. Leider liest man sehr oft "in deinem Land nicht verfügbar". Sehr schade.

Kann den Thread nach "Styles" verschieben, denn das hat ja schon fast eine Tendenz zu einer Schau für einen Stil für Leute, die das nicht so gut kenne, deshalb hilfreich…
 
Ein Track von der wunderbaren und maßstabsetzenden Compilation-LP "Extended Voices", die für meine Begriffe in jeden Plattenschrank gehört.

 
Natürlich fantastisch, passt hier aber nicht ganz hin, da keine Elektronik dabei ist.

Eine Bekannte von mir (professionelle Sängerin) war übrigens neulich bei Michiko Hirayama in Rom, um mit ihr an Scelsi-Gesangsstücken zu arbeiten.
 
Markus Berzborn schrieb:
Natürlich fantastisch, passt hier aber nicht ganz hin, da keine Elektronik dabei ist.
Oops, stimmt*

* Lasse es trotzdem mal drin; sozusagen als Blick über den Horizont ;-) .

Als ich vor Jahren die CD zum ersten Mal hörte, war ich eher amüsiert über den
eigenwilligen Einsatz der Stimme. Heute entdecke ich immer wieder Neues in
dieser Aufnahme. Insofern "lohnt" es sich, sich zeitig mit der Neuen Musik zu be-
schäftigen. Die Begeisterung dafür kommt nicht von heute auf Morgen. Sind halt
keine One-day-hits-wonder.
 
Scelsi war ja auch einer der eigenwilligsten Komponisten überhaupt.

Er führte ein Leben, wie ich es mir immer wünsche, es mir aber leider nicht vergönnt ist: Als wohlhabender Abkömmling eines alten Adelsgeschlechts musste er nie für seinen Lebensunterhalt sorgen, sondern konnte sich ausschließlich mit Musik und Dichtung beschäftigen.
Und dass die Musik keinen Erfolg hatte und er erst im Alter "entdeckt" wurde, war ihm deshalb auch völlig egal.
 
Markus Berzborn schrieb:
In einem anderen Thread (weiß nicht mehr wo) sagte vor ein paar Wochen jemand, es gebe zu wenig gute Sachen mit Stimme und Elektronik und das passe wohl auch nur selten zusammen.
Daraufhin meinte ich, dass das im Bereich der Neuen Musik sogar des Öfteren gemacht wurde.

Vielleicht liegts daran dass viele Sänger/Sängerinnen sich für diesen Bereich nicht so erwärmen können? Und vielleicht auch nicht "flexibel" genug sind? ich kenn jedenfalls in meinem musikalischen Bekanntenkreis keinen Sänger der für Experimentelle Musik zu haben wäre.

Ich hab mir Vocaloid Tonio zugelegt, der mault wenigstens nicht rum und singt -zigmal dasselbe Zeugs ohne zu motzen. :)
http://www.zero-g.co.uk/index.cfm?articleid=1071
Ein Beispiel:


Servus,
Alex
 
ikonoklast schrieb:
ich kenn jedenfalls in meinem musikalischen Bekanntenkreis keinen Sänger der für Experimentelle Musik zu haben wäre.

Ich fühle mich hingegen geehrt, einige dieser Sänger zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis zählen zu dürfen.

Man muss auch klar sagen, dass ein normaler Sänger mit den Ansprüchen, die diese Musik stellt, überfordert ist. Oder er muss halt viel üben.
Aber dazu sind viele nicht bereit, weil das zunächst mal keiner bezahlt.
 
Hatte vor kurzem einer Aufführung von Mathias Kauls "Silence Is My Voice" beigewohnt - finde leider keine Aufnahmen oder Videos dazu.
Julia Mihály war beeindruckend! ( http://www.juliamihaly.net/8.html ). Sie platzierte einen kleinen Lautsprecher (?) in ihren Mund, nutzte ihre Mundhöhle als modifizierenden Resonanzraum, sang und sprach in ein Außenmikrophon - und die Klänge, die herausflossen waren beinahe sichtbar.
 
Klar ist Julia Mihály beeindruckend. Sie ist auch schon zwei mal bei uns in der Klangbrücke aufgetreten.
Außerdem ist sie ein richtiger Synthesizer-Freak, sollte sich eigentlich mal hier im Forum anmelden. :D
Und wenn ich schon eine Vorankündigung machen darf für ein Konzert, auf das ich mich extrem freue - Julia und fünf weitere Sänger werden bei uns Ende November Stockhausens STIMMUNG präsentieren!
Finde ich wirklich klasse, dass dies geklappt hat!
 
Die letzten 12 Minuten von Stockhausens SIRIUS.



Nur mal als allgemeinen Eindruck.
Sollte man sich wirklich konzentriert über eine gute Anlage anhören, weil das Ganze ansonsten meiner Meinung nach doch schnell ziemlich nervig werden kann, es passiert einfach zu viel in der Musik.

Alle elektronischen Klänge stammen von einem EMS Synthi 100.
Der bekanntlich heute noch im ehemaligen WDR-Studio für Elektronische Musik steht.
Siehe entsprechende Bilder und Berichte hier im Forum.
 
Sollte man sich wirklich konzentriert über eine gute Anlage anhören, weil das Ganze ansonsten meiner Meinung nach doch schnell ziemlich nervig werden kann, es passiert einfach zu viel in der Musik.
Generell finde ich, dass Neue Musik Live gehört und gesehen werden sollte.

Das merkt man jedes Jahr dann, wenn man z. B. live in Donaueschingen dabei war
und später die Aufzeichnung im SWR2 hört. Da sind Welten dazwischen!
 


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