R. I. P. Barbara Buchholz

Ich habe Barbara Buchholz in Hamburg kennengelernt. Bei ihrem Auftritt vor ca. 3 Jahren hatte sie bereits Jahre des Leids hinter sich. Das Theremin hat ihr geholfen, in ihrem vom Krebs gezeichneten Leben Halt, Mut und Sinn zu finden. Es ist schwer in dieser Hölle aus Schmerzen, verminderter Lebensqualität und schreiender Ungerechtigkeit noch einen für sich ertragbaren Platz zu finden oder das Leiden mal für einen Augenblick zu vergessen. Sie hat sauber intoniert, hochkonzentriert gespielt und ihre Darbietung mit atmosphärischen Beats und Sphärenklängen untermalt. Man konnte aufgrund der Vorgeschichte erkennen, dass sie es für einen Moment schafft, ihrer bitteren Wirklichkeit zu entfliehen und all das Leid zu vergessen. Den Applaus hat sie ergriffen und natürlich auch mit einem gewissen Stolz aufgesogen, weil es wahrscheinlich das letzte war, was ihr Respekt und Anerkennung gegeben hat. Viele Krebspatienten sind in unserer den Tod verdrängenden Gesellschaft einfach Ausgeschlossene. Man möchte das Leid nicht sehen, weil es uns daran erinnert, dass für uns alle die Tage irgendwann gezählt sind.
Genießt jeden Tag, der euch ohne Krankheit geschenkt wird. Wenn es jemand von uns erwischt, wünsche jedem die Kraft und die Ausdauer, die Barbara angesichts des unaufhaltsam herannahenden Todes in ihre Kunst gesteckt hat. Die meisten würden das nicht schaffen und sich stattdessen ganz im Selbstmitleid verlieren.
 
Elektro_Lurch schrieb:
Man möchte das Leid nicht sehen, weil es uns daran erinnert, dass für uns alle die Tage irgendwann gezählt sind.

Sehr richtig, das ist ein Zeichen einer dekadenten Gesellschaft. Sage ich aber nicht, weil auch bei meiner Frau der Krebs (nach heutigem Wissensstand) nicht mehr heilbar ist, sondern generell.
Aber wer Christentum ernst nimmt, denkt sowieso laufend an den Tod, ist ja auch zentrales Element der zwei bekanntesten Gebete ("Vater unser" und "Ave Maria").

Davon abgesehen sind die Tage nicht irgendwann gezählt, sondern jetzt bzw. seit der Geburt an.

Darum sagt Bob Dylan:
I gaze into the doorway of temptation’s angry flame
And every time I pass that way I always hear my name
Then onward in my journey I come to understand
That every hair is numbered like every grain of sand
 
Elektro_Lurch schrieb:
[...] Man möchte das Leid nicht sehen, weil es uns daran erinnert, dass für uns alle die Tage irgendwann gezählt sind. [...]

Unsere Tage sind ab dem Moment gezählt, in dem wir den Kopf aus unserer Mama stecken. Wie die Zählung ausfällt, ist ein bißchen wie Eieruhraufziehen in der Haushaltswarenabteilung beim Horten: Einmal aus dem Handgelenk an jeder Uhr gedreht, und jede Uhr hatte eine andere Laufzeit und rappelte zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt.

Haben wir als Kinder immer gerne gemacht. Hätte nie gedacht, daß dieser Blödsinn soviel Lebensnähe hat. Oder Todesnähe, je nachdem.

Stephen
 
Das ist nicht deterministisch, das ist realistisch.
Der Mensch wird erst dadurch frei, dass er seine Unfreiheit erkennt.
Alles andere ist Illusion.
 
ppg360 schrieb:
Hätte nie gedacht, daß dieser Blödsinn soviel Lebensnähe hat. Oder Todesnähe, je nachdem.

Todesnähe ist Lebensnähe.
Darum heißt es - Geheimnis des Glaubens: Im Tod ist das Leben.
 
Markus Berzborn schrieb:
Das ist nicht deterministisch, das ist realistisch.
Der Mensch wird erst dadurch frei, dass er seine Unfreiheit erkennt.
Alles andere ist Illusion.

"Die Illusionen sind das wahre Satori." -- Taisen Deshimaru

Stephen
 
Elektro_Lurch schrieb:
Genießt jeden Tag, der euch ohne Krankheit geschenkt wird.
Da schließe ich mich gerne an!
Die meisten leben nur so vor sich hin, und verdrängen einfach, das es irgendwann einmal zu Ende geht.
 
Ach so, das meinst Du.
Da finde ich Deine Übersetzung aber sehr seltsam.
 
Markus Berzborn schrieb:
Ach so, das meinst Du.
Da finde ich Deine Übersetzung aber sehr seltsam.

Da ich kein Japanisch spreche, habe ich das nicht übersetzt, sondern ein japanischer Student von mir.

Später im Buch kommt das Thema nochmal zur Sprache, und da sagt er -- im Zusammenhang mit Illusionen --, daß für die meisten Menschen ihre Illusionen das wahre Satori sind.

Stephen
 
Nun, der Ausspruch ist ja bekannt.
Aber meistens wird es mit Wünschen, Verlangen übersetzt, also im Sinne von "desire".
Ich finde schon, dass eine Wiedergabe mit "Illusion" eine ganz andere Bedeutungsebene da herein bringt.
 
Markus Berzborn schrieb:
Nun, der Ausspruch ist ja bekannt.
Aber meistens wird es mit Wünschen, Verlangen übersetzt, also im Sinne von "desire".
Ich finde schon, dass eine Wiedergabe mit "Illusion" eine ganz andere Bedeutungsebene da herein bringt.

Das Problem ist eben, daß das Buch erst aus dem Japanischen ins Französische und dann ins Deutsche übersetzt worden ist. Ohne den Originaltext zu kennen, dürfte es schwierig werden, seine ursprüngliche Aussage 1:1 zu finden. Jede Übersetzung bringt zwangsläufig eine gewisse Unschärfe mit sich.

Das Dilemma des Übersetze(n)(r)s: Üb´ Ersetzen!

Stephen
 
Bernie schrieb:
Und, war sie nett?

...ja, sehr.

Das Seminar, auf dem wir uns zufällig widertrafen, hatte sehr viel mit den Themen zu tun, die sie in ihren letzten Lebensjahren beschäftigte und denen sich jeder Mensch irgendwann stellen muss. Mehr möchte ich hier dazu nicht sagen...

Gruß
Andreas
 
ppg360 schrieb:
Das Problem ist eben, daß das Buch erst aus dem Japanischen ins Französische und dann ins Deutsche übersetzt worden ist.

Sicher ist das ein Problem, aber der zitierte Ausspruch ist ja uralt und keine Erfindung des 20. Jahrhunderts.
 
Elektro_Lurch schrieb:
Ich habe Barbara Buchholz in Hamburg kennengelernt. Bei ihrem Auftritt vor ca. 3 Jahren hatte sie bereits Jahre des Leids hinter sich. Das Theremin hat ihr geholfen, in ihrem vom Krebs gezeichneten Leben Halt, Mut und Sinn zu finden. Es ist schwer in dieser Hölle aus Schmerzen, verminderter Lebensqualität und schreiender Ungerechtigkeit noch einen für sich ertragbaren Platz zu finden oder das Leiden mal für einen Augenblick zu vergessen. Sie hat sauber intoniert, hochkonzentriert gespielt und ihre Darbietung mit atmosphärischen Beats und Sphärenklängen untermalt. Man konnte aufgrund der Vorgeschichte erkennen, dass sie es für einen Moment schafft, ihrer bitteren Wirklichkeit zu entfliehen und all das Leid zu vergessen. Den Applaus hat sie ergriffen und natürlich auch mit einem gewissen Stolz aufgesogen, weil es wahrscheinlich das letzte war, was ihr Respekt und Anerkennung gegeben hat. Viele Krebspatienten sind in unserer den Tod verdrängenden Gesellschaft einfach Ausgeschlossene. Man möchte das Leid nicht sehen, weil es uns daran erinnert, dass für uns alle die Tage irgendwann gezählt sind.
Genießt jeden Tag, der euch ohne Krankheit geschenkt wird. Wenn es jemand von uns erwischt, wünsche jedem die Kraft und die Ausdauer, die Barbara angesichts des unaufhaltsam herannahenden Todes in ihre Kunst gesteckt hat. Die meisten würden das nicht schaffen und sich stattdessen ganz im Selbstmitleid verlieren.
Oh ja dort habe ich sie ja auch live gesehen, hatte ich fast wieder vergessen!
 
Bernie schrieb:
Die meisten leben nur so vor sich hin, und verdrängen einfach, das es irgendwann einmal zu Ende geht.

Das ist absolut beneidenswert!

Wenn ich anfange mir Gedanken über Leben, Tod und den Sinn des Ganzen zu machen, ist das erfahrungsgemäß ein sicheres Zeichen für eine seelische Krise.
Zum Glück gibt es immer wieder Phasen, in denen ich einfach nur in den Tag reinlebe ohne mir Gedanken über morgen oder die Zukunft zu machen. Erfahrungsgemäß sind das die einzigen Lebensabschnitte, in denen ich 100%ig kompromisslos glücklich und zufrieden bin.

Es ist vielleicht etwas voreilig, aber ich neige dazu meine Empfindungen als Beispielhaft zu betrachten und empfehle daher jedem, sich so wenig Gedanken wie möglich zu machen. Dumm lebt es sich einfach glücklicher. Is mein voller Ernst!
 
Wenn man sich bewusst ist, dass dieses irdische Leben nicht ewig andauert, lebt man viel intensiver und bewusster. Das ist jedenfalls meine Erfahrung und hat nichts mit einer Lebenskrise zu tun.
 
intercorni schrieb:
Wenn man sich bewusst ist, dass dieses irdische Leben nicht ewig andauert, lebt man viel intensiver und bewusster. Das ist jedenfalls meine Erfahrung und hat nichts mit einer Lebenskrise zu tun.
so isses.
 
Dann sind die Menschen offenbar doch unterschiedlich. Wie gesagt, bei mir lebt es sich gedankenlos am glücklichsten.
 
intercorni schrieb:
Wenn man sich bewusst ist, dass dieses irdische Leben nicht ewig andauert, lebt man viel intensiver und bewusster. Das ist jedenfalls meine Erfahrung und hat nichts mit einer Lebenskrise zu tun.

+1

In dem Augenblick, in dem man das, was man hat und den Moment, in dem man gerade ist, als etwas begreift, das nicht selbstverständlich ist -- in diesem Augenblick hat man etwas von tiefer, allumfassender Wahrheit erkannt.

"You have to realise that some day you will die. Until you know that you are useless." (Tyler Durden)

Stephen
 
?
Versteh nicht, was du damit sagen willst.
Die Schafsprache wirst du wohl kaum so gut sprechen können, um mit den Tieren so tiefsinnige Gespräche führen zu können. Bzw wenn du fliesend Schafsprache sprichst, dann wohl kaum auch noch deutsch...
 
psicolor schrieb:
Wenn ich anfange mir Gedanken über Leben, Tod und den Sinn des Ganzen zu machen, ist das erfahrungsgemäß ein sicheres Zeichen für eine seelische Krise.
Zum Glück gibt es immer wieder Phasen, in denen ich einfach nur in den Tag reinlebe ohne mir Gedanken über morgen oder die Zukunft zu machen. Erfahrungsgemäß sind das die einzigen Lebensabschnitte, in denen ich 100%ig kompromisslos glücklich und zufrieden bin.

Es ist vielleicht etwas voreilig, aber ich neige dazu meine Empfindungen als Beispielhaft zu betrachten und empfehle daher jedem, sich so wenig Gedanken wie möglich zu machen. Dumm lebt es sich einfach glücklicher. Is mein voller Ernst!

Solche Argumente hört man häufig von Drogenabhängigen. Auch mein Ernst. Diese benutzen Drogen (jedweder Art) um das Denken "abzuschalten"
 


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