Musiker, die immer die gleichen Akkord-Folgen nehmen...

S

Sebastian R.

|||
In den 1960ern waren die Durfolgen ja auch fast immer gleich,
meist C - Am - F - G (oder halt an einem anderen Grundton beginnend),
aber es wurde immer wieder was neues daraus gemacht bzw komponiert.
Sie hatten halt weniger Instrumente und Effekte.
Wenn aber den Leuten nichts mehr weiter einfällt,
als nur noch hauptsächlich "wohlklingende" Durfolgen benutzen und kaum noch
Melodien hinzu komponieren können, dann wird's echt lästig.
Alan Walker z.B. hat in fast allen seinen Tracks die Duren-Schleife Am - F - C - G,
oder halt an einem anderen Grundton beginnend.
In "Faded" ist seine erste Melodie dabei, die im Ohr bleibt.
Schlager enden meist in C - F - G oder C - G - F --Gewaber.
Kaum noch jemand, der mal gewagtere Dur-Folgen betritt und dazu auch noch
eine Melody-Line hinzu-komponiert. Sehe nur ich das so oder ähnlich?
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Was du beschreibst nennt man Kadenz und bildet seit einigen hundert Jahren die Grundlage der westeuropäischen Musik. Die Grundfunktionen bilden die Grundlage für Musik (deswegen heißen sie auch so), was weder eine Modeerscheinung, noch die Vorboten für den Untergang des musikalischen Niveaus sind, sondern lediglich der Werkzeugkoffer, aus dem sich seit dem späten Mittelalter Musiker bedienen. Daran kann ich beim besten WIllen nichts schlechtes erkennen.
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Vielleicht hören wir komplett unterschiedliche Musik (darauf würde auch hindeuten, dass mir Alan Walker nichts sagt), aber mit Dur hat der größte Teil der elektronischen Musik, die ich höre, schonmal ziemlich wenig am Hut. Diesen Bestandteil deiner Problemdiagnose kann ich also schonmal nicht so nachvollziehen.

»Musiker, die immer die gleichen Folgen benutzen«... klar, mag es geben. Es wird ja zu Recht auch gerne als etwas Positives angesehen, wenn jemand »seinen Stil gefunden« hat. Und wenn wir meinen, irgendwas groovt, dann oft nicht zuletzt deshalb, weil da was sehr vertrautes im Spiel ist, rhythmisch, melodisch, oder eben harmonisch. Und wer sich z.B. beschweren wollte, dass die II-V-I oder die I-IV-I-V-IV, und alles was sich von ihnen ableitet, doch ziemlich dröge seien, der hätte damit, vorsätzlich oder fahrlässig, ein ziemlich vernichtendes Urteil über gleich zwei der bedeutendsten Musikgenres des letzten Jahrhunderts gesprochen.

Das heißt also: ich würde das Einfache/Bewährte/Vertraute nicht unterschätzen. Einerseits. Andererseits: ich habe diesen Eindruck überhaupt nicht, dass überall nur mit Vertrautem gearbeitet würde. Gerade im elektronischen Bereich gibt's doch nun wirklich genug Musik, die die Grenzen der abendländischen Harmonik (1500-1900) sprengt, sei's weil sie einfach komplett auf Kadenzen verzichtet, also modal arbeitet, sei's weil sie mit anderen als der 12tönigen gleichstufigen Stimmung experimentiert, sei's weil sie sich vom Tonalen schlechthin verabschiedet hat.

Aber selbst innerhalb der ›klassischen Popmusik‹ muss man sich nicht über fehlende Varianz beschweren. Ich empfehle ein Buch zu diesem Thema, das das eindrücklich zeigt und noch dazu Laien-kompatibel geschrieben ist (ich muss es wissen):
 

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Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Wenn Du anfaengst, die gewohnten Akkord-Folgen zu verlassen und gewagtere zu verwenden, dann kommt Grunge dabei raus, und das finde ich persoenlich furchtbar :lollo:
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Ermac schrieb:
Was du beschreibst nennt man Kadenz und bildet seit einigen hundert Jahren die Grundlage der westeuropäischen Musik.
Wobei in der "klassischen Musik" ab der Barockzeit - also ca. ab 1600 - eigentlich immer zwischen verschiedenen Tonarten moduliert wird. Sodass es bei einem einfachen Verbleib in nur einer Tonart mit 3 bis 4 Akkorden fast nie bleibt. Ab dem 20. Jahrhundert gab es dann atonale Musik, Zwölftonmusik etc., die sich von der Abhängigkeit von Kadenzen und von Dur und Moll vollkommen lösen.

Populäre Musik heute befindet sich harmonisch gesehen also oft maximal auf dem Stand der Renaissance - wenn man sie mit "klassischer Musik" vergleicht.

Ermac schrieb:
Die Grundfunktionen bilden die Grundlage für Musik (deswegen heißen sie auch so), was weder eine Modeerscheinung, noch die Vorboten für den Untergang des musikalischen Niveaus sind, sondern lediglich der Werkzeugkoffer, aus dem sich seit dem späten Mittelalter Musiker bedienen.
Richtig. "Spätes" Mittelalter. Davor ist die Musik nämlich auch nicht im Dur-/Moll-System, sondern in den Kirchentonarten gedacht.
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Naja aber ist es denn ein Qualitaetsmerkmal oder eine Pflicht oder meinetwegend Tugend, moeglichst viele Tonarten und Akkordfolgen zu verwenden?

Kann man es andersherum nicht als erstaunlich betrachten, wie viele verschiedene Lieder mit den gleichen Akkordfolgen machbar sind?
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

ZH schrieb:
Naja aber ist es denn ein Qualitaetsmerkmal oder eine Pflicht oder meinetwegend Tugend, moeglichst viele Tonarten und Akkordfolgen zu verwenden?
Nein.

ZH schrieb:
Kann man es andersherum nicht als erstaunlich betrachten, wie viele verschiedene Lieder mit den gleichen Akkordfolgen machbar sind?
Ja, kann man. Es gibt wirklich erstaunlich viele großartige Musikstücke (vor allem Lieder), die harmonisch sehr einfach aufgebaut sind.

Aber es besteht natürlich die Gefahr der Langeweile. Wirklich stundenlang zuhören kann ich vieler populärer Musik nicht (mehr). Ab und zu brauche ich Beethoven oder Ligeti oder so etwas ;-) ...
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...


C - G - Am - F

Liste aller Songs, die hier zitiert werden kann man auf youtube lesen.
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

SynthUser0815 schrieb:
Aber es besteht natürlich die Gefahr der Langeweile. Wirklich stundenlang zuhören kann ich vieler populärer Musik nicht (mehr). Ab und zu brauche ich Beethoven oder Ligeti oder so etwas ;-) ...

Mir geht es inzwischen eher sogar andersrum. Natuerlich hoere ich nach wie vor noch hauptsaechlich meine Lieblingsmusik, ertappe mich aber dann immer wieder mal dabei, ganz normale Pop-Songs anzuhoeren, die ich frueher nie freiwillig reingetan haette, weil ich sie doch schon zur Genuege aus dem Radio kenne. Zum Teil sind da sogar Lieder dabei, die ich damals ueberhaupt nicht mochte, aber inzwischen irgendwie auch dort herauserkenne, dass das alles gar nicht so scheisse ist, wie man mal annahm... :mrgreen:
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

virtualant schrieb:

C - G - Am - F

Liste aller Songs, die hier zitiert werden kann man auf youtube lesen.

Sowas finde ich inzwischen oft sehr affig, weil ich das Gefuehl habe, jeder zweite macht so ein Video - aber gut, davon abgesehen finde ich es in diesem Beispiel schon ziemlich kacke, dass sie "Forever Young" mit einbauen, und zwar nur die erste Haelfte des Refrains. Die zweite passt naemlich nicht ins Schema, und da wird dann sofort zum naechsten Song gewechselt. Ist also doch nicht alles so eintoenig... :floet:
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

ZH schrieb:
davon abgesehen finde ich es in diesem Beispiel schon ziemlich kacke, dass sie "Forever Young" mit einbauen, und zwar nur die erste Haelfte des Refrains. Die zweite passt naemlich nicht ins Schema, und da wird dann sofort zum naechsten Song gewechselt. Ist also doch nicht alles so eintoenig... :floet:
Ich finde eher erstaunlich, daß einige ziemlich gute Stücke dabei sind, die offenbar auch in dieses Schema passen.
Code:
Auld Lang Syne (= Nehmt Abschied, Brüder)
The Beatles -- "Let It Be"
U2 -- "With Or Without You"
A Ha -- "Take On Me"
Toto -- "Africa"
Alphaville -- "Forever Young"
Elton John -- "Can You Feel The Love Tonight" (from The Lion King)
John Denver -- "Take Me Home, Country Roads"
Bob Marley -- "No Woman No Cry"
Men At Work -- "Land Down Under"
Joan Osborne -- "One Of Us"
Aqua -- "Barbie Girl"
Andrea Bocelli -- "Time To Say Goodbye"
Ist doch guter Stoff. Wenn das alles mit derselben Folge von 4 Akkorden gemacht ist, sollte man sich wohl mal näher mit dieser beschäftigen.
Aha lebt heute noch von "Take on Me", und "With Or Without You" ist wahrscheinlich U2s bester und erfolgreichster Song.
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Sebastian R. schrieb:
In den 1960ern waren die Durfolgen ja auch fast immer gleich,
meist C - Am - F - G (oder halt an einem anderen Grundton beginnend) ...
ich weiß was Du meinst. Bei diesem 50er-Jahre-Zeug kann man das ganz gut hören. Man kennt jedes Lied schon vorher ohne es schon mal gehört zu haben. Bei den Toten Hosen ging es mir ähnlich, in 'Hier kommt Alex' hatten sie ihre Akkorde gefunden (Am-F-Dm-E*) und man konnte die folgenden Lieder kaum noch auseinanderhalten. Mir gings jedenfalls so.
Sehr bekannt ist auch D-A-G, da kannste Helpless, Knocking on Heavens Door und andere Songs drauf singen, oder Am-G-F-E (olé!) wird auch gern genommen. Ja, gibt so Akkordfolgen die sind sehr beliebt..

* wie Du schon schriebst: 'oder halt an einem anderen Grundton beginnend'
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Vangelis spielt immer in ganz einfachen Kadenzen -- funktioniert prima.

Dito Jean-Michel Jarre.

Kraftwerk natürlich auch -- die haben schließlich die Kadenzen erfunden und halten das Patent darauf.

Stephen
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

ppg360 schrieb:
Kraftwerk natürlich auch -- die haben schließlich die Kadenzen erfunden und halten das Patent darauf.
Wie gut, dass der letzte Nachfahre Bachs 1845 starb und sich die Familie so aus größeren rechtlichen Auseinandersetzungen heraushalten konnte. Nicht auszudenken, wenn Moses Pelham das berühmte "Dreiblatt" gesampelt hätte. Dieses Werk für Klavier zu sechs Händen von Wilhelm Friedrich Ernst Bach sieht eine Umarmung der rechts und links vom Spieler sitzenden Damen vor.

 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

PySeq schrieb:
ZH schrieb:
davon abgesehen finde ich es in diesem Beispiel schon ziemlich kacke, dass sie "Forever Young" mit einbauen, und zwar nur die erste Haelfte des Refrains. Die zweite passt naemlich nicht ins Schema, und da wird dann sofort zum naechsten Song gewechselt. Ist also doch nicht alles so eintoenig... :floet:
Ich finde eher erstaunlich, daß einige ziemlich gute Stücke dabei sind, die offenbar auch in dieses Schema passen.
Code:
Auld Lang Syne (= Nehmt Abschied, Brüder)
The Beatles -- "Let It Be"
U2 -- "With Or Without You"
A Ha -- "Take On Me"
Toto -- "Africa"
Alphaville -- "Forever Young"
Elton John -- "Can You Feel The Love Tonight" (from The Lion King)
John Denver -- "Take Me Home, Country Roads"
Bob Marley -- "No Woman No Cry"
Men At Work -- "Land Down Under"
Joan Osborne -- "One Of Us"
Aqua -- "Barbie Girl"
Andrea Bocelli -- "Time To Say Goodbye"
Ist doch guter Stoff. Wenn das alles mit derselben Folge von 4 Akkorden gemacht ist, sollte man sich wohl mal näher mit dieser beschäftigen.
Aha lebt heute noch von "Take on Me", und "With Or Without You" ist wahrscheinlich U2s bester und erfolgreichster Song.

Gefuehlt die Haelfte der Lieder sind aber eben schlechte Beispiele, weil das da hoechstens fuer die ersten 4 Akkorde des Refrains gilt! Der folgende Teil hat oftmals andere Akkorde oder zumindest eine andere Reihenfolge, drum finde ich es ja auch so bescheuert und unnoetig, solch ein Video zu machen, weil es naemlich ueberhaupt nichts beweist, sondern eher nur irrefuehrt.
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

es soll mit dem Video nichts bewiesen werden, es wird einfach nur gezeigt, dass diese 4 Akkorde in all den Beispielen eine sehr wichtige Rolle spielen und einen Teil der jeweiligen Lieder ausmachen. Es soll die Gleichheit an bestimmten Stellen gezeigt werden, mehr nicht.

"Ever wonder why all those pop songs sound kinda the same? Well, it's pretty simple; They all use the same 4 Chords!"
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Diese Kadenz (Tonika, Subdominante, Dominate) verdanken wir zudem auch dem Blues (https://de.wikipedia.org/wiki/Blues#Das_Blues-Schema) - über den ist das wohl in die "populäre" Musik (was immer das jetzt sein soll) reingekommen, zuerst in den Rock'n'Roll und dann in dessen Abkömmlinge.

Offenbar bietet dieses simple Schema genug Möglichkeiten um damit quasi unendlich viel Musik zu produzieren.

Trotzdem frage ich mich, warum man sich da so sehr auf C-Dur beschränkt. Warum sind die anderen Modi / Kirchentonarten (ausser Moll) so aus der Mode gekommen? Ja, Deep Purple haben sich an den Kirchdentonarten versucht, aber üblich scheint es ja nicht zu sein. Aber es ist doch nicht schwer - wer A-Moll kann und C-Dur, der kann auch ohne jede Verrenkung E-phrygisch oder D-dorisch. Ganz ohne die komischen schwarzen Tasten ;-)

Sind Dur und Moll aus physiologischen Gründen so bevorzugt (so, wie man Sekunden und Tritonusse als unangenehm empfindet?) oder ist das nur durch jahrhundertelange Gewöhnung so?

Früher kam man ja auch ohne Kadenzen aus und in vielen Kulturen sind sie in der traditionellen Musik bis heute unbekannt.
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

virtualant schrieb:
"Ever wonder why all those pop songs sound kinda the same? Well, it's pretty simple; They all use the same 4 Chords!"
Mich wundert ja gerade, daß die genannten Lieder trotz derselben 4 Akkorde immer noch recht verschieden klingen.
Jedenfalls so verschieden, daß es für volle Eigenständigkeit reicht, und man nicht das "Modern Talking-Gefühl" ("das ist doch alles irgendwie gleich") hat.
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

@ betadecay: Ohne es jetzt ueberprueft zu haben, aber ich glaube hier geht es generell eher um die Akkordfolge, sprich die Intervalle zwischen den Akkorden, und nicht zwingen darum, dass es immer tatsaechlich C-Dur ist. Das gleiche Schema gibts naemlich auch in vielen anderen Tonarten.

@ PySeq: Wie gesagt, ich wuerde mal behaupten, dass es auch mit daran liegt, dass von den Liedern hier immer nur der Teil gezeigt wird, der tatsaechlich nur aus den 4 genannten Akkorden besteht, wobei das Original-Lied oftmals dann mit einer ganz anderen Akkord-Folge weitergeht (noch innerhalb des Refrains). Oder meintest Du jetzt eher, dass auch exakt nur diese kurze Passage bei den Liedern sehr unterschiedlich klingt?

Prinzipiell kann man ja auch sagen - sind doch immer nur die gleichen 12 Toene in der heutigen Musik! :mrgreen:
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

ZH schrieb:
@ betadecay: Ohne es jetzt ueberprueft zu haben, aber ich glaube hier geht es generell eher um die Akkordfolge, sprich die Intervalle zwischen den Akkorden, und nicht zwingen darum, dass es immer tatsaechlich C-Dur ist. Das gleiche Schema gibts naemlich auch in vielen anderen Tonarten.

Das ist wohl wahr. Aber es scheint nicht nur eine allgemeine Vorliebe (in der wie auch immer definierten "Popmusik") für Tonika-Subdominante-Dominate zu geben (das war ja schon im Barock bekannt und funktioniert auch im dorischen Modus), sondern speziell für die Akkorde C-, F- und G-Dur (*). Womit wir dann in C-Dur wären.

Mir ging es auch einfach um die Frage: warum nur Dur und Moll? Warum sind die anderen Modi seit ein paar Jahrhunderten so exotisch? Hat das rational erklärbare Gründe oder ist das einfach nur wg. gewohnt/ungewohnt bzw. modisch/unmodisch?

(*) Quellenangabe: leider hab ich die Quelle nicht mehr... Ich hab schon gesucht, aber finde es nicht. War wohl nicht im Internet, sondern was gedrucktes.
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Deine Frage sind ja eigentlich mindestens zwei Fragen:

(1) wie kam es zur Ablösung der sieben Kirchtonarten durch das Dur-/Moll-Schema? (Wenn es überhaupt angemessen ist, die Entwicklung so salopp in zwei klar getrennte Epochen zu zerteilen)

und

(2) wie kam es -- innerhalb des nun etablierten Dur-/Moll-Schemas! -- zur Bevorzugung bestimmter Tonarten gegenüber anderen? Woher der Eindruck, dass die Leute sich jahrhundertelang auf nur wenige Gegenden des Quintenzirkels beschränkt, andere hingegen regelrecht gemieden haben?

Bei der ersten Frage halte ich mich erstmal zurück, da ich nicht weiß, ob ich überhaupt die Diagnose so unterschreiben würde. Das kommt mir einerseits etwas zu einfach vor: erst hat man nur die Kirchentonarten genutzt, dann hat man angefangen, so zu denken wie heute: unten das harmonische Fundament in Dur oder Moll, obendrauf dann die Melodie. Andererseits bin ich da auch nicht bewandert genug, um das stärker zu differenzieren. Ich würde höchstens einwenden, dass die kontrapunktische Satzweise vielleicht eine Übergangszone zwischen den beiden Paradigmen ist. Aber da werden andere sicher kompetenter sein.

Für (2) musst du dir klarmachen, wie sich das Stimmen (von stimmbaren Instrumenten) über die Jahrhunderte gewandelt hat, nämlich ziemlich häufig und mit deutlichen Überlappungen konkurriender Stimmweisen. Die Ära der Kirchentonarten z.B. geht einher mit der sog. pythagoräischen Stimmung. Die läuft nach Quinten:
Um z.B. auf Basis deines c dein g zu stimmen, kriegt das g exakt 3/2 der Frequenz vom c (weil nichts anderes ist ja seit den Griechen die Quinte und die Quarte, die zusammen die Oktave ergeben: 3/2 x 4/3 = 2). Und dann immer so weiter:
c x 3/2 -> g
g x 3/2 -> d
...
bb x 3/2 -> f
f x 3/2 -> leider nicht ganz wieder c, sondern, weil 3/2 hoch 12 ziemlich krumm ist, einen ganz kleinen Tick (einen ~viertel Halbton) mehr.

Und damit ist das Grundproblem der Stimmung in der Welt (der abendländischen jedenfalls): was tun wir mit diesem Achtelton, den wir zuviel haben? Alle Stimmungen (die sich auf ›unsere‹ Tonleiter mit 12 Tönen pro Frequenzverdopplung beziehen) sind letztlich workarounds zu diesem Probem. Die pythagoräische Stimmung macht es sich einfach: sie stimmt einfach alle Quinten rein (3/2 bzw. 702 cent, weil eine Oktave ist definiert als 12 x 100 = 1200 cent), bis auf eine, die dann um einen Achtelton zu klein ist. Die ›versteckt‹ man irgendwo in einer Ecke des Quintenzirkels, die man dann meidet. Zusätzlich kann man auf Nummer sicher gehen, wenn man sich mit der diatonischen Tonleiter auf dem immergleichen Grundton begnügt, und davon dann eben nur die verschiedenen Modi nutzt.

Als Haken an dieser Stimmweise fand man aber irgendwann, dass die Terzen ziemlich mau klingen. Gehst du von c rechtsrum in reinen Quinten bis zum e, also 3/2 hoch 4, hätte deine Terz c-e die Frequenz 81/64, ist also der Grundton mal 5,0625. DIe reine (=schwebungsfreie) Durterz ist aber 5/4 (fünfter Ton der Obertonreihe; ~386 cent). Da den Leuten die Terzen zunehmend wichtiger wurden, dachten sie sich was neues aus, nämlich die Quinten einen Tick zu verkleinern (zu temperieren), und zwar so, dass eine Reihe von vier Quinten, z.B. eben c bis e, am Ende 5/4 ergibt. Das ist die sog. Mitteltönige Stimmung, die so heißt aus Gründen, die wiederum die großen und kleinen Sekunden betreffen (lassen wir mal...). Die Quinten sind hier nur noch ~696 cent groß. Man also bei ihnen Reinheit geopfert, um die (nun wichtigere) Reinheit der Durterzen zu sichern. Der sog. Wolf, also die böse, viel zu unreine Quinte, ist übrigens immer noch da, diesmal größer als in der Pythagoräischen Stimmung, weil man die Quinten jetzt quasi ›zu viel‹ verkleinert hat.

An dieser Stelle ist der Knackpunkt bzgl. des Übergangs zum Dur/Moll-Schema. Die historische Korrelation ist: Abschied von Kirchentonarten und Melodie-Fixierung (zugunsten von Dur/Moll-Schema und stärkerem Interesse an Harmonik) *und* Abschied von der quitenreinen Stimmung mit nicht so dollen Terzen (hin zu Stimmungen, die möglichst viele reine Terzen hervorbringen, wenn auch auf Kosten der Quintenreinheit). Mitte 16. Jahrhundert, vielleicht Palestrina als entscheidende Figur.

Man hätte sich auch sagen können: wenn wir eine Oktave als 1200 cent definieren, können wir auch jede Quinte auf exakt 700 cent setzen (12 x 700 = 8400 cent, also glatt sieben Oktaven). Dann hätten wir sie (a) gegenüber der reinen Stimmung nur ganz wenig verkleinert, (b) unsere Terzen immerhin ein bisschen verbessert, vor allem aber (c) die Wolfsquinte überwunden, könnten also den kompletten Quintenzirkel bespielen.

Letzteres ist die gleichstufige Zwölftonstimmung (»12-tone equal temperament«, 12tet), die schon vor 500 Jahren gedacht, aber nicht umgesetzt werden konnte, bzw. nach der auch kein Bedarf war, weil das gleichmäßige Bespielen des Quintenzirkels gar kein Ideal darstellte. Das kam erst um die Zeit von Bach & Co. auf. Hier gibt's dann, als Zwischenformen zwischen Mitteltönig und 12tet, noch die sprichwörtlichen »wohltemperierten« Stimmungen, die es erlauben, wolfsfrei durch den ganzen Zirkel zu modulieren, in denen die Tonarten aber immer noch ihren je eigenen Charakter haben. Ein C-Dur ist da deutlich reiner als ein Gb-Dur. Sodass man letzteres zwar durchaus mal bringen kann (es ist immerhin spielbar), faktisch es sich aber eher als Special FX aufhebt. Bachs »wohltemperiertes Klavier« ist letztlich der Demo-Song zu diesem Stimm-Paradigma (von dem es in der Praxis zig verschiedene Realisierungen gab und auch immer wieder neue gibt).

Das heißt für deine Frage: die Bevorzugung bestimmter Tonarten ist untrennbar von den unterschiedlichen Reinheitsgraden, die die verschiedenen Tonarten immer haben werden, solange das Instrument (gemeint ist immer: Instrument mit fester Intonation! Klavier, Cembalo, Gitarre...) nicht nach der seit ~1900 allgegenwärtigen gleichstufigen Stimmung gestimmt ist.



Abb.: eine von endlos vielen denkbaren Mitteltönigen Stimmungen. Nähe eines Punktes zum Zentrum symbolisiert Reinheit des Intervalls. 11 von 12 Quinten (gelbe Punkte) von 702 auf 696cent verkleinert, d.h. ›schlechter‹ als in 12tet (grüngestrichelte Linie). Gut zu sehen: acht perfekt reine Durterzen (rot, im Mittelpunkt) und neun ziemlich gute Mollterzen (blau). Restliche Terzen weit außerhalb des Zumutbaren (lila Linie = Reinheit der Terzen in pythagoräischer Stimmung).
 

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Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Wow.... das muss ich mir mal in Ruhe zu Gemüte führen. Vielen Dank jedenfalls für die ausführliche Antwort!!
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

ja, mega-spannendes Thema. Weil man's halt nie komplett gelöst kriegt, sondern sich immer für einen Kompromiss entscheiden muss, der immer irgendwas bevorzugt und was anderes benachteiligt. Und das alles nur weil (3/2)^12 nicht einfach glatt 128 ist.
:selfhammer:

weiß nicht (mehr), ob es sich zum Einstieg in die Materie eignet, aber anschaulich ist immerhin die historische Synopse:

http://www.rollingball.com/TemperamentsFrames.htm
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Wieder was dazu gelernt, ich wusste gar nicht, dass es Kadenz heißt.

Danke für den Lerninhalt, find ich super-interessant.

Was mir noch auffällt, in den 1990ern bestehen die Strophen-Parts in

Dance-Charts zum großen Teil aus Rap-Gesang und dabei fast ausschließlich

in einer Am - F - G - Am - Kadenz-Schleife ("Be my Lover" - La Bouche).

Heute nutzt diese Schleife kaum noch jemand.


Und was ich noch bemerkenswert finde:

Wen jemand einen Hit landete, indem eine angenehm seltene Kadenz benutzt wurde,

findet man plötzlich diese Akkord-Schleife in vielen Produktionen vor,

welche NACH diesem Hit produziert werden.

Beispiel: "This is the Life" von Amy McDonald mit ihrer Am-F-C-Em - Kadenz

(den orig-Grundton-Beginn ist mir jetzt nicht bekannt).

Böse Zungen könnten nun "Nachmache" oder "Einfallslosigkeit" bescheinigen.

Vielleicht auch "Anknöpfen an Kollegen´s Erfolg".

Spiele ich auf meinem Yamaha Motif XF irgendwelche Arpeggio-Lines,

dann bin ich auch geneigt, diese o.ä. Kadenzen anzutriggern...
 
Re: Musiker, die immer die gleichen Dur-Folgen nehmen...

Sebastian R. schrieb:
Wen jemand einen Hit landete, indem eine angenehm seltene Kadenz benutzt wurde, findet man plötzlich diese Akkord-Schleife in vielen Produktionen vor, welche NACH diesem Hit produziert werden.
Das ist, glaube ich, typisch. Wenn Popmusiker irgendwas bei anderen finden, das sie cool finden, wird es nachgemacht.
Phil Collins sagte neulich in einer Doku, dieses fiese Lachen in "Mama" sei "seine Version" dieses Lachens bei Grandmaster Flash gewesen. Zum Beispiel.
Akkordfolgen kopieren? Klingt logisch.

Dieser Refrain von "Take on Me" scheint übrigens sehr auf die Kadenz zugeschnitten. Kann man sich richtig vorstellen, wie da einer gesessen hat und nach den Noten für den Refrain aufgrund der Kadenz gesucht hat.
 
Beispiel Alan Walker: neuer Song "Alone" zum x. mal die gleiche Kadenz!
Diese "Durfolgen-Schleife" ist nat. sehr harmonisch und beliebt, fast jeder empfindet sie als
angenehm, und es ist ziemlich einfach, daraus einen Erfolgs-Song zu kleistern.
In "Alone" ist es dieselbe Kadenz von Amy Macdonalds "This is the life",
die sich ab 2008 plötzlich erstaunlich viele Musiker zu Nutze machten.
Danke Euch übrigens, ich weiß nun, dass man von "Kadenz" spricht, und das, obwohl ich
ein Musiker-Lexikon besitze (ich es aber nie aufschlage :selfhammer: )
 
Eine Regel, die wohl schon lange gilt ist, desto komplexer die Akkordfolge, desto weniger Leuten gefallt diese Musik! :mrgreen:
 


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