Ausdrucksebene Harmonik

moogli

Technobubi
Hi Forum!


Ich hör ziemlich breitgefächert Musik, und bin der (durchaus subjektiven, also nich gleich loskloppen) Ansicht, daß in pupulärer Musik, aber ganz extrem auch in elektronischer Musik die Harmonik eigentlich eine sehr untergeordnete, oder - im Vergleich etwa zu "Klassik" (also die sogenannte "ernste" Musik) oder Jazz - fast überhaupt gar keine Rolle spielt.

Etliche Tracks dudeln einfach nur auf einer einzigen Tonart und einem einzigen Akkord, ohne jede Variation, und man hat allerhöchstens mal sowas wie eine der üblichen - und sehr simplen - Pop-Harmoniefolgen, derer es aber nur eine handvoll gibt, die aber trotzdem immer genommen werden. Und die selten ist so ein Harmonie-Pattern mal länger als 4 oder 8 Takte.

Kurzum, ich finde und empfinde, harmonisch passiert bei populärer Musik beinahe nichts - in folgendem Sinne: Was auf dieser Ebene "komponiert" wurde, entstammt entweder diesem Miniatur-Pool an abgedroschenen Pop-Schemata, oder ist vergleichsweise "platt".

Ein Gegenbeispiel, oder auch eines zur Verdeutlichung dessen, was ich hier meine, ist beispielsweise "EW&F - After the love has gone". Ich bitte mal vom Stil des übelst seifigen Arrangement abzusehen, und auf die Harmonien zu achten. Die sind weitaus komplexer, als das, was man heute so hört. Und das Stück war offenbar trotzdem mal populär.
Oder auch die Sachen von Antonio Carlos Jobim, die allgemein als sehr "leicht" empfunden werden ("Fahrstuhlmusik"), und somit irgendwie Pop sind, aber harmonisch trotzdem überhaupt nicht platt oder total simpel gestrickt sind.

Mich beschäftigt das Thema deswegen, weil das eigentlich die Dinge sind, die mich als musikalischer Ausdruck wirklich auf einer tieferen Ebene bewegen. Die einfachste Melodie kann durch ein geniales Harmoniegerüst "zum niederknien" schön werden. Musikalisch. TechTalk, Sounddiskussion und Supercomputer mit 250 Megaklabustern mal ganz außen vor.
Sprich: Wenn man sich ans stromlose Klavier setzt, und darf nicht singen, und nichts sagen: Wie bringt man die Mädels mit musikalischen Mitteln zum flennen? Also im übertragenen Sinne? Meine Ansicht: Mit emotional mitreissenden Harmonien und einer schönen Melodie obendrauf, die davon getragen wird.

Das soll keine Haßtirade auf Pop sein, oder so: Ich find das nicht-vorhandensein kreativer Ideen bei der Harmonik nicht schlimm; ich hör Pop, und ich hör auch Minimal, und Drum&Bass und Metal. Dennoch werden Stücke auf dieser Ebene für mich aber emotional flacher. Aggression kann ich da zwar durchaus manchmal mitempfinden, ich finde das auch rhythmisch interessant und mitreissend, aber was emotionale Tiefe anbelangt, da gehören für mich einfach weniger popelige Harmonien dazu.

Ich find es schade, daß diese Ausdrucksebene so unpopulär ist (oder unverkäuflich? keine Ahnung), obwohl das in Klassik und Jazz extrem wichtig war und ist, daß das auch im Pop einfach kaum genutzt wird, also irgendwie unerschlossen in der Ecke liegt.
Es gibt da auch immer mal wieder gute Ansätze in einigen Pop-Stücken, die sind aber meistens *unheimlich* kurz, und es widerholt sich alles nach 4 Takten...

Haben wir überhaupt das Wissen um diese Ausdrucksebene zu nutzen? Wenn wir nach xyz moduliert haben, über welche Harmonien bekommt man den Kreis auf schöne Art geschlossen, und sowas... Will das überhaupt jemand hören, wenn ein Stück musikalisch *durchkomponiert* ist? Also gar keine so definierten Zyklen kennt, wie sie fast immer Pop-mäßig umgesetzt werden?

Also, ist leider etwas unstrukturiert, mein Beitrag :) Ich finds halt schade, daß auf der einen Seite ein so unheimlich elaboriertes Wissen existiert über die Komposition von Sound, und auch von Rhythmen und Grooves, und auch vom Aufbau und Arrangement. Und auf der anderen Seite existiert ein ebenso elaboriertes Wissen von Möglichkeiten, Regeln und Grenzen rein musikalischer Natur.
Beide "Pole" kommen mir einfach sehr wenig vermischt vor, und das ist doch schade.

So, ist natürlich nur als Gedankenanstoß gemeint. Will niemandem zu Nahe getreten sein. Aber wenn man sich so ein Klavierkonzert von Rachmaninov anhört, fragt man sich schon, warum Musik, die im größeren Maßstab gehört wird, harmonisch so unfassbar simpel ist, daß diese Ebene *etwas auszudrücken* fast gänzlich ignoriert wird.



Viele Grüße,
Moogli
 
moogli schrieb:
Ich hör ziemlich breitgefächert Musik, und bin der (durchaus subjektiven, also nich gleich loskloppen) Ansicht, daß in pupulärer Musik, aber ganz extrem auch in elektronischer Musik die Harmonik eigentlich eine sehr untergeordnete, oder - im Vergleich etwa zu "Klassik" (also die sogenannte "ernste" Musik) oder Jazz - fast überhaupt gar keine Rolle spielt.

Dazu braucht man ja auch gewisse musikalische Grundkenntnisse, über die viele - insbesondere Hobby-Elektronikschrauber - eben nicht verfügen.

Gruß,
Markus
 
Markus Berzborn schrieb:
Dazu braucht man ja auch gewisse musikalische Grundkenntnisse, über die viele - insbesondere Hobby-Elektronikschrauber - eben nicht verfügen.

Das müsste kein Hinderungsgrund sein... soetwas könnte sich jeder genauso draufschaffen, wie die technischen Grundkenntnisse, die ja ebenso nötig sind, und mit denen man ebensowenig geboren wird. Das Internet bringt ja auch solche Dinge automatisch hervor wenn da Bedarf besteht. Ein Synthesizerforum. Ein Kompositionsforum. Ein Forum für Naßrasur. Die Frage ist doch also eher: Warum ist diese Ebene im (weit gefassten) Pop-Bereich so wenig von Interesse?

Noch weiter ausgeholt könnte man fragen: Warum wird Pop-Musik gemacht? Wieviel macht künstlerischer Ausdruck in dieser speziellen Motivation aus? Wie wählt man die passenden Mittel, und warum ist das so? Warum ist Soundästhetik im Pop so viel wichtiger, als etwa harmonische Ästhetik?
 
Deiner Liste der Pop-Komponisten, die mit anspruchsvoller Harmonik arbeiten, würde ich noch zwei Namen hinzufügen: The Beatles und The Beach Boys (Brian Wilson).
 
Absolute Zustimmung.. Die von mir genannten waren nur als Beispiel gedacht, da gibts bestimmt auch noch einige mehr.
 
Ja, man kann schon sagen, dass das Thema noch Beachtung finden kann, finde aber durchaus, dass es eine ganze Menge gibt, besonders die modernere Welle der elektr.Songwriter machen da was.

Mich hat das auch gereizt, muss aber zugeben, dass ich einfach aus pers. Interesse mehr rhythmische Sachen mache, sowas kommt und geht, aber VERgeht nie.

zB tolle Akkorde, Linien, Skalen, wie löse ich etwas auf und und und..

Oh wie geil, hier posten viele mit "Moo" im Nickname, ob das was bedeutet, fehlt noch Herr Moognase, schätze der bestätigt das auch,

nur: Ich kenn so viele, die Harmonikexperimente machen, vielleicht suchst du nur am falschen Platz?

Ich gebe aber zu, dass es immer noch kein Massenphänomen ist.
Vielleicht auch, weil sehr lange mit Melodien und Harmonik experimentiert wurde (Europa -> Klassik, USA -> viel im Jazz).

Aber es gibt ja heute ne Menge lebende Personen, vielleicht wunderst du dich nur, dass so viele Leute so gern andere Interessen warnehmen?

Wobei man natürlich fragen kann, ab wann ein guter Song ausreichend gute Harmonieideen in sich hat.
Die Anfänge des Synthpop zB und deren Verlauf, da gibt es zumindest Versuche, leider auch gibt es leider auch viele, die da nicht weiter gemacht haben..
 
Hallo moogli,

man darf nicht vergessen, dass Pop-Musik heute wie frueher fuer viele nur "Geschaeft" ist. Und das Geschaeft ist dann am besten, wenn man mit wenig Aufwand viel Gewinn macht. Wozu also kreative Koepfe fuer komplexe Harmonien und Arrangements bezahlen, wenn es ein bisschen Minimalstandard schon tut, um einen klingeltontauglichen Ohrwurm zu erzeugen, der mit einem passend aussehenden Sangesmiezchen oder -maennchen ausstaffiert die noetigen Downloads fuer die Top10 generiert.

Das soll jetzt nicht einfach pessimistisch sein, die Popmusik bringt auch immer wieder spannende Sachen hervor, aber bei dem groessten Teil eruebrigt sich die Frage, warum es so einfach gestrickt ist: weil es fuer den Zweck schon reicht.

Roadrunner
 
moogli schrieb:
Ein Gegenbeispiel, oder auch eines zur Verdeutlichung dessen, was ich hier meine, ist beispielsweise "EW&F - After the love has gone". Ich bitte mal vom Stil des übelst seifigen Arrangement abzusehen, und auf die Harmonien zu achten. Die sind weitaus komplexer, als das, was man heute so hört. Und das Stück war offenbar trotzdem mal populär.

Ich mag das Beispiel nicht, weil die Harmonien - obwohl komplexer als das 3-Akkorde-Schema - ziemlich abgedroschenen Klischees entsprechen.

Grundsätzlich hast Du aber natürlich recht. Hier was "komplexes", was mir sehr gefällt:

http://www.youtube.com/watch?v=374qf7xC ... L&index=28
 
Richtig. Pop soll sich doch auch verkaufen. Deshalb reduziert man,
um die Leute nicht zu verwirren und konzentriert sich auf Eingängiges, was dann leicht variiert wird.

Aber was ist schon Pop? Für mich ist es kommerzielle Musik, die in Charts herumhängt und konsumiert wird. Oder: Musik, die speziell dafür gemacht wird, dass sie Geld einbringt und gleichwertig mit Aussehen der Bandmitglieder und Vermarktung der Persönlichkeiten steht.

Für einen Klassik-Mensch ist Punk, DnB, Rock, Hiphop usw. und auch komplexes Zeug dieser Sparten aus dem Untergrund oft POPuläre Musik. Klassik ist Ernste Musik und der Rest ist Vergnügungs- und Emotionsmusik?
Leute, die nicht in den Subkulturen drinstecken können dies oft schlecht beurteilen. Wie auch immer...

Ich denke auch, dass jedem der Weg für etwas mehr Musiktheorie offen steht, man muss ja nicht alles lernen. Aber man sollte das ausprobieren, was einen schon etwas interessiert. Und wenn man einmal merkt, welche Welten sich einem mit Theorie und Mathematik öffnen, kann das nur einen Vorteil für die Qualität der Musik darstellen. Wenn da irgendwo die Frage fällt, ob das die Hörer nicht überfordert, ist es wohl Pop?


.
 
EinTon schrieb:
moogli schrieb:
Ein Gegenbeispiel, oder auch eines zur Verdeutlichung dessen, was ich hier meine, ist beispielsweise "EW&F - After the love has gone". Ich bitte mal vom Stil des übelst seifigen Arrangement abzusehen, und auf die Harmonien zu achten. Die sind weitaus komplexer, als das, was man heute so hört. Und das Stück war offenbar trotzdem mal populär.

Ich mag das Beispiel nicht, weil die Harmonien - obwohl komplexer als das 3-Akkorde-Schema - ziemlich abgedroschenen Klischees entsprechen.

Grundsätzlich hast Du aber natürlich recht. Hier was "komplexes", was mir sehr gefällt:

http://www.youtube.com/watch?v=374qf7xC ... L&index=28


Beth Gibbons´ Vorbild?

.
 
EinTon schrieb:
gringo schrieb:

Die kenne ich nur flüchtig, und mir scheinen da nicht viel Gemeinsamkeiten zu bestehen.
Poste mal doch ein Klangbeispiel von ihr, das so ähnlich klingen soll wie das von mir gepostete.


Naja, hat mich etwas an die Stimme auf ihrer Soloplatte erinnert.
Klar, nicht alles klingt nach ihr. Hat mich aber schon teils Ähnlichkeit.
Auch das obige Beispiel hört sich teils recht trippig an - Beth ist übrigens die Sängerin von Portishead.

.
 
bei mir ist es umgekehrt so, dass ich immer nur jazz gemacht habe und mich jetzt langsam richtung elektronik vortaste.

ich finde es dabei gerade schwierig mit einem rucksack voll harmonischer ideen. verfrickelte klänge und gute (funk-/soul-) grooves funktionieren erst einmal viel leichter mit einfachen harmonien. komplizierte harmonien brauchen oft gerade nicht so spannende, sondern relativ eintönige "graue" klänge - wie so eine olle klavierkiste z.b. - und die chance, einzelne stimmen melodisch hervorzuheben.

harmonisch einfache musik muss ja nicht schlecht sein. rhythmische spannung über zwei, drei akkorde ist auch toll - die frühen afrokubanischen sachen find ich zb klasse, während afrocuban jazz (irakere z.b.) eigentlich nicht mehr richtig tanzbar ist.

was mich nicht so interessiert ist, wenn maschinenrhythmus und primitivharmonien zusammenkommen. egal ob da dann noch irgendwoe ein filter auf und zu geht - mir wird dann halt langweilig.

- zu dem beispiel: da hör ich im als gemeinsamkeit zu portishead höchstens eine ähnlichkeit in stimme/dramatischer performance der sängerin.

die harmonien - wie auch die grade, "weiße" rhythmik - sind ja eher prog rock, viel chromatische rückung und ein paar ganztöne, meist simple dreiklänge.

bei portishead sinds meist einfache, effektive moll-progressions mit typischen jazz/soul voicings (schönes beispiel: glory box, ganz klassische basslinie! aber schön...) plus (langsamer) hip-hop-inspirierter groove.

hallo ledzep :)
www.youtube.com/watch?v=yF-GvT8Clnk
 
moogli schrieb:
(...)
Kurzum, ich finde und empfinde, harmonisch passiert bei populärer Musik beinahe nichts.
(...)
Du meinst -nichts mehr.

Ich halte gerade das "Standards Realbook" von Chuck Sher Publishing in der Hand. Darin ist eine schöne Auswahl Jazz Standards und Broadway Show Tunes aus dem Great American Songbook drin. Harmonisch sehr erspriesslich. Da werden Akkorde substituiert, in andere Tonarten moduliert etc. -schön :).

Bevor nun die Einwände kommen von wegen "Ja OK, das ist aber Jazz...", möchte ich nur daran erinnern, dass diese Art von Musik in den 30er und 40er Jahre als Popmusik galt.

Früher lernte ein angehender Songschreiber zuerst mal ein Instrument richtig spielen, und setzte sich dadurch unweigerlich mit kompositorisch/harmonisch/melodisch substantieller Musik verschiedenster Couleur auseinander. Das Augenmerk wurde somit automatisch auf kompositorische Aspekte gelenkt, denn das eigene Instrument diente hauptsächlich als abstraktes Werkzeug um sich des strukturellen Inhaltes zu vergegenwärtigen. Die meisten Songschreiber, die meisten Komponisten, schrieben am Klavier, ganz egal in welcher Instrumentierung der Song nachher klanglich realisiert wurde. Von daher kommt auch meine Aussage (in einem anderem Thread kundgetan), dass die musikalische Struktur über der klanglichen Umsetzung liegt. Die Musikgeschichte macht's ja deutlich vor. Das ist Fakt.

Heutzutage lernt ein angehender Songschreiber... stop... heutzutage nennt sich ja nur noch selten jemand so. Die meisten bezeichnen sich als "Produzenten", und genau da liegt der Hund begraben. Anstatt ein Instrument zu lernen und sich damit wie gesagt mit den strukturell-kompositorischen Grundbausteinen zu beschäftigen, lernt man heute eine DAW bedienen, Klötzchen auf dem Bildschirm umherzuschieben, und "Tracks" zu "produzieren" :?. So werden meistens in einer 4-Takt-Loop irgendwelche zueinander "passende" Samples, Loops, Basshooks und Akkordvamps zusammengeklatscht, klanglich und mixtechnisch angepasst, dann copy/paste-mässig beliebig lange aneinanderkopiert, und ein "kompositorischer Spannungsbogen" damit vorgetäuscht, indem die einzelnen Parts nach und nach ein- resp. ausgeschaltet/-geblendet werden. Langsames Öffnen und Schliessen eines Lowpassfilters ist auch recht. Ein paar Drumbreaks und Uplifter-Samples reinpacken, um noch mehr "Abwechslung" und "Spannung" reinzufaken, wo eigentlich keine da ist" -und fertig ist der "Track". Eben -man spricht nicht mehr von Musik/Songs, sondern von "Tracks". Da haben wir's ja schon.

Man kann einwenden, dass ich übertreibe, aber 90% von dem was ich zu hören bekomme -vorallem im elektronischen Bereich- ist wirklich so. Modulationen, Kadenzen etc. -Fehlanzeige.

Angesichts dessen, dass heutzutage "Musik" eh dauernd von Durchsagen am Radio oder im Kaufhaus unterbrochen wird, spielt das Fehlen jeglicher formaler Substanz (und Harmonik ist damit engstens verküpft) eh keine Rolle mehr. Im Gegenteil -es ist besser so. Wenn grössere und elaboratere Akkordschemen dauernd durch Wetter- und Werbedurchsagen zerstückelt würde, würde kaum ein Zuhörer der Komposition noch folgen können. Daher lieber kleinere mundgerechte (ohrgerechte?) diatonische Viertakt-Häppchen, dann verliert garantiet niemand die Orientierung. Und statt dem auskomponierten Finale kommt das Fade-Out. ;-)

In unserer Gesellschaft wird Musik eh zunehmend zur gleichförmigen akustischen Wandtapete degradiert. Zuviele Akkordwechsel und formale Spannungsbögen stören nur beim Einkaufen, beim Abendessen mit geladenen Gästen oder beim abtanzen unter XTC. :twisted: Ausserdem eignen sie sich nur schlecht als Handyklingelton. :lol:

Kaum jemand kann mehr Songs schreiben, was sich in der besorgniserregend wachsenden Anzahl Remixe und Coverversionen alter Klassiker bemerkbar macht. Die postmoderne Haltung betrachtet "Kunstobjekte" jeglicher Art ja sowieso nur als relative und transitorische Fabrikationen, die je nach Bedarf reproduziert und den neusten "Modetrends" :? angepasst werden können. Warum daher nicht "Axel F" mit Froschgequake garnieren? Hey, in England toppte das die Charts! Naja, wenigstens hatte "Axel F" doch noch ein paar Harmonien -obwohl ich bezweifle dass das irgendeine Rolle gespielt hat.

Anstatt daher mit musikalischer Substanz zu bestechen (damit ist auch Harmonik gemeint) -was der modernen Art, Musik zu "gebrauchen" aus genannten Gründen widerspricht- versucht man es mit reiner Physis -"Wer hat den lautesten und knallendsten Mix/die fetteste Bassdrum/etc." Drum wäre ich vorsichtig mit der "Stop dem Loudness-War"-Petition, denn ohne die ubiquitöse Loudness-Maximierung, mit denen uns "Tracks" buchstäblich um die Ohren gehauen werden, würde viel eher auffallen, wie leer und nichtssagend 90% dieser "organisierten Schallereignisse" ist. Wollen wir das wirklich? :twisted:

So, jetzt können mich alle wieder hassen und zerpflücken. :lol:
 
tim, eigentlich total einverstanden,

nur, das realbook von sher enthält schon die reharmonisierten fassungen aus berühmten einspielungen von jazzern. die urspünglichen rodgers/hammerstein etc. sind melodisch genial (darum wurden sie ja auch hergenommen) aber harmonisch oft ganz schön primitiv.

wenn auch nicht soo primitiv wie typische heutige "produktionen", da sind harmonien ja offenbar schlicht uncool.
 
fab schrieb:
ich finde es dabei gerade schwierig mit einem rucksack voll harmonischer ideen. verfrickelte klänge und gute (funk-/soul-) grooves funktionieren erst einmal viel leichter mit einfachen harmonien. komplizierte harmonien brauchen oft gerade nicht so spannende, sondern relativ eintönige "graue" klänge - wie so eine olle klavierkiste z.b. - und die chance, einzelne stimmen melodisch hervorzuheben.

Na, es geht auch mit viel Elektronik + Frickelrhythmus und mehr als 1-3 Akkorden (auch wenns keine Jazzvoicings sind):


http://www.youtube.com/watch?v=A0uLOgxvRNQ&fmt=18
 
Ja, ist schon was dran und tim und fab haben eigentlich alles gesagt, was ich auch so sehe.

In den 80ern gab es eine kurze Phase, wo das alles unter einen Hut gebracht wurde, von vergleichsweise vielen Musikern bzw. Songschreibern. Das Jazzrock-Gefrickel war ausgestanden und die Popzwänge noch auszuhalten, das Resultat ließ sich halt hören. Davon zehren jetzt mehr als 2 Generationen noch. Wird Zeit für Fortschritte. Die 90er waren eine pure Enttäuschung und was jetzt passiert, ist lauwarmer Aufguss von Sachen, bei denen das Verfallsdatum schon bei der Produktion eingebaut wird.
 
tim schrieb:
Heutzutage lernt ein angehender Songschreiber... stop... heutzutage nennt sich ja nur noch selten jemand so. Die meisten bezeichnen sich als "Produzenten", und genau da liegt der Hund begraben. Anstatt ein Instrument zu lernen und sich damit wie gesagt mit den strukturell-kompositorischen Grundbausteinen zu beschäftigen, lernt man heute eine DAW bedienen, Klötzchen auf dem Bildschirm umherzuschieben, und "Tracks" zu "produzieren" :?. So werden meistens in einer 4-Takt-Loop irgendwelche zueinander "passende" Samples, Loops, Basshooks und Akkordvamps zusammengeklatscht, klanglich und mixtechnisch angepasst, dann copy/paste-mässig beliebig lange aneinanderkopiert, und ein "kompositorischer Spannungsbogen" damit vorgetäuscht, indem die einzelnen Parts nach und nach ein- resp. ausgeschaltet/-geblendet werden. Langsames Öffnen und Schliessen eines Lowpassfilters ist auch recht. Ein paar Drumbreaks und Uplifter-Samples reinpacken, um noch mehr "Abwechslung" und "Spannung" reinzufaken, wo eigentlich keine da ist" -und fertig ist der "Track". Eben -man spricht nicht mehr von Musik/Songs, sondern von "Tracks". Da haben wir's ja schon.

Bei Homerecordlern würde ich Dir recht geben, aber (Charts)pop wird von Profis gemacht, die haben in der Regel schon ein wenig Ahnung von Harmonielehre, Songaufbau etc. - unabhängig, ob man nun die musikalischen Ergebnisse mag oder nicht.
 
EinTon schrieb:
:roll:

Für mich nicht grad ein Beispiel für harmonische Kreativität...

war ja auch ein beispiel für "einfach, aber funktioniert".

so einfach auch übrigens nicht, wenn ich sowas unbedingt machen will, wird meist "einfach, aber lahm" draus. dann gibts noch "kompliziert und trotzdem doof..."

EinTon schrieb:

ich glaub du magst einfach rückungen und zwischendominanten mit überraschende auflösungen. - der song ist not my cup of tea aber sicher für einen popsong nicht uninteressant. mitsingen für fortgeschrittene. :)

bei al jarreau ("high crime") hört sich das zu der zeit ähnlich an, nur mit jazz/soul-harmonien. auch nicht so meins...

für mich die ganz große kunst des popsongs

www.youtube.com/watch?v=GYQfWJNWe3I

(random pick)

wie eigentlich alles zwischen "music of my mind" über "inner visions" bis "songs in the key of life". reduziert, ohrwürmer, aber mit genialem twist in jedem song.
 
EinTon schrieb:
tim schrieb:
Heutzutage lernt ein angehender Songschreiber... stop... heutzutage nennt sich ja nur noch selten jemand so. Die meisten bezeichnen sich als "Produzenten", und genau da liegt der Hund begraben. Anstatt ein Instrument zu lernen und sich damit wie gesagt mit den strukturell-kompositorischen Grundbausteinen zu beschäftigen, lernt man heute eine DAW bedienen, Klötzchen auf dem Bildschirm umherzuschieben, und "Tracks" zu "produzieren" :?. So werden meistens in einer 4-Takt-Loop irgendwelche zueinander "passende" Samples, Loops, Basshooks und Akkordvamps zusammengeklatscht, klanglich und mixtechnisch angepasst, dann copy/paste-mässig beliebig lange aneinanderkopiert, und ein "kompositorischer Spannungsbogen" damit vorgetäuscht, indem die einzelnen Parts nach und nach ein- resp. ausgeschaltet/-geblendet werden. Langsames Öffnen und Schliessen eines Lowpassfilters ist auch recht. Ein paar Drumbreaks und Uplifter-Samples reinpacken, um noch mehr "Abwechslung" und "Spannung" reinzufaken, wo eigentlich keine da ist" -und fertig ist der "Track". Eben -man spricht nicht mehr von Musik/Songs, sondern von "Tracks". Da haben wir's ja schon.

Bei Homerecordlern würde ich Dir recht geben, aber (Charts)pop wird von Profis gemacht (...)
:shock: ...kommt draufan wie man "Profi" definiert. :lol: Ich sag nur -ich wünschte Du hättest recht.
 
Böse Zungen Test:

Wenn man das hier so liest, sieht es aus als könne niemand diese Bedingungen erfüllen und alles ist irgendwie doof und unvollkommen?
 
Harmonik, mein Lieblingsthema.

Man müsste erstmal festhalten was hier mit komplexer Harmonik gemeint ist. Komplexe Akkorde, oder komplexe Akkordfolgen? Zu letzteres findet man genügend Anleitungen in der entsprechenden Literatur oder auch im Netz. Wie man von Tonart A nach B moduliert, Tritonus Substitution, Alteration von Akkorden, etc.

Komplexe Akkorde und Pop Musik sind meiner Meinung auch nicht das perfekte Team. Septakkorde und größer wirken für mein empfinden zu sehr aufgesetzt, zu dominant. Die leichtigkeit und lockerheit geht verloren. Spandau Ballet wären da zu nennen. Der Dreiklang fügt sich wesentlich besser ein. Ein gutes Beispiel was harmonisch geht und gleichzeitig doch eingängig und poppig klingt ist für mich der JazzFunk/SoulJazz der 70er. Roy Ayers fällt mir da als erstes ein.

Was ich mir bei aktueller Pop Musik mehr wünschen würde wäre die Verwendung von "Blue Notes", bzw. zumindest die Verwendung von Intervallen aus der Varianttonart. Bei C-Dur wären das z.B. die kleine Terz, kleine Sexte und kleine Septime aus c-Moll. Bringt ordentlich Farbe ins Spiel ohne das es zu dissonant klingt.

Daniel
 
daniel.b schrieb:
Roy Ayers fällt mir da als erstes ein.

oh ja!
www.youtube.com/watch?v=M36OGCfYp3A

genial!!

das sind viel "gedachte" jazz harmonien, die dann wieder auf drei-und vier- klänge reduziert werden (z.b. links c# plus rechts f-dur = A7 alt. oder links A, rechts G-Dur = A sus) und quarten geschichtet.

OT
forumstypische frage: wie macht man diesen lead synth sound?
/OT
 
fab schrieb:
OT
forumstypische frage: wie macht man diesen lead synth sound?
/OT

Ist zunächst ein Interval, 2 OSCs und einer ist auf Quinte eingestellt. Geht auch gut mit Quarten, ist dann etwas universeller.

Filter Resonance: Viel. Kleines Envelope Setting dazu, damit dieser "Schließeffekt" erreicht wird. Wenn's ganz dünne klingen soll Highpass nehmen.
 
kpr schrieb:
Ist zunächst ein Interval, 2 OSCs und einer ist auf Quinte eingestellt. Geht auch gut mit Quarten, ist dann etwas universeller.

Filter Resonance: Viel. Kleines Envelope Setting dazu, damit dieser "Schließeffekt" erreicht wird. Wenn's ganz dünne klingen soll Highpass nehmen.

danke! :)
diese quarten-/quintensounds haben mirs in letzter zeit sowieso angetan. -guter tip mit dem highpass! für die resonanz muss ich mal verschiedene filter durchprobieren. was passiert bei 0.30? hat er da ganz schnell glide UND filter attack hoch gedreht? :?:
 
lustig. hätte jemand damals gedacht, dass techno mal so altmodisch klingen könnte?

für mich hört sich das am anfang einfach nach chromatik über einem grundton an - trial/error bis es klingt. der tritonussprung ist da wichtig. richtige harmonien kommen dann erst bei 1:00, nett bei 1.15 die aufsteigenden voicings gegen die fallende basslinie.
 


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