ALLES VERKURBELN UND VERBIEGEN
Er stand nie im Rampenlicht, seine Kleidung richtete sich auch nie nach den Wünschen eines Bühnendesigners, überhaupt ist ihm Eitelkeit nicht geheuer. Statt dessen hat er sich und sein Studio in einem Bauernhaus außerhalb von Köln eingerichtet. Hier geben sich deutsche und internationale Größen, avantgardistischer und scheinbar konventioneller Couleur die Klinke in die Hand.
Der Vater von Kraftwerk hat konsequent sein Prinzip verfolgt, nach eigenständigen Musikformen zu suchen und ist damit zum Pionier der Verfremdung geworden, gleichwohl er mit Bildern arbeitet, die er musikalisch auszufüllen sucht. Von Kraftwerk, Cluster und Neu über Ultravox, Devo und Brian Eno bis hin zu Heinz Rudolf Kunze und Gianna Nannini reicht die Palette der Musiker, mit denen er gearbeitet und oft auch neue Wege in der Musik gewiesen hat.
Mit der Presse, vor allen Dingen in Deutschland, hat er seine liebe Not, und so war es nicht ganz einfach, ein Interview mit ihm zu arrangieren. Als wir es dann bekamen, freuten wir uns auf ein schönes Feature für eine Ausgabe. Aber Conny Plank hatte so viel Wissenswertes für Musiker zu erzählen, die Bandbreite seines Erfahrungsschatzes reicht so weit, dass wir das Interview aus Platzgründen in zwei Folgen aufgeteilt haben.
Warum er seinen Job beinahe aufgegeben hätte, wie er Kraftwerk entdeckte, zum Erfolg führte und sich wieder davon trennte, wie er mit Ultravox "Vienna" einspielte, wie er einen Click-Track sinnvoll gestaltet und vieles andere mehr, davon erzählt Conny Plank in der ersten Folge.
SOUND CHECK: Fast jeder, der sich mit zeitgenössischer Musik befasst, kennt den Namen Conny Plank, aber die wenigsten wissen, wie alles bei Dir angefangen hat ...
Conny Plank: Ich bin 1963 zum Rundfunk gegangen weil es mein Wunsch war, mit Tönen rumzuspielen. Nach drei Jahren habe ich mich dann mit Krach wieder vom Rundfunk getrennt, als ich merkte, dass da Kreativität verhindert wird und eigentlich nur eine Bundeswehr-artige Veranstaltung läuft und jeder die Zensurschere im Kopf hat.
Ich bin dann in ein Privat-Studio in Köln, das Rhenus-Studio, als Tontechniker und später als Toningenieur eingestiegen. Dort habe ich das Handwerk eigentlich von Wolfgang Hirschmann, der damals viel selbst produziert hat, gelernt. Meine Hauptaufgabe zu der Zeit war Schlager und moderne Musik aufnehmen. Meistens war der WDR Auftraggeber. So habe ich auch mit Kagel, Stockhausen und anderen gearbeitet.
Dabei fiel mir auf, dass die interessanteste Arbeit die mit der modernen Musik war, obwohl sie schwerer zu hören war. Die Schlager waren doch sehr billige Tonerzeugnisse, die man nicht ernst nehmen konnte, denn es waren hilflos nachproduzierte Nummern englischer oder amerikanischer Herkunft. Auch war eine ganze Horde von cleveren Verlegern und Produzenten dahinter her, diese Liedchen zu picken und ihren Mädelchen an den Hals zu nähen. Das hat mich sehr abgestoßen und auch die Rockbemühungen in Deutschland waren sehr arm. Es wurde hilflos nachgespielt, ohne das Gefühl, heiß zu spielen, das heißt, ohne wirklich zu schwingen und in dieser Musik aufzugehen.
S.C.: Kamen Dir nicht irgendwann auch Zweifel an Deiner Arbeit?
C.P.: Ich hatte zeitweise große Zweifel an meinem Job, denn was ich da manchmal aufnahm, klang eigentlich nicht sehr gut. Und so dachte ich, das läge an mir, ich müsse meinen Job aufgeben, weil das alles so schrecklich klang. Ich bekam es während meiner Rundfunkzeit meist mit Radio-Orchestern zu tun, die saure Big Band-Musik gespielt haben. Ich hingegen hatte amerikanische Produktionen im Ohr, die richtig saftig klangen und fürchtete, dass ich das nie hinkriegen würde.
Eines Tages buchte Duke Ellington das Studio mit seinem ganzen Orchester. Ich setzte die Musiker an die gleichen Plätze wo ich vorher das Orchester von Kurt Edelhagen sitzen hatte. Es war die gleiche Besetzung, ich verwendete die gleichen Mikrofone, zog die Regler auf und plötzlich kam mir der Sound entgegen, von dem ich immer geträumt hatte. Da habe ich gemerkt, dass der Sound schon vor dem Mikro gemacht wird und wieder Mut gefasst, weiterzumachen. Ich begann dann in Deutschland eine Band zu suchen, die eigene Töne spielt, die die eigene Phantasie benutzt, um ein eigenes musikalisches Konzept zu erstellen.
Klar, wir sind alle geprägt vom Jazz, von anglo-amerikanischer Musik, weil ja vor allen Dingen Amerika ein Schmelztiegel der verschiedensten Einflüsse war. Alle europäischen und afrikanischen Kulturen knallten da zusammen und haben Musikformen entfacht, die höllisch interessant waren. So war ich auch davon geprägt.
In Düsseldorf, in einem Keller in der Altstadt, fand ich dann eine Gruppe, die Organisation hieß, hauptsächlich bestehend aus Ralf Hütter und Florian Schneider. Sie musizierten ungemein eigenständig. Es war rhythmisch, Popmusik-ähnlich, aber eben neu.
S.C.: Daraus wurde ja später Kraftwerk. Welche Instrumente spielte Organisation damals?
C.P.: Orgeln von Farfisa und Hammond, elektrische Flöten, die über Effektgeräte moduliert, verechoed und verzerrt wurden. Jede Klangquelle war in irgendeiner Form manipuliert.
S.C.: Der Ansatz zur elektronischen Musik war also schon da?
C.P.: Ja. Es war in uns allen der Wille vorhanden, alles zu verkurbeln, zu verbiegen, und dem Instrument seine ursprüngliche Natur zu nehmen, um neue Ausdrucksformen zu finden. Wir waren eigentlich sehr inspiriert von Velvet Underground, die ich als wirklich neuen Impuls verstanden habe. Das Wichtigste an dieser Gruppe war aber, dass Leute zusammenkamen, die ein Instrument gar nicht so richtig beherrschten, aber im Ausdruck sehr deutlich, sehr kraftvoll waren. Ich habe dabei entdeckt, dass man, ohne ein Instrument spielen zu können, sich damit ausdrücken kann. Das fand ich bei der Gruppe Kraftwerk wieder, die aber sehr eigen vorging in ihrer Gestaltung.
1970 kam dann die Gruppe Cluster dazu, die mit selbstgebastelten Oszillatoren, Zerhackern und tausend Kästchen und Kabeln hantierte. Sie benutzte Orgeln und Gitarren nur als Klangquellen, um sie zu verformen und neue Ergebnisse zu bekommen.
1971 fing ich dann an, mit der Gruppe Neu zu arbeiten, die ähnliche Intentionen hatte. Es herrschte bei vielen, die nicht so viel mit amerikanischer Musik zu tun haben wollten, so eine Art Aufbruchstimmung in dieser Zeit. Es ging sogar so weit, dass erstmals deutsche Popmusikbemühungen das Ausland inspiriert haben. Zum Beispiel Ultravox, Devo und auch Brian Eno haben mir gesagt, dass sie aus diesem Pool, der da entstand, sehr viel Inspiration bezogen haben.
David Bowie etwa sagte mir, dass er alle meine Platten kenne, die ich zwischen 1969 und 1976 gemacht habe. Und wenn man das letzte Neu-Album, das ich gemacht habe, mit seinem Album "Heroes" vergleicht, dann kann man feststellen, direkt nachweisen, wie sehr er sich hat davon inspirieren lassen.
S.C.: Wie?
C.P.: Er hat einfach Ausdrucksformen, Rhythmen und die Art zu arrangieren aufgegriffen und wieder als Inspirationsquelle genommen. Das hat er auch zugegeben.
DAS PRINZIP DER VERFREMDUNG
S.C.: Wie ging es dann weiter mit Kraftwerk?
C.P.: Zuerst habe ich mit Organisation ein Album aufgenommen, für das sich keine deutsche Plattenfirma interessierte, weil man einfach nicht verstanden hat, worum es da ging. Eine Londoner Plattenfirma, die RCA, war die erste, die dann Interesse gezeigt hat. Das nächste Album "Kraftwerk 1" hat dann die Phonogramm gekauft, auch mit dem Spruch "wir finden das zwar interessant produziert, aber wir erwarten nicht, dass es viel verkauft". Die sahen das mehr als Alibifunktion für ihr Image, dass sie auch etwas für die progressive Front tun. Dann haben sie sich aber sehr gewundert, als sich das plötzlich anfing zu verkaufen. Ich glaube, die haben bis heute noch nicht begriffen, warum sich das verkauft hat.
Schallplattenfirmen haben sich in ihrer Struktur sehr gewandelt. Es gab früher die großen Impresarios, die Plattenfirmen aus dem Boden gestampft haben durch ihre Nase, ihr Gefühl für das was ankommt. Diese Leute wurden dann nach und nach durch Kaufleute ersetzt, die dann nur noch dem Geld verpflichtete, opportunistische Maßnahmen zum Ziel hatten.
Es ist ein trauriges Kapitel, denn gerade mit frischen Ideen kann man den Leuten Lust machen. Wenn man an die erste Soul-Welle denkt, an die Supremes, Joe Tex, James Brown, alles Leute, die einen phantastischen Erfolg hatten. Wenn man das mit heute vergleicht, wo streng dem Publikum nach dem Maul, dem fiktiven Geschmack geredet wird, dann ist das schon schockierend.
Es fehlt das frische Underground-Element in dieser Entwicklung, das unwahrscheinlich wichtig ist, um die bestehende Popmusik zu erfrischen und zu erneuern. Ich sehe eine zu große Stagnation in dieser Entwicklung.
S.C.: Kommen wir noch einmal zu Kraftwerk zurück. Mit der vorhin angesprochenen Verfremdung von Farfisa und Hammond war es ja wohl nicht getan.
C.P.: Die Hammond etwa wurde ja nicht nur verzerrt, sondern es wurden dann die Drawbars (Zugregister) zur Veränderung der Töne hinzugezogen, während man ja früher die Hammond nur in feststehenden Registern spielte. In der Zeit hat also nicht nur Emerson, sondern auch Ralf Hütter entdeckt, dass man, während man spielt, die Töne verformen und damit einen weiteren Ausdruck reinbringen kann.
Man konnte auch Wah-Wah-Pedale anschließen und so neue Qualitäten, neue Farben aus den herkömmlichen Instrumenten herausholen.
Mitbestimmend dafür war Jimi Hendrix, der eine ganze Menge Leute beeinflusst hat. Er hat Heavy Metal möglich gemacht, er hat dem Blues eine ganz neue Dimension gegeben, und er hat gezeigt, dass man durch Manipulation und Verformung einen ganz wichtigen Anteil an musikalischem Ausdruck in die Musik hineinbringen kann. Besonders deutlich wird das auf seinem "Electric Ladyland"-Album, wo er auch selbst am Mischpult gesessen und es gemischt hat, wo er wie ein Teufel in die Pan-Potis und Filter gegriffen und während der Mischung alles in Fluss gehalten hat, wo nichts klang, wie das davor, weil es sich dauernd veränderte und wo er immer neue Bilder, immer neue Dimensionen aufgerissen hat, durch sogenanntes dynamisches Mischen.
Damals bin auch ich zum dynamischen Mischen gestoßen, angeregt durch Stockhausen, der einer der ersten Dub-Mischer war, weil er, während die Musik ablief, an Filtern und Echo-Knöpfen gedreht hat. Eigentlich noch vor Lee Perry, also bevor die Jamaica-Dub-Mixer zugeschlagen haben, waren wir schon dabei. So habe ich bei Kraftwerk während der Mischung in die Parameter gegriffen, um die Klänge zu verändern.
S.C.: Eine weitere Komponente der Soundvielfalt dürfte wohl gewesen sein, dass es bei Kraftwerk auch selbstgebautes Instrumentarium gab.
C.P.: Der Florian Schneider hat eigentlich den ersten Vorläufer des Simmons Drum Kit gebaut. Aus einem Farfisa Rhythmusgerät, das sehr billig klang, zog er die einzelnen Effekte, die in diesem Kasten vorhanden waren, auf Spielpads heraus und steuerte sie damit an. So wurde der ungewöhnliche Klang dieses Gerätes plötzlich brauchbar, live wie im Studio.
S.C.: Wie sah es denn allgemein mit der Live-Reproduzierbarkeit von Kraftwerk aus?
C.P.: Das was im Studio zustande kam, wurde von der Band live umgesetzt. Es war sehr schwierig, wenn Kraftwerk auftrat, denn es waren tausend Kisten und Kästchen auf der Bühne verstreut. Es war ein sehr kompliziertes Sammelsurium, mit dem die Leute umgingen. Während Florian Flöte spielte hantierte er an seinem Echogerät, veränderte dessen Laufzeiten und jaulte damit herum. Gleichzeitig ging das über Wah-Wah, Filter und Verzerrer. So gelang es der Gruppe, mit großem Aufwand das live umzusetzen, was im Studio erarbeitet wurde.
S.C.: Aber dann kamen ja irgendwann Tonbandeinspielungen dazu.
C.P.: Ja, jedoch recht spät. Kraftwerk hat sich ja verändert, von einer spielenden Gruppe in eine Designer-Gruppe, die nichts mehr live spielt, sondern nur noch repräsentiert. Das kann man mit Pierre Cardin vergleichen, der seine Kreationen vorführt, huldvoll lächelnd daneben steht, zwar verantwortlich zeichnet, aber kein Agierender mehr ist. So hat sich auch Kraftwerk in diese Richtung entwickelt.
S.C.: Wann war denn das? So eine Entwicklung vollzieht sich nicht von einem Tag auf den anderen.
C.P.: Das hing auch mit dem Bruch zwischen mir und Kraftwerk zusammen. Das letzte Album, das ich gemacht habe, war "Autobahn". Die Gruppe war damit sehr erfolgreich und wie jede Gruppe, die plötzlich großen Erfolg hat, begann Kraftwerk Ballast abzuwerfen. Dazu gehörte auch unsere Trennung, denn die Gruppe beschloss ganz andere Wege zu gehen, mehr als Musikdesigner aufzutreten, und nicht mehr zu spielen. Ich wollte aber unbedingt dem Spielen, einem erdhaften Ausdruck von Musik, verbunden bleiben.
Dabei spielen Stilistiken keine Rolle. Es ist mir wichtiger, dass die Intensität gewährleistet ist und nicht so sehr die akkurate Form. Mein Interesse an Musikprozessen ist die Interaktion zwischen Menschen und programmierten sowie maschinellen Prozessen. Mit ein Grund, warum ich anfing mit DAF zu arbeiten, war, dass die eben auch zwischen maschinellen Prozessen und dem aktuellen Spiel eine neue Ausdrucksform der Musik gefunden haben.
Es war sehr interessant, wie die DAF-Musik zustande kam. Da war der Chris, der die Sequenzen ersteinmal auf dem Sequenzer komponierte. Während die Sequenz ablief, griff er mit Filter- und anderen Parameterbewegungen in das laufende Programm ein: laut-leise, stumpf-hell oder grell-gedeckt. Er hat damit den Drummer inspiriert so zu spielen, wie der Robert Görl spielte, der ja auch daraus einen ganz eigenen Drum-Stil entwickelte. Dann kam der Gabi, der Sänger, der sich davor gestellt hat und dazu verrückte Parolen verkündete. Dazwischen schoss der Gitarrist dann noch Störfeuer. Das war eine tolle Ringschaltung, die eine ungemein intensive Musik hervorrief. Das Grundelement war eben diese seltsame Wechselwirkung zwischen einem Maschinenprozess und dem musizierenden Menschen. Je interessanter man sich Programme oder Halbprogramme bereitstellt, desto mehr ruft man in dem Spannungsfeld zwischen Mensch und Maschine eine neue interessante Musik hervor. Als ich in Fabrikhallen war, fiel mir auf, wie faszinierend die akustischen Abläufe von maschinellen Prozessen sein können. Es hat mich schon immer gereizt, dies musikalisch umzusetzen.
Ein anderes Beispiel dafür war Devo, die sich selbst als Maschinen gefühlt haben. Das heißt, sie agierten wie Roboter, die Rock'n'Roll spielten. So gaben sie dem Rock'n'Roll einen Twist, der für mich höllisch interessant war. Wenn man ihre Version des Rolling Stones Titels "Satisfaction" hört, merkt man, wie sie daraus einen verrückten Computertanz entwickelten. Sie haben sich dazu auch so bizarr bewegt, als ob sie Roboter wären, und dadurch den Prozess rein spielerisch nachvollzogen.
S.C.: Diese roboterhaften Bewegungen kamen zu dieser Zeit ja in Mode.
C.P.: Bei einem Konzert von Annie Lennox und The Tourists, deren erstes Album ich produzierte, habe ich das zum erstenmal im Publikum beobachtet. Es war selber sehr fasziniert davon, sich bizarr und maschinell zu bewegen. Ich entdeckte das sofort als einen Lustmoment, wie sich ein Mensch zur Maschine verhält. In diesem Fall waren es Menschen, die Maschinen nachmachen. Wir haben ja auch den reversen Prozess, wo Synthesizer natürliche Instrumente nachahmen.
S.C.: Wie bist Du auf Devo gestoßen?
C.P.: Durch Brian Eno, mit dem ich vorher mit der Gruppe Cluster mehrere Alben produzierte. Auf seinem Projekt "Before And After Signs" habe ich auch die halbe LP mitgestaltet. Dann brachte Eno die Gruppe Devo an.
S.C.: Zu der Zeit war ja auch David Bowie im Gespräch. Warum ist daraus nichts geworden?
C.P.: Es gab den Versuch. Bowie hat das Studio gebucht. Dann zerschlug sich das wieder, durch irgendwelchen Terminstress, den man oft in dieser Branche hat. Ich muss sagen, mich interessiert Bowie nicht so sehr, weil ich Bowie für einen cleveren Abtaster und Verwerter von Zeitsignalen halte.
S.C.: Aber nicht für einen Produzenten von Zeitsignalen?
C.P.: Nein. Er hat immer clever geklaut.
ICH SUCHE EIN BILD, UM DIESE STIMMUNG DARZUSTELLEN
S.C.: Deine Arbeit mit Ultravox fiel ja auch in diese Zeit hinein.
C.P.: Ich lernte den Manager von Ultravox 1977 in Los Angeles kennen. Ich wollte dort einige Werke anbieten. Auf irgendeiner dieser Plattenfirmenetagen traf ich den Manager und er sagte: "Ich suche Sie, weil Ultravox Sie gerne als Produzenten haben möchte." So kam 1978 im Mai die erste Platte mit Ultravox "Systems of Romance" zustande, noch mit John Foxx als Sänger. Damals sagten mir Ultravox, dass sie sehr inspiriert waren von den Sachen, die ich mit Neu gemacht habe. Sie hatten auch Kraftwerk und Michael Rother gehört. 1980 habe ich dann das zweite Album "Vienna" mit Midge Ure als Sänger gemacht. Im Jahr darauf dann "Rage in Eden".
S.C.: Wie verlief denn die Zusammenarbeit mit Ultravox?
C.P.: Da fällt mir spontan ein Beispiel ein. Die Jungs kamen an und wollten einen Song über Wien machen. Da fragte ich sie, ob sie Wien kannten. Sie kannten es nicht. Da erzählte ich ihnen, dass Wien einmal die kulturelle Hauptstadt Europas war, mit Glanz, Gloria und kaiserlichem Pomp. Jedenfalls war es einst Zentrum und heute ist es völlig im Off, ein kulturelles Randgebiet. Diese Stimmung teilt sich auch in dieser Stadt mit.
Ich suchte ein Bild, um diese Stimmung darzustellen. So kam ich auf einen verlorenen und vergessenen alten Ballsaal, der verstaubt den Glanz von einst hinter sich hat. Dieses Bild versuchte ich darzustellen und habe zu den Jungs gesagt: "Wir brauchen ein leicht verstimmtes Klavier, wir müssen ein Mikrofon in die Ecke stellen, sechs Meter entfernt, um dieses Bild zu kriegen. Das war die Grundprägung für diese Nummer. Warren Cann hat dann die Jetztzeitsignale hinzugefügt und Billy Currie die Glorie der damaligen Orchesterarrangements dargestellt, mit seiner Geige und mit elektronischen Streicherarrangements. So kam dieses merkwürdige Gebilde zustande, das eine unheimlich intensive Bildhaftigkeit besitzt.
S.C.: Von Kraftwerk, über Ultravox und Devo, bis hin zu Heinz Rudolf Kunze wird ein weiter Bogen gespannt. Sind diese recht unterschiedlichen Leute, mit denen Du gearbeitet hast, auch eine Beschreibung Deiner ganz persönlichen Entwicklung?
C.P.: Es hat damit zu tun. Grundsätzlich interessiere ich mich für ganz intensive Musik, auch wenn sie aus der Steinzeit kommt. Wenn sie intensiv ist, höre ich ihr zu. Ob das Wiener Walzer ist oder ein elektronisches Stück, ist mir eigentlich wurscht. Hauptsache es hat einen starken musikalischen Ausdruck.
So habe ich in der Vergangenheit auch viel mit Volksmusikern gearbeitet. In Deutschland mit Zupfgeigenhansel zum Beispiel, weil das Leute waren, die sich der Intensität der Musik verpflichtet fühlten, was ja zur Zeit eine Seltenheit ist. Ich bin auch sehr begeistert, wenn am Neujahrsmorgen die Wiener Philharmoniker Wiener Walzer spielen. Da höre ich zu, weil sie toll spielen, eben weil sie selbst fasziniert sind von dem was sie tun.
S.C.: Provokativ gefragt: Stört Dich als Perfektionist dabei nicht, dass so ein Orchester nie diese Timing-Genauigkeit hinbekommt, die heute auch bei den Produktionen die Du machst eigentlich selbstverständlich ist?
C.P.: Es gibt ein natürliches Timing und ein Techno-Timing. Beim Techno-Timing wird die Zeit in absolut gleiche Teile geteilt. Es gibt Bands, die sehr präzise spielen können, weil sie sehr gut schwingen. Sie werden ihrer Musik perfekt gerecht. Und es gibt andere Bands, die auch hervorragend spielen, aber Temposchwankungen haben, die früher nie gestört haben. Nur, in letzter Zeit werden vom Publikum die Bands, die unpräzise spielen, nicht mehr akzeptiert. Ich akzeptiere sie aber immer noch. Ein natürliches Atmen und schneller werden ist für mich ein ebenso musikalisches Ausdrucksmittel wie die Timing-Präzision.
S.C.: Ich nehme an, dass Du manchmal mit Click-Track aufnimmst ...
C.P.: ... und manchmal auch nicht! Das entscheidet sich mit der Natur der Musik und der Leute, die sie machen, wobei ich nie einen sturen Click verwende, sondern immer eine Schwingform programmiere, die musikalisch ist. Das heißt, wenn einer einen Click-Track entlang spielen soll, sollte er etwas hören, was ein Bestandteil der Musik sein könnte, wie etwa Cabasa, Tamburin oder ein anderes Percussioninstrument. Durch das programmierte Muster soll der Drummer ein musikalisches Muster zu hören kriegen.
Sequenzen zum Beispiel kann man entweder steif programmieren, so dass sie einfach maschinell dahintackern - was auch seinen Reiz haben kann - oder aber sie können irgendwie gewichtet sein, so dass sie einen musikalischen Ausdruck erhalten, der dem Drummer Lust verschafft, gut darauf zu spielen. Das ist das Wichtigste.
MEDIUM ZWISCHEN BAND UND TONBAND
S.C.: Es gibt ja wohl zwei Arten zu produzieren. Die eine versucht, das Beste aus einem bestimmten Angebot zu machen, die andere hat ein bestimmtes Bild vor Augen, das es möglichst weit anzunähern gilt. Was trifft auf Dich zu?
C.P.: Ich tue da verschiedene Jobs. Einmal bin ich Medium zwischen der Band und dem Tonband. Im anderen Falle bin ich aktiv teilnehmender Musiker. Das schwankt hin und her. Wenn wir ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit herausgreifen wollen: Die Heinz Rudolf Kunze LP war eigentlich musikalisch bereits zu einer gewissen Perfektion ausgereift, bevor sie produziert wurde. Das heißt, die Bilder waren schon recht klar. Sie wurden nur durch diese oder jene Idee im Studio noch etwas weitergeführt, aber im Sinne dessen, was schon vorhanden war. In diesem Fall bin ich Vollstrecker.
Im anderen Fall, etwa beim Humpe&-Humpe-Projekt, habe ich zum Teil ein bißchen mitgespielt, zum Teil Sequenzen designed und musikalische Elemente hinzugefügt. Auch bei DAF war das so. Wenn ich mit der Gruppe Cluster oder mit Möbius arbeite, bin ich Mitmusiker und habe etwa zur Hälfte Anteil an dem musikalischen Geschehen.
Aber immer wichtig ist das persönliche Verhältnis. Das heißt: Wieviel Freiheit gibt der Musiker dem Produzenten und umgekehrt? Bei mir ist es so, dass ganz persönliche Beziehungen entscheiden, wie weit ich involviert bin.
S.C.: Musiker sein heißt, Du spielst selbst ein Instrument mit, oder läuft das über Kommunikation?
C.P.: Oft habe ich eine musikalische Idee, die ich gar nicht selbst spielen kann. Dann helfe ich mir, indem ich sie programmiere, oder ich mache sie einem Musiker hilflos mit meinen steifen Fingern vor.
Vor einem halben Jahr habe ich endlich beschlossen, richtig ein Instrument zu erlernen, das ist die Trompete.
S.C.: Wie kamst Du denn gerade darauf?
C.P.: Sie ist nach der menschlichen Stimme das musikalischste menschliche Ausdrucksinstrument, weil sie ein Teil des Menschen wird. Man hat einen unmittelbaren Zugriff zur Gestaltung des Tones und man ist mit dem Instrument am engsten verbunden.
S.C.: Das könnte man vom Saxophon aber auch sagen!
C.P.: Das könnte man, mit dem Unterschied, dass der Mensch bei der Tonbildung bei der Trompete noch intensiver mit dem Instrument verbunden ist, weil er mit den Lippen und mit dem Mundinnenraum jeden Ton formen muss, mehr noch als beim Saxophon.
S.C.: Du wärst wohl nicht Conny Plank, wenn Du nicht bereits vor dem Erlernen der Trompete schon an mögliche Verfremdungen gedacht hättest.
C.P.: Das ist richtig. Einer meiner Vorbilder auf der Trompete ist Clark Terry, der ein Meister der Geräusche auf der Trompete war. Er konnte nicht nur die Tonskala dieses Instruments zum Ausdruck bringen, sondern auch alle Flexionen, Glissandi und Zwischengeräusche.
S.C.: So wie Ian Anderson auf der Querflöte?
C.P.: Der ist auch nicht der Erfinder. Der Erfinder der Jethro Tull-Stilistik ist Roland Kirk. Er war der erste, der die Flöte denaturiert hat und in sie hinein gesungen hat. Und so hat auch Clark Terry in die Trompete reingesungen, um eine Erweiterung der Tongestaltung zu kriegen.
S.C.: Was ermöglicht Dir eine Trompete, das ein anderes Instrument nicht leisten kann?
C.P.: Dadurch, dass Du mit dem Instrument so direkt verbunden bist, kannst Du in Realtime etwas darstellen, was bei einem Synthesizer erst nach einem Denkprozess möglich wäre. Das heißt, ich bin viel spontaner. Beim Synthesizer überlege ich mir, welchen Ton ich haben will. Dann drehe ich die Knöpfe dorthin, wobei mich der Prozess möglicherweise dazu verleitet, etwas ganz anderes zu tun als ich es am Anfang vorhatte. Bei der Trompete vollzieht sich das ganz schnell und direkt.
Für mich ist es oft sehr wichtig, mit welcher Geschwindigkeit ich den Zugriff zu einem Parameter habe. Deshalb dauert es nie lange, wenn ich Synthesizer einstelle. Es ist kein langer Meditationsprozess, um zu irgendeiner Tonform zu kommen, sondern ich brauche das ganz schnell. Und wenn ein Gerät mir das nicht bringt, wechsele ich es ganz schnell aus und nehme ein anderes.
S.C.: Ist dabei Sampling eine Hilfe?
C.P.: Ein Sampler ist ein Spielgerät, das banal aber auch toll eingesetzt werden kann. Ich bin schon seit fünfzehn Jahren am sampeln. Bevor es digitale Sampler gab, habe ich Musikpartikel auf Band kopiert und gelernt, mit Vorzählen die Maschine musikalisch einzustarten. Bei den ersten Kraftwerk- und Neu-Aufnahmen habe ich gesampelt. Mir fällt da "Hallo Gallo", ein Stück von Neu ein, das auch ein ganz guter Disco-Hit war. Da habe ich eine Gitarrenspur herauskopiert, herumgedreht, rückwärts wieder eingespielt und so lange ausprobiert, bis die musikalischen Flexionen der Rückwärtsgitarre perfekt auf das musikalische Geschehen vorwärts passten. So war das ein recht komplexer Sample-Vorgang.