Noten für die Nachwelt

faltac

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Guten Tag zusammen.

nachdem ich gestern im Radio die Meldung hörte, dass zu Coronazeiten die Bibliotheken tausende von Notensätzen für fast alle Instrumente herausgeben, ist mir der Gedanke gekommen, dass es ja wirklich aus allen Bereichen und Stielen Noten für die Nachwelt gibt.

Kammermusik, Klassik, Ochester, Oper Rock, Pop. ....

Alles ist gedruckt vertreten.

Aber was ist mit der Elektronik?

Viele Künstler der Anfangsjahre (Berliner-Schule) aber auch aus anderen Länder sind schon verstorben andere glücklicherweise noch unter uns und genießen ihren wohlverdienten Ruhestand. Alles was es jetzt noch gibt sind Videos auf YT und wenn man Glück hat findet man Auch schon mal ein gutes gecovertes Stück. Viele Stücke die Ich aus Kindheitstagen noch auf Cassette habe finde Ich nur auf YT. Zu kaufen gibt es die exotischen Stücke teilweise nicht mehr.

Wenn ich an die Festivals aus den letzten Jahren denke, habe ich einen Sahl, wo man aus den letzten Reihen über Menschen mit ergrautem Haar hinwegblickt.

Ich hätte mir gerne etwas Theorie zum nachlesen gewünscht.

Die Elektronik ist im Wandel was auch gut ist, aber ist sehe, dass die alte Elektronik bald nicht mehr reproduzierbar ist.


Wie seht ihr das?
 
Die Elektronik ist im Wandel was auch gut ist, aber ist sehe, dass die alte Elektronik bald nicht mehr reproduzierbar ist.

Hm, und was helfen dann die Noten? :)

Es gibt ja auch in der klassischen Musik Leute, die historische Aufführungspraxis versuchen, um das Barock-Orchester so klingen zu lassen, wie es damals (wohl) geklungen hat. *) Aber es gibt auch viele Orchester, die alte Musik mit neuen Instrumenten spielen. Immerhin haben wir noch die Wahl.

Bei der elektronischen Musik gibt es halt ganz viel, was niemals als Notentext erhältlich war. Muss man halt die Aufnahmen nehmen und schauen. Es gibt ja auch ganz viel Musik, die nicht aufgeschrieben wurde, siehe Jazz. Es gibt zwar immer wieder Leute, die Transktiptionen anfertigen .... und in der Tat ist das auch ein guter Weg, ein Solo zu lernen und sich mit der Stilistik vertraut zu machen: Transkriptionen selbst anfertigen.

Und bei "alt-genucher" Musik ist der Notentext wiederum auch nicht vorhanden: Die Musiker bekommen vielleicht die melodie und einen bezifferten Bass und stricken sich dann selbst den Orchesterklang. Mithin ist präzise Notation so eine Zeiterscheinung von ein paar Jahrhunderten europäischer Kunstmusik.

Manchmal gehen Dinge verloren. Der berühmte Mathematiker Bernhard Riemann hatte eine Haushaltshilfe, die nach seinem viel zu frühen Tod mal aufgeräumt und aus Unkenntnis viel seiner Arbeit einfach verbrannt hat. Für immer dahin.

Grüße
Omega Minus

*)
Der berühmte Kalauer:
Hanoncourt ist gestorben. Bei einer Operation. Mit historischen Instrumenten.
 
Was nützt es dir, wenn du weißt, dass da einer ein C spielt - aber du nicht weißt, ob Sägezahn oder Rechteck und mit welchem Noise-Anteil oder ob da in einem Oszillator ein LFO durch ein Wavetable geht und im anderen eine PWM stattfindet? Wie das Filter eingestellt ist und wie die Hüllkurve?

Kannst du mit dem Bild was anfangen???

Engelmann__notation.jpg


(https://i2.wp.com/blogs.nmz.de/badblog/files/2013/02/Engelmann__notation.jpg)
 
Auch schön - von K. Schulze, soweit ich weiß aus dem Album "X". Bitte nachspielen:

1610549615396.png
 
[…] dass zu Coronazeiten die Bibliotheken tausende von Notensätzen für fast alle Instrumente herausgeben
Was bedeutet hier "herausgeben"? Was willst du sagen? Ja, in jeder größeren deutschen Stadt gibt es heute noch eine Musikbibliothek.

Kammermusik, Klassik, Ochester, Oper Rock, Pop. .... Alles ist gedruckt vertreten. Aber was ist mit der Elektronik
Offenbar meinst du mit 'Elektronik' die Art elektronischer Musik, die aus der Tradition der Popmusik kommt. Solche Musik richtet sich implizit an Hörer, nicht an Spieler; es besteht normalerweise kein Anspruch und kein Bedarf, das noten- und klanggenau nachzuspielen. Im Gegensatz zur Klassik ist das Produkt des Komponisten nicht eine Partitur, sondern eine Aufnahme, heute schon oft ein Video. Das muss nicht in einem anderen Medium dokumentiert werden – so wenig wie bei einem Film im Vergleich zu einem Theaterstück. Das liegt zum Teil auch daran, dass viele Details improvisiert sind, also nicht einem zugrundeliegenden Plan folgen.

Wie wir wissen, gibt es auch elektronische Musik aus der Tradition der Klassik. Und hier liegen die Verhältnisse anders. Stockhausen hat am Anfang tatsächlich neben einer Hörpartitur auch eine exakte Realisationspartitur angefertigt, die jeden Schritt des Vorgehens beschreibt (https://de.wikipedia.org/wiki/Studie_II_(Stockhausen)). Allerdings kenne ich niemanden, der mal versucht hätte, diese monatelange Arbeit nachzuholen…

Je nach der Stilistik hat es auch für viele andere Komponisten Sinn gemacht, zumindest eine einfache grafische Partitur zum Mitlesen beim Hören anzufertigen – in dieser Musik hat man sehr oft auch live-Musiker dazu eingesetzt, und wenn diese sich mit dem elektronischen Klängen synchronisieren sollen, wurde das nötig. In der Art ungefähr wie die Beispiele, die oben gepostet wurden. Das erste Beispiel von Hans Ulrich Engelmann (?) ist recht typisch für die (eher frühen) Siebziger Jahre in der Nachfolge vor allem von Anestis Logothetis.

Es gab aber immer auch Musik, die mehr wegen der gewünschten Präzision und der leichteren Ausführbarkeit elektronisch realisiert wurde, wo die Klangfarben keine besondere Rolle spielten. Da gibt es durchaus auch 'klassische' Partituren.

Auch amüsant, z.B.:
xenakis score
Nunja. Xenakis hat meines Wissens eigentlich nie grafische Partituren veröffentlicht, die machen auch für seine Musik keinen Sinn. Es sind bestenfalls private Skizzen seiner elektronischen Kompositionen erhalten, die nie zur Veröffentlichung gedacht waren.
 
Auch schön - von K. Schulze, soweit ich weiß aus dem Album "X". Bitte nachspielen:
...
Es gibt/gab die komplette Streicher Partitur auch via seinem Freund und Verleger KDM zu kaufen. Ob sich das lohnt darf jeder selber entscheiden.

Wenn man z.B. Wendy Carlos „Switched-on Bach“ notiert, so bekommt man nur die handelsüblichen Bach Noten. Der Charakter der durch die Klänge getragen wird, entfällt bei konventionellen Noten immer. So spielen die aller meisten Ensembles J.S. Bachs Musik zwar getreu nach Noten, aber mit Instrumenten, und damit Klängen, die es damals gar nicht gab. Bach auf einem Klavier ist nie wie von Bach komponiert. Und sogar die Stimmung (hier gemeint: Tonhöhe) ist wegen der heute allgemein üblichen, aber damals noch nicht bekannten gleichstufigen Stimmung.

Somit sind Noten immer nur für eine Interpretation geeignet und nicht als genau Beschreibung wie das Werk zu spielen und zu klingen hat. Und bei einem Großteil der EM versagen Noten sowieso. Hingegen kann man Kraftwerk, dank ihrer Melodien und nicht Klangverspieltheit, recht gut nach Noten spielen und sofort wieder erkennen. Hingegen wären die Noten für z.B. Wendy Carlos „Timesteps“ beim Erkennen wohl auch für Kenner des Stücks wenig hilfreich.
 
Wie wir wissen, gibt es auch elektronische Musik aus der Tradition der Klassik. Und hier liegen die Verhältnisse anders. Stockhausen hat am Anfang tatsächlich neben einer Hörpartitur auch eine exakte Realisationspartitur angefertigt, die jeden Schritt des Vorgehens beschreibt (https://de.wikipedia.org/wiki/Studie_II_(Stockhausen)). Allerdings kenne ich niemanden, der mal versucht hätte, diese monatelange Arbeit nachzuholen…

In der Regel findet alle zwei Jahre ein größeres Event dazu statt. Das nächste Mal vom 17. bis 25. Juli 2021:

 
Es gibt/gab die komplette Streicher Partitur auch via seinem Freund und Verleger KDM zu kaufen. Ob sich das lohnt darf jeder selber entscheiden.

Das ist schön, aber nur die eine Hälfte des Stücks. Was K.S. da auf dem Synth macht, das steht da nicht drin.

Bei Noten kommt hinzu, dass Barockmusik gerne etwas freier gespielt werden darf, da kann auch schon mal ein Triller rein, der nicht in den Noten steht. Bei Beethoven undenkbar.

Und beim Bolero war Ravel schon außer sich, wenn den jemand in einer Minute früher fertig hatte, als er das geplant hat: https://de.wikipedia.org/wiki/Boléro#Rezeption
 
Hinzu kommt noch der Aspekt, dass bei fast allem, was in den Bereich Rock- und elektronische Musik fällt, Komponisten und Interpreten erstmal identisch waren bzw. sind. Und auch bei Coverversionen (Paradebeispiel: unzähliche Blues-Songs und Jazz-Standards, die von etlichen Interpreten auf jeweils ihre Weise dargeboten worden und damit eigne Schöpfungshöhe einbrachten) wurden/werden improvisierte Anteile i.d.R. nicht 1:1 und Ton für Ton nachgespielt, sondern lassen Raum für eigene Interpretation.

Werke "klassischer"* (i.w.S.*) Komponisten waren von vornherein zur Aufführung durch nicht am kompositorischen Entstehungsprozess (worunter ich jetzt auch gemeinsame Improvisation, Jammen, und - wie Can es bezeichneten - instant composing rechne) beteiligte Musiker/innen konzipiert, so dass es gar keine andere Möglichkeit als die der schriftlichen Notation gab.

Hinzu kommt noch, dass in der "klassischen"* Musik den meisten Fällen (im Prinzip praktisch alles außer Werken für <Tasteninstrument> und, seltener, Gitarre solo) mehrere Interpreten synchron und nach Plan zusammenwirken müssen - wenige bei einem Streichtrio, ziemlich viele bei einer größer angelegten Sinfonie. Und das ohne die Möglichkeit, sich bei Unklarheiten direkt beim Komponisten erkundigen zu können. Geht nicht ohne detailliert ausgearbeiteten Plan, vulgo: Noten/Partitur. Gewisse Freiheiten wie optionale Verzierungen widersprechen dem nicht - das unterliegt auch immer dem "Zeitgeist" zum jeweiligen Entstehungszeitraum und ggf. eigenen Ansichten des Komponisten (vgl. die Anmerkung von @betadecay bzgl. Triller bei Barockmusik oder bei Beethoven im vorigen Post).

* Anführungszeichen und "i.w.S." - ich meine jetzt nicht nur die "eigentliche" (Wiener) Klassik zur Zeit von Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn und zumindest dem frühen Ludwig van Beethoven, sondern auch andere Epochen wie Barock, Romantik, Spätromantik, Impressionismus usw.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich habe in diesem Thread tatsächlich nach dem Stichwort MIDI gesucht. Das ist ja die naheliegenste "Notation", dumm nur, dass ihr die ganze Klangkomponente fehlt. Aber ein E-Musiker, der MIDI-Daten seiner Werke herausgibt oder zum Download anbietet, sollte sich darüber im Klaren sein, dass andere das MIDI mit eigener Synthtechnik in Klang umsetzen und dabei viele Freiheiten haben. Sich eigentlich nicht mal nach dem General MIDI Standard hinsichtlich Instrumentzuordnung richten müssen.

Und das wollen leider die wenigsten E(lektronische)-Musiker*, weil es die Verträge mit ihren Labeln/Produzenten ohnehin verbieten. Die H-Musiker (hist. M.) konnten nur so auf Papier ihre Musik verbreiten. Und ihnen ist geschuldet, dass es heute Musikschulen gibt, die eigentlich Musikinterpretationsschulen sind, einfach weil die Herren und Damen des Bildungsbürgertums in ihren Gören neue Bachs, Mozarts, Liszts und Beethovens sahen, mit denen sie unter ihresgleichen angeben wollten. So halten sie diese Musik im Leben halten, konservieren sie, und vergessen darüber ganz, neues zu schaffen an diesen ausentwickelten Instrumenten. Dass diese Vorbilder nur deshalb heute Vorbilder sind, weil sie für ihre Zeit Neues geschaffen haben, scheint ihnen egal. Der Schein regiere über das Sein.

Erst an Musikhochschulen und manchen Konservatorien kann man Komposition studieren. Das heißt, erst wenn man einen Ausleseprozess durchlaufen, einen erklecklichen Teil der tradierten Literatur in sich aufgesogen hat, erwirbt man die Möglichkeit, eigenes zu schaffen und so zu verbreiten, dass man, Talent vorausgesetzt, ein Stückweit davon leben kann. Aber vielleicht ist das auch notwendig und gut so. Die Kreativität findet ihren Nährboden da, wo Überdruss über das Altbekannte zunächst alle Kreativität unterdrückt hat und soziomentales Brachland zurücklässt.

Der Amateur der elektronischen Musik, derart geblendet von den technischen Möglichkeiten seiner gekauften Geräte, ist sich dem gegenüber manchmal (oft?) gar nicht mehr bewusst, dass es auch Musik jenseits Dur/Moll, I-IV-V, 4/4-Takt und Ostinatos gebrochener Akkorde gibt. Einfach, da das Spektrum der klanglichen Möglichkeiten so weit, ja unendlich ist, ist das Spektrum der Möglichkeiten auf der Tonebene so beschränkt. Wozu Musikstudium, man hat ja schon das Handbuch zum Instrument und will ja eh nicht lesen, sondern Musik machen.

Unterm Strich sind Noten nur für Musik, die im Original nicht auf Audiodatenträgern distribuiert wurde.
Und dann kam ich in meiner ganzen Schüchternheit. Ich verfolge einen hybriden Ansatz. Solche Musik wird in zwei Formen verbreitet, einer Textform und einer Audioform, wobei in ersterer auch die klangliche Komponente adäquat abgebildet wird und dank einer Open Source Software sei der Beweis erbracht, dass mit ordentlich viel CPU-Kraft unterm Blech von handelsüblicher Allzweckware das eine ins andere überführt werden kann. Sch...'auf Echtzeitreproduzibilität, auf irgendwas muss man immer verzichten, das ist halt der Preis.
(An dieser Stelle könnte man erwarten, dass ich diverse Links gebe. Aber Eigenwerbung ... och ne, heut ist Sonntag und Dienstag geht die westliche Welt final zu Bruche, da will ich lieber noch etwas Schnee unter den Füßen fühlen, ohne falsche Hoffnung auf irgendeinen "Durchbruch" zur Berühmtheit. Lass echte Interessenten selber suchen, falsche Interessenten, Beifang aller Werbung, sind nur genervt.)

* vs. trad. E-Musik für Ernste M. gegenüber der U-Musik für Unterhaltungsmusik, also eine reine Klassenhierarchie in Analogie zur Aristokratie gegenüber dem Plebs.
 
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