Mein Problem ist weniger die Musik, die mich im Zweifelsfall nicht anspricht -- wobei es dann auch egal ist, ob es Mozart oder Bartók ist, und auch die Frage "alt/neu" oder "gut/schelcht" spielt da keine Rolle --, sondern vielmehr der Apparat und die Haltung, die dahinter steckt. Wobei ich persönlich Mozart ganz widerlich finde, sorry. Gepuderte Rokoko-Zuckerwatte, mit Körpergeruch unter zig Schichten von Parfum begraben...
Das läßt sich weder verbal exakt beschreiben, noch wissenschaftlich-rational definieren. Es ist für mich einfach so, daß ich diesen völlig veralteten, eitlen, auf Kommunikation hehrer kultureller Inhalte ausgerichteten spieß- und bildungsbürgerlichen Apparat ablehne. Das legt immer eine Attitüde nahe im Sinne von "was wir hier machen, ist richtig und wertvoll; was die anderen machen, ist wertlos und falsch, weil..." Sich anzumaßen bestimmen zu wollen, was richtig und was falsch ist, was Hochkultur und was nicht, hat schon etwas Bräunlich-Anrüchiges für mich.
Ich habe auch ein Problem mit Musikern, die sich damit brüsten, jahr(zehnt)elang ihr Instrument und ihre Partituren auswendig gebuckelt zu haben, aber den Kontakt zu sich selbst und zur eigentlichen Musik verloren haben. Nichts gegen Beherrschung des Handwerks, aber wenn man darüber den Blick für´s Wesentliche -- wo kommt die Musik her, was will sie erreichen, was soll sie beim Hörer anrühren? -- verliert, dann läuft da grundlegend etwas schief. Ich habe mehrmals erlebt, wie aufgeschmissen klassisch ausgebildete Orchestermusiker waren, wenn man ihnen die Noten wegnahm und sagte, sie sollten einfach mal improvisieren. Ja, aber, dafür brauchen wir Noten. Diese Leute können in den allermeisten Fällen nur reproduzieren, selbst kreativ zu werden kommt ihnen dabei nicht in den Sinn. Und ich werde nie vergessen, was eine klassisch ausgebildete Musikerin über mein Zeug sagte: "Klanglich ganz nett, aber kompositorisch ohne jeden Anspruch." Da mag sie ja vielleicht sogar Recht gehabt haben, aber hallo, ich bitte Euch: Was ist das für eine bornierte Einstellung?
Vielleicht ist es das implizite Selbstverständnis des klassischen Musikapparates, daß sich Musiker nicht als kreative Persönlichkeiten emanzipieren sollen, sondern der ganze Apparat der Reproduktion der Gedanken eines anderen dient, da -- rein technisch gesprochen -- die Möglichkeit der Musikkonserve zu Zeiten Beethovens nicht bestand, sodaß Musik nicht zu jeder Zeit an jedem Ort verfügbar war. Da wurde dann die Qualität der Darbietung über die Fähigkeiten des Zusammenspiels der engagierten Musiker definiert, so, wie wir heute Qualität über Behringer oder Neve definieren

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Was mich dann an diesem Reproduktionsgedanken stört, ist, daß es -- gerade im Bereich der MuWi im spziellen und der klassischen Musik im allegemeinen-- Leute gibt, die so tun, als wäre Beethoven ihr Duzfreund gewesen, und nur sie -- und sonst niemand -- wüßten genau, was uns der Komponist mit seiner Arbeit sagen wollte. Das hat im schlimmsten Fall etwas von intellektueller Masturbation an sich, aber das dient der Musik nicht. Allenfalls der eigenen Eitelkeit im Sinne von "ich bin ja so clever, und ihr nicht!".
Ralf Hütter hat´s vielleicht mal für mich am treffendsten auf den Punkt gebracht, als er sinngemäß sagte, daß der ganze klassische Musikkomplex wegbräche, wenn er nicht als ein aus öffentlichen Mitteln subventionierter Kulturbetrieb fortbestünde. Und mir wird´s dann im Mund sauer: "Achtung! Kultur! Wertvoll!" Da habe ich dann immer so eine Ahnung davon, welche Muffigkeit in der Ära Adenauer geherrscht haben muß, genauso wirkt Hochkulturbetrieb im allgemeinen und klassische Musik im speziellen auf mich. Erzkonservativ bis hin zur Diskriminierung: Wir sind da, ihr nicht!
In dem Zusammenhang fällt mir das alljährliche Kaschperletheater zu Bayreuth ein... Du lieber Himmel! Tokyo Hotel für Bildungsbürger oder solche, die sich dafür halten... Erwachsene, die draußen ihr Lager aufschlagen, um Karten für den Ring der Zwiebeljungen zu bekommen. Oder Lohenhäuser Tannengrün oder sowas, keine Ahnung, was da gerade zelebriert wird... man schaue sich den Wagner´schen Clan in seiner selbstgerechten Selbstgefälligkeit an, und es dürfte deutlich werden, worauf ich oben hinauswollte.
Ich bin mir sicher, daß Markus mich in den allermeisten Fällen widerlegen kann, aber hier geht es ja nicht um Widerlegung einer wissenschaftlichen These, sondern um subjektive Wahrnehmungen und Befindlichkeiten. Besser kann ich meine nicht auf den Punkt bringen.
Stephen
"Herr Parsick, Musik und Emotion, das schlagen Sie sich am besten mal ganz schnell wieder aus dem Kopf!" -- Dr. Dörte Schmidt, MuWi-Propädeutikum RU-Bochum, WS 1994/95