Ein Briefwechsel im 'Geiste der Zeit'

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Anonymous

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Ein Briefwechsel im 'Geiste der Zeit'

andreas hilsberg

6 frankfurt/m., d. 19. 10. 71
wiesenhüttenplatz 34
tel: 23 24 10

herrn
professor karlheinz stockhausen
5 köln
musikhochschule

sehr geehrter herr stockhausen,
in anschluß an donaueschingen habe ich eine frage an sie, die ich ihnen in der fürstenbergischen brauerei schon einmal stellte. durch ungenaue formulierung meinerseits und durch die zeitliche begrenzung der diskussion kam es zu einem mißverständnis.
ganz kurz möchte ich mich ihnen vorstellen: ich bin student der musik, germanistik und der materialistischen soziologie in frankfurt. mein spezialgebiet ist zielpublikumsgebundene komposition mit den mitteln der musik, der sprache und des theaters. in seminaren der musikhochschule habe ich mich mit einigen ihrer werke genauer befaßt.
meine frage an sie ist nun: wie sehen sie ihre komposition im spiegel der gesellschaft und welche auswirkungen gesellschaftlicher art kann die tatsache haben, daß ihre werke nur an eine spezifische schicht der bevölkerung verkauft werden? die masse der menschheit ist von ihrer musik ausgeschlossen: die masse gesellschaftliche werte schaffender arbeiter. ich meine damit keinesfalls - wie sie es verstanden haben -, daß von ihrer musik nicht viel verkauft wird; soweit ich es überschauen kann, sind sie der E-musikkomponist mit dem größten marktteil (unter den zeitgenössischen komponisten).
ich glaube, eine beantwortung dieser frage gefunden zu haben - sie ist aber ungeheuerlich.
woher weiß ich nun, daß arbeiter ihre musik nicht hören? einmal haben mir meine kontakte zu arbeitern und lehrlingen dies bestätigt - das würde auf die gesamtheit der arbeitenden weltbevölkerung jedoch noch wenig aussagen. eine andere - theoretische - erklärung ist besser: der arbeiter lebt in zwei welten:
seine arbeitszeit und seine freizeit. in der freizeit darf er nicht produktiv sein, sie ist dazu da, seine während der arbeitszeit verbrauchte energie wiederherzustellen. um ihre musik zu hören, muß der hörer jedoch selbst produktiv sein, und sei es gedanklicher art. aus dem aspekt der konsumhaltung ist ihre musik nun mal nicht zu verstehen. somit tritt der widerspruch auf, daß sie mit den produkten der arbeiter komponieren und produzieren (zb technische geräte etc.), aber nicht für die arbeiter komponieren. die arbeiter produzieren die gesellschaftlichen werte, die ihnen, mir und vielen anderen die möglichkeiten zu differenziertem leben eröffnen, sie selbst sind jedoch davon ausgeschlossen.
welche folgerung, meinen sie, ergibt sich nun daraus oder mache ich einen denkfehler? sie würden nicht nur mir, sondern auch vielen anderen studenten einen großen gefallen mit der beantwortung dieser frage tun. wir haben uns in der analyse festgefahren und könnten vielleicht mit ihrer antwort weiterarbeiten.
eine zweite überlegung habe ich noch zum thema der donaueschinger diskussion angestellt: es tauchte der widerspruch auf: forderung nach flexibilität des orchesterapparates und individualisierung des orchesterbetriebes gegenüber den finanziellen realitäten. sie sagen selbst, daß die entwicklung des orchesterapparates stocken muß, wenn die bisherige praxis beibehalten wird. ihre forderung an das orchester ist die einzig wahre und richtige, aber sie wird solange nicht durchführbar sein, wie sich die gesellschaftlichen produktionsverhältnisse nicht ändern. seit jeher war die kultur - kunst, religion und rechtsprechung - ein spiegelbild der gesellschaftlichen verhältnisse. so ists nun auch mit dem orchester . solange unsere produktionsverhältnisse streng geteilt sind in produzenten und konsumenten, in kapitaleigner und arbeiter, kann sich auch das schlimme orchesterwesen nicht ändern. die tendenz wird eher weiter in die richtung gehen, wie sie aus new york berichtet haben (ich meine jetzt die sache mit dem gewerkschaftsvorsitzenden am dirigentenpult).
sie haben nun das interesse artikuliert, diese verhältnisse zu ändern. ziehe ich die letzte konsequenz aus dem vorher gesagten, genauer gesagt: würden sie jetzt die konsequenz aus dem vorher gesagten ziehen, müßten sie ihren kaum übersehbaren riesigen einfluß auf das moderne kulturleben dazu benutzen, die gesellschaftlichen produktionsverhältnisse zu ändern und auch musik für die arbeiterklasse schreiben. erst dann wird sich ihre musikalische und außermusikalische forderung an den menschen schlechthin verwirklichen lassen.
dies ist die - von mir vorhin angekündigte - unheimliche lösung. ich sehe dies als einzigen ausweg, der ihrem in donaueschingen artikulierten interesse entspräche.
ich hoffe, mit meinen gedanken ihre zeit nicht übermäßig beansprucht zu haben - aber mit mir warten noch viele auf eine antwort von ihnen und wir wären ihnen dafür sehr dankbar .
ich grüße sie und ihre kinder, die ich in donaueschingen per augenschein kennengelernt habe und um ihren vater beneide, sehr herzlich

andreas hilsberg






Karlheinz Stockhausen 5073 Kürten

2. November 1971

Sehr geehrter Herr Andreas Hilsberg,

Ihr Brief ist wirklich unerhört. Sie behaupten Dinge, die Sie vorher nicht geprüft haben. Ich habe in Osaka für ca. 1 Million Menschen meine Musik 5 1/2 Stunden pro Tag aufgeführt für 183 Tage. Das entspricht einer Konzerttätigkeit von 16 Jahren mit 70 Konzerten pro Jahr für ca. 1000 Personen am Abend. In Japan waren alle Bevölkerungsschichten im Auditorium, und selbstverständlich waren die allermeisten aus der Arbeiterschicht.
Die von Ihnen genannte >Masse der Menschheit< ist keineswegs von meiner Musik ausgeschlossen. Ich komme selbst aus der >Masse< und habe in meiner Familie nur Bauern und Arbeiter. Diese Menschen bemühen sich, soweit das ihnen von der musikalischen Begabung her möglich ist, auch meine Musik zu verstehen, und nicht nur Lehar.
Sie machen einen Denkfehler, wenn Sie annehmen, daß jeder Mensch potentiell dazu in der Lage sei, sich mit Musik zu befassen, wie ich sie mache. Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die beliebig viel Zeit haben, und absolut nichts mir meiner Musik anfangen können. Das wird wahrscheinlich sogar für die allermeisten Menschen der Fall sein, deren musikalisches Interesse sich bei relativ einfachen und auf Wiederholung historischer Klischees beruhenden musikalischen Erzeugnissen am wohlsten fühlt. Ich bin vor kurzem in Wien in einer Aufführung der >Lustigen Witwe< gewesen. Wenn Sie sich das Publikum angesehen hätten, wären Sie erstaunt gewesen über den Wohlstand dieser Leute.
Deren Geschmack würde aber mit meiner Musik überhaupt nichts anfangen können.
Sie sind auf dem Holzweg, wenn Sie meinen, alles sei für alle auf dieser Welt.
Es gibt sehr arme Leute, die einen ausgezeichneten Geschmack und eine sehr musikalische und auch fortschrittliche Bildung haben, und es gibt eine Überzahl von Leuten der besitzenden Mittelklasse und vor allen Dingen von sehr reichen, die total geschmacklos und unmusikalisch sind.
Mein Publikum rekrutiert sich im wesentlichen aus den jungen Menschen in des ganzen Welt, die für die Zukunft offen sind. Ich sehe, dass Ihre Erziehung an der Universität Sie völlig weggeführt hat vom Verständnis für das, was Musik überhaupt ist. Sie werden sehr bald selbst prüfen können mir den Prinzipien Ihrer materialistischen Soziologie, was der ‚Arbeiter’ anfängt, wenn die Automatisation soweit fortgeschritten ist - und wir sind ja sehr nahe daran -daß diejenigen, die die Apparate produzieren, nicht nur 3, sondern 4 Tage pro Woche frei haben werden. Ich sage Ihnen jetzt schon im voraus, daß diese Arbeiter, obwohl sie dann 4 Tage pro Woche frei haben werden, wahrscheinlich x mal eine Reise zu irgendwelchen Fußballspielen machen und den Rest der Zeit vor Femsehempfängern verbringen werden; daß sie sich aber den Teufel scheren um Musik, wie ich sie mache. Das wird die Allgemeinheit betreffen. Einzelne Ausnahmen gibt es natürlich immer.
Sollten Sie aber darauf hinaus sein - wie vielleicht noch mehrere Ihrer Mitstudenten und Lehrer -, daß Sie Leute wie mich durch irgendwelchen ideologischen Druck zwingen wollen, Musik von einer Art zu machen, die mit relativer Vorhersehbarkeit jedem gefällt, so primitiv auch sein Geschmack ist, so sind wir wieder da angekommen, wo die Nazis schon einmal waren. Die haben ja nicht umsonst die meisten Komponisten und Künstler >entarteter Kunst< aus dem Land hinausgejagt und ihre Arbeit verboten. Deren Musik war eben auch nicht genug >populär<. Ob Sie das Ganze unter dem fadenscheinigen Namen einer materialistischen Soziologie vertreten oder einer nationalsozialistischen: das Ergebnis kommt ziemlich auf das gleiche hinaus. Wie Marcuse schon sagte: In den achtziger Jahren wird das Wort Kunst ein Schimpfwort sein. Und Sie sind eine der kleinen Ameisen, die zum Zerfressen des allgemeinen Bewußtseins von Qualität mit beitragen, ohne es zu wissen.

Freundliche Grüße trotzdem von Ihrem

Stockhausen
 
Je vorhersehbarer Musik ist, desto eher wird sie halt angenommen. Das gleich bleibende konfrontiert die Leute halt weniger mit Veränderungen und entspricht häufig ihrem Lebensrhythmus. Wenn nun etwas ungewöhnliches an Musik/Klang an sie herangetragen wird, dann vergleichen sie dies wohl als erstes unbewusst mit dem bis dato gehörten und entsprechend bewerten sie. Das irgendeine Musik von irgendeiner Bevölkerungsgruppe generell besser oder schlechter aufgenommen wird glaube ich auch nicht.
 
Meistens ist es so, dass Musik, die kaum mehr süßliche Akkorde enthält und nur wenige periodische Rhythmen - überhaupt wenig Elemente, die man schon kennt -, die Menschen sehr viel wacher macht. Es ist so ähnlich, als wenn man eine Reise in ein Land macht, wo man noch nie gewesen ist. Das ist einfach aufregend - man ist in der Fremde viel interessierter an sich selbst als in gewohnter Umgebung: »Wie reagiere ich jetzt - und jetzt - und jetzt?« >Popmusik< berührt ihre 'Fans' so wie Leute, die immer in derselben Gegend Ferien machen, nicht wahr? Es soll nicht ganz dasselbe sein wie beim letzten Mal, aber auch nicht zu verschieden und erst recht nicht zu ungewohnt: das wäre ja viel zu anstrengend ... und wozu auch ...

KHS, Texte zur Musik, Band 4, Seite 505
 
Sehr schöner Briefwechsel. Stockhausen hat natürlich so was von Recht, dass man ihm zuklatschen möchte - R.I.P.. Wenn es in Deutschland nicht die etwas verkopfte Diskussion um E und U in den Köpfen der Multiplikatoren und Verwaltern von Musik gäbe, gäbe es allenthalben mehr Chancen Komponisten wie Stockhausen wahrzunehmen, ist meine freche These.

Ich war gerade auf einem Konzert in Denver eingeladen, wo sich wie selbstvständlich Komponisten aus eher "Indie"-orientiertem Umfeld mit Streichquarteten und einem Orchesterwerk abwechselte und das junge Publikum war begeistert. Die These der folgenden Podiumsdiskussion war, dass ein Komponist noch vor 20 Jahren so erzogen wurde ein "Brand" anzunehmen und zu vertreten, so wie "Minimalist" oder "der-mit-den-rein-gestimmten-Stücken-für-Piano", um Erfolg zu haben - heute sei diese Typisierung der Gattung eher hinderlich, um als Komponist Gehör zu finden - fand ich sehr ermutigend.

Grüsse
pyro
 
Ich bin dafür, die Dinge im Geheimnisvollen zu belassen, und ich habe nie Vergnügen daran gefunden, etwas zu verstehen. Wenn ich etwas verstehe, kann ich nichts mehr damit anfangen. Deshalb versuche ich, Musik zu machen, die ich nicht verstehe und die auch für andere Menschen schwer zu verstehen ist.
John Cage, 1983
 
Wir jüngeren nehmen das mit E und U aber eigentlich nicht so ernst. Oder?
Allerdings finde ich, dass Netlabels und CC bis sonstwo eher populär arbeiten und daher die Neue Musik oft sich selbst auch gern exponiert und das halte ich für einen Fehler. Man würde sicher mehr machen können, wenn man weniger spartig arbeiten würde.
 
Wie ist denn hier eigentlich die Rechtslage in Sachen Zitate? Länge könnte kritisch sein, außerdem fehlt eine Quellenangabe.
 
Mir würde ein Link mit 1-2 Sätzen als Zitat (Essenz) recht sein, wegen Bandbreite und Copyright, der Rest steht schon in den Regeln. Weise ich gern mal drauf hin, auch bei Wikipedia (wo lange Passagen CC sind) wäre mir lieb, wenn nur max 1-2 Sätze mit Bedeutung zitiert würden und der Rest nur verlinkt.

Eure allwissende und moderierende Müllhalde.
 
Kann schlecht zu meinen Büchern verlinken, da diese keinen Internet-Anschluss besitzen.
Wäre mir recht, weiterhin keinen Scheiß mehr lesen zu müssen.
 
Nun, man muss aufpassen oder notfalls kann man ja auch einfach mit eigenen Worten beschreiben, dies wäre rechtlich stets unproblematisch und drunter nen Link, wo man das nachlesen kann. Will auch das Thema nicht mit übermäßig viel Metablahblah verlabern. Bitte nur zur Beachtung. Gilt aber für alle externen Artikel. Ob Bücher einfach so ins Netz kopiert werden dürfen? Ich vermute eher nicht. Daher bitte vorsichtig sein damit oder ggf. Freigabe einholen.

Soviel dazu, zurück zum Thema..
 
Sei froh um jedes anspruchsvolle Thema jenseits von elektronischem Gedudels.
 
Elektrokamerad schrieb:
Kann schlecht zu meinen Büchern verlinken, da diese keinen Internet-Anschluss besitzen.

Sorry, niemand kann soo dumm sein.
Quellen gehören genannt, und wenn offensichtlich private Kommunikation veröffentlich wird, tut man gut daran die Legitimation dafür anzugeben. Schon alleine, um nicht unnötig vom Blockwart angepfiffen zu werden. Tut doch nicht weh, oder?

Wäre mir recht, weiterhin keinen Scheiß mehr lesen zu müssen.

Wer zwingt Dich dazu?
 
Elektrokamerad schrieb:
Sei froh um jedes anspruchsvolle Thema jenseits von elektronischem Gedudels.

Ich habe nichts gegen diese Dinge, ich reagiere nur auf das bisher Gesagte, da es nach Admin klingt. Ich bitte hiermit die User diese Dinge selbst Verantwortungsvoll zu prüfen. Das ist in hoch diskutierten Themen wie Urheberrecht, Umgang mit diesen Dingen schon wichtig, aber ich steh auch nicht auf eine Vorzensur im Kopf.

Zunächst sollte es einfach dabei bleiben, dass dies hiermit gesagt ist.
Die Themen ansich kann man selbstverständlich auch gern mit eigenen Worten oder kurzen Zitaten belegen mit Quellenangabe, letztere gibst du ja immer an, was schonmal sehr gut ist. Ich hab mir sogar bei Bildern überlegt, ob nicht ein klickbarer Link drunter immer erscheint, aber hier beherrscht sicher jeder den Rechtsklick. Die wollen alle nichts verantworten. Aber ich glaub schon,dass dies allgemein verstanden wird. Also gern keine Eigenzensur, aber ein mit großer Tendenz zu eigenen Worten ist ratsam und sowieso für Verständnis und Kommunikation nur förderlich und hilfreich. Bei Mehrfachnutzung von Texten ist ein Link zum Content in einem alten Thread auch ausreichend. Das spart auch Tipparbeit. Ansonsten gelten halt hier die Regeln der Bundesrepublik Deutschland und so weiter.

Bitte lasst uns das Thema Rechte damit auch beenden. Danke.
 
texte_zur_musik_4.jpg


Quellenangabe: Seite 620-624
 
Richtiges Zitieren:
Titel, Autor, Ort des Verlages und Verlag, Edition bzw. Auflage, Jahr.
Ggfs. dann noch eine ISBN Nummer.
Seitenzahl.
Ist doch nicht schwer - warum also Bilder posten?

Übrigens ergibt dieser Satz keinen Sinn:
Wäre mir recht, weiterhin keinen Scheiß mehr lesen zu müssen.
Weiterhin impliziert, dass du von einem Ist-Zustand berichtest, der beibehalten werden soll, mehr impliziert dagegen, dass eine Änderung angestrebt wird. Du lässt nach! Gib dir wieder mehr Mühe, dann gibt's auch wieder Smileys im Aufgabenheft!

Schöne Zitate übrigens! Bitte mehr davon.
 
Wäre mir recht, zukünftig keinen Scheiß mehr lesen zu müssen.
 
Elektrokamerad schrieb:
nur wenige periodische Rhythmen - überhaupt wenig Elemente, die man schon kennt -

woher kommt diese geringschätzung der periodischen/afrikanischen rhythmik bei stockhausen? bei techno "grooves" kann ich das nachvollziehen, da die sich tatsächlich monoton wiederholen. aber nicht zb bei ostinato-rhythmen in der kubanischen rumba. die rhythmik ist dort ein eigener kosmos, in dem es unglaublich viel zu entdecken gibt. selbst wenn man darauf natürlich als europäer nicht tanzen kann (bitte nicht...). ich glaube, stockhausen fehlte da jede hörerfahrung.

an tanzmusik kann ich auch nichts schlechtes finden. allerdings hätte ich auch keine lust, zu monton-techno zu tanzen. die maschinelle wiederholung empfinde ich als faulheit, nicht als stilmittel. wenn das dann noch teutonisch gerade über vier zählzeiten geht um so mehr. abwechslungsreiche grooves (zb wie bei jazzanova - natürlich nicht zu verwechseln mit innovativ nach dem stockhausen-anspruch) zu programmieren wäre ja sehr viel mühe und die machen sich viele nicht. hauptsache sie verwenden analoge maschinen, bei denen angeblich jedes bumm jedes mal ein bisschen anders klingt.


"I wish those musicians would not allow themselves any repetitions, and would
go faster in developing their ideas or their findings, because I don't
appreciate at all this permanent repetitive language. It is like someone who
is stuttering all the time, and can't get words out of his mouth. I think
musicians should have very concise figures and not rely on this fashionable
psychology. I don't like psychology whatsoever: using music like a drug is
stupid. One shouldn't do that : music is the product of the highest human
intelligence, and of the best senses, the listening senses and of
imagination and intuition. And as soon as it becomes just a means for
ambiance, as we say, environment, or for being used for certain purposes,
then music becomes a whore, and one should not allow that really; one should
not serve any existing demands or in particular not commercial values. That
would be terrible: that is selling out the music.

I heard the piece Aphex Twin of Richard James carefully: I think it would be
very helpful if he listens to my work Song Of The Youth, which is electronic
music, and a young boy's voice singing with himself. Because he would then
immediately stop with all these post-African repetitions, and he would look
for changing tempi and changing rhythms, and he would not allow to repeat
any rhythm if it were varied to some extent and if it did not have a
direction in its sequence of variations.

And the other composer - musician, I don't know if they call themselves
composers...

They're sometimes called 'sound artists'...

No, 'Technocrats', you called them. He's called Plasticman, and in public,
Richie Hawtin. It starts with 30 or 40 - I don't know, I haven't counted
them - fifths in parallel, always the same perfect fifths, you see, changing
from one to the next, and then comes in hundreds of repetitions of one small
section of an African rhythm: duh-duh-dum, etc, and I think it would be
helpful if he listened to Cycle for percussion, which is only a 15 minute
long piece of mine for a percussionist, but there he will have a hell to
understand the rhythms, and I think he will get a taste for very interesting
non-metric and non-periodic rhythms. I know that he wants to have a special
effect in dancing bars, or wherever it is, on the public who like to dream
away with such repetitions, but he should be very careful, because the
public will sell him out immediately for something else, if a new kind of
musical drug is on the market. So he should be very careful and separate as
soon as possible from the belief in this kind of public."

http://www.stockhausen.org/ksadvice.html
 
jazz_20090801_Markus_Stockhausen.jpg


So weltfremd, wie er manchmal zu sein scheint, war er gar nicht. Ich erinnere mich an ein Jazz-Konzert mit seinem Sohn Markus an der Trompete, das vor vielen Jahren (Ende der der 70er?) in der Bonner Jazz Galerie stattfand. Stockhausen saß da stocksteif mit geschlossenen Augen und hörte konzentriert zu. Vor sich ein riesen Humpen Bier.
 
fab schrieb:
allerdings hätte ich auch keine lust, zu monton-techno zu tanzen. die maschinelle wiederholung empfinde ich als faulheit, nicht als stilmittel.
Ich mag das nicht mehr so wie früher, es wurde mir eben irgendwann auch zu monoton.

hauptsache sie verwenden analoge maschinen, bei denen angeblich jedes bumm jedes mal ein bisschen anders klingt.
Kann man auch im Rechner machen, dauert halt nur länger. Meine alte SB-32 Soundkarte hat das von selbst gemacht und damals wollte ich das eigentlich gar nicht haben, also das die Bass Drum und die Snare, eigentlich alles, jedes mal ein wenig anders klingt. Manchen scheint das eben wichtig zu sein, anderen eben wieder überhaupt nicht.

Schlimmer finde ich da Arpegiator Gedudel bis zum erbrechen, dazu gesellt sich dann meist noch eine Fläche oder mehrere, langweilige Drums + eiernden Lead Sound und gekrönt wird das Ganze dann von einem grausamst vorhersehbaren Arrangement. Klar, ist vermutlich auch eine Geschmacksfrage, aber mich verfolgt solche Musik regelrecht und von daher mag ich mir seit längerem schon keine Podcasts mehr in die Richtung "Elektronik" anhören. Vermutlich habe ich auch nur Pech, oder habe es mir einfach überhört und kann es einfach nicht mehr hören. Was die Leute dafür oder für andere Musik meinen verwenden zu müssen ist mir dagegen völlig unwichtig, denn gruseliges oder belangloses wird dadurch für mich auch nicht hörbarer.
 
fab schrieb:
an tanzmusik kann ich auch nichts schlechtes finden. allerdings hätte ich auch keine lust, zu monton-techno zu tanzen. die maschinelle wiederholung empfinde ich als faulheit, nicht als stilmittel. wenn das dann noch teutonisch gerade über vier zählzeiten geht um so mehr. abwechslungsreiche grooves (zb wie bei jazzanova - natürlich nicht zu verwechseln mit innovativ nach dem stockhausen-anspruch) zu programmieren wäre ja sehr viel mühe und die machen sich viele nicht.

warum beschränkt sich dein feines gespür für faulheit auf den handwerklichen prozess? die reproduktion des immer gleichen ist die faulheit - ob das minimal techno, idm oder downbeat mit soul-einflüssen ist.
 
das sind zwei verschiedene ebenen der weiterentwicklung. erstens die ausarbeitung im detail und zweitens die konzeptionelle weiterentwicklung. stockhausen verlangt beide.

mir reicht vielfach schon die erste. ich selbst arbeite mich daran genügend ab und mir liegt es daher eher fern, die zu kritisieren, die immerhin das erreicht haben.

jazzanovas erste platten waren darüber hinaus auch konzeptionell neu und das lag nicht zu knapp an der konsequenz im detail. konzeptionelle "innovation" ohne handwerkliche voraussetzungen und daher ohne gestaltung im detail funktioniert nicht. daszu gab es ja schon ein schönes stockhausen-zitat in einem anderen thread.
 
Mein kritischer Beitrag vom August 2008 zu der neuen CD von Herrn Moogulator scheint mir auch hier passend zu sein.
viewtopic.php?f=31&t=26356&start=0

Ich bin kein Musikwissenschaftler, ich bin kein Journalist. Ich habe das nicht studiert. Ich möchte dennoch zu dem vorgestellten Musikprodukt Stellung nehmen, da es ja von einem renommierten Forumteilnehmer stammt und einen gewissen Anspruch, alleine schon aufgrund seiner Käuflichkeit, hat.

Auszüge, wie die auf der angegebenen Website, können selbstverständlich nie die Wirkung eines umfangreichen sich entwickelnden Musikstückes widerspiegeln. Der Entschluss, diese mehrere Sekunden andauernden Musikschnipsel als Referenz, als Appetizer zum Kauf, ins Netz zu stellen, zeugt von dem Anspruch, dass der Zuhörer einen prägenden Eindruck vom Produkt erhalten kann. Habe ich dann auch.

Bei aller Verspieltheit des Ausführenden und möglicherweise - für den Zuhörer in keinem Fall nachvollziehbaren - Raffinesse bei der Klangforschung und -findung, sind die aneinander gereihten Klänge für den traditionellen Zuhörer (Mur/Doll) zwar ungewöhnlich, in ihrer Beliebigkeit jedoch austauschbar. Eine musikalische Entwicklung eines Klangs aus dem anderen, d.h. eine Vermittlung von Klängen, findet indes nie statt. Statt dessen werden - bei allem Anspruch an Novität und Klangexpertentum - mittels einfachstem Viervierteltakt Klänge wie in einem Klangbauchladen vorgeführt: "Hier habe ich diesen, dort jenen." Das kann schlussendlich jeder, der sich ein bisschen technische Kompetenz gekauft hat, und das reicht nicht.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass für den Komponisten und Ausführenden aufgrund seines ehrlichen Bemühens durchaus Sympathie zu bekunden ist, die CD ist jedoch letztendlich in ihrer musikalischen Einfallslosigkeit und kompositorischen Rückwärtsgewandtheit überflüssig.

Empfehlung: Finger weg
 
fab schrieb:
Elektrokamerad schrieb:
nur wenige periodische Rhythmen - überhaupt wenig Elemente, die man schon kennt -

...
I heard the piece Aphex Twin of Richard James carefully: I think it would be
very helpful if he listens to my work Song Of The Youth, which is electronic
music, and a young boy's voice singing with himself. Because he would then
immediately stop with all these post-African repetitions, and he would look
for changing tempi and changing rhythms, and he would not allow to repeat
any rhythm if it were varied to some extent and if it did not have a
direction in its sequence of variations.

And the other composer - musician, I don't know if they call themselves
composers...

They're sometimes called 'sound artists'...

No, 'Technocrats', you called them. He's called Plasticman, and in public,
Richie Hawtin. It starts with 30 or 40 - I don't know, I haven't counted
them - fifths in parallel, always the same perfect fifths, you see, changing
from one to the next, and then comes in hundreds of repetitions of one small
section of an African rhythm: duh-duh-dum, etc, and I think it would be
helpful if he listened to Cycle for percussion, which is only a 15 minute
long piece of mine for a percussionist, but there he will have a hell to
understand the rhythms, and I think he will get a taste for very interesting
non-metric and non-periodic rhythms. I know that he wants to have a special
effect in dancing bars, or wherever it is, on the public who like to dream
away with such repetitions, but he should be very careful, because the
public will sell him out immediately for something else, if a new kind of
musical drug is on the market. So he should be very careful and separate as
soon as possible from the belief in this kind of public."

http://www.stockhausen.org/ksadvice.html

Danke Fab. Genau diese Arroganz unterstelle ich vielen E-Musikern wie auch Stockhausen. Der Mann ist einfach alles andere als bescheiden. Das mag ich nicht. Das heisst nicht, dass es E-Musiker gibt, die dass was "die Jugend" musiziert, nicht zu schätzen wisssen. Z.B. passend hier die Remixes für Philip Glass.
 
Ich verstehe die Einlassung von Herrn Stockhausen nicht als Arroganz, sondern als Mantra, gerichtet an begabte Klangkünstler, die Musik in ihrer Gesamtheit einer Prüfung zu unterzeihen und sich weiter zu öffnen. Hätten wir unter Umständen alles was von. Herr Stockhausen war sehr lieb, konnte einem aber schon mal den Zahn ziehen. Guter Stocki. Gefällt mir.
 
@ Lauflicht

Muss man den bescheiden sein um eine Meinung zu haben, bzw. wenn diese eventuell vielen nicht passt sollte man sich damit dann tunlichst zurückhalten auch, wenn es das ist von dem man selbst überzeugt ist? Das hast du natürlich nicht gesagt, soll also keine Unterstellung sein oder anderes. Es dreht sich doch bei vielen im Leben ständig um Anpassung und sich verbiegen müssen, von daher meine ich nicht das man sich den Freiraum auch noch in der Musik oder Kunst nehmen lassen, bzw. selbst nehmen muss.

Vielleicht sollte man Aussagen von Stockhausen auch eher im dem Kontext der Zeit sehen und was sich da so um ihn herum musikalisch tat, also eher die ersten Paar Jahre um ihn zu verstehen. Das ist eine Vermutung, denn ich weiß auch nicht ob das dann einfacher wird, oder ob das überhaupt zu etwas führen würde.
 
@ Elektrokamerad, Illya F.
Ja, OK. Kann man so sehen. "Arroganz" ist dann doch etwas zu hart als Begriff von mir. Habe leider nicht mit ihm diskutieren können. Wäre sicherlich interessant geworden. Eine gewisse Gemeinsamkeit mit einem Dekonstruktionsansatz haben er und die "Junge Generation" ja auch - ist zumindest meine Meinung. Man darf aber auch andersherum nicht unerwähnt lassen, dass die "Junge Generation" in Interviews immer die "Alte Generation" (Kraftwerk, KHS, Cage, Glass...) gelobt hat bzw. noch tut.
 
[. Man darf aber auch andersherum nicht unerwähnt lassen, dass die "Junge Generation" in Interviews immer die "Alte Generation" (Kraftwerk, KHS, Cage, Glass...) gelobt hat bzw. noch tut.[/quote]


Hi,
...wobei ich manchmal den Eindruck habe, dass es für viele zum "guten Ton" gehört, sich auf die "alten Heroen" zu berufen, ohne dass man sie wirklich verstanden oder "assimiliert" hat.
Gruß
 
Im Sinne Stockhausens dürften auch Kraftwerk keinerlei Chancen gehabt haben. Es dürfte sehr viel Faulheit (Wiederholungen) und so breits ausgereicht haben. Kraftwerk sind saher zeitgeistlich nur früher und würden ähnlich behandelt wie AFX oder Hawtin im Text, näwahr? So auch die Beatles, womit man dann schon einen Zeitlauf hat. Es war halt eben (fast?) alles irgndwie Müll aus der U-Ecke. Nachvollziehen kann man das aber schon, wieso und warum. Das gehört auch dazu. Akademische Musik ist gern so. Habe auch mit Leuten dieser Art schon zusammengearbeitet und eine ganz andere Denkweise kennengelernt. Und anders meint eben anders. Durchaus interessant. Dirk möchte hier diesen Geist vertreten und deshalb...

Übrigens haben sich viele Klassik-Performer auch ähnlich geäußert, zB über Pop. Aber es kann auch sein, dass 98% nicht toll sind und nur der Rest Brilliant. Wie gesagt - eine bestimmte Betrachtung lässt das durchaus zu. Die Frage ist also auch sprachlicher Natur und solcher der Abgrenzung um sich auch aufzuwerten und seinem "genre" mehr Gewicht? Naja, ein bissschen vielleicht. Aber es gibt diese Sicht und damit kommt man klar. ICh zB mache Musik in einem Genre, was nie von irgendwem einigermaßen angesehen war, wenn es um die populäre Schiene ging (hab auch klassische und andere Musik gehört, aber das klammere ich mal hier aus).
 
Das heisst nicht, dass es E-Musiker gibt, die dass was "die Jugend" musiziert, nicht zu schätzen wisssen. Z.B. passend hier die Remixes für Philip Glass.

Das stimmt so nicht! Reich hat im prinzip das gleiche gesagt wie stockhausen, nur nicht so provokativ!
(Ich finde sie auch sehr modisch...)

Man müßte mal Holger Czukay (can) hören, der hat doch 3 jahre bei stockhausen studiert und danach pop gemacht!

Im übrigen denke ich, das diese leute recht haben sowas zusagen, weil sie einfach tausend mal weiter sind als man selbst
und damit BEZIEHUNGEN "hören" die wir nicht hören!!!

Ich glaube auch nicht, das stockhausen jemals etwas schlechtes über musik gesagt hat (er hat auch nichts schlechtes zur tradition gesagt)

p
 


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