Es gibt ein menschliches Grundbedürfnis nach Schwebungen

Z

Zotterl

Guest
...in der Musik.
„Es gibt ein menschliches Grundbedürfnis nach Schwebungen in der Musik. Vergleicht man unterschiedliche musikalische Traditionen, wird man immer wieder – in den verschiedensten Ausführungen – auf die Lust an „falschen“, d.h. minimal von den Proportionen der Teiltonreihe abweichenden Intervallen stoßen [...] Ich vermute dass das zwölftönige temperierte Tonsystem nicht trotz, sondern wegen seiner abstrakten Intervalle so verbreitet ist: wegen seiner wunderbar „falschen“, schwebungsreichen Dur- und Dominantseptakkorde.“ So schreibt Georg Friedrich Haas in seinem Text "fünf Thesen zur Mikrotonalität".
Was haltet Ihr von der These? (Den Komponist mal beiseite lassend und losgelöst von der Neuen Musik)

Wo ist die Grenze zwischen komponierten Schwebungen und mikrotonaler Musik? (so es eine gibt)

http://www.netzwerkneuemusik.de/index.p ... s&did=4069
 
Die wohltemperierte Stimmung is nicht toll weil sie toll klingt (ganz im Gegenteil, viele "Audiophilisten" haben zu meckern und ziehen eine reine (pythagoräische) Stimmung vor), sondern weil sie dem Musiker so viele musikalische Möglichkeiten eröffnet. Die These dass sich die wohltemperierte Stimmung wegen ihrer Schwebungen etabliert hat ist witzig und interessant, aber ich glaube es nicht. Ich glaub eher, dass die Leute zuvor ernsthafte praktische Probleme hatten beim gemeinsamen musizieren und dass die wohltemperierte eine Erlösung für jeden Musikus war! Gegen die These spricht außerdem, dass es bei reinen Stimmungen zu viel reichhaltigeren .... "Schwebungen" (sehr freundlich ausgedrückt) kommt, wenn man die Tonart wechselt.

Prof. Hinrichsen von der Fakultät für Computerphysik in Würzburg hat sich in seiner Freizeit mit dem Thema Spreizung beschäftigt:
Original von: http://www.physik.uni-wuerzburg.de/~hin ... index.html
Dabei stellte sich heraus, dass mehrere Töne als “harmonisch” oder “gestimmt” wahrgenommen werden, wenn die Entropie der überlagerten Spektren minimal ist, was der bestmöglichen Überlappung der Obertonspektren entspricht.

So wie ich das sehe, spricht das eigentlich auch gegen die Eingangsthese.

Disclaimer: Dass wir gerne Schwebungen haben und der Klang von Klavier, Hackbrett oder 12-Saiter viel "schmeichelnder" ist als der von Clavinet, Berinbau oder Katzendarm, darüber sind wir uns wahrscheinlich alle einig. Das einzige was ich hier dementieren möchte, ist die These, dass sich diese Affinität zu Schwebungen in der Wahl der Stimmung niederschlägt.
 
Generell ist da ein Beduerfnis nach Veraenderung, bei statischen Wellenformen schaltet die Wahrnehmung schnell ab, daher sollte man bei erstellen eigener Wellenformen (additiv, FM, gezeichnet etc.), die Wellenformen zumindest leicht modulieren, doppeln oder 'nen Chorus drauf legen.
 
@psicolor: danke für den Link.
was ich hier dementieren möchte, ist die These, dass sich diese Affinität zu Schwebungen in der Wahl der Stimmung niederschlägt
Soweit ich weiß, legt Haas sich bei dieser These nicht auf eine bestimmte Stimmung fest.
die vergrößerte Oktave beim Slendro (Gamelan) und indische Raga-Musik führt er an anderer Stelle auch als Beispiele an.


@Summa:
Generell ist da ein Beduerfnis nach Veraenderung, bei statischen Wellenformen schaltet die Wahrnehmung schnell ab.
Wie war das: Bewegung ist Leben…auch im kleineren Bereich der Tonalität…
 
Zotterl schrieb:
Generell ist da ein Beduerfnis nach Veraenderung, bei statischen Wellenformen schaltet die Wahrnehmung schnell ab.
Wie war das: Bewegung ist Leben…auch im kleineren Bereich der Tonalität…
Falsch. Ungleichförmige Bewegung wenn dann, also Beschleunigung ungleich Null, somit Geschwindigkeit nicht konstant. Sonst haben wir relativ gesehen wieder keine Bewegung. Relative Bewegung, ja, absolute Bewegung, nein.
 
TonE schrieb:
Falsch. Ungleichförmige Bewegung wenn dann, also Beschleunigung ungleich Null, somit Geschwindigkeit nicht konstant. Sonst haben wir relativ gesehen wieder keine Bewegung. Relative Bewegung, ja, absolute Bewegung, nein.
Das hinkt ordentlich.
Die Beantwortung der Frage nach dem o. g. Grundbedürfnis ist eine Sache des Standpunktes - also relativ
und somit im Sinne der Fragestellung richtig.
 
Summa schrieb:
Generell ist da ein Beduerfnis nach Veraenderung, bei statischen Wellenformen schaltet die Wahrnehmung schnell ab, daher sollte man bei erstellen eigener Wellenformen (additiv, FM, gezeichnet etc.), die Wellenformen zumindest leicht modulieren, doppeln oder 'nen Chorus drauf legen.
Das ist aber auch nur eine Frage der Gewöhnung. Mir geht es so, dass derzeit der für mich reizvollste Polysynth-Sound der pure Sägezahn aus dem Juno 6 ohne Chorus ist. Der hat natürlich dank temperierter Stimmung auch Schwebungen aber auch diese sind phasenstarr und nicht veränderlich. Die Prägnanz des Klangs ist aber großartig.
 
fanwander schrieb:
Das ist aber auch nur eine Frage der Gewöhnung. Mir geht es so, dass derzeit der für mich reizvollste Polysynth-Sound der pure Sägezahn aus dem Juno 6 ohne Chorus ist. Der hat natürlich dank temperierter Stimmung auch Schwebungen aber auch diese sind phasenstarr und nicht veränderlich. Die Prägnanz des Klangs ist aber großartig.
Vielleicht auch eine Frage des Kontextes: etwas "Sterilität" innerhalb eines ansonsten dicken Tracks, kann sicherlich ganz gut kommen.
 
fanwander schrieb:
Mir geht es so, dass derzeit der für mich reizvollste Polysynth-Sound der pure Sägezahn aus dem Juno 6 ohne Chorus ist. ... Die Prägnanz des Klangs ist ... großartig.

ach und das ist kein "geschiss-sound"? :twisted: :kaffee:
c´mon, langweiliger gehts kaum :mrgreen:
 
Zotterl schrieb:
Was haltet Ihr von der These? (Den Komponist mal beiseite lassend und losgelöst von der Neuen Musik)

ist mir viel zu theoretisch
bei den non-western stimmungen passieren einfach ganz andere Sachen in meinem kopf
ist doch wurst ob die schwebung aus dem stimmungsintervall oder "dem sound selbst" kommt hauptsache da schwebt was :kaffee:
grundbedürfniss ist auch arg übertrieben - schwebungen werden meist als angenehm (nicht langweilig) empfunden.
 
Zotterl schrieb:
Vielleicht auch eine Frage des Kontextes: etwas "Sterilität" innerhalb eines ansonsten dicken Tracks, kann sicherlich ganz gut kommen.

das sehe ich auch so.Ich lasse gerne in meinen Tracks in denen es in vielen hinsichten sehr dynamisch zugeht auch dann und wann
mal gerne etwas erscheinen was total steril ist und zwar aus dem Grund um einen crassen Gegensatz in dem Track zu verankern
sowas gehört einfach dazu finde ich.Bei einigen Electroplatten der frühen 80er findet man sowas.siehe hier:
 
fanwander schrieb:
Summa schrieb:
Generell ist da ein Beduerfnis nach Veraenderung, bei statischen Wellenformen schaltet die Wahrnehmung schnell ab, daher sollte man bei erstellen eigener Wellenformen (additiv, FM, gezeichnet etc.), die Wellenformen zumindest leicht modulieren, doppeln oder 'nen Chorus drauf legen.
Das ist aber auch nur eine Frage der Gewöhnung. Mir geht es so, dass derzeit der für mich reizvollste Polysynth-Sound der pure Sägezahn aus dem Juno 6 ohne Chorus ist. Der hat natürlich dank temperierter Stimmung auch Schwebungen aber auch diese sind phasenstarr und nicht veränderlich. Die Prägnanz des Klangs ist aber großartig.

War von mir auf die Sensorik und deren Verarbeitung bezogen, was ein Mensch reizvoll findet haengt auch von div. anderen Faktoren ab. z.B. durch die Verknuepfung bestimmter Inputs mit bestimmten Erlebnissen.
 
psicolor schrieb:
Disclaimer: Dass wir gerne Schwebungen haben und der Klang von Klavier, Hackbrett oder 12-Saiter viel "schmeichelnder" ist als der von Clavinet, Berinbau oder Katzendarm, darüber sind wir uns wahrscheinlich alle einig. Das einzige was ich hier dementieren möchte, ist die These, dass sich diese Affinität zu Schwebungen in der Wahl der Stimmung niederschlägt.

Wobei die bis zu 3 Saiten beim Klavier ja nicht verstimmt sind und Schwebungen wie detuned VCOs erzeugen, sondern die Energie lustig zwischen den Saiten hin und her wandert und dadurch das Abklingverhalten ändert.
 
Das hier noch zum Thema gefunden (auch von Haas):
Empirisch lässt sich nachweisen, dass es nicht die Übereinstimmung mit den
Proportionen der Teiltonreihe ist, die in den unterschiedlichen Musiktraditionen
gesucht wird, sondern die Abweichung davon: nicht die Verschmelzung, sondern die Reibung.
 
fanwander schrieb:
Wie weist er das empirisch nach? Das ist ja die eigentlich interessante Frage.
Würde mich auch interessieren.
Für den Thread aber nicht primär wichtig, da mich EURE persönliche Meinung zum Schwebungs/-mikrotonal-Thema
interessiert. Und die muß nicht mal wissenschaftlich fundiert/belegt sein ;-)
 
Zotterl schrieb:
fanwander schrieb:
Wie weist er das empirisch nach? Das ist ja die eigentlich interessante Frage.
Würde mich auch interessieren.
Für den Thread aber nicht primär wichtig, da mich EURE persönliche Meinung zum Schwebungs/-mikrotonal-Thema
interessiert. Und die muß nicht mal wissenschaftlich fundiert/belegt sein ;-)
Na gut - hätte mich nur eben interessiert.

Grundsätzlich glaube ich nicht, dass eine bekanntes Schwebungsmuster zur (Wieder)Erkennung von gewohnter Harmonik dient. Dazu sind natürliche Instrumente viel zu unexakt.
Das gleiche gilt ja auch bei polyphonen VCO-basierten Synths. Hier fallen die harmoniebedingten Schwebungen im Vergleich zu den durch technischen Fehlstimmung der VCOs bedingten Schwebungen überhaupt nicht ins Gewicht.

Ich denke ausserdem, dass die Schwebungen durch Mehrchörigkeit (wie bei doppeltgespannten Saiten oder mehreren VCOs pro Stimme) nicht das Thema von Haas sind.

Und dann würde mich interessieren was Haas von der südeuropäischen Vokalmusik (diese rumänischen Frauenchöre, oder ähnlich die polyphony corse) hält, die ja als ideal hat die Stimmführung schwebungsfrei zu halten.
 
@Florian
Na gut - hätte mich nur eben interessiert.
Ditto.
Nicht jeder Komponist ist so auskunftsfreudig wie z. B. ein Stockhausen und/oder eben nicht bekannt/bedeutend genug, dass man überall Infos dazu findet.
Aber: im Pfau-Verlag gibt es ein kleines Buch zu Haas.

Evtl. wäre auch die Beschäftigung mit Ivan Wyschnegradksy interessant, auf den sich Haas des Öfteren beruft.
http://de.wikipedia.org/wiki/Iwan_Wyschnegradsky
 
das orchestrale argument kann ich gut nachvollziehen. da eröffnen sich andere dimensionen um verschiedenste klänge besser zusammen zu organisieren.

aber ich denke die aussage ist auf ein klangelement/effekt fokussiert.
ich empfinde es so dass ein bestimmter klangeffekt *mich* bewegt weil ich ihn mit bestimmten erfahrungen verknüpfe. zbsp dopplereffekt > ich bewege mich auf eine klangquelle zu.

man kann mit dieser akustischen simulation sicherlich spielen. entweder man versucht extremes schwirren, hektik, irritation hervorzurufen (dubstep) oder man versucht den absoluten ruhepunkt zu finden(evtl diese vokalmusik)
 
swissdoc schrieb:
psicolor schrieb:
Disclaimer: Dass wir gerne Schwebungen haben und der Klang von Klavier, Hackbrett oder 12-Saiter viel "schmeichelnder" ist als der von Clavinet, Berinbau oder Katzendarm, darüber sind wir uns wahrscheinlich alle einig. Das einzige was ich hier dementieren möchte, ist die These, dass sich diese Affinität zu Schwebungen in der Wahl der Stimmung niederschlägt.

Wobei die bis zu 3 Saiten beim Klavier ja nicht verstimmt sind und Schwebungen wie detuned VCOs erzeugen, sondern die Energie lustig zwischen den Saiten hin und her wandert und dadurch das Abklingverhalten ändert.

Das is mir neu! Wundert mich auch, da sich ein Klavier ja tatsächlich ein wenig anhört wie ein "ge-Chorustes" CP80
 
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