Improvisieren hemmungslos

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Anonymous

Guest
Aktueller Spiegel-Online Artikel.

Vorweg mein Hinweis: Die beziehen sich darin auf Jazzmusiker. Aus eigener Erfahrung kann ich aber bestätigen, dass das unabhängig von der Musikrichtung funktioniert. Also ruhig weiterlesen, auch als Elektriker.



Gehirn Scan

Jazzmusiker improvisieren hemmungslos


Wenn Jazzmusiker improvisieren, verlieren sie jegliche Hemmungen: Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die für Selbstkontrolle zuständige Hirnregion beim freien Spielen unterdrückt wird - Regionen für die Darstellung der Persönlichkeit hingegen sind aktiver.

Kreativität ist ein wesentliches Merkmal menschlichen Verhaltens. Wo sie im Gehirn ihren Ursprung hat, verstehen Forscher bislang aber kaum. Jetzt haben Forscher versucht, das Geheimnis mit Hilfe von Hirn-Scans zu lüften. Charles Limb und Allen Braun von der Johns Hopkins University in Baltimore haben die Denkorgane von Jazzmusikern bei der Arbeit beobachtet, denn das Markenzeichen dieser Musikrichtung ist die Improvisation. Die Untersuchung ergab, dass die Selbstzensur des Gehirns beim Improvisieren unterdrückt werde, die Darstellung der Persönlichkeit hingegen gefördert, schreiben die Forscher im Online-Fachmagazin "PLoS One".

In einem Magnetresonanztomografen (MRT) mussten sechs Jazzpianisten vier verschiedene Aufgaben erfüllen: Zuerst spielten alle zu einem bestimmten Takt die C-Dur-Tonleiter. Danach improvisierten sie zum gleichen Takt mit den Noten dieser Tonleiter. Dann spielten alle eine auswendig gelernte Melodie und zuletzt improvisierte jeder.

Für die Studie wurde eigens ein Keyboard geschaffen, das die sechs Musiker mit in die Kernspin-Röhre nehmen konnten. Mit Hilfe des MRTs hielten die Forscher dann die Gehirnaktivität der Musiker während normalen Spielens aus dem Gedächtnis und während einer Improvisation fest.

Um der Kreativität auf die Spur zu kommen, betrachteten sie zunächst die während des normalen Musizierens aktiven Gehirnregionen. Dann zogen sie diese von den Aufnahmen des improvisierenden Gehirns ab. Auf diese Weise wollten Limb und Braun die für das Improvisieren einzigartigen Gehirnregionen isolieren.

Das Ergebnis: Bei allen Musikern war zu sehen, dass die Aktivität im sogenannten dorsolateralen präfrontalen Cortex, einer Region im Stirnlappen des Gehirns, deutlich zurückging. Dieses Areal ist für geplante Aktionen und Selbstzensur verantwortlich und beispielsweise während eines Bewerbungsgesprächs sehr aktiv. Geregt hat sich der mediale präfrontale Cortex, in dem Selbstdarstellung und ganz persönliche Handlungen ihren Ursprung haben.

"Wir denken, dass man beim Improvisieren eine Geschichte über sich selbst erzählt und alle hindernden Elemente dafür ausschaltet", sagt Limb über die Ergebnisse der Untersuchung. Die gleichen Mechanismen könnten nicht nur bei Jazzmusikern, sondern bei allen Menschen zu finden sein, meinen die Forscher.

Markus Knauff, Psychologe an der Justus-Liebig-Universität Gießen würde die Ergebnisse etwas vorsichtiger interpretieren: "Die Beobachtung, die die Wissenschaftler hier gemacht haben, ist zuerst einmal einleuchtend", sagt Knauff im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Dennoch könnten bildgebende Verfahren hier nur einen Hinweis liefern. "Nur weil man weiß, wo etwas passiert, kann man noch nicht erklären, wie etwas passiert." Zudem sei jede Hirnstruktur an verschiedenen Mechanismen der Verarbeitung von Informationen beteiligt. Für diese Ergebnisse gäbe es bestimmt noch zehn weitere Interpretationen, so Knauff. Um das zu klären, müssten noch weitere Untersuchungen folgen.

Das Geheimnis der Kreativität ist also nicht gelöst. "Aber jeder Hinweis bringt die Wissenschaft ein Stück weiter, so auch dieser", sagt Knauff.

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mens ... 35,00.html


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Ein bisschen ulkig finde ich das schon, dass die in 2008 auf diese "wissenschaftliche Sensation" kommen, denn im Grunde weiß das ein Musiker, der ne Menge Improvisationen macht schon lange. Meine wichtigsten Erfahrungen auf dem Sektor hatte ich mit einer Reihe von öffentlichen Improvisationen vor Publikum. Das war wie ein ins-kalte-Wasser-springen und hat mich bestimmt mindestens genauso geprägt, wie 10 Jahre Klavierunterricht, und zwar im positiven Sinne.
 
Ja, ich improvisiere auch gerne und viel.
Wobei ich mich aber auch für komplexe detailliert prädeterminierte Abläufe interessiere - beides kann reizvoll und lehrreich sein, man pendelt halt hin und her.

Wobei man auch noch mal differenzieren muss zwischen der klassischen Improvisation und dem von Stockhausen geprägten Begriff der Intuitiven Musik.
Improvisieren tut man meist über irgendetwas, ein Thema o.ä., und man wendet bestimmte Muster an, aus der Tradition oder sonstwoher.
Beim Intuitiven Musizieren sollte man all dies vermeiden, wirklich "leer" werden und sozusagen von einem Punkt Null aus spielen.

Gruß,
Markus
 
Ja, diese verschiedenen Improvisationsarten zu unterscheiden macht auch Sinn, wenn man das im Ensemble tut. Die mit den groben Absprachen sind auch ganz gut für meinen Geschmack, das ist sowas wie ein Netz bei den Artisten :D

Am spannendsten finde ich letztlich die ganz freien Improvisationen. Allerdings was Öffentlichkeit angeht unter Vorbehalt. Das kann dann nämlich auch kalt erwischen, was dann da auf der Bühne abgeht. Trotzdem habe ich das Publikum oft als überraschend offen und geradezu dankbar erlebt, auch wenn es sich für uns manchmal etwas schräg angehört hat. Das Publikum erlebt das wohl anders und, na ja, teilweise auch anspruchsloser bzw. erwartungsfreier, was ich angenehm finde.
 
kpr schrieb:
Am spannendsten finde ich letztlich die ganz freien Improvisationen. Allerdings was Öffentlichkeit angeht unter Vorbehalt.

Das kommt ganz auf die Qualität der Musiker an.
Wenn die ihre Instrumente nicht beherrschen oder den Kopf voller Klischees haben, kommt da oft die größte Scheiße bei raus.
Wenn es aber wirklich gute Leute sind, kann es auch Sternstunden geben.

Gruß,
Markus
 
Das ist ja das spannende an der Improvisation, dass man vorher nicht weiß ob's ' ne Sternstunde oder Müll wird.

Als jemand der das nur bedingt beurteilen kann würde ich schätzen, dass eine gelungene Improvisation so in etwa das befriedigendste Erlebnis überhaupt für einen Musiker sein kann.

Allerdings sieht es für das Publikum (wie mich) oft anders aus.
Was für den Musiker durchaus noch Sinn machen kann, muss es für den Zuhörer, der ja in der Regel ganz andere musikalische Erfahrungen hat, nicht unbedingt.

So ist es mir jedenfalls letzten Sommer beim Jazzfestival in Edinburgh beim Brian Kellock Trio gegangen. Anfänglich waren dessen Improvisationen noch nachzuvollziehen, doch je mehr er sich, offensichtlich mit Freude, hineinsteigerte, desto weniger hatte ich davon. (War trotzdem ein gutes und interessantes Konzert)
 
freie improvisation find ich auch mit das spannenste, was es in der musik gibt. wenn man es schafft, wirklich frei zu sein, dann kann das auch wirklich interessant werden. Das bestätigt auch imo, dass Freiheit keine "Gabe" von aussen, sondern eine "Fähigkeit" von innen ist.

Sehr spannend der Artikel. Doch glaube ich, dass man diesem Phänomen wenn überhaupt nur ansatzweise mit wissenschaft auf die Spur kommen kann, da sich das Gehirn schon im Mutterleib (oder vielleicht schon vorher :) ) ganz individuell ausbildet. Daher ist das Statement des Gießener Forschers sehr gut und richtig.

Bei der kollektivimprovisation bezweifle ich of das mit der Selbstdarstellung so stimmt, wie das im Artikel dargestellt wird. Denn da geht es meiner Efahrung nach vor allem darum sich von der eigenen Persönlichkeit zu lösen und extrem auf das zu achten was die anderen machen. Da ist die Fähigkeit zur Ruhe sehr wichtig. Weil in der Stille sich erst die richtig interessanten Sachen herausbilden können. Das ist ähnlich wie in einem normalen Gespräch. Wenn alle immer nur reden und auf ihrem Standpunkt verharren und diesen pausenloß Nachdruck verleihen wollen ohne mal zuzuhören was andere denken, bildet sich kein Gespräch heraus.
 


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