Maschinenchaos

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Aus einem Kinderbuch von 1971...
 
Das Buch stand seinerzeit bei meinen Großeltern, und ich war damals mit ca. 10 so fasziniert von dieser Zeichnung, dass ich mehrfach "Quasi-Kopien" davon angefertigt habe - also Bilder mit einem ähnlichen Maschinenlabyrinth. ;-)

Hier kannst Du das ganze Buch angucken (die Fotos sind nicht von mir, ich habe sie ergoogelt):

http://www.flickr.com/photos/munkey/set ... 568858162/

Schräg ist auch das da:

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"Birne Kann Alles", Günther Herburger, Luchterhand 1971

Im Vorwort des Buches „Birne kann alles“ schreibt Günter Herburger, wie es zu den
Birne- Geschichten gekommen ist. Jeden Abend will sein Sohn Daniel vor dem Einschlafen eine Geschichte hören, weil er etwas zum Denken braucht. Als dem Vater keine Geschichte mehr einfällt, schlägt Daniel vor, Geschichten über die Glühbirne der Straßenlaterne zu erfinden, die nachts vor seinem Fenster leuchtet. Über Birne kann man immer Geschichten erzählen, erklärt er dem Vater. Nachts arbeitet sie, am Tag, wenn sie ausgeschlafen hat, erlebt sie Abenteuer. Sie ist klug, kann mit jedem sprechen, mit Tieren, Maschinen, Steinen, Todesstrahlen, sie hat kleine Düsenmotoren, ausklappbare Hubschrauberflügel und eine winzige Atombatterie an Bord ihrer Fassung. Sie interessiert sich für alles, ist mutig, liebt die Gerechtigkeit und siegt immer. Kurz: Birne kann alles.

Birne sucht einen Fehler

Im Rechenzentrum für elektronische Rechenmaschinen ist ein Fehler aufgetreten. Die Ingenieure und Kybernetiker suchen in allen Maschinen, wo der Fehler stecken könnte, finden ihn aber nicht. Sobald die Rechenspeicher wie üblich mit Strom geheizt werden, verlieren sie nach vierzig Sekunden ihr Gedächtnis, das heißt, sie wissen nicht mehr, was sie berechnen sollen.

Birne hört an einem Telefonkabel mit, wie Ingenieure mit den Konstrukteuren telefonieren.

“Spannung und Stromstärke stimmen”, sagt ein Ingenieur, “wir haben sie geprüft. Aber jedesmal, wenn wir die Anlage starten, kann sie nicht mehr rechnen.”

“Haben Sie alle Leitungen nachgesehen”, fragt der Konstrukteur. “Ich habe sie getestet, als die Anlage gebaut wurde.”

“Es sind fünf Millionen Stück”, sagt der Ingenieur. “Wir würden Wochen brauchen, bis wir fertig sind.”

“Dann müssen Sie eben nachrechnen, wo der Fehler sitzt.”

“Die Maschine arbeitet doch nicht mehr.”

“Ich kann Ihnen nicht helfen”, sagt der Konstrukteur. “Ein Rechenzentrum besteht aus zuviel Einzelteilen. Nur wer sie zusammengebaut hat, kennt sich darin aus.”

Birne löst sich von dem Telefonkabel und fliegt auf einen Dachfirst. Sie muß in Ruhe überlegen.

Rechnen heißt zusammenzählen. Ein Rechenzentrum hat Millionen Zellen, in die Strom fließt oder kein Strom. Es wird also zusammengezählt oder nicht zusammengezählt. Da die Maschine mit elektrischem Strom arbeitet und nicht riechen, sehen, gehen, schwimmen, essen oder lachen kann, wird sie von nichts abgelenkt. Deshalb arbeitet sie auch schneller und sicherer als ein Mensch. Sie vermag jedoch nur das herzugeben, was in sie eingebaut wurde. Sie ist ein fleißiger Idiot.

“He, Vogel”, sagt Birne zu einem vorbeifliegenden Spatz, “was würdest du tun, wenn du zehn Würmer hättest?”

“Ganz einfach”, antwortet der Spatz, “ich würde sie fressen.”

“Und wenn dir zehn Würmer zuviel sind?”

“Ich würde sie trotzdem fressen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ich je so viele Würmer finde, es wäre zu schön.”

“Vielen Dank”, sagt Birne, “jetzt weiß ich, wie ich die Anlage reparieren muß.”

Birne meldet sich beim Pförtner des Rechenzentrums und sagt, sie sei der neue Monteur für Rechenautomaten. Der Pförtner will Birne nicht hereinlassen, weil er nicht begreifen kann, daß eine elektrische Glühbirne eine Rechenanlage repariert. Birne blendet den Pförtner mit einem Lichtstrahl und schwebt davon.

“Wie sind hilflos”, hört Birne einen Ingenieur sagen. “Die Anlage funktioniert, doch nach 40 Sekunden löscht sie alles, was sie gearbeitet hat, von selber aus.”

“Dann funktioniert sie also”, sagt Birne.

“Sie funktioniert falsch”, schreit der Ingenieur. “Von einer Birne lasse ich mich nicht belehren.”

“Sie funktioniert richtig”, sagt Birne, “sonst könnte sie überhaupt nicht rechnen. Sie wird nur durch irgend etwas gestört, das immer wieder ihre Arbeit unterbricht. Was würden Sie tun, wenn Sie zehn Würmer hätten?”

“Ich würde sie wegwerfen”, sagt der Ingenieur.

“Ach ja”, sagt Birne, “jetzt habe ich falsch gedacht, denn Sie sind ja kein Vogel.”

Birne setzt sich ans Steuerpult und läßt die Maschine mit Hochspannung arbeiten. In den Speicherkästen voller Widerstände entsteht Wärme, die von einer Klimaanlage wieder abgesaugt wird. Der Rechner knattert, die automatische Schnelldruckanlage beschreibt tausend Lesekarten pro Minute mit Rechnungen, und die Tonbänder, auf denen die Rechnungen verzeichnet sind, surren vor Geschwindigkeit.

“Die Anlage funktioniert”, ruft Birne.

In diesem Augenblick verlöschen am Steuerpult alle Glühlampen, die anzeigen, in welchen Kästen sich gerade die höchste Stromstärke sammelt. Die Rechenanlage hat sich selbst unterbrochen, mitten in der Arbeit, aber sie zeigt am Steuerpult nicht an, daß sie nicht mehr rechnen kann.

“Vielleicht hat ein Techniker seinen Schraubenzieher in einem Speicherkasten liegen gelassen”, sagt Birne.

“Solche Schlampereien kommen bei uns nicht vor”, sagt der Ingenieur. “Wir kontrollieren die Anlage jeden Morgen.”

Birne prüft die Kontakte in den Speicherkästen. Sie achtet besonders auf Lötstellen, an denen Drähte verbunden sind. Wie der Blitz saust sie durch die gebündelten Leitungen, tupft mit ihrer Fassung auf Metall, jagt einen Stromstoß in das Metall und spürt sofort, ob die Lötstelle noch dicht ist. Wenn der Stromstoß nicht zu ihr zurückkommt, ist die Leitung unterbrochen.

“Wie haben fünf Millionen Leitungen”, sagt der Ingenieur. “Wir werden den Fehler nie finden.”

“Schalten Sie bitte die Lautsprecher ein”, sagt Birne.

Alle Rechnungen, die durch die Rechenanlage gejagt werden, knattern im Lautsprecher, als würde es hageln.

“Wenn ein Fehler in der Anlage wäre”, sagt Birne, “würde ich ihn hören. Er würde knallen wie ein Luftballon oder zwitschern wie ein nasser Korken auf Glas.”

In diesem Augenblick fällt die Anlage wieder aus. Am Steuerpult erlöschen alle Lampen bis auf eine, die immer wieder das Wort FEHLER, FEHLER zeigt.

“Die Anlage hat sich selbst ausgeschaltet”, sagt der Ingenieur.

“Moment”, sagt Birne, “der Fehler liegt außerhalb.”

Sie umkreist das Haus und beobachtet hinter Bäumen eine hohe Radarantenne. Jedesmal, wenn der Drahtkäfig sich Richtung Rechenzentrum dreht, schaltet sich die Rechenanlage selbst aus. Die Radarstrahlen löschen das Gedächtnis in den Speicherkästen, als würde jemand mit einem Radiergummi alle Zahlen auf einem Papier ausradieren.

“Ich habe den Fehler gefunden”, sagt Birne zum Ingenieur. “Sie müssen die Hausmauer abschirme, Bleiplatten oder Graphitplatten in den Beton eingießen, damit die Strahlen der Radarantenne nicht mehr durch die Wände dringen können.”

“Vielen Dank”, sagt der Ingenieur, “jetzt wissen wir endlich, was wir tun müssen.”

Birne fliegt nach Haus. Unter ihrer Lampe steht ein kleiner Junge und weint.

“Was hast du”, fragt Birne.

“Ich habe meine Rechenaufgaben nicht gemacht”, sagt der Junge. “Ich begreife sie nicht.”

“Gib sie her”, sagt Birne.

Sie nimmt das Schulheft des Jungen und fliegt damit ins Rechenzentrum. Die Anlage rechnet die Schulaufgaben in einer Sekunde aus.

“Wenn ich eine Rechenanlage einmal besichtigen dürfte”, sagt der Junge, als Birne wieder bei ihm ist, “würde mir das Rechnen Spaß machen. Ich würde die Rechenaufgaben sofort begreifen.”

“Erzähle deinen Klassenkameraden, was du erlebt hast”, sagt Birne, “und dann bittet ihr alle euren Lehrer um eine Besichtigung des elektronischen Rechenzentrums. Ich bin sicher, er wird es euch erlauben, er hat nur noch nicht daran gedacht. An alles können die Lehrer nicht denken, sie sind schließlich schon älter und gebrechlich, die Schüler müssen ihnen nachhelfen.”


Günter Herburger. "Birne kann alles". 3. Auflage, Hermann Luchterhand Verlag, August 1972.
 
Mr.Lobo schrieb:
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Günter Herburger. "Birne kann alles". 3. Auflage, Hermann Luchterhand Verlag, August 1972.

danke für die geschichte. hatte ich vor langer zeit auch mal gelesen.
im nachhinein muss ich aber kritik äußern: die erklärung für den computerausfall ist unlogisch und falsch. wie sollen kinder nur damit denken lernen? das verwirrt die doch!
 


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