Tutorial: Focusrite Scarlett 18i20 (3) + Linux Mint + Bitwig + Lexicon 300

starmogul

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Hi,

ich wollte hier mal meine Erfahrungen und Tipps zur umfangreichen Einrichtung eines Focusrite Scarlett 18i20 (3. Generation) mit Linux Mint teilen. Das betrifft dann auch am Ende die Einbindung eines Lexicon M300 als externes Effektgerät in Bitwig via SPDIF. Kurze Erläuterung zur Art dieses Artikels: Ich möchte sowohl etwas subjektive Geschichte, als auch objektive Anleitungen einfließen lassen. Die Story wird über Inline-Spoiler kaschiert, die reinen Einrichtungsschritte über den Ausklapp-Spoiler. Ich hoffe, dass so jeder zu seinen Kosten kommt ;-)
Noch ein Hinweis: Ich würde mich selber weder als Linux-, noch als Interface-Experten bezeichnen. Fachliche Fehler bitte ich zu entschuldigen. Nach einem kurzen Hinweis kann ich meinen Text auch gerne korrigieren.

  • Focusrite Scarlett Generation 2 und 3 (alle Varianten)
  • Linux in Red-Hat- und Debian-Varianten, Kernel muss 5.14.X oder neuer sein


Nach 8 Jahren mit einem Focusrite Saffire 6 USB wollte ich jetzt doch mal wieder auf etwas Neueres upgraden, da sich bei den Wandlern inzwischen ja doch etwas getan hat und ich nach dem (unvermeidbaren) Ausbau meines Geräteparks mehr Schnittstellen wollte. Der Saffire stammt aus dem Jahr 2009, gekauft habe ich ihn 2014 als "Special Edition" mit 96kHz-Fähigkeit statt 48kHz. Er hat meistens gute Dienste geleistet und erst nach dem Umstieg auf Linux ab und an mal gesponnen (aufgehängt etc.). Die Qualität erschien mir eigentlich immer ausreichend, sodass der Druck relativ gering war, mir ein neues Interface zu besorgen. Nur der Kopfhörer-Verstärker erschien mir immer etwas schwach.

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Irgendwann habe ich mir dann aber ein 19''-Rack mit vielen Patch-Möglichkeiten aufgebaut und wollte nicht nur den mickrigen Anblick des Saffire aus dem Weg räumen und etwas "Richtiges" reinschrauben, sondern hatte auch immer öfter den Wunsch, mehr als zwei Spuren gleichzeitig rein und raus führen zu können. Außerdem ließ mich der Verdacht nicht los, dass ein neues Interface doch auch besser klingen könnte. Also habe ich mich einige Zeit lang mit dem Thema "Linux und Audio-Interfaces" beschäftigt. Wer das mal gemacht hat, weiß, dass das kein Spaß ist. Ich glaube, es gibt derzeit keinen Interface-Hersteller, der Linux von Haus aus garantiert unterstützt, über Class-Compliance hinaus. Was es aber gibt, das ist ein Community-Treiber für die Focusrite Scarlett Serie. Das war dann letztlich auch der ausschlaggebende Grund weswegen ich mich für den Focusrite Scarlett 18i20 (3. Generation) statt einen Arturia Audiofuse 8Pre entschieden habe. Angeblich klingt der Audiofuse besser, ist aber auch teurer und mal ehrlich, einen Grammy werde ich eh nie gewinnen. Was meine Musik betrifft: Das Interface ist echt nicht das größte Problem :D
Kurz und gut: Den 18i20 beim üblichen Verdächtigen bestellt und gestaunt über die Verarbeitungsqualität. Der Saffire ist schon echt nicht schlecht, aber der Scarlett legt da noch eine Schippe drauf. Wie sich wohl die Clarett und Red anfühlen mögen... Und dann hieß es erst einmal warten bis ich Zeit hatte, mein Rack komplett zu zerrupfen und von vorne neu aufzubauen und zu verkabeln. Dabei habe ich auch gleich noch eine zusätzliche Patch-Bay eingefügt und mir den Lexicon M300 gegönnt (als Geldanlage, versteht sich - ich würde ja niemals in blinden Kaufrausch verfallen).

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  • 8 analoge (symmetrische) XLR-Klinke-Kombieingänge, jeweils mit eigenem Hardware-Poti und 5-Segment-Pegelanzeige
  • 10 analoge (symmetrische) Klinke-Ausgänge
  • 2 SPDIF-Eingänge (also Stereo), optisch oder coaxial - teilweise mit Einschränkung der ADAT-Funktion bei Verwendung
  • Jeweils 4 oder 8 ADAT Ein- und Ausgänge (hängt von der Nutzung von SPDIF ab), optisch oder coaxial
  • A/D-Wandler mit bis zu 24Bit/192kHz
  • 48V-Phantomspeisung kann nur in Form zweier Blöcke 1-4 und 5-8 Aktiviert oder Deaktiviert werden, nicht einzeln
  • Eingänge 1 und 2 können je auch als Instrument-Eingänge mit hoher Impedanz arbeiten
  • Patentierte und magische Air-Funktion, die für Mic-Vorverstärker einen EQ anwendet, der irgendetwas mega Gutes simuliert oder so
  • Zwei Kopfhörer-Ausgänge mit Hardware-Potis (Kopfhörer 1 ist mit den Ausgängen 7/8 und Kopfhörer 2 ist mit den Ausgängen 9/10 stets identisch - ich habe bisher keine Möglichkeit gefunden, das zu deaktivieren)
  • Ausgänge 1/2 und 3/4 sind Monitor-Ausgänge und können über ein Hardware-Poti geregelt sowie über einen Hardware-Kopf umgeschaltet werden
  • Im Gehäuse ist ein Talkback-Mikrofon eingebaut, das über einen Drucktaster aktiviert werden kann

ALSA steht für "Advanced Linux Sound Architecture" und bildet den direkten Hardware-Treiber für Audio-Schnittstellen. ALSA ist quasi immer bei Linux mit enthalten und muss nicht zusätzlich installiert werden. Geräte, die Class-Compliance haben, funktionieren mit Linux genau wegen ALSA. Manche Programme in Linux können/müssen direkt mit ALSA kommunizieren. Die Konfiguration von ALSA ist jedoch ziemlich Hardware-nah und daher für die meisten Menschen etwas unintuitiv und frickelig. Es gibt jedoch auch Bedien-Oberflächen für ALSA, die Anfängern helfen und die man nachinstallieren muss (z.B. QasMixer).

PulseAudio ist eine Audio-Middelware. Sie ist bei den Linux-Derivaten, die ich so kenne, direkt mit dabei. PulseAudio übernimmt in den meisten Fällen die Kommunikation zwischen dem Hardware-Treiber (ALSA) und der eigentlich auf dem System laufenden Audio-Software. PulseAudio bringt auch noch weitere Features mit wie z.B. Audio-Streaming über's Netzwerk, was aber hier nicht relevant ist. Wichtig ist nur zu verstehen, dass PulseAudio ein Interface wengier Hardware-nah und auf einer höheren Abstraktionsebene repräsentieren kann, sodass Nutzer das Interface intuitiver bedienen und Software das Interface leichter ansteuern können. Auch für PulseAudio kann (mit z.B. pavucontrol - PulseAudio Volume Control) eine Bedienoberfläche zur leichteren Nutzung nachinstalliert werden.

Meistens passiert also Folgendes:
Software <-> PulseAudio <-> ALSA <-> Gerät

Jack ist ein Software-Tool, das virtuelle Verbindungen ermöglicht, ähnlich wie ASIO für Windows. Mit Jack hat man zusätzliche Flexibilität beim Verbinden von Software und Hardware (auch untereinander). Außerdem kann es auch als Ersatz für PulseAudio dienen, weil Jack auch direkt mit ALSA kommunizieren kann. Manchmal sieht man über Jack mehr "Anschlüsse" als über PulseAudio. Jack muss stets nachinstalliert werden. Es empfiehlt sich eine Bedienoberfläche wie z.B. QJackCtl.

Möglich ist also:
Software <-> Jack <-> PulseAudio <-> ALSA <-> Gerät
Software <-> Jack <-> ALSA <-> Gerät
Software <-> Jack <-> Software
etc.


An dieser Stelle möchte ich ein wenig über mein Setup sprechen. Ich nutze seit etwa 4 Jahren Linux Mint mit Bitwig. Davor hatte ich etwa 12 Jahre mit Windows und Magix (ja, ich weiß...), FL-Studio und Cubase hinter mir. Linux nutze ich inzwischen aus Überzeugung, moralischen und praktischen Gründen. Bin ich deshalb ein besserer Mensch als andere? Auf jeden Fall. Sind die anderen deswegen böser? Ganz sicher! Wer Windows nutzt, der soll bei jeder Klo-Sitzung das Klopapier auffüllen müssen und wer Mac verwendet, dem wünsche ich Lego-Steine vor dem Bett liegen.

Was ich gerne hätte, das wäre ein kombiniertes Hardware-Software-Studio, das mir die größtmögliche Flexibilität bietet. Wer sich mein Rack oben im Bild angesehen hat, der sieht 1. vier Audio-Patchbays mit einigen halb-normalisierten Vorverkabelungen, 2. eine "mechanische" MIDI-Patchbay (eigentlich nur, um Kollegen @microbug zum Erbrechen zu bringen), die nur extrem selten verändert wird und das auch nur genau dann, wenn alles komplett aus und vom Strom getrennt ist - sie dient dafür, die gerade am häufigsten genutzten Geräte mit dem MidiTemp zu verbinden - und 3. eine MidiTemp-MIDI-Patchbay, wo ich im Prinzip nur ein einzelnes Programm laufen lasse, das mir alle Eingänge mit allen Ausgängen verbindet (ich aktivere und deaktiviere dann nur noch jeweils die Slots - das reicht mir an Funktionalität). Dazu gesellen sich viele Synths mit Ein- und Ausgängen sowie ein paar Effektgeräte. Ich experimentiere super gerne herum und verbinde aus Spaß auch mal alles mit allem.

Beispiel 1: Mikrofon-Vorverstärker geht in den Radias als Vocoder-Modulator. Den Quantum lasse ich den Vocoder-Carrier liefern und bespiele das MIDI des Radias ebenfalls mit dem Quantum.

Beispiel 2: Bitwig liefert die (aus einer Tempospur stammende) MIDI-Clock für den BeatStep Pro. Der wiederum moduliert und spielt mir meinen TTSH (aka Arp2600 Clone). Auch ein Octatrack bekommt die Clock und liefert nur einen Delay-Effekt für die Ausgabe des TTSH.

Beispiel 3: Eine in Bitwig aufgenommene Spur wird über den Live-Granular-Effekt des Quantum verdreht und wieder aufgenommen.

Beispiel 4: Ein Anrufer kann über mein Handy und ein Bluetooth-Interface etwas einsprechen und ich sample das mit meinem EMU ESI4000 ab.

Ich hoffe, dass man an den Beispielen merkt, dass ich total auf Experimente und Flexibilität stehe :) Daher "brauche" ich auch noch mehr Möglichkeiten, zum und aus einem Interface zu gehen. Ich habe so viele wunderbare Geräte, die als Hardware-Effekte dienen können und das macht unglaublich viel Spaß. Mit meinem "neuen" Lexicon M300 habe ich nicht nur ein super Reverb, das ich in meinen Projekten als normalen Effekt nutzen möchte (z.B. als Master-Reverb aus mehreren Spuren gefüttert), der 300 bringt auch viele Mastering-Features mit wie etwa Phasen-Inversion, M/S-Aufteilung und Dithering. Was, du meinst man kann das alles sehr leicht direkt in Bitwig machen? Lalalala, ich kann dich nicht mehr hööööhren!

Für die Zukunft möchte ich übrigens noch eine MIDI-Steuerung über ein Tablet und ein Bluetooth-MIDI-Interface einbinden. Wavestation über das Tablet programmieren und über den Korg T2 spielen (weil der weiter unten steht)? Kein Problem dann!

TLDR; Ich brauche viele Ein- und Ausgänge, alles muss mit Linux Mint und Bitwig laufen. Das ist das Ziel.


  • Kompatibilität mit Linux Mint 20
  • Volle Unterstützung aller Funktionen des 18i20
  • Einbindung des 18i20 ins Hardware-Setup
    • Eingänge 1/2 an der Front bleiben unbelegt
    • Eingänge 3/4 über Patchbay erreichbar und dort mit meinem Mischpult verbunden (Mischpult dient quasi als Analog-Summierer + EQ und ist auch komplett über die Patchbay erreichbar und mit Synths vorverkabelt)
    • Eingänge 5/6 über Patchbay erreichbar und dort mit den Hauptausgängen des Quantum vorverkabelt
    • Eingänge 7/8 über Patchbay erreichbar und dort mit dem TTSH vorverkabelt
    • Talkback als Eingang verfügbar
    • Ausgänge 1/2 über Patchbay erreichbar und dort mit einem Mackie HM-400 Kopfhörer-Verstärker vorverkabelt, der über die Patchbay wiederum mit den Monitoren Yamaha HS5 (jaja, ich weiß...) vorverkabelt ist
    • Ausgänge 3/4 über Patchbay erreichbar und dort mit einem (!) uralten PC-Lautsprecher als alternativer Monitor verbunden
    • Ausgänge 5/6 über Patchbay erreichbar
    • Ausgänge 7/8 über Patchbay erreichbar
    • Ausgänge 9/10 über Patchbay erreichbar
    • Kopfhöreranschluss bedient einen Beyerdynamic DT 770 Pro (80 Ohm)
    • SPDIF-Verbindung coaxial mit dem Lexicon M300 jeweils hin und zurück
  • Aus Monitoren 1 und 2 sowie beiden Kopfhörer-Anschlüssen möchte ich stets Folgendes hören:
    • Ausgabe des Rechners in Stereo
    • Eingänge 1/2, 3/4, 5/6 und 7/8 um ohne Verzögerung mein Hardware-Setup über den Kopfhörer-Anschluss abhören zu können, insbesondere auch dann, wenn der Rechner aus ist
  • Die "ALT-Taste" soll zwischen den Monitor-Paaren hin und her schalten können, der Hardware-Poti soll die Monitor-Lautstärke regeln können.
  • In Bitwig sollen alle hier beschriebenen Ein- und Ausgänge verfügbar sein. Insbesondere soll der Lexicon als externer Effekt über SPDIF einbindbar sein

Als Nächstes wird es um die Ersteinrichtung des Focusrite 18i20 in Linux Mint mit Hilfe des Community-Treibers gehen.
 

Wie ich bereits geschrieben habe, war einer der Gründe dafür, mich für den 18i20 zu entscheiden, dass die Linux-Community einen ALSA-Treiber für die Scarlett-Serie der Generationen 2 und 3 zur Verfügung gestellt hat. Besonders zu erwähnen ist hier Geoffrey Bennett, der hierbei Federführend ist und den Großteil der Arbeit geleistet hat. Auf seinem Git-Account findet man dann auch alle Infos. Er fing an, als ihm jemand ein Scarlett-Interface geschenkt hat, damit er einen Treiber dafür schreibt. Inzwischen unterstützt die Software nicht nur die komplette Serie in der zweiten, sondern eben auch in der dritten Generation. Da kann man auch mal spenden (PayPal).

Sein Projekt besteht aus zwei Teilen: Erster Teil ist der ALSA-Treiber an sich. Der ist im Linux-Kernel ab Version 5.14 dabei und ab Version 5.15 mit zusätzlichen Features. Der zweite Teil ist eine Bedienoberfläche für eben diesen Treiber. Allerdings muss man sich diese Oberfläche selber bauen, was die nötigen Fähigkeiten (und Gtk4+) voraussetzt. Ich zeige später, dass diese GUI auch anders ersetzt werden kann, wenn auch nicht ganz so optisch ansprechend.

Ich bin sehr dankbar für die Arbeit, die die Leute für die Linux-Gemeinschaft geleistet haben und hoffe, dass ich mit dieser Anleitung hier wieder etwas an die Linux-Musik-Community und das Forum zurückgeben kann. Hilfe zum Treiber von Geoffrey Bennett findet ihr auch im Linux-Musicians-Forum (er hat den Nickname "geoffrey"). Threads zum Thema sind u.A. hier, hier, hier und hier.


Wichtig: Vor einem Kernel-Upgrade immer ein Backup machen! Überhaupt Backups machen, man kann es nicht oft genug sagen...

Den ALSA-Treiber für die Scarlett-Serien erhält man automatisch mit einem aktuellen Linux-Kernel. Ab Kernel 5.14.X ist der Treiber vorhanden, ab Kernel 5.15.X kann man zusätzlich den Standalone-Modus des Interfaces aktivieren, sodass das Interface seine Konfiguration auch ohne Computer aufrecht erhält.

Ab man ein Kernel-Upgrade braucht oder nicht, kann man mit dem Befehl neofetch prüfen. Wer das neue Ubuntu 22.04 hat, hat bereits den passenden Kernel. Wer z.B. Linux Mint 20 nutzt, kann entweder bis zum Sommer 2022 auf Mint 21 warten oder manuell den Kernel upgraden.
Für ein Kernel-Upgrade verweise ich auf Anleitungen im Netz, die es genau beschreiben. Die Befehle werden in etwa so oder so ähnlich aussehen:

sudo apt-get update sudo apt install linux-headers-5.15.*-*-generic* linux-image-5.15.*-*-lowlatency

Mein System sieht so aus:

OS: Linux Mint 20.3 x86_64 Host: MS-7B00 1.0 Kernel: 5.15.0-24-lowlatency Uptime: 56 mins Packages: 4019 (dpkg), 15 (snap) Shell: bash 5.0.17 Resolution: 1920x1080, 1920x1080, 25 DE: Cinnamon WM: Mutter (Muffin) WM Theme: Adapta-Nokto (Adapta-Nokto Theme: Adapta-Nokto [GTK2/3] Icons: Mint-X-Grey [GTK2/3] Terminal: gnome-terminal CPU: AMD Ryzen 7 1700 (16) @ 2.999GH GPU: NVIDIA GeForce GTX 1050 Ti Memory: 2310MiB / 32051MiB

Die Prozedur ist hier ganz genau beschrieben. In meinem Fall muss man die Datei /etc/modprobe.d/scarlett.conf anlegen und dort die Zeile options snd_usb_audio vid=0x1235 pid=0x8215 device_setup=1 eintragen. Danach kann man mit dem Befehl dmesg | grep -i -A 5 -B 5 scarlett prüfen, dass der Treiber korrekt aktiviert wurde - es müsste dort irgendwo etwas wie Focusrite Scarlett Gen 2/3 Mixer Driver enabled pid=0x8215 stehen.

Ich war erstaunt wie gut und schnell alles Funktioniert hat. Mein Rechner ist ein Dual-Boot-System und ich habe zusätzlich Windows 10 laufen. Dort ist mir bei der Installation der Focusrite Controll-Software als erstes einmal das System komplett abgeschmiert. Wenn das bei euch auch passiert, versucht mal die Installation ohne die Option der Thunderbolt-Unterstützung durchzuführen. Nach dem Kernel-Upgrade und der Treiber-Aktivierung lief das Interface bereits problemlos. Davor hatte ich trotz Class-Compliance noch Vinyl-Knacksen auf den Ohren.

Nun kann man das Interface einschalten bzw. einstöpseln. Der Scarlett 18i20 der dritten Generation startet anfangs im MSD-Modus (quasi als Massenspeicher oder "USB-Stick"). Was als Komfort gedacht ist, nervt natürlich gewaltig. Um diesen Modus zu beenden öffnet man den ALSA-Mixer mit dem Befehl alsamixer -cUSB und navigiert mit Pfeiltasten, F3 bis F6 und der "M-Buchstabentaste" zur Bedienung der "GUI". Der Scarlett sollte bereits ausgewählt sein, falls nicht wählt man mit F6 das Gerät aus. Achtung: [MM] in der Anzeige bedeutet "aus", [00] bedeutet "an". Wenn man z.B. die Stummschaltung auf [00] stellt bedeutet das, dass Mute an ist, also dass man nicht hört - "an" bedeutet "aus".

Um mit der Konfiguration des Interfaces fortzufahren, muss der MSD-Modus beendet worden sein. Dafür eben das Flag wie oben beschrieben setzen und sowohl das Interface, als auch das System neu booten.

Alternative: Wer einen Windows- oder Mac-Rechner zur Hand hat, kann die Ersteinrichtung auch über die Focusrite-Controll-Software durchführen. Der MSD-Modus wird dann automatisch beendet. Die Controll-Software hat noch einen weiteren Vorteil: Wenn man den Standalone-Modus nutzen möchte, braucht man nämlich ansonsten den Kernel 5.15 mit dem neusten Treiber. Über Windows und Mac wird der Modus aber immer automatisch aktiviert.

Führt man jetzt alsamixer -cUSB aus, so sollten viel, viel mehr Optionen für den Scarlett sichtbar sein, in etwa so:
1650872971581.png

Es folgt die Konfiguration des Interfaces.
 
Wer einfach nur einen Eingang und einen Ausgang braucht, der ist hier schon am Ziel. Wie zuvor beschrieben, möchte ich aber alles mögliche umverdrahten und einstellen. Und das ist leider nicht so einfach, vor allem mit dem Onboard-Alsamixer. Mit QasMixer gibt es aber eine schönere und einfacher zu verstehende Oberfläche für ALSA. Es hat mich noch einmal einen ganzen Tag gekostet, zu verstehen wie die Konfiguration funktioniert und wie die interne Architektur des Interfaces aufgebaut ist. Zeit, die ich euch sparen kann.

  • Der Rechner sieht die Eingänge PCM1 bis PCM20, sowie die Ausgänge PCM1 bis PCM20. Das sind die Verbindungen vom und zum Computer. In der Mixer-Steuerung sind meist die PCM-Kanäle vom Rechner zum Interface gemeint. In Jack wird aber beides angezeigt.
  • Der 18i20 hat 12 Mixer, um gemischte Signale individuell zuweisen zu können. Jeder Mixer wird aus den selben 25 Inputs gespeist, die man individuell mit Signalen bestücken kann, insbesondere wieder mit den Mixer-Ausgängen. Beim Mischen sind nicht nur an/aus, sondern genaue Pegeleinstellungen möglich.
  • Die analogen Eingänge 1-8 entsprechen den Buchsen, der Eingang 9 entspricht dem Talkback-Mikrofon.
  • Es gibt Mutes und Air-Einstellungen, die nur über die Software zur Verfügung stehen.
  • Manche Einstellmöglichkeiten kann man entweder über Software oder Hardware durchführen, je nach Konfiguration.

Ich möchte ja ähnlich wie es beim Saffire meine Eingänge gleich mit abhören, um keine Verzögerung zu haben und unabhängig vom Rechner meine Synths hören zu können. Das ist so nach der Ersteinrichtung noch nicht eingestellt. Deshalb muss man die Konfiguration ändern. Ich muss zugeben, dass ich es jetzt schon etwas bereue, diese Wahl getroffen zu haben, denn ich merke durch das neue Interface, dass die ganzen Geräte auch im ausgeschalteten Zustand rauschen wie das Meer. Tja, da hilft nur jedesmal runterdrehen.

QasMixer ist eine Oberfläche für ALSA, die man selber nachinstallieren muss (sudo apt-get install qasmixer). Ein 18i20 sieht dort dann so aus:

Ausgabe:
AlsamixerOutput.jpg

Eingabe:
AlsamixerInput.jpg

  • Falls das Interface nicht zu sehen ist, muss rechts oben "HW" und darunter "Scarlett" ausgewählt werden.
  • Die meisten Schieberegler gehören zu den Mixern. A-L sind die Mixer-Ausgänge, 1-25 sind die Eingänge, d.h. man kann jeden Mixer-Eingang beliebig zu jedem Mixer-Ausgang hinzumischen.
  • Unten rechts sind die beiden Symbole zur Auswahl von Eingangs- und Ausgangskonfiguration.
  • In den Dropdown-Boxen sieht man alle zur Verfügung stehenden Signale:
    • Analoge Eingänge 1-9
    • S/PDIF 1/2
    • ADAT 1-8
    • Mixer-Ausgänge A-L
    • Computer-Ausgabekanäle PCM1-20
  • Die PCM1-20 Beschriftungen, die nicht in sondern neben den Dropdown-Boxen stehen, sind Computer-Eingangskanäle
Man konfiguriert nun alle Ein- und Ausgänge so wie man sie braucht. Anschließend muss man die ALSA-Konfiguration speichern, damit sie jedesmal beim Hochfahren geladen wird. Das geht mit dem Befehl sudo alsactl store.

Wichtig: Die Wahl zwischen SPDIF optisch oder coaxial muss leider über die Focusrite Controll-Software erfolgen und geht noch nicht von Linux aus.

Wie kann ich nun die Eingänge und den PC-Sound über Monitore und Kopfhörer gleichzeitig abhören? Als erstes muss ich alle Signale, die ich ausgeben möchte, als Mixer-Eingänge konfigurieren, also eben die beiden PC-Ausgaben PCM1/2 und die acht analogen Eingänge:
1650875660986.png

Dann nehme ich mir zwei Mixer A (linker Kanal) und B (rechter Kanal) und mische die Eingänge hinzu:
1650875758120.png

Nun leite ich die Mischsignale an die Ausgänge, die das Signal erhalten sollen, also Monitor-Ausgänge 1/2 und 3/4 sowie die Ausgänge 7/8 (Kopfhörer 1) und 9/10 (Kopfhörer 2):
1650875927110.png

Als letztes Verbinde ich SPDF1/2 noch mit PCM11/12 sowie SPDIF1/2 mit PCM11/12 (Verwirrt? Also einmal beide Kanäle in je beide Richtungen...).

Jetzt bloß das Speichern der ALSA-Konfiguration nicht vergessen...


Damit ist das Interface eingerichtet. Als nächstes widmen wir uns der Einrichtung in Bitwig über Jack.
 
Ich nutze für Bitwig super gerne Jack, weil es (bei mir) weniger Probleme macht als alles andere. Trotzdem kann Bitwig mit Jack, ALSA und PulseAudio umgehen, aber eben nur eines auf einmal. Ich habe das Interface mit 48 kHz und 64/128 Frames in Jack eingerichtet. In der Verbindungsübersicht sehe ich die 20 Eingangskanäle (capture) und die 20 Ausgangskanäle (playback). Die Verbindungen, die ich über Bitwig erstellt habe, werden hier automatisch eingeblendet:

Jack.jpg


Wie bereits beschrieben ist Jack quasi eine virtuelle Patchbay. Es muss nachinstalliert werden, genauso wie die (optionale) Bedienoberfläche QJackCtl. Über den Button "Einstellungen" kann man das Interface unter "Schnittstelle" auswählen, anschließend können Abtastrate, Frames und Buffer nach Belieben eingestellt werden. Es sollte die geringste Frame-Größe gewählt werden, ohne dass man Knackser hört. Nach einem Klick auf "OK" ist das Gerät in Jack eingerichtet.

Über den Button "Steckfeld" kann man sich alle virtuellen Verbindungen anzeigen lassen. "PulseAudio Jack Sink" ist dabei die Verbindung zu PulseAudio. Linux kann z.B. standardmäßig zu dieser "Soundkarte" verbunden sein, wenn man neben seiner DAW noch andere Audio-Quellen wie Webseiten oder Media-Player hören können möchte. Wenn Bitwig darauf eingestellt ist, mit Jack zu arbeiten, dann erscheinen alle anlegten dortigen Ein- und Ausgänge immer automatisch in Jack mitsamt aller gesetzten Verbindungen - natürlich erst nach Programmstart.

Auch alle Eingangskanäle (capture) aus dem Interface und Ausgangskanäle zum Interface (playback) werden aufgelistet. Per Drag-and-Drop können Verbindungen hergestellt werden. Man kann alle Verbindungen auch wieder herauslöschen oder nur eine Verbindung entfernen, sobald man die Enden dieser einen Verbindung auf beiden Seiten auswählt und mit der Maus rechtsklickt.

Zum Verwenden von Jack muss man einmal auf den "Play-Button" klicken.

Man sollte Bitwig erst nach Jack starten. Anschließend kann in Bitwig das Interface konfiguriert werden. Dazu navigiert man in den Einstellungen zu "Settings/Audio". Dort stellt man Jack als System ein und kann anschließend nach Belieben Mono- und Stereo-Kanäle hinzufügen, die Quellen und Senken aus der Jack-Liste auswählen und die Schnittstellen benennen.

Bei mir sieht das so aus:
Bitwig.jpg

Super schön finde ich auch die Möglichkeit, das Talkback noch einmal als Mono-Eingang einstellen zu können. Da die Interface-Ausgänge 7/8 und 9/10 ja mit meinen Mixern A und B überschrieben wurden, spare ich mir die Einbindung dieser.


Zum Schluss zeige ich noch die Einbindung von Hardware-Effekten in Bitwig via SPDIF.
 
Zunächst muss man sich zwischen optisch oder coaxial entscheiden. Die Umstellung muss über die Focusrite Controll-Software erfolgen, also einmalig via Windows oder Mac. Wenn man die optische Lösung wählt, so stehen einem nicht mehr alle ADAT-Optionen zur Verfügung, weil man die jeweils rechten optischen Anschlüsse (von hinten gesehen) belegt.
1650878055851.png

Man muss die SPDIF-Eingänge 1 und 2 z.B. an die PCM-Eingänge 11 und 12 routen. Außerdem muss man die SPDIF-Ausgänge 1 und 2 an z.B. die PCM-Ausgänge 11 und 12 routen. Diese werden als "capture 11/12" und "playback 11/12" in Jack angezeigt. Man kann sie in Bitwig als Anschlüsse auswählen.

Mit dem Effekt-Typen "HW Effect" kann man einen Hardware-Effekt einbinden. Man wählt die passenden Ein- und Ausgänge im Plugin aus. Anschließend sollte man die Verzögerung einmessen, am Besten indem man das Effektgerät auf Bypass stellt. Achtung, es ertönt ein lautes Geräusch.

Der Lexicon muss auf den digitalen Eingang eingestellt werden. Da das Gerät mit extern synchronisiert und nur 44,1 bzw. 48 kHz versteht, muss man sicherstellen, dass das Interface mit maximal 48 kHz arbeitet. Außerdem sollte das Interface immer an sein, wenn man das Effektgerät einschaltet, da der Lexicon sonst keine Audio-Sync-Clock findet und anfängt zu spinnen.

Man drückt "Control" um in das Einstellungsmenü zu gelangen. Mit "Page Up" und "Page down" wählt man die Menüseite "Page 3 Machine Configuration". Dort muss als Eingang "I" entweder "digital" oder "ana+dig" eingestellt sein.
IMG_20220425_112338.jpg

Mit "Page Up" und "Page down" wählt man die Menüseite "Page 4 Digital I/O & Sampling Rates". Als digialen Eingang "Din" sollte man "RCA" für coaxial und "opt" für optisch auswählen. "Danach sollte als Eingabesignal "inp" bereits "spdif" erkannt worden sein und die Clock "clk" sollte sich gelockt haben. Den Ausgang muss man noch als SPDIF-Format einstellen.
IMG_20220425_112359.jpg

Ich habe zunächst versucht, eine optische Verbindung aufzubauen, aber das hat aus irgendwelchen Gründen nicht geklappt. Es kam zwar etwas beim Lexington [sic!] an, aber der Ton ging nicht zurück zum Interface. Also habe ich auf RCA umgesattelt und siehe da, funktioniert perfekt. Ich habe auch einmal ein Bild von der Verzögerung bei Bypass gemacht:
Bitwig2.jpg

Die 2,90 ms kann ich kaum glauben, irgendwie klingt das unrealistisch. Aber naja, wenn Bitwig das misst...


Ich hoffe, dass dieses Tutorial hilfreiche und spannende Einblicke in die Einrichtung eines Focusrite Audio-Interfaces in Linux geben konnte. Wenn ihr noch Fragen oder Verbesserungsvorschläge bzw. ergänzende Informationen habt, dann immer her damit!
 
Wow tolle und ausführliche Anleitung! Danke auch für die Nennung 🌻 . Ich habe deinen Artikel im Fediverse weitergeteilt, weil da sicherlich der eine oder die andere mal ein hilfesuchendes Auge drauf werfen möchte. :)
 
Hmmm wenn ich eure Beiträge lese krieg ich gleich Lust auf Linux. Die Focrusite 3 serie wird voll unterstützt? Wäre ja was für neues USB audiointerface. Die 2i2 3 Generation müsste ja jetzt auch gut gehen.
 
Die Focrusite 3 serie wird voll unterstützt? Wäre ja was für neues USB audiointerface. Die 2i2 3 Generation müsste ja jetzt auch gut gehen.
"Wird unterstützt" in Sinne von "müsste gehen und viele bekommen es gut zum laufen". Mit Linux Mint habe ich es hinbekommen. Entwickelt wurden die Treiber wohl auf Fedora, glaube ich mal gelesen zu haben.
Falls es Probleme gibt, liefert Geoffrey eigentlich sehr schnell Updates. Aber von groben Problemen habe ich bisher nichts mitbekommen.
 
Warum sind die ganzen Beiträge oben denn verschleiert und verspoliert?
Ich dachte mir, viele sind genervt, wenn da noch mein persönliches bla bla steht - deshalb ist es verschwommen, sodass man es leicht überspringen kann.

Und manche langweilen sich bei den Konfigurationen oder haben schon Vorwissen. Deswegen sind die eingeklappt.

So kann man gezielt das lesen, was einen interessiert. Aber komisch sieht's aus, stimmt schon 😅
 
1653424260804.png
Kleiner Nachtrag:

Die Standard-Werte zum Betrieb des Interfaces mit PulseAudio (also nicht via Jack) stellt man (zumindest für Ubuntu-Derivate) in der Datei etc/pulse/daemon.conf ein. Dort findet man die Zeilen
; default-sample-format = s16le (Bit-Format, mögliche Werte: u8, s16le, s16be, s24le, s24be, s24-32le, s24-32be, s32le, s32be float32le, float32be, ulaw, alaw - ich habe mich für s24le entschieden für 24 Bit)
; default-sample-rate = 44100 (Abtastrate, also z.B. 44100, 48000 oder 96000).

Einmal die Semikolons... Semikola... Semikolonnen am Zeilenanfang entfernen, um die Einstellung zu aktivieren. Die Datei muss mit Root-Rechten editiert werden. Es empfiehlt sich vorher ein Backup der Datei zu machen ;-)
Danach einmal in der Console mit pulseaudio -k den PulseAudio-Server neu durchstarten (Achtung, das kann Klicken erzeugen!)

Ich konnte zumindest verifizieren, dass die Sample-Rate übernommen wurde, indem ich einen Blick auf den Lexicon geworfen habe. Da der M300 über SPDIF mit dem Focusrite synchronisiert ist zeigt der Lexicon auch an, dass er mit 48 kHz läuft. Vorher waren es tatsächlich noch 44,1 kHz.
 


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