Wie unterschiedlich nehmen die Menschen Musik und Klang wahr?

Ein weiteres Thema was mich seid langem umtreibt, keine Angst diesmal geht es nicht ums Geld:

An mir selber bemerke ich ein erstaunliches Phänomen. Ich hab keine Ahnung ob das normal oder krankhaft ist, mich störts eigentlich nicht groß aber es ist so, dass ich wenn ich müde bin (so wie jetzt) Musik als "schneller" wahrnehme als zu anderen Zeiten. Ich habe zum Beispiel ein Stück an dem ich gerade arbeite. Als ich es geschrieben habe kam mir das Tempo normal und passend vor. Jetzt höre ich es im "Halbschlaf" und empfinde es plötzlich zu schnell. Und so ist das generell mit Musik, nicht nur mit meiner.

Meine Vermutung: Kann es sein, dass die Menschen generell unterschiedlich wahrnehmen und viele Diskussionen über Musik und Klang allein daran schon scheitern?

Ich rede nicht davon, dass andere Kulturen vielleicht andere Tonleitern haben. Ich rede davon dass Menschen die quasi eigentlich derselben (musikalischen) Kultur angehören, dieselbe Musik völlig unterschiedlich wahrnehmen. Man weiß ja auch nicht ob Menschen deren Lieblingsfarbe blau ist diese eigentlich als rot sehen. Man weiß es einfach nicht. Und genauso beim Klang und bei der Musik.

Anderes Beispiel: Ich war ne zeitlang in einem Land im fernen Osten (wo, ist jetzt auch egal) und die dortige "Schlager" ähnliche Volksmusik ist ganz klar in der selben westlichen Tonart wie unsere Musik. Aber was mir inzwischen immer mehr auffällt. Sie ist unglaublich langsam, verglichen mit unserer Schlagermusik! Wenn ich die selben Melodien nachspiele, ich habe das Bedürfnis sie sehr viel schneller zu spielen. Mit bzw. 140 statt 100 BpM. Ich glaube inzwischen, dass diese Menschen dieses langsame Tempo aber als völlig normal empfinden.

Vielleicht ändert sich die Wahrnehmung über das was "Normalität" ist auch im Laufe der Zeit. Beispiel: In den 1990ern gab es ein Techno Stück von "Charlie Lownoise", das sehr schnell war. Später haben die das selbe Stück in langsamer rausgebracht ("Wonderful Days" hieß das glaube ich, keine Lust nachzugucken).

Und auch beim Thema Klang und besonders bei Melodien und Harmonien habe ich stark das Gefühl, dass die Wahrnehmungen einfach total unterschiedlich sind. In einem anderen Forum hab ich mich ständig gewundert welche Stücke von den Usern nun als "gutes Sounddesign" bezeichnet wurden. Andere Stücke (Meine Stücke oder heutige Dance Musik) wurden dagegen als "schlechtes Sounddesign" bezeichnet. Ich fragte mich immer warum. Heute bin ich der Meinung: Die Stücke die als "gutes Sounddesign" bezeichnet wurden waren einfach mit weniger Höhen und mehr Tiefen, also mehr in Richtung "braunes Rauschen" oder wie das heißt. Während die anderen Stücke (heutige Musik) sich offenbar eher am "pinken Rauschen" (höhenreicher) orientiert. Ich glaube das war das Geheimnis. Und ich glaube daran scheitert dann allein schon Kommunikation über "guten" und "schlechten" Sound, da von mir der höhenreichere Sound als "normal" empfunden wurde, von anderen der klassischere tiefenreichere Sound.

Beim Thema Melodien und Harmonien wird es ganz schlimm. In einem Forum schrieb sogar mal ein Gitarrist, dass er "keine Gitarrensolos mag". Was er meinte war glaube ich: Er kann mit Melodien nichts anfangen. Und ich glaube er ist nicht der einzige. Was dann aber dazu führt, dass man ein Stück "gut" findet wegen der Melodie, ein anderer Mensch das Stück aber scheiße findet, weil er die Melodie gar nicht beachtet oder versteht sondern nur auf den Sound achtet. Genauso kann ich relativ wenig mit so einiger Rockmusik anfangen. Besonders solche Musik die von so Freaks dann als "Brett" bezeichnet wird, wo dann ganz tolle Stereostaffelung und yeah und "breiter Sound"... Ja toll, das klingt dann "breit" aber die Musik sagt mir nichts. Und so hab ich das Gefühl, dass sich die Wahrnehmung bei diesen Sachen einfach total unterscheidet von Mensch zu Mensch. Ich habe zum Beispiel das Gefühl, dass es Leute gibt die Musik in "Sekundenbruchteilen" wahrnehmen. Heißt: Sie sind nicht in der Lage Sachen wahrzunehmen die sich erst im zeitlichen Verlauf zeigen. Melodien kann man natürlich nur erkennen wenn man das was vor 5 Sekunden erklang mit dem was jetzt erklingt verbinden kann. Aber wie gesagt, es gibt einige Leute die nur "Brett" hören wollen, oder eben Gitarristen die nur Akkorde spielen wollen, weil dann der Sound sofort da ist.

Wie gesagt, ich habe immer mehr das Gefühl, dass diese unterschiedliche Wahrnehmung bestimmte Diskussionen über Musik völlig sinnlos werden lässt. Wie soll man miteinander diskutieren wenn die Wahrnehmung so unterschiedlich ist? Oder bilde ich mir das alles nur ein? Gerade im Bereich der elektronischen Musik ist das manchmal so ne Sache... Mir passiert es oft, dass ich Stücke (oder meine Stücke) ganz gut finde und andere dann sagen "Schrecklicher Sound, schrecklicher Mix, kein Gefühl!" Und wenn ich dann Stücke höre die andere "gut" finden, dann bin ich dann irgendwie "beeindruckt", weil es irgendwie nach "Szene" klingt, aber dann passiert es, dass dort Melodiefetzen auftauchen die ich einfach nur als peinlich und dilletantisch und nervig empfinde, die den anderen oder dem anderen Musiker aber gar nicht auffallen, weil er offenbar nur auf "amtlicher Sound" achtet.

Und ich glaube halt immer mehr dass die Menschen halt unterschiedliche Aspekte mehr wahrnehmen als andere. Der eine findet eine Musik gut wegen der Dynamik und wegen laut und leise. Andere finden das unwichtig und achten nur auf Melodien und Harmonien. Andere wiederum achten auf bestimmte Feinheiten im Sound und finden jedes ausgeklügelte Stück plötzlich scheiße wenn ein "80er Synthesizersound" auftauch und plötzlich total geil wenn ein Klaviersound statt Synthisound eingesetzt wird.

Lange Rede kurzer Sinn: Ist es einfach so, dass die Wahrnehmung so unterschiedlich ist, dass manche Diskussionen über Musik ins Leere laufen, da die Menschen aneinander vorbeireden und nicht wissen, dass der andere das selbe Stück ganz anders hört, ganz anders "wahrnimmt"?
 
Menschen sind Individuen. Jeder Mensch hat sein ganz persönliches Wertesystem, das sich durch Erziehung, Lebenserfahrung usw. geformt hat und anfällig für "Umwelteinflüssen" wie zB persönlichen Befindlichkeiten ist. Also klare Antwort: Ja.
 
Ich habe mal eine Glöckchendrone gebastelt und da ist bei mir die zeitliche Wahrnehmung schon gestört, also im Bezug auf die Spielzeit. Die ist nur 2:21 Minuten lang, aber mir kommt das vor wie 5 Minuten. Vermutlich liegt das an den vielen Ereignissen pro Zeiteinheit. Soviel mal von mir zum Thema Zeitwahrnehmung. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
 
Aus meiner Zeit, wo ich im HiFi / High End Business tätig war, habe ich viel Toleranz gegenüber anderen Hörgewohnheiten gelernt. Man meint, es RICHTIG zu hören und entsprechend das RICHTIGE Equipment zu empfehlen, aber wenn ein Typ im Metaller Shirt ins Studio kommt und ohne mit der Wimper zu zucken 15.000 Mark für Lautsprecher ausgibt, auf denen er ausschließlich und in voller Lautstärke Speed- und Trash-Metal hört, dann lernt man, dass es das RICHTIGE nur für einen selbst gilt.
Das gilt auch für die unsägliche "Goldohren" Debatten, ob man 128kb mp3 jetzt raushören kann. Das ganze führt zu nichts Jeder hört anders, jeder nimmt anders wahr. Ich kann bei der typischen türkischen "Dudelmusik" (bitte um Verzeihung, ich konnte mir nicht ergooglen, wie die sich nennt) zum Massenmörder werden, während mein Kumpel die am Döner-Stand den ganzen Tag hört. So isses.
 
OT: @firstofnine Frag doch mal deinen Kumpel! Mich würde sehr interessieren, wie diese Döner-Düdelmusik heißt. Ich mag den Sound nämlich sehr, hab aber noch nix ansprechendes im CD Regal, außer dieses Knight Rider Ding von Panjabi MC aus den frühen 2000ern auf irgend einer Bravo Hits.
 
Ich nenne mal eine naheliegende Analogie:

die Unterschiedlichkeit kannst du schon an Diskussionen um Geschmack, Stil und Klänge oder was "der Moog Sound" oder "der Roland Sound" denn sei sehr gut abchecken.
Vielleicht auch daran, dass manche in Field Recording Melodien und Rhyhtmen erkennen und das für andere nur Lärm sei?

Das Ohr ist supernichtlinear und das Gehirn hört mehr als die Ohren, ähnlich wie bei der Fotografie - was man sich nicht vorstellen kann bekommt einen anderen Kontext "Krach" oder "Rauschen" obwohl es etwas ist. Daher gehen heutige Cams ja auch davon aus, etwas zu kennen und optimieren das - wer das anders will, muss sich normale Cams kaufen - beim Ohr ist es auch eine Art von Verarbeitung und phys. hören - das ist eben hoch speziell und allein das färbt zusammen mit unserer Art als Wesen in sozialen Maßstäben zu denken und hören.
 
Aus meiner Sicht kann man ein Gehör trainieren (mal gesundes Organ angenommen).
Menschen die sich überhaupt nicht mit Musk beschäftigen oder keinen Zugang dazu haben, können beispielsweise mehrere Instrumente in eine Komposition nicht auseinanderhalten, bzw. Einzelne davon identifizieren.
 
OT: @firstofnine Frag doch mal deinen Kumpel! Mich würde sehr interessieren, wie diese Döner-Düdelmusik heißt. Ich mag den Sound nämlich sehr, hab aber noch nix ansprechendes im CD Regal, außer dieses Knight Rider Ding von Panjabi MC aus den frühen 2000ern auf irgend einer Bravo Hits.

Da fällt mir grad ein, ich hab mal im Dönerladen ein Stück aufgenommen und suche wie das heißt, falls jemand ne Ahnung hat... Hier kann man reinhören:
 
Aus meiner Sicht kann man ein Gehör trainieren (mal gesundes Organ angenommen).
Menschen die sich überhaupt nicht mit Musk beschäftigen oder keinen Zugang dazu haben, können beispielsweise mehrere Instrumente in eine Komposition nicht auseinanderhalten, bzw. Einzelne davon identifizieren.

Wobei das manchmal so ne Sache ist, ich hatte man irgendwo ein Stück reingestellt und dazu geschrieben, dass mehrere unterschiedliche Synthesizer-Instrumente genommen habe. Und der erste der es hörte sagte "Ich hör aber nur einen!". Womit er dann eigentlich auch irgendwie recht hatte, da es für den Hörer natürlich nicht zu erkennen ist ob da jetzt mehrere Instrumente erklingen oder ein Instrument das eben einen so reichen Klang und so viele Tonerzeuger oder was auch immer hat...
 
Wie unterschiedlich nehmen die Menschen Musik und Klang wahr?

Tja, als einer der üblicherweise Jazz und Klassik hört, incl. Free Jazz und Neue Musik, bin ich gewohnt, dass der Großteil der Umwelt überhaupt nicht nachvollziehen kann, warum ich sowas höre. Extrem unterscheidliche Wahrnehmung ist sozusagen für mich der Normalfall. :)


Zwölftonwerbung - Twelve tone commercial



Grüße
Omega Minus
 


News

Zurück
Oben