Die vier Kriterien der Elektronischen Musik

archeology schrieb:
und in 40 jahren sagt mann dann dasselbe über heute
und wieder 40 jahre etc.
also warten wir 45000 jahre bis wir dann mal an der wahrheit dran sind

Nun, das mag für dich als Philosoph so sein, in der Naturwissenschaft ist das durchaus anders. In den 50er Jahren war Elektronik und Forschung zur Psychoakustik recht neu, und ein weitgehend unbeackertes Feld.
Da ist dann in den nächsten Jahrzehnten eine Menge Wissen hinzugekommen. Ich hatte ja beispielsweise oben schon von der - inzwischen eben abzusehenden - Unmöglichkeit geschrieben Klang und Kompositon als Gesammtkunstwerk vollständig zu steuern. Dazu muss man so bis rund in die 90er Jahre gehen, da man die Untersuchungen zu Datenkompression musikalischer Signale dazu braucht. Seit dem ist das diesbezügliche Wissen im Detail zwar weiter - und es wird auch sicher noch in der Zukunft etwas dazu geben, aber das sind eben 20% Unterschied, nicht mehr 1000.

archeology schrieb:
wieso soll mann eigentlich intuitiv ohne zu begründen nicht schon längst alles erfassen können
Wieso sollte man das können - und wenn ja: woher weiß man das und wie unterscheidet man das von Willkürlichkeit?

Ansonsten ist es einfach nicht *meine* Methode, mit grundloser Intuition komme ich nicht weiter. Für mich hat es sich bewährt, Wissen und Intuition zu kombinieren.

archeology schrieb:
avangardisten machen einfach was sie wollen und es stimmt immer
das gibt zu denken

Das ist allerdings eine logische Falle, in die die Avantgardisten und ihre Kunden da tappen. Die machen einfach Dinge, die sich prinzipiell nicht widerlegen lassen und postulieren die dann als richtig. Mag man im Feuilleton mit durchkommen - ich kann damit nichts anfangen.
Da kommt man übrigens recht schnell wieder zum Bohlen-Kriterium: wenn es keiner toll findet muss es wohl Mist sein - und umgekehrt. So wirklich glücklich bin ich damit verständlicherweise nicht.
Leider sind die anderen "Qualitätskriterien" wie Eminenz und "wer am lautesten/besten/elaboriertesten auf die Kacke hauen kann" eher noch schlechter.
 
Fetz schrieb:
Das ist allerdings eine logische Falle, in die die Avantgardisten und ihre Kunden da tappen. Die machen einfach Dinge, die sich prinzipiell nicht widerlegen lassen und postulieren die dann als richtig. Mag man im Feuilleton mit durchkommen - ich kann damit nichts anfangen.

Das unterschreib´ich. Ärgerlich ist´s immer dann, wenn´s noch mit oberlehrerhafter Attitüde und dem Anspruch, die einzige und alleinige Wahrheit (tm) zu vertreten, kombiniert wird. Womit sich dann aber die Frage ergibt: Warum kommt man damit im Feuilleton durch ? Sollte nicht gerade da diese Scharlatanerie als ebensolche entlarvt werden ? Oder ist der Zweck dieser Institution ein ganz anderer und verträgt sich dann gar nicht mehr mit dem erhobenen Anspruch ?

Fetz schrieb:
Da kommt man übrigens recht schnell wieder zum Bohlen-Kriterium: wenn es keiner toll findet muss es wohl Mist sein - und umgekehrt. So wirklich glücklich bin ich damit verständlicherweise nicht.
Leider sind die anderen "Qualitätskriterien" wie Eminenz und "wer am lautesten/besten/elaboriertesten auf die Kacke hauen kann" eher noch schlechter.

Vielleicht kann man gar nich objektiv feststellen, ob etwas Mist IST. Diese vermeintlich objekvtive Feststellung ist das, was das Feuilleton zum Besten gibt. Wenn Du in dem Zusammenhang schon sagst : "Aber ICH kann damit nichts anfangen.", dann ist doch das Kriterium klar : Wenn Du es toll findest, ist es kein Mist, wenn du es nicht toll findest schon. Jetzt hat diese subjektive Sicht zwar etwas Anrüchiges, aber das evtl. nur, weil das vermeintlich Objektive davon lebt, das Subjektive unter Wert zu verkaufen. Wenn jeder seine Meinung haben dürfte, bräuchte keiner mehr das Feuilleton. Das wäre für die Schreiberlinge ärgerlich, weil Umsatzeinbußen drohen und für deren Auftraggeber, weil man einen Kanal zur Meinungsbildung verliert.

Läuft irgendwie auf "es gibt eh nur subjektive Betrachtung" und "Objektivität ist bestenfalls Intersubjektivität" raus - weiter komm ich da grad nicht. Aber wenn Du mit den mangelnden Qualitätskriterien nicht glücklich wirst (!), dann ist vielleicht die Suche danach die Wurzel des Übels und nicht die Auswahl der möglichen Kandidaten. Ist aber nur ein Denkansatz und höchstens subjektive Ansicht meinerseits - bisi Gelaber von meiner Seite ;-)
 
fab schrieb:
das hier:

"Melodien und Harmonien im geläufigen Sinne kann es also nicht geben. Aber Schlaginstrumente erzeugen doch auch mehr oder weniger klar erkennbare Tonhöhen, und wenn 6 verschieden hoch gestimmte Trommeln nacheinander angeschlagen werden, so ergibt das auch eine Melodie; und werden sie gleichzeitig angeschlagen, so ergibt das einen Akkord. Warum klingen denn entstechende Trommellharmonien niemals dissonant, auch wenn die Intervalle der Trommeltöne nach Maßgabe der Naturtonreihe seht kompliziert sind? Weil die Trommeltöne und die Töne der meisten Schlaginstrumente überhaupt keine >Obertonreihe<, keine >harmonischen Spektren ( haben, die sich miteinander reiben könnten, wenn sie in, >dissonanten < Intervallen gleichzeitig erklingen; ihre Schwingungsform ist also nicht periodisch, sondern mehr oder weniger unregelmäßig, es sind >Geräusche<."

weicht der frage aus. es geht gerade um nicht gestimmte, tonale klänge - der text spricht auch zunächst von der naturtonreihe. behauptet dann aber sofort, es seien eigentlich "geräusche". mE ein fehler, aber darauf kommt es nicht an - gibt es harmonik ungestimmter klänge? oder ist das eine harmonik der klangfarben?

Er bezieht sich auf ein Stück von Varese, das nur für "ungestimmte" Schlaginstrumente geschrieben wurde - du kannst aber auch gerne ein Jazz-Schlagzeugsolo nehmen. Die Obertonstruktur von - sagen wir - Tomtoms ist relativ chaotisch, es sind zu viele unharmonische Obertöne mit drin als dass man sie noch als "Töne" mit eindeutiger Tonhöhe erkennen könnte. Deswegen kannst Du ein Tom nicht auf den Ton C oder E stimmen. Stockhausen definiert nun solche Art von Klängen wie eben Trommel, Becken oder auch Weißes Rauschen als "Geräusche".
 
FETZ
muss ich erst jemanden fragen wenn mir was gefällt was ich mache oder andere
du willst doch nicht allen ernstes behaupten es gäbe irgendwo kriterien
fur gut oder schlecht
jeder kritisiert nur sein unbehagen und benutzt wissenschaft willkürlich irgendwelche parameter die er sich zu seinen gunsten zurecht biegt selbst wenn diese parameter stimmen

für mich sind die musikalischten sache die ich jemals gehört habe von leuten die kaum über musik reden
die leute die viel theoretisch über musik reden oder so, haben meinstens ganz wenig drauf.müssen sie aber auch nicht .

mein musik geschmack wird sich durch theoretischje überlieferung nicht sehr viel verbilden eher durch faszination .
 
fab schrieb:
das zielt auch auf fetz' bemerkung in anderem kontext ab, die sinngemäß war: wenn man schon auf mur/doll verzichtet, warum dann ausgerechnet zwölftonmusik? warum eine temperierte skala, die gerade für die chromatische harmonik geschaffen wurde? warum nicht etwas völlig anderes?

Weil die Zwölftontechnik nicht darauf zielte, Terzen und Quinten grundsätzlich zu "verbieten" sondern darauf, dass das Musikstück als ganzes keinen Grund- oder Zentralton haben sollte, d. h. alle Töne sollten gleichberechtigt sein.

Durakkorde können nach den Regeln der Zwölftontechnik dagegen durchaus vorkommen, zB indem Du eine Reihe (Du kannst sie schließlich beliebig transponieren!) zu Durakkorden "stackst":

dur.jpg
 
magma brauch keine beweise von stockhausen oder anderen
2007



paris 2009 dez-nun zombies etc haben sie auch gespielt -leider beschissen komprimierter fotoapparatsound vom filmer



eine 40 jahre alte sendung auch mal kurz

magma sollte mann diese jahr nicht verpennen wenn mann das mag .also nicht verpassen
ich habe sie 5 mal gesehen in paris
bessere konzerte gibt es kaum in dieser art zur zeit
 
EinTon schrieb:
fab schrieb:
das zielt auch auf fetz' bemerkung in anderem kontext ab, die sinngemäß war: wenn man schon auf mur/doll verzichtet, warum dann ausgerechnet zwölftonmusik? warum eine temperierte skala, die gerade für die chromatische harmonik geschaffen wurde? warum nicht etwas völlig anderes?

Weil die Zwölftontechnik nicht darauf zielte, Terzen und Quinten grundsätzlich zu "verbieten" sondern darauf, dass das Musikstück als ganzes keinen Grund- oder Zentralton haben sollte, d. h. alle Töne sollten gleichberechtigt sein.

Durakkorde können nach den Regeln der Zwölftontechnik dagegen durchaus vorkommen, zB indem Du eine Reihe (Du kannst sie schließlich beliebig transponieren!) zu Durakkorden "stackst":

dur.jpg

es gibt doch gar keine gleichberechtigten töne
ein einzelner ton ist schon wegen fehlens anderer töne nicht gleichberechtigt
sobald 2 töne erklingen beziehen sie sich aufeinander
wo ist da die gleichberechtigung
reine theorie sag ich
es ging woll ehewr darum das form konzept zu negieren um andere musik zu machen
leider ist dann die nächste sackgasse entstanden
da diese 12ton musik oft unangenehm und zweitens sehr viel zufall im ganzen aufweist durch ignoranz von tonalität ,zeit und rytmuss variation thema ,kontrapunkt der thematischen entwicklung .horizontal und vertikal
 
Ich hatte es eben ja schon angedeutet - die Emanzipation von den kulturellen Errungenschaften, sei es die klassische Harmonielehre oder die über Jahrhunderte ausgefeilten Instrumente, hinterlässt zwangsläufig ein Kompetenzvakuum. Das in wenigen Jahren füllen zu wollen, ist natürlich nicht möglich, alleine der Versuch erscheint mir sehr von sich selber Überzeugt - was ich eben als typisch pubertär empfinde. (Bei der Notenstapelei kann ich das nicht so recht beurteilen, bei den Sounds finde ich es allerdings offenhörlich. )

(Und du kannst hier doch nicht sowas wie mit Magma kommen :achso: das ist doch einfach Musik. (Gar nicht was ich sonst höre, aber klasse.) )
 
Zitat aus dem Buch der Problemlösungen unter Musikern, 1.Kapitel, geschrieben von NERD:

"Macht mal Beats"
 
Fetz schrieb:
Ich hatte es eben ja schon angedeutet - die Emanzipation von den kulturellen Errungenschaften, sei es die klassische Harmonielehre oder die über Jahrhunderte ausgefeilten Instrumente, hinterlässt zwangsläufig ein Kompetenzvakuum.

Hmmm.... hinterlässt dann auch reine Synthesizermusik ein "Kompetenzvakuum", da sie ja ohne Frage die "über Jahrhunderte ausgefeilten Instrumente" ignoriert? ;-)

Es sei auch noch noch angemerkt, dass zB viele außereuropäische Musik (man höre sich mal Gamelan-Ensembles an) keineswegs nach den Grundsätzen der europäischen "klassischen Harmonielehre" funktioniert, und genauer besehen läuft nicht mal mittelalterliche Musik nach deren Regeln ab! Alles, wo man keine Tonikas, Dominanten und Subdominanten heraushören kann als "Irrweg" abzutun zeugt doch von einer recht beschränkten - und zudem eurozentrischen - Sichtweise. Ich zumindest mag zB auch die erste Massacre-CD, obwohl Dissonanzenreichtum da "System" ist, und auch zahlreiche andere atonale Musik:

http://www.youtube.com/watch?v=_SaW_MDVTRI
 
massacre hatt ich schon mal vorgestellt.
war damals echt scharf genauso wie fred friths skeleton crew -material -art bears-muffins mit frith und die beiden soloalben
von frith(speechless und gravity)
dekonstruktive rockmusik mit viel östlicher folklore und radicaler ästhetik
 
Nene, mit ihrem Fehlen von Dur und Moll und dauernden Taktwechseln (da kann man ja nicht mal dazu tanzen!) ist das ganz entartete Unmusik, nur kranke Hirne können sowas mögen! :fawk:

PS.: Art Bears sind großartig (übrigens "tonaler" als Massacre), v. a. das "Winter Songs"-Album, während ich die beiden genannten Fred-Frith-Soloalben weniger mag, die sind mir zu sehr ein "Gemischtwarenladen" (musikalisch gesehen).
 
EinTon schrieb:
Hmmm.... hinterlässt dann auch reine Synthesizermusik ein "Kompetenzvakuum", da sie ja ohne Frage die "über Jahrhunderte ausgefeilten Instrumente" ignoriert? ;-)

Natürlich. Warum werden heute denn immer noch Instrumente im großem Stil gesampelt? Warum nimmt man für Pop-Musik mechanische Instrumente auf, selbst wenn man sie hinterher so verfremdet, das sie elektronisch klingen?

Kennst du die simulierten Klaviere? Die sind inzwischen(!) auf einem Level angekommen, den ich für authentisch halte (es geht mir ja nicht um Goldohrentum), aber das hat man auch nur geschafft, weil man ein Vorbild nachgebaut hat. Ohne Vorbild eine derartig ausgefeilte Klangstruktur?
Da tun wir Syntheisten uns doch immer noch schwer. (Das aus fundamendal-philosophischer Sicht fragwürdige Unterfangen etwas stumpf nachzumachen ausdrücklich ausgeklammert, es ist hier einfach nur ein Beispiel für klangliche Differenziertheit. )

Das muss man bei aller Vorliebe für elektronische Klänge doch mehr oder weniger neidvoll anerkennen. "Ich will aber, das es klingt wie wenn ein Noob einem Labortongenerator auf den Schwanz tritt" hat was von "der Kuchen soll außen verbrannt und innen klitschig, ich finde das lecker so!".

Und, wie sehr oft, die ersten Jahre sind die fruchtbarsten, der Minimmoog ist ja schon ein Instrument, das eben die brauchbaren Varianten der einfach erzeugbaren elektronisch erzeugten Töne kann. Daraus haben sich dann ein Dutzend oder so etablierte Klangfarben rausgeschält, die man heute in jedem Rompler wie selbstverständlich neben 50's Hollywood-Strings findet.

Aber, und das ist hier der Punkt: auch der Mini wurde von einem kompetenten Instrumentenbauer gemacht - nicht von einem Komponisten für sein Werk zusammengelötet, weil er genau den Sound wollte, wie wenn man ein Ladderfilter bei 2.8V Oszillatorpegel betreibt. (Und noch ein paar hundert andere Details, die ein Instrumentenbauer eben bedenkt. )

EinTon schrieb:
Es sei auch noch noch angemerkt, dass zB viele außereuropäische Musik ...

Oh, ich wollte hier keinen Kulturimperialismus betreiben. Es geht einfach darum, etwas Bestehendes, was von vielen Menschen über Jahre zusammen weiterentwickelt wurde, mit einer großartigen Geste durch etwas zu ersetzen, das man sich - überspitzt formuliert - morgens beim Scheissen ausgedacht hat[1].
Ich halte den Zahn der Zeit da für ein ganz gutes Kriterium. Und da haben sich die naiven technischen Umsetzungen musikphilosophischer Ideen einfach nicht so recht durchsetzen können.

[1]Die Koinzidenz zum Klogeräusch des Ausgangspostings möge jeder selber bewerten.
 
EinTon schrieb:
??? wenns langweilt ...


.. ich finde den Teil mit den "halbtonalen" Instrumenten eigentlich auch viel spannender. Nur leider kann ich da wenig zu beitragen - bis auf das ich mal eine von mir als "atonal" synthetisierte Cowbell auf den Track tunen musste. Da reicht aber ja wohl eine Spektralline die dumm zur Tonart liegt.
 
Fetz schrieb:
EinTon schrieb:
??? wenns langweilt ...

Sorry, ein von mir versehentlich zu früh abgeschickter Beitrag... (wollte eigentlich "Vorschau" klicken...
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Fetz schrieb:
Natürlich. Warum werden heute denn immer noch Instrumente im großem Stil gesampelt? Warum nimmt man für Pop-Musik mechanische Instrumente auf, selbst wenn man sie hinterher so verfremdet, das sie elektronisch klingen?

Kennst du die simulierten Klaviere? Die sind inzwischen(!) auf einem Level angekommen, den ich für authentisch halte (es geht mir ja nicht um Goldohrentum), aber das hat man auch nur geschafft, weil man ein Vorbild nachgebaut hat. Ohne Vorbild eine derartig ausgefeilte Klangstruktur?

Hi, Fetz!

Falls Du das implizit unterstellts: Stockhausen wollte mit seiner elektronischen Musik nie die akustischen Instrumente abschaffen (etwa nach dem Motto: "Jetzt habe ich die elektronische Musik erfunden, und ab sofort brauchen wir Klaviere, Violinen und Große Trommel nicht mehr").

Diejenigen, die hier Stockhausen allein als Komponist elektronischer Klänge promoten (incl. eines gewissen Elektrokamerads... ;-) ) übersehen, dass der größte Teil des Werks von Stockhausen durchaus für herkömmliche Instrumente geschrieben wurde, etwa die "Gruppen" für 3 Orchester (ich habe das Stück vor 2 Jahren in Strasbourg live gehört, war Klasse! :gay: )



Fetz schrieb:
Oh, ich wollte hier keinen Kulturimperialismus betreiben. Es geht einfach darum, etwas Bestehendes, was von vielen Menschen über Jahre zusammen weiterentwickelt wurde, mit einer großartigen Geste durch etwas zu ersetzen, das man sich - überspitzt formuliert - morgens beim Scheissen ausgedacht hat[1].

So ganz stimmt das aber (im Bezug auf die Zwölftontechnik) nicht...

Man muss dazu wissen, dass es "atonale" Musik schon vor der Zwölftontechnik gab - sämtliche späteren "Zwölftöner" komponierten zunächst "frei-atonal", d. h. die herkömmliche Funktionsharmonik mit ihren Grundtönen und Kadenzen war außer Kraft gesetzt, und ebenso gabs eine Vorliebe für "schräge", dissonanzenreiche Klänge. (Wer an einem Beispiel interessiert ist: ich empfehle mal die "6 Stücke für großes Orchester" (insbesondere Stück 4 - "Trauermarsch" - welches allerdings eher nach Horrorfilm-Soundtrack klingt) oder die späteren, soundscapeartigen "5 Stücke für Orchester" - keine Angst, beide Zyklen dauern nicht allzulange ;-) - v. a. aber ist das alles "atonal" aber eben nicht zwölftönig!). Diese wiederum ergab sich daraus, dass im 19. Jahrhundert die Funktionsharmonik immer weiter ausgeweitet und schließlich an ihre Grenzen getrieben wurde - speziell ein gewisser Richard Wagner mit seinem "Tristanakkord" (aus der Oper "Tristan und Isolde") war ein Vorantreiber dieser Entwicklung. Insofern lag die komplette Auflösung der Tonalität Anfang des 20. Jahrhunderts in der Luft...

Die erst 1923 eingeführte Zwölftontechnik war dann ein Versuch Schönbergs, Atonalität gewissermaßen zu "rationalisieren", (er selber mochte den Begriff "Atonalität" übrigens nicht und bevorzugte "Atonikalität", was soviel wie "Grundtonfreie Musik" bedeutet). Schönberg hatte wohl das Bedürfnis nach einem neuen "System" für seine Musik, nachdem das traditionelle, funktionsharmonische System weggebrochen war. Das alte System hatte auf Grundtönen basiert. Da Schönbergs Musik jedoch gerade durch das Fehlen eines Grundtons (oder Grundakkords) charakterisiert war, lag es nahe, das neue System auf eben dieser Eigenschaft zu basieren, also alle Töne gleichberechtigt zu machen. Und genau das führte dann zur „Erfindung“ der Zwölftonreihe.

Nun muss man diese Konsequenz natürlich nicht überzeugend finden (ich selber habe aus bestimmten Gründen auch gewisse Probleme mit der Reihentechnik…), gleichwohl sollte man sich bewusst sein, dass Schönberg nicht „morgens beim Scheissen“ plötzlich dachte: „Und jetzt mach’ ich mal was völlig neues, und scheußlich klingen soll’s außerdem!“, sondern sich sein System aus den - von Dir angemahnten – historischen Entwicklungen ergab. (Es gibt manche Klassikkenner, die die Einführung des Zwölftonsystems in der damaligen musikgeschichtlichen Situation für geradezu zwingend halten, aber so weit würde ich nicht gehen…)

Ich halte den Zahn der Zeit da für ein ganz gutes Kriterium. Und da haben sich die naiven technischen Umsetzungen musikphilosophischer Ideen einfach nicht so recht durchsetzen können. .


Kommt drauf an, was Du unter „durchsetzen“ verstehst – speziell in den 50er und 60er Jahren war die Methode unter Komponisten sehr erfolg- und einflussreich und Stockhausen, Boulez und Nono weiteten die Reihentechnik gar noch auf andere Parameter aus (zB Tondauer, Klangfarbe, Tempo…)

Und was „das Publikum“ betrifft – klar, Mozart wird mehr gehört als Stockhausen. Aber Lena Meyer-Landrut wird auch mehr gehört als Autechre (oder – um etwas nicht-synthetisches zu nennen – eine beliebige Metal-Combo). Ist deswegen Autechre jetzt weniger „wert“ als Lena? Warum soll Musik, die nicht „die Massen“, sondern ein Minderheitenpublikum begeistert eigentlich fragwürdig sein??
 
Kriterien ?

Ich arbeite gerade daran so etwas wie Schamanengesang von einer Sängerin mit meiner musikalischen Welt in Einklang zu bringen..
Für mich zählt nur das ich mit dem Ergebnis meiner Arbeit etwas anfangen kann und ich für mich weiter komme. Wenn mit dem Resultat auch andere etwas anfangen können, prima, wenn nicht.. Musik machen bedeutet für mich den Weg zu gehen den ich für richtig halte und meine Ideen umzusetzen, so fern es mir seitens der Technik möglich ist. Wer sich irgendetwas überstülpen lassen muss kann das ja gerne mit sich geschehen lassen, mein Weg ist das aber nicht.
 
Das "die 4 Kriterien der elektronischen Musik" natürlich lediglich die 4 Kriterien der elektronischen Musik der Stockhausen-Schule um 1950-70 sind, ist in der Tat anmerkungsbedürftig ;-) . Allerdings gabs damals auch nicht viel andere vollelektronische Musik...
 
Der Grund dahinter bei mir ist einfach. Ich brauche ja nur vor die Tür zu gehen und muss mich schon an irgendetwas halten das sich einer oder mehrere ausgedacht haben.. Also ich brauche das nicht auch noch in meiner Freizeitgestaltung, ne echt nicht. Da dies ein öffentliches Forum ist habe ich auch nicht das Bedürfnis dies jetzt näher zu erläutern.


Nachtrag:

@ EinTon
Da stand von dir aber gerade etwas ganz anderes und nun macht meine Erklärung nicht wirklich mehr Sinn.. Oder wie, oder was.. oder doch? :mrgreen: *Prost*
Aber macht nichts, ich editiere ja auch öfter, passt schon. Muss jetzt aber auch mal ins Bett.. Bier + Fußball = Bin breit.

N8
 
EinTon schrieb:
ein von mir versehentlich zu früh abgeschickter Beitrag
Puh, ich hatte schon Schiss, ich hätte dich irgendwie verärgert...

und guter Text :supi: , das muss ich erst mal verarbeiten.


P.S.: Das mit den Regeln ist ja so eine Sache - ich habe ewig nicht verstanden, was die Leute immer gegen die Harmonielehre haben, bis mir klar wurde, dass sie die als Verkehrsregeln verstanden hatten. Ich empfind die zwar immer als semi-gelungenen Versuch hinterher zu erklären, was musikalisch funktioniert, mit einem (mich) irritierenden Hang zu einer Diskrepanz zwischen komplizierten Regeln und einfacher Musik und umgekehrt, aber ablehnen? :dunno:

Hier gibt es natürlich zwei Sachen: zum einen, was wir lernen können, und zum anderen, was einfach nur pseudowissenschaftlich hergeleiteter Nonsens ist. (Wobei a)letzterer durchaus funktionieren kann, eine defekte Herleitung sagt bekanntlich *nichts* über die Aussage aus und mir b) solcher Schmu einfach auf die Nerven geht. => Vorsicht: Sendungsbewusstsein! Dabei ist der konstruktive Teil eigentlich viel besser. )

Wer damit nix anfangen kann, nimmt eben den nächsten Thread. "Macht lieber fette Beats ihr Hanseln" kann man schwerlich etwas entgegenhalten.
 
"You don't have to look in Playboy to know in which position to have an orgasm."
-Miles Davis
 
Nachtrag: Die oben erwähnten "6 Stücke für großes Orchester" und die "5 Stücke für Orchester" sind vom Schönberg-Mitstreiter Anton Webern, was ich vergaß mitaufzuschreiben...
 
Fetz schrieb:
ich habe ewig nicht verstanden, was die Leute immer gegen die Harmonielehre haben, bis mir klar wurde, dass sie die als Verkehrsregeln verstanden hatten. Ich empfind die zwar immer als semi-gelungenen Versuch hinterher zu erklären, was musikalisch funktioniert, mit einem (mich) irritierenden Hang zu einer Diskrepanz zwischen komplizierten Regeln und einfacher Musik und umgekehrt, aber ablehnen? :dunno:

grade stufentheorie und skalen funktionieren prima als küchenrezepte (abwandlungsfähig). ohne kommt man halt durch keine improvisation so durch, dass der rest der combo noch weiß wo man ist. mehr als die paar stufen und skalen muss man da kaum wissen, dominantenbeziehungen und medianten noch und man ist recht weit.

[edit: pardon, zwei absätze von einTon übersehen - leichte wiederholung...]
die zwölftöner haben ihre kompositionen, wie ein-ton oben schon beschrieben hat, aus der fortgeschrittenen chromatik der spätromantik entwickelt. das war ein schrittweiser prozess, der dann zur emanzipation aus üblichen kadenzschemen führte. um nicht in alte klischees zurückzufallen haben sie dann zunächst terzschichtungen - wie oben aufgemalt - erstmal möglichst vermieden (s. kinderstück). sonst fällt man nämlich immer wieder in die dur/moll-assoziationen zurück. jazzharmonik ist dahinter zunächst wieder zurückgefallen, indem man sich harmonisch an die impressionisten angelehnt hat - plus blues.

(der begriff "pubertäre auflehnung" ist für einen solchen fortgeschrittenen künstlerischen prozess wie die entwicklung der zwölftontechnik für mein empfinden arrogant. man höre einmal in die schönberg klavierstücke op. 11 einerseits und op. 19 andererseits hinein.)

einen bruch sehe ich erst, wenn man sich von zwölfton-harmonik auch noch löst und auch außereuropäische harmonik vermeidet. komposition nur mit klangfarben - ist das mehr als geräuschcollage?

avantgarde muss aus meiner sicht den fortgeschrittensten teil der hörerschaft gerade noch kommunikativ mitnehmen. wenn der kommunikationsstrom zum publikum ganz abreißt, wird es beliebig. zu merken, wann das passiert, setzt allerdings voraus, dass man seine eigenen hörgewohnheiten auf dem stand der zeit hält. wie gesagt, wer intensiv zwölftonmusik hört, der hört dort auch falsche töne - wie jemand, der bach-fugen gut kennt, quintparallelen bemerkt. wenn man lieber beatmusik hört ist das ok, man hat dann aber zu den anderen beiden themen sinnvollerweise nichts beizutragen.
 
wieso erzählt eigentlich jeder immer dem anderen wies es zu sein hatt und dann auch noch warum
anschliesend überschneidet sich alles und nix stimmt
eigentlich sucht jeder für sich eine theorie um sich abzugrenzen.
identitätswahrung
aber das ist auch nur wieder irgend sone ansicht .

naja so ist das halt
 
Ich finde das völlig interessant - und lasse mich (vor allem was kunstvolle Notenstapelei und Komposition angeht - da bin ich wirklich Noob) auch gerne mal von einer anderen Meinung überzeugen. Was Fab und EinTon hier schreiben ist doch eine verständliche und (mich) überzeugende Darstellung.
Muss ja nicht jeder toll/spannend/interessant finden, wie haben noch gaaaaanz viele Leerthreads, kannste gut ein paar von Aufmachen. Gerne für spannende, am liebsten musikalische, Themen, die dich interessieren.
 
archeology schrieb:
wieso erzählt eigentlich jeder immer dem anderen wies es zu sein hatt und dann auch noch warum
anschliesend überschneidet sich alles und nix stimmt
eigentlich sucht jeder für sich eine theorie um sich abzugrenzen.
identitätswahrung
aber das ist auch nur wieder irgend sone ansicht .

naja so ist das halt

Oftmals sind es nur Theorien oder Gedankenmodelle, die noch nicht „verifiziert“ sind. Oder sie überschneiden sich bzw. entwickeln sich noch und liefern daher Meinungsvielfalt oder „Sprengstoff“ für so manch aufgeheizte Diskussion.
Gegenteil wäre z. B. ein physikalisches Gesetz; wie das der Schwerkraft. Das gilt als gesichert und darüber zu diskutieren dass der Apfel in unserem System von oben nach unten fällt wäre öd.

Dabei sind es gerade die noch nicht gänzlich erforschten Bereiche – eben auch in der Musik – die Spaß machen können. Musiktheoretische Grundlagen können einen in der Praxis weiterhelfen, wenn es z. B. um Harmoniensysteme geht.

Man kann aber auch Auto fahren ohne den Verbrennungsmotor zu verstehen.
 


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