Auszug aus der Diskussion im ehemaligen Keyboards Forum zu meiner damals neusten elektronischen Komposition "Rimper" aus dem elektronischen Zyklus "Rimper, ramper rumper - in der Ecke "bumper". Vielleich hilft das bei der qualitativen Bestimmung von Komposition ein bisschen weiter, ihr musikalischen Nullen.
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Forum: Synth/Sampler
tool8
12.02.2004, 00:20 Uhr
Hiermit möchte ich meine neuste elektronische Komposition vorstellen
Hallo Dirk, ich kam bislang leider lediglich in den Genuss der mono Variante über die mac-internen Lautsprecher, vermute also, raumklangliche Faktoren nicht gehört haben zu können. Da ich zuletzt auch auf dem aphoristischen Sektor tätig war, hat mich Dein Stück auf dem richtigen Fuß erwischt.

(das ist ja mal was, der falsche Fuß ist generell überlastet!) im folgenden einmal meine Analyse: soweit ich frequenztechnische Aussagen treffen kann, deute ich den Anfang als weißes Rauschen. Daraus ergibt sich der zentrale Kontrast: ein vollkommen gefülltes Frequenzkontinuum (weißes Rauschen eben) wird kontrastiert mit seinem exakten Gegenteil, der Stille. Diese beiden akustischen zustandsformen enthalten in sich bereits sämtliche mögliche Musik, das sind gewissermaßen die grundlegenden frequenziellen Grenzen, innerhalb derer Musik existiert. gegen Ende tritt ein etwas konkreteres Geräusch in Erscheinung, welches durch seine klar erkennbare Länge (bzw. Kürze) den nunmehr dritten Parameter ins Spiel bringt: die strukturierende Kraft der Zeit. dieses formbildende Element bedingt somit eine rückwirkende Neubetrachtung des bereits gehörten: der zuvor quasi formlose (weil zeitlich nicht definierbare) Bereich wird neu belichtet. Bei mir stellte sich auch die assoziative Frage in den Raum, ob eventuell das Stück *rückwärts* abgelaufen war. Danach folgt Stille; einerseits wird die Antwort dadurch gegeben, andererseits in Form einer weiteren Frage. Bzw. hebt sich der Unterschied zwischen Frage u. Antwort auf. Er wird obsolet, denn ein Zeitabschnitt - die Dauer des Stückes- wurde erfahrbar gemacht. soweit meine Gedanken; liebe Grüße: Sigi
Forum: Synth/Sampler
Anna Lüse
12.02.200, 03:21 Uhr
Hiermit möchte ich meine neuste elektronische Komposition vorstellen
Lieber Sigi, vielen Dank für deine lieben Zeilen. Sicherlich wird der studierte Musikwissenschaftler anders als der gemeine Zuhörer an Werke herangehen, und so ist es mir eine Freud und Ehre, dass du dich mit meiner Komposition auseinandergesetzt hast. Danke. Ich selber arbeite ja eher intuitiv, und im Nachhinein fallen mir die Zahlenverhältnisse der einzelnen Abschnitte auf: 3 Sekunden Stille 30 Sekunden Weißes Rauschen, linker Kanal, minus 6 dB 30 Sekunden Stille 200 Millisekunden Weißes Rauschen und Siunston 1 kHz, rechter Kanal, 0 dB 15 Sekunden Stille 3, 6, 30, 30, 15 - das hat System 200, 0 - das passt nicht zu 3, das ist anders, ist auch rechts Wenn man jetzt über die Technologie verfügen würde, die gesamte Komposition um den Faktor 3 x 6 x 30 x 15 x 200 x 0 zu beschleunigen, dann, ja dann würde sich ein Klangspektrum im Kontinuum ergeben, das meinem sehnlichsten Wunsch nach Idealklang entspräche.
Liebe Grüße AnnaDirk
Forum: Synth/Sampler
Anna Lüse
12.02.200, 03:59 Uhr
Hiermit möchte ich meine neuste elektronische Komposition vorstellen
Ergänzung: Weiter oben hatte ich ja bereits geschrieben, dass es meine strikte Anweisung als Bestandteil der Kompostion war, dass weder ich als Komponist, noch Axel als Aus- und Aufführender sich das Werk bei der Entstehung und danach anhören dürfen. Das folgt doch letztendlich auch dem Prinzip der Beschleunigung der Komposition mit dem Faktor Null. Somit erfüllte die Arbeit die Anforderung an Konzeptkunst, denn das Wie, nicht das Was, steht im Vordergrund.
Anna Lüse Konzeptkünstler/in
Forum: Synth/Sampler
tool8
12.02.200, 14:17 Uhr
Hiermit möchte ich meine neuste elektronische Komposition vorstellen
Lieber Dirk, vielen Dank für deine erläuternde "Gegendarstellung". Die Diskrepanz zwischen "emotionalem Feedback" (meine Analyse) und deiner "strukturellen Werkformel" verdeutlicht eigentlich sehr gut einen der interessantesten Aspekte von Kunst, in welchem das Bewusstsein ordnende, konstruktive bzw. konzeptionelle Prozesse steuert: die Konstruktion, die *bewusst* getätigt wird, ist irgendwo immer auch unsichtbar gesteuert von einer darunter liegenden Ebene. und das paradoxe ist nunmehr, daß selbst bei der vollständigsten konstruktiven Vorbestimmung des Materials die darunterliegende -nenn es seelische oder emotionale - Ebene nicht ausgeschaltet werden kann. (ich brauche dir nicht zu sagen, daß ein zentraler Gedanke gerade der Nachkriegskomponisten wie Boulez u. Stockhausen darin bestand, das manipulative Element der Emotionalität auszugrenzen und durch eine nichtmanipulative Ordnung zu ersetzen. Der Schock, welche manipulative Kraft die Musik Wagners etwa in den Inszenierungen der Nationalsozialisten entfaltet hatte, saß zu tief. Es ist tragisch zu sehen, mit welcher Präzision die Traumfabrik Hollywood widerum genau diese propagandistischen Tendenzen aufgriff u. in sinne der "Führer" fortsetzte, darauf habe ich hier schon einige Male hingewiesen. Die Kernelemente: Wiederholung (eintrichterung) sowie Anpassung nach unten (banalisierung, verkitschung) sind mittlerweile zu den alles bestimmenden Grundpfeilern unserer "Kultur" geworden.) Ich bin jetzt allerdings etwas ausführlicher abgewichen als geplant. Auf alle Fälle denke ich, daß unsere unterschiedlichen Betrachtungsweisen deiner Kompositon nebeneinander koexistieren können. Das wirklich interessante darin ist, daß die Conclusio aufs selbe hinausläuft: in meiner Analyse wird das "Unendliche" aus der Schnittmenge von Stille und Lärm durch das magische Moment des Ereignisses (zeitlich erfahrbare Strukturierung) erreicht, in deiner Konzeption durch eine imaginäre Multiplikation mit 0.
Liebe Grüße: Sigi
Forum: Synth/Sampler
skizzofranick
12.02.200, 00:54 Uhr
Hiermit möchte ich meine neuste elektronische Komposition vorstellen
Ich möchte mich der Interpretation von Herrn Tool8 anschließen und diese um eine weitere Dimension erweitern. Die von ihm schön aufgezeigte Dualität des Stückes wir im Stereobild konsistent weitergeführt: Links alles, Rechts nichts. Das Stück ist ein allumfassender Ausdruck des Göttlichen. Das Rauschen repräsentiert das Leben mit all seinen Facetten, die Stille den Tod, mit viel raum für Interpretationen. Das Leben ist kurz, der Tod lang. Fangen wir zu denken an, so hören wir nur das Rauschen rechts, nicht aber bewußt die Stille links. Der Tod wird verdrängt. Doch was existiert zu erst - das Leben oder der Tod? Werden wir alle erst noch geboren? Auch das beantwortet uns dieses Stück auf erschreckend einfache Art und Weise: Es ist von Person zu Person unterschiedlich. Man kann die Boxen vertauschen, man kann das Stück rückwärts abspielen, man kann es sogar abschalten und dennoch bleibt die Dualität des Lebens allgegenwärtig. Danke für diese Offenbarung.