Das Elend der feuilletonistischen Musikkritik

CR

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Das ist ein Thema, über das ich mich permanent in Rage schreiben könnte haha.
Warum haben Leute, deren Beruf es ist, über Musik zu schreiben, oft so erschreckend wenig Ahnung davon?

Aktuell getriggert durch die Nachrufe auf Florian Schneider. Wenn sich nur an den Eckdaten und Chronologie der Bandgeschichte abgearbeitet wird und irgendwelche Details nicht stimmen, geschenkt. Wenn aber die Kritiker zu philosophischen Betrachtungen ansetzen oder ihre besonderen Kenntnisse über die Band auspacken wollen, geht es richtig in die Hose, z. B. :


Nein, Afrika Bambaataas "Planet Rock" basiert NICHT auf dem Beat von Trans Europa Express. Um das zu hören, braucht es bestimmt kein Musikstudium. (Nebenbei: Jens Balzer ist wahrscheinlich der bekannteste/bedeutendste Popmusik-Journalist in Deutschland und veröffentlicht sogar Bücher zum Thema)



Auch hier: Ja, Kraftwerk hatten immensen Erfolg im Ausland, aber doch primär auch in Deutschland. Ich wüsste nicht, dass sie "hierzulande belächelt wurden".
Und was sollen denn "Synkopenläufe" sein? Was für ein Bullshit.
Und am schlimmsten wie immer: Trans Europa Express soll in Afrika Bambaataas "Planet Rock" "gesampelt" worden sein (1982 wohlgemerkt)? Lol.

Rant Ende.
 
Solche 'Fachleute' (oder hieß das Flachpfeifen - bin mir da nicht ganz sicher...) am Besten gar nicht ignorieren - ist viel Pseudo, Psycho & Voodoo mit im Spiel! Just my 2 cents...
 
Mich interessiert keine Kritik, das ist was für Kritiker und juckt mich nicht die Bohne.
 
"hierzulande belächelt wurden".
Das wurden sie nicht, sie wurden allerdings zB mit dem Mensch-Maschine-Album hier 1982 erst größer, obwohl es 1978 fertig war. Das haben in der Zeit auch einfach nicht alle sofort verstanden.
Und man kann schon sagen, dass sie massiv Einfluss auf viele Bands hatten und haben. Egal ob man sie mag oder nicht.

Kann dir also beipflichten, dass das wohl sehr subjektiv ist und ggf. mehr über den Autoren verrät. Es ist idR aber auch retrospektiv manchmal anders als in der Zeit in der dies oder das passierte. Einige waren ja nicht einmal bereit für Synthesizer. Da mussten viele Bands noch kämpfen. Selbst Depeche Mode erklären auf ihren ersten Konzerten oder TV Auftritten erst einmal, dass sie Synths nutzen, man musste sich regelrecht entschuldigen dafür.

Deshalb dauerte es auch ewig, bis Elektronische Popbands wie DM den Ruhm auch genießen durften, den eine Gitarrenband natürlich viel schneller zugestanden bekam. Das ist heute sicher alles nicht mehr so, aber damals gab es permanent Dinge, die einige wirklich sehr hoch getrieben haben. Kraftwerk haben in Erscheinung und Aussagen natürlich auch nicht gerade Standard abgeliefert. Das ist vermutlich vielen hier klar, egal ob man sie nun mag oder nicht.
 
So genannte Musikkritiker (ebenso viele Radiomoderatoren) sind oft Ex-Mucker, die Ihren Frust dann an Künstler auslassen, die es "geschafft" haben. So tickt der Mensch nun Mal... zumindest manchmal!
 
Warum haben Leute, deren Beruf es ist, über Musik zu schreiben, oft so erschreckend wenig Ahnung davon?
Das hat einen ganz einfachen Grund: Weil überhaupt kaum jemand Ahnung von Musik hat. Es ist eine super-abstrakte Kunst. Schon das dazu leider notwendige Vokabular beherrschen ja die wenigsten.

Beispielsweise glauben viele Leute, über Musik zu reden, sprechen aber über die Texte. Oder über den Interpreten und sein Image. Und meistens vor allem über Verkaufszahlen, die irgendetwas beweisen sollen, was mit der Musik IMHO nur ganz am Rande etwas zu tun hat.

Die Existenz von Musikkritik beweist eigentlich nur, dass ein Interesse an Musik durchaus besteht, und das ist ja erstmal etwas Gutes. Das lässt vermuten, dass die Kritiker auf die Dauer grundsätzlich eben doch einfach das schreiben, was ihre Leser gerne lesen wollen. Oder? : - )
 
Tja, hierzulande belächelt?

Wo habe ich zum ersten mal Nina Hagen, Kraftwerk, Herbie Hancock und Pat Metheny gehört? Richtig, Musikunterricht in der Schule.

Grüße
Omega Minus
 
So genannte Musikkritiker (ebenso viele Radiomoderatoren) sind oft Ex-Mucker, die Ihren Frust dann an Künstler auslassen, die es "geschafft" haben. So tickt der Mensch nun Mal... zumindest manchmal!
Sind aber lange nicht Alle so.
Die meisten Kritiker beschäftigen sich ausgiebig mit dem Künstler, bevor sie beispielsweise eine Rezension schreiben.
Aber natürlich ist vieles auch eine Sache des persönlichen Geschmacks und wenn ein Hardrockfan eine Rezension über elektronische Musik schreiben soll, dann kann das Bild auch schon mal etwas verschoben sein.
Ich denke aber, das sowas auch dazugehört.
 
Wenn das Elend der Musikkritik darin besteht, dass diejenigen, die Musikkritik betreiben, in Wahrheit eigentlich gar keine Ahnung haben, ganz im Gegensatz zu denjenigen, die Musikkritik kritisieren, dann wäre es sicher am besten, wenn diese Kritiker es einfach mal selber anpackten: mach mit, mach's nach, mach's besser. Würde gerne mal ein Buch von euch lesen.
 
Ich hätte als Jugendlicher ohne die Plattenkritiken in der Sounds entscheidende Platten nicht mitbekommen. Heute erzählen mir diese Schätze (Joy Division, Cure, PIL, Residents, Throbbing Gristle, Einstürzende Neubauten, etc.) ganz viel über mich. Schon lange ist für mich das Groove Magazin (noch online aktiv) super für Empfehlungen. Dann ab nach Berlin zum Plattenkaufen , etc.
 
Mal zur Ehrenrettung des TAZ-Autors:

Ich wüsste nicht, dass sie "hierzulande belächelt wurden".
Durchaus. Doch Bartos beschreibt in seinem Buch doch sehr eindrücklich wie sie sich hier wahrgenommen fühlten, und was für eine Offenbarung es für sie war, erst in Frankreich und dann in USA hofiert zu werden (in beiden Fällen auch ein Verdienst ihres Impressarios

Und was sollen denn "Synkopenläufe" sein?
Musiksprachlich völlig Korrekt. Die Basis-Rhythmusfigur von TEE ist Synkope. Man muss auch sehen, dass damals - Anfang der 80er - komplette 8tel-Tyrannei in der weißen Popmusik herrschte (ja, auch ich fand grade 8tel auf der Gitarre einfach nur geil).

Das mit dem "Planet Rock"-Beat ist allerdings in allen Fällen unreflektiertes Abschreiben.
Und hat denn KW tatsächlich einen Prozess gegen Silverman geführt? Ich dachte, dass das außerhalb der Gerichte lief. Vor Gericht hätte ja ein Vergleich der Beats ergeben, dass sie nur ähnlich und nicht gleich sind.



Und insgesamt sollte man vielleicht den Leute zu Gute halten: Sie sind keine Musikkritiker und auch keine Fachautoren für Keyboards oder Studio, sondern Feuilleton-Redakteure. Ihr Job ist es nicht technisch recht zu haben, sondern ihr Job ist es, unterhaltsame Texte zu schreiben, die man auf Papier drucken kann, für das andere Leute dann Geld bezahlen, und bei dem Anzeigenkunden dann denken, dass es rentiert Anzeigen mitdrucken zu lassen.
Für Erika 'Aisha' Broksieper (=TAZ-Leserin) und Studiendirektor Müller-Lüdenscheid (=Zeit-Abonnent) ist es letztlich nicht wichtig, was in ihrer Zeitung steht, sondern dass die Zeitung ihnen ihr Selbstbild bestätigt.
 
"Most rock journalism is people who can't write, interviewing people who can't talk, for people who can't read." (Frank Zappa)

"The press is a gang of cruel faggots. Journalism is not a profession or a trade. It is a cheap catch-all for fuckoffs and misfits—a false doorway to the backside of life, a filthy piss-ridden little hole nailed off by the building inspector, but just deep enough for a wino to curl up from the sidewalk and masturbate like a chimp in a zoo-cage." (Hunter S. Thompson)

Stephen
 
"Most rock journalism is people who can't write, interviewing people who can't talk, for people who can't read." (Frank Zappa)

"The press is a gang of cruel faggots. Journalism is not a profession or a trade. It is a cheap catch-all for fuckoffs and misfits—a false doorway to the backside of life, a filthy piss-ridden little hole nailed off by the building inspector, but just deep enough for a wino to curl up from the sidewalk and masturbate like a chimp in a zoo-cage." (Hunter S. Thompson)

Stephen
„Wenn die Sache irre wird, werden die Irren zu Profis.“ Raoul Duke.
 
Oh, die berüchtigte Gig-Polizei :)

Bekanntes Phänomen, aus guten Gründen geteert und gefedert seit Goethe, und der war nichtmal Musiker.

Der schlimmste Typ Autor ist der, der keinen Schimmer von Musik hat, aber gut schreiben kann. Dieser Sofa-Kritiker fängt gerne mit einer bizarren Headline an und richtet dann den Gewehrlauf auf den Künstler ad hominem. Das rezensierte Stück dient nur als Steigbügelhalter. Niemals arm an erniedrigenden Adjektiven darf es sein, denn im schlimmsten Falle könnte es ja etwas Positives bewirken. Dem Künstler einen Denkanstoß etwa, dem Publikum einen hilfreichen Tipp, mal da und dort genau hinzuhören.

Nein, es dient dem Ego des Schreibers, der sich den hinterhältigen Text dann später noch zwei oder drei Mal durchliest und wie genial dieser doch ist, dazu das geheuchelte Lob des Chefredakteurs, der es nichtmal gelesen hat.

Bei Elektro, Rock und Pop geht das alles noch als übersehbares Grundrauschen durch, so wirklich berüchtigt dagegen sind diese Kritiken im Feuilleton Abteilung Klassik und Jazz.

Er hier bringt es auf den Punkt.

The Critic it stinks midsize.jpg
 
Zuletzt bearbeitet:
Da halte ich es mit Public Enemy:

".... All the critics you can hang 'em
I'll hold the rope ..."

aus "Don't believe the hype".
 
Trans Europa Express soll in Afrika Bambaataas "Planet Rock" "gesampelt" worden sein (1982 wohlgemerkt)?

[EDIT]

Technisch wäre es 1982 scbon gegangen (mit Fairlight oder dem ersten Emulator)

Die Streicherlinie aus "Planet Rock" stammt in der Tat aus "Trans Europa Express", sie wurde aber nicht gesampelt sondern lediglich nachgespielt (unter Nutzung eines ähnlichen Sounds) . Gleiches gilt für den Drumbeat der mit dem aus Kraftwerks "Nummern" identisch aber ebenfalls kein Sample ist (hier werden auch völlig andere Drumsounds als bei Kraftwerk verwendet):

 
Zuletzt bearbeitet:
"Writing about music is like dancing about architecture."
(Unbekannter Verfasser, wahrscheinlich zu Unrecht Elvis Costello zugeschrieben)
 
Warum eigentlich nicht? Den Fairlight und den ersten Emulator gab 1982 doch schon.

Ich glaub nicht dass die damals schon mit Samples gearbeitet haben, das konnten sich damals nur wenige leisten, vielleicht mit Tonbändern oder per Platte, aber letztendlich ist es egal welche Technik sie genutzt haben.
 
"Writing about music is like dancing about architecture."
(Unbekannter Verfasser, wahrscheinlich zu Unrecht Elvis Costello zugeschrieben)

Es wird auch gerne mal Frank Zappa zugeschrieben.

Die meisten Schreiberlinge haben keine Ahnung von der Materie, über die sie schreiben -- da werden Zeilen gekloppt, um das Honorar zu kassieren, und jede Minute Recherchearbeit senkt den Stundenlohn empfindlich. Es gibt keine festangestellten Redakteure mehr, die meisten sind Freiberufler oder 450-Euro-Kräfte -- wer also am falschen Ende spart, bekommt die Quittung postwendend.

Stephen
 
Ich habe damals sehr über einen Artikel gelacht, der tatsächlich in
der gedruckten "Zeit" erschienen ist. Den Jüngeren unter uns sei er
nun verspätet zur Erheiterung aus dem Mottenkiste gekramt:

 
Musiksprachlich völlig Korrekt. Die Basis-Rhythmusfigur von TEE ist Synkope. Man muss auch sehen, dass damals - Anfang der 80er - komplette 8tel-Tyrannei in der weißen Popmusik herrschte

TEE erschien allerdings schon 1977. Das mit den glatten Achteln assoziiere ich speziell mit Songs des deutschen Postpunk bzw. der Neuen Deutschen Welle (von "Paul ist tot" über Ideals "Berlin" und den "Goldenen Reiter" bis zu "99 Luftballons"...)
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich glaub nicht dass die damals schon mit Samples gearbeitet haben, das konnten sich damals nur wenige leisten, vielleicht mit Tonbändern oder per Platte, aber letztendlich ist es egal welche Technik sie genutzt haben.

Der Berühmte Fairlight-Orchesterhit (ein Sample aus Strawinsky's "Feuervogel") ist aber auf "Planet Rock" sehr prominent zu hören!
 
Der Berühmte Fairlight-Orchesterhit (ein Sample aus Strawinsky's "Feuervogel") ist aber auf "Planet Rock" sehr prominent zu hören!

Könntest recht haben:

Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Planet_Rock_(song)
Baker is not sure when "Planet Rock" was recorded, stating it was either 1980 or 1981.[1] Prior to going into the studio, Bambaataa recalled working at Silverman's father's house in White Plains, New York, working on a bassline taken from BT Express that was not used.[3] Robie, Bambaataa and Baker recorded "Planet Rock" at Intergalactic Studio.[10] The group had previously recorded "Jazzy Sensation" at the same studio.[5] The record was completed quickly, as they did not have a large recording budget.[1] Baker said it took approximately three all-night sessions. During the first they developed the music and a bit of the rap. The next night they worked on the rapping, and the final night mixed the record.[1]

The studio's equipment included a Neve console, Studer 24–track tape machine and Urei monitors, a Lexicon PCM41 digital delay, Sony reverb and a Fairlight CMI digital synthesizer.[5][11] Baker said:
 
Ich habe damals sehr über einen Artikel gelacht, der tatsächlich in
der gedruckten "Zeit" erschienen ist. Den Jüngeren unter uns sei er
nun verspätet zur Erheiterung aus dem Mottenkiste gekramt:


Oder vgl. mal folgenden Zeit-Artikel von 2002:

https://www.zeit.de/2002/03/Orchester_aus_der_Dose/komplettansicht :?
 
sondern ihr Job ist es, unterhaltsame Texte zu schreiben, die man auf Papier drucken kann, für das andere Leute dann Geld bezahlen, und bei dem Anzeigenkunden dann denken, dass es rentiert Anzeigen mitdrucken zu lassen.
Für Erika 'Aisha' Broksieper (=TAZ-Leserin) und Studiendirektor Müller-Lüdenscheid (=Zeit-Abonnent) ist es letztlich nicht wichtig, was in ihrer Zeitung steht, sondern dass die Zeitung ihnen ihr Selbstbild bestätigt.
Wie traurig!
Das war in den 70ern anders!

Und ja - ich hab die auch belächelt - aus dem einfachen grund, weil ich auf "Schwarze musik" abgefahren bin und das tanzen entdeckt habe - Ich bin erst über "Chicago House" wieder zu Kraftwerk gekommen und das, obwohl ich Düsseldorfer bin und wir uns alle in der gleichen kneipe "Ratinger Hof" aufhielten...
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ich muss jetzt mal eine Lanze für Kritiker brechen:
Man muss nicht das beherrschen was ein Künstler beherrscht um es kritisieren zu können. Kritik ist immer eine Subjektive Sache bei der man versuchen kann sich dem Thema objektiv zu nähern. Letzten Endes ist es aber Kunst, die nicht objektiv bewertbar ist.

Ging mir jetzt nicht per se um den Typen aus dem Eingangspost, da ich Musikkritiken sowieso selten lese. Besonders bei Musik erscheint mir das überflüssig, da ich in der Regel selbst schnell Songstrukturen erkennen kann und mittels weniger Klicks mir eine Meinung zu dem Song bilden kann. Meist fällt das in die Kategorie "Mag ich" oder "Mag ich nicht". Differenzierter wirds erst dann wenn mich jemand darum bittet ;-)
 
Ich habe damals sehr über einen Artikel gelacht, der tatsächlich in
der gedruckten "Zeit" erschienen ist. Den Jüngeren unter uns sei er
nun verspätet zur Erheiterung aus dem Mottenkiste gekramt:


Die Paywall kann man umgehen, in dem man das Internet Archive (aka "Wayback Machine") benutzt:

Grüße
Omega Minus
 
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