Ich wollte zu diesem Thema nichts mehr schreiben, daher sprach ich
hier ja auch schon von einem "zu Tode gerittenen Pferd". Da die Begriffsdiskussion nun aber abgetrennt worden ist (Dank an
@Scenturio) und
@Horn das Thema nochmal aufgegriffen hat, kann ich nicht anders.
Nochmal zu "additiv vs. subtraktiv": Ich sehe das eher aus der Perspektive der Arbeit mit einem analogen System. Da muss man sich einfach klar machen, dass der ursprüngliche West-Coast-Ansatz (Buchla 200, Easel) genau entgegengesetzt funktioniert zum East-Coast-Ansatz (ARP 2500/2600/Odyssey, Moog Modular, Minimoog). Unstrittig ist, dass letzterer Ansatz als "subtraktive Synthese" beschrieben wird. Der Gegensatz dazu ist "additive Synthese" und so habe ich das Buchla System auch wiederholt beschrieben gefunden.
Buchla selbst hat diesen Begriff meines Wissens nicht zur Beschreibung der Klangerzeugung seiner Instrumente verwendet.
Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ja, es gab von Buchla bereits 1969 den
148 Harmonic Oscillator, der über mehrere Waveshaper auf analogem Wege die ersten 10 Harmonischen aus einem Sägezahn erzeugte (aus diesem hat Mark Verbos später seinen
262v Harmonic Oscillator entwickelt). Aber nein, daraus ist kein additiver Synthesizer geworden, denn Buchla selbst hat dieses Konzept nicht weiter verfolgt, sondern sich auf das Waveshaping konzentriert und dieses mit dem
259 Complex Waveform Generator frei einstellbar angeboten.
Daher bin ich ehrlich daran interessiert, mir die von Dir erwähnten Beschreibungen von Buchla-Systemen als mit additiver Synthese arbeitend näher anzuschauen & wäre daher dankbar, wenn Du irgendwann einmal die Zeit finden könntest, mir Quellenangaben zukommen zu lassen.
Durch die Einwände von @serge und @Thomasch habe ich mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, dass offenbar im allgemeinen Sprachgebrauch der Begriff "additive Synthese" heutzutage auf die Fouriersynthese bzw. solche Ansätze verengt wird, bei denen tatsächlich für jede addierte Harmonische ein eigener Sinus-Oszillator verwendet wird - bzw. seine digitale Repräsentation, weil das analog gar nicht befriedigend funktioniert.
Es lohnt sich, genau zu lesen, denn Du schreibst, der Begriff "additive Synthese" werde
heutzutage auf die Fouriersynthese
verengt: Genau das aber ist nachweislich falsch, wie ein Blick in die gängige Literatur zeigt.
Nimm z.B.
Allen Stranges Buch "
Electronic Music: Systems, Techniques, and Controls" von 1972 (zweite Auflage 1983), das additive Synthese auf Seite 17 als Fouriersynthese beschreibt und diese klar und deutlich vom Waveshaping und FM abgrenzt. Allen Strange hat eng mit Don Buchla zusammengearbeitet und die Anleitungen zum Music Easel und zu den Buchla-200-Modulen geschrieben, wir können also davon ausgehen, dass er mit der Philosophie hinter dem West-Coast-Ansatz bestens vertraut war – und dennoch hat er
additive Synthese, Waveshaping und FM klar voneinander abgrenzt.
Wir gehen weiter durch die Literatur:
André Ruschkowski widmet in "Elektronische Klänge und musikalische Entdeckungen" (1990, zweite Auflage 1998, Reclam) ab Seite 292 der additiven Synthese ein eigenes Kapitel – und das darauf folgende Kapitel trägt den Titel "Synthese durch Frequenzmodulation". Auch Ruschkowski hat wie Strange an verschiedenen Universitären über elektronische Musik gearbeitet und gelehrt.
Oder nimm den Artikel "Der Computer als Musikinstrument" von
Max Mathews und
John R. Pierce (wiederveröffentlicht im Sammelband "Die Physik der Musikinstrumente" von 1988 bei "Spektrum der Wissenschaft"), der auf Seite 174 die additive Synthese als "Summierung von Partialtönen beschreibt" und ausdrücklich von der "Synthese mittels Frequenz-Modulation" unterscheidet.
Und bereits
Werner Meyer-Eppler listet 1949 (!) "Additive Verfahren" als "Überlagerung … mehrerer gleichzeitig vorhandener Sinusschwingungen verschiedener Frequenz" (nach Elena Ungeheuer: "Wie die elektronische Musik »erfunden« wurde…", Schott 1992, Seite 78), und unterscheidet davon die "Multiplikativen Verfahren", zu denen er unter anderem die "nichtlineare Verzerrung [einer] sinusförmigen Schwingung" zählt, mithin also das, was beim Waveshaping passiert.
Davon abgeleitet wäre "multiplikative Synthesen" vielleicht ein für beide Seiten konsensfähiger Oberbegriff.
Logisch ist das nicht, denn das Wort "additiv" ist einfach der Gegensatz zu "subtraktiv". Wenn man mit einem komplexen OSC und Waveshapern im Stile des Buchla-Systems arbeitet, wird die dynamische Veränderung der Klangfarbe dadurch erzeugt, dass man das (additive) Hinzufügen von Obertönen über den Zeitverlauf moduliert, während bei der subtraktiven Synthese genau das Gegenteil geschieht, das Wegnehmen von Obertönen wird über den Zeitverlauf dynamisch moduliert.
Wenn Ihr das Buchla-Prinzip nicht "additiv" nennen wollt, dann nennt es irgendwie anders. Tatsache ist und bleibt, dass es sich in der Praxis exakt um das logische Gegenstück zum ARP/Moog-Prinzip handelt - und das Wort "additiv" beschreibt nun einmal den logischen Gegensatz zum Wort "subtraktiv".
Ja, Deine Herleitung von "additiv" als Gegensatz zu "subtraktiv" erscheint auf sprachlicher Ebene logisch, nur steht das Ergebnis nun einmal im Gegensatz zur etablierten Fachliteratur, und ist zudem noch weniger trennscharf als die etablierten Begriffe: Und das ist ein zu hoher Preis für eine sprachlich logisch erscheinende Umwidmung eines etablierten Begriffs.