(Im Spoiler weil eigentlich hinter der Paywall. Der Artikel ist von Jakob Biazza.
Schande über dich, Pop-Gott
Der Sänger Terry Reid wurde von den Größten verehrt, blieb kommerziell aber unvollendet. Ein Nachruf. Und eine Anklage an die Welt.
Man müsste an diesem Tag, der die Nachricht vom Tod des Musikers Terry Reid bringt, mal wieder über die lächerliche Zufälligkeit des Pop nachdenken. Darüber also, wer ausgewählt wird, von den Göttern oder vom Zeitgeist oder wen auch immer die Menschen eben bemühen, wenn sie nicht akzeptieren wollen, dass alles auch und vor allem Glück ist.
Die Legende um den kommerziell nie ganz auserwählten, dafür umso brillanteren Sänger und Songwriter Terry Reid – grandioser Spitzname: „Superlungs“ – besagt, dass er eigentlich Frontmann einer Band hätte werden sollen, die später auf den Namen Led Zeppelin hören und ein paar Hundert Millionen Alben verkaufen würde. Gitarrist Jimmy Page wünschte ihn sich angeblich sehr dringend. Genau wie etwas später Ritchie Blackmore, der sich gewünscht haben soll, dass Reid zu Deep Purple kommt. Reid aber hatte eine Solo-Karriere in Herz, Seele und Aussicht. Und schon damals ja ein paar vehement bedeutende Fans im Rücken. Ach was, Fans. Glühende Anhänger. Verehrer.
Der spätere Zeppelin-Frontmann Robert Plant: „Er war vermutlich der beste Sänger seiner Zeit.“ Die Sängerin und ganz allgemein Göttin des Soul, Aretha Franklin: „Genau drei Dinge passieren gerade in England: die Rolling Stones, die Beatles und Terry Reid.“ Der Gitarrist und ganz allgemein Gott des seelenberückenden Instrumentalwahnsinns Jeff Beck: „Das größte Ding, das seit den Beatles passiert.“ Und dann: passierte doch nix. Schande über dich, Pop-Gott, Zeitgeist, Welt.
„My albums were never released. They escaped“, hat Reid mal gesagt
Wobei es ganz so natürlich auch nicht stimmt. Die Großen und sehr Großen immerhin nahmen Songs von Reid auf. The Hollies etwa, Crosby, Stills & Nash auch. Dazu Jackson Browne, Marianne Faithfull, Cheap Trick, Jack White, Joe Perry, Chris Cornell. Natürlich taten sie das. Seine Originale waren ja absolut unwiderstehlich. Veredelt durch diese feuerspeiende Drachenstimme, die alles singen konnte und alles sang: Rock, Soul, Jazz, Riff-Rock, Bossa nova. Ja, Bossa. Die Kundigen himmelten Reid an, spätestens seit der Brite, geboren am 13. November 1949 in St Neots, Cambridgeshire, sein Debüt „Bang Bang, You’re Terry Reid“ veröffentlicht hatte. Die Presse liebte das Album, und sie liebte auch ein paar der Nachfolger, allen voran das wundervolle „River“.
Auch sonst stimmte ja fast alles. Mit Peter Jay and the Jaywalkers hatte er im Vorprogramm der Stones gespielt. Später nahm ihn der in diesen Dingen auffallend selten danebenliegende Ahmet Ertegün bei Atlantic Records unter Vertrag. Brachte ein Album heraus, das, wer weiß schon, warum die Welt so schlecht ist, nach damaligen Standards floppte. Irgendwann gab Reid auf. Beschränkte sich aufs Dasein als Session-Musiker. Kam zurück. Die Stimme schwer verdunkelt, aber immer noch unendlich wendig. Schaffte es wieder nicht ganz. Machte aber immer – und was will man denn eigentlich mehr? – anbetungswürdig kompromisslose Musik.
„My albums were never released. They escaped“, hat Reid mal gesagt. Sinngemäß: Seine Alben seien nie geplant veröffentlicht worden. Sie seien ihm einfach passiert. Sie entkamen. Am Montag ist er ihnen nun also hinterhergeeilt.