Hier ist ein präziser, technisch fundierter Vergleich „Analog (stellvertretend für Hardware) vs. Software“, und warum Mixe mit viel Hardware trotz guter A/B-Vergleiche beim Einzelplugin oft eindeutig anders klingen. Ich erkläre auch, was physikalisch bei analoger Summierung passiert — jenseits von „es gibt halt ein paar Harmonische“.
1. Warum klingen Einzel-A/B-Vergleiche oft fast gleich?
In Blindtests einzelner Geräte/Plugins (z. B. EQ oder Kompressor im Solo-Signal):
- Gute Plugins emulieren ein einzelnes Gerät heute extrem präzise.
- Die hörbaren Unterschiede liegen oft unterhalb der Just-Noticeable Difference (JND).
- Das Gehirn ist im Solo-Vergleich weniger empfindlich für kleine nichtlineare Effekte.
- Viele Hardware-Eigenheiten treten erst kumulativ auf (z. B. bei 20–60 Geräten im Mix).
Daher wirkt ein einzelner A/B-Vergleich oft: „Kaum Unterschied“.
2. Warum klingen komplette Hardware-Mixe trotzdem deutlich anders?
Der Unterschied entsteht kumulativ durch viele kleine analoge Effekte, die digital kaum oder nur teilweise modelliert werden — insbesondere wenn mehrere Geräte gleichzeitig arbeiten.
Die wesentlichen Punkte:
2.1. Summation von Spannungen ist physikalisch NICHT perfekt linear
Analoge Summierung bedeutet physikalisch:
Es werden reale elektrische Spannungen addiert, die über reale Widerstände, Operationsverstärker, Koppelkondensatoren und Stromversorgungen miteinander interagieren.
Das führt zu:
✔ Winzige Nichtlinearitäten der Summierstufe
– Verzerrung unterhalb 0,001 % THD
– aber sie passieren bei jedem Kanal
– summieren sich im Mix (z. B. 32–64 Inputs
Software addiert Samplewerte mathematisch perfekt.
Hardware addiert Ströme und Spannungen mit Toleranzen.
2.2. Frequenzabhängige Phasenverschiebungen (mikroskopisch, aber kumulativ)
Jedes analoge Bauteil hat:
- Kapazität
- Induktivität
- ESR / Widerstand
- Gruppenlaufzei
→ Aus all dem entsteht Phasenschiebung, die beim Summieren von vielen Spuren zu hörbaren Effekten führt:
- „Breiter“, „tiefer“, „organischer“ Stereoeindruck
- Weniger Härte im Hochton durch minimalen Phasenschliff
- Leichte Änderung der Transientenform
Plugins können das simulieren, tun es aber nicht automatisch in jeder Kette.
2.3. Crosstalk (Übersprechen)
Im analogen Pult:
Andere Kanäle „sehen“ ein wenig voneinander.
Das ist:
- frequenzabhängig
- phasenverschoben
- pegelabhängig
Dieser kleine „Glue-Effekt“ entsteht automatisch, 1000× pro Sekunde, bei jeder Kanalinteraktion.
Im Digitalen existiert Crosstalk gar nicht, es sei denn ein Plugin baut es ein.
2.4. Bauteiltoleranzen & Drift
Jedes Poti, jeder Widerstand, jeder Op-Amp weicht leicht ab (1–5 %).
Digitale Werte sind immer identisch reproduzierbar.
In Hardware bedeutet das:
- Kanal 1 EQ boostet +3,1 dB
- Kanal 2 EQ boostet +2,9 dB
→ winzig, aber im Mix ergibt es „Unperfektion“, die wir als „Tiefe“ und „Organisches“ empfinden.
2.5. Einschwingverhalten / Slew Rate / elektrische Trägheit
Hier steckt ein häufig übersehener Punkt deiner Frage:
Unterliegen die Spannungen einer Trägheit?
Ja. Ganz konkret:
- Slew Rate: Max. Geschwindigkeit, mit der ein Verstärker eine Spannung ändern kann.
- Rise Time: Wie schnell Transienten aufgebaut werden.
- Sättigung: Wenn die Slew Rate an ihre Grenze kommt → leicht abgerundete Transienten.
Plugins modellieren Slew-Rate-Limiting nur selten in jeder Berechnung der Summierung, eher in einzelnen Emulationen.
Analoge Summierung hat immer einen Hauch von Slew-Limit.
2.6. Stromversorgung → Micro-Modulation / Headroom-Verhalten
Selbst die Stromversorgung hat:
- Ripple
- Interferenzen
- Lastabhängige Schwankungen
→ Das führt zu extrem subtilen Pegelmodulationen, die besonders den Tiefbass und Transienten beeinflussen.
Oft wahrnehmbar als:
- mehr „Punch“
- stabilere Stereomitte
- schlüssigere Tiefenstaffelung
Ein PC berechnet immer identische Bits → keine Modulation.
3. Warum kann das Ohr das so gut hören?
Das menschliche Gehör ist außergewöhnlich sensitiv für:
- zeitliche Unterschiede im Mikrosekundenbereich
- Phasenverschiebungen
- Korrelation im Stereobild
- Transientenform
Und genau dort passieren bei analoger Summierung winzige, aber viele Effekte gleichzeitig.
1 Spur: kaum hörbar
20–60 Spuren: massiv hörbare Gesamtwirkung
4. Also: Sind Plugins „besser“?
Nein — sie sind präziser.
Plugins:
- arbeiten 100 % reproduzierbar
- sind rauschfrei
- haben perfekte Kanalgleichheit
- summieren mathematisch exakt
Die Frage ist nicht „besser vs. schlechter“, sondern:
Magst du perfekte Reproduzierbarkeit?
Oder das leicht chaotische Verhalten analoger Elektronik?
5. Kurzfazit – Was passiert physikalisch bei analoger Summierung?
Es passiert viel mehr als „Harmonische“:
- winzige Verzerrungen
- Slew-Rate-Limiting
- Phasenverschiebungen
- Crosstalk
- Rauschen
- Impedanzinteraktionen
- Bauteiltoleranzen
- Versorgungsspannungsmodulation
- Temperatur- und Lastabhängigkeiten
All das geschieht gleichzeitig auf allen Spuren.
→ Die Summe wirkt hörbar „größer“, „stabiler“, „tiefer“, „kohärenter“.
Wenn du willst:
Ich kann dir auch eine komplette technische Grafik oder ein leicht verständliches Modell „Was passiert in der Summierstufe“ erstellen — oder einen praktischen Workflow, wie man diese Effekte digital nachbildet.