COUNTDOWN für die Rundfunk-Kultur

Der Tag ist da, nur noch wenige Stunden sind deutschsprachige Rundfunkstationen auf Mittelwelle zu empfangen. Das letzte Mal z.B. die Deutsche Welle hören.
Für gar nicht wenige bedeutet das mehr als nur den Verlust eines wichtigen Stückes unserer Medien-Kultur. Die Trauer über den Verlust können natürlich alle diejenigen nicht nachvollziehen die nicht mit dem Radio aufgewachsen sind, die seit vielen Jahren bestenfalls mal FM-Sender hörten oder diejenigen, die überhaupt kein Radio hören sondern nur Konserven. Mehr als nur den Kulturverlust bedeutet das für alle diejenigen die in dünn besiedelten Gegenden wohnen die durch UKW-Sender sehr schlecht oder gar nicht erreichbar sind. An diesen Orten ist man dann abgeschnitten sofern man keine Satellitenanlage hat oder keinen Internetzugang. In vielen Tälern im Schwarzwald z.B. gibt es solche Situationen und ganz oft gibt es Gegenden in denen man nur einen oder zwei FM-Sender empfangen kann. (Bayern1 und Antenne Bayern z.B.) Von ausgewogener Information kann da nicht mehr die Rede sein.
Also, gedenkt heute vielleicht ein letztes Mal der großartigen Erfindung, dem Radio

Als Abgesang einige meiner absoluten Lieblingssendungen aus der Kindheit
1) Onkel Tobias (RIAS Kinderfunk) (1947 - 1972)

komplette Sendungen und Links zu weiteren Archiven
http://www.rias1.de/sound4/rias_/onkeltobias/onkel_tobias.html

2)
politisches Satiremagazin "Der Insulaner". (1948-1964) Ab etwa de, 12. Lebensjahr klebte ich am Radio wenn das kam)


In Berlin wurden die Frequenzen des RIAS (Rundfunk Im Amerikanischen Sektor) von den Russen gestört. Es gab große Sendemasten z.B. bei Königswusterhausen von denen Störsignale verhindern sollten, dass die Menschen in der DDR den "Feindsender" RIAS empfangen können. Originale Aufnahmen mit den Störungen habe ich keine gefunden, die Intensität der Störungen hängt immer auch von der Empfangslage ab. Nachdem die Störungen beim Rias hören in Westberlin nicht so schlimm waren dass man nichts mehr verstehen konnte, hörte man dennoch den RIAS. Die Störungen überhörte man mit der Zeit und irgendwann, das klingt vielleicht verrückt, irgendwann klang es vertraut, ja geradezu "gemütlich". Ich hatte mich vor einigen Jahren mal hingesetzt und die Störungen aus der Erinnerung "zusammengebastelt" und über Aufnahmen gelegt die ich auf einer Kassette fand (die allerdings über FM aufgenommen wurde, in Berlin gab es später RIAS auch auf UKW)

Clip1:

play:

Clip2:

play:
 
Das werbeverseuchte Hitrotationsgeklingel können sie meinetwegen auf allen Sendern, Kanälen und Frequenzen komplett abstellen und das gesparte Geld evtl. in eine etwas niveauvollere und ausgeglichenere Fernsehberichterstattung und Dokumentationen stecken. Im Grunde genommen können sie das Schrottfernsehen allerdings auch gleich einstampfen.

Höre seit über zehn Jahren kein Radio mehr - und ich hing in meiner Jugend jeden Abend davor. Das Gedrulle kann ich mir nicht mehr geben, sorry.

Trotzdem schade für Dich, wenn Du Wert drauf legst es nun aber nicht mehr hören kannst aber zu Hause hast Du ja Internetradio.
 
Ich höre nur UKW, und darüber auch nur Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur. Keine Werbung, breitgefächtert, niveauvoll, ausgewogen und informativ. Falls die abgeschafft werden sollten, würde ich auf die Barrikaden gehen.

Ein Mittelwellen-Radio habe ich mir damals mit meinem Philips-Elektronik-Experimentierkasten gebaut, das war aber neben versehentlichem Drücken der AM-Taste am Autoradio auch das letzte Mal, dass ich diese Übertragungsform bewußt gewählt hätte.
ee2003.jpg


Aber als Heidjer kannte ich auch keine FM-Empfangsprobleme.
 
Das Radio, wie man es als Informationskanal in der Nachkriegszeit kannte (oder in der Vorkriegszeit, als Propagandakanal), existiert schon lange nicht mehr. Radio ist im Prinzip wie die Printmedien ein vom Aussterben bedrohtes Medium, da andere Formen des Medienkonsums mittlerweile verbreiteter und *moderner* sind.

Dazu kommt ein gewisser Mangel an Inhalten und journalistischen Grundfähigkeiten, was die Aufbereitung derselben angeht, und schon sind wir bei 1Live, NDR1, WDR2 oder dem ganzen lokalen Dudelfunk, bei dem es nicht um Inhalte, sondern allenfalls um Trenner zwischen kommerziellen Werbeblöcken geht.

Der mediale Auftrag ist heute kein aufklärerisch-erzieherischer mehr (so, wie Radio in der Nachkriegszeit verstanden und von den alliierten Besatzern auch umgesetzt wurde), sondern ein kommerzieller -- in erster Linie muß jedes Rundfunkunternehmen den Webekunden Rede und Antwort stehen. Das gilt für die privaten genauso wie für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Bei letzteren ist das natürlich eine ziemlich seltsame Situation, da sie eigentlich aus der pauschalen Rundfunkzwangsabgabe finanziert werden sollten.

Stephen
 
Das von Stephen Beklagte trifft auf Angebote wie das bereits erwähnte Deutschlandradio Kultur und den Deutschlandfunk, sowie 3sat und Arte nicht zu.

Für eine Diskussion über Sinn und Unsinn öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner Finanzierung ist dies sicherlich ein sinnvollerer Ort als dieser Thread über die Bedeutung der Abschaltung der Mittelwellen-Sender.
 
serge schrieb:
Das von Stephen Beklagte trifft auf Angebote wie das bereits erwähnte Deutschlandradio Kultur und den Deutschlandfunk, sowie 3sat und Arte nicht zu. [...]

Das sind die letzten Oasen, aber -- wie auch die Oasen -- weitab von jeder allgemein beschrittenen Marschroute gelegen.

Leider oder Gottseidank.

Stephen
 
Liegt in der Entscheidung des Einzelnen, dumpf wie die Anderen den zahlreichen Fata Morganen nachzulaufen, um dann in der sengenden Sonne zu verdursten, oder in der Oase zu überleben.

Wenn mir die Einführung des Privatfernsehens in Deutschland im Kleinen und der Triumphzug des Internet im Großen eins gezeigt hat, dann dies: Die Mehrzahl der Menschen, die mediale Angebote in ihrer Freizeit nutzen, will sich nicht anstrengen und erst recht nicht zum Nachdenken angeregt werden, sondern unterhalten werden, und zwar um jeden Preis – auch wenn dieser in Unmündigkeit, Gleichschaltung und geistiger Verarmung besteht. In den 80er und 90er Jahren hegte ich diesbezüglich deutlich optmistischere Gedanken, nicht zuletzt genährt durch Bücher wie "Computernetze. Träume und Alpträume von einer neuen Welt." (Hamburg, 1984) von Jacques Vallée oder Überlegungen wie Brechts Radiotheorie. Doch letztlich hat mir die Wirklichkeit sozialer Netze gezeigt, dass mein damit verbundenes Bild von Menschen und Menschenmassen bei weitem zu idealistisch war.

Aber wer bin ich, mich davon auszunehmen: Heute abend werde ich erst "Dinner for One" und dann den "Sylvesterpunsch" geniessen. Mit der Familie wird böser Industrieizzateig ausgerollt und mit Supermarktware belegt werden, danach gibt's Eis mit Eierlikör.

Euch allen einen guten Rutsch sowie viel Glück und vor allem Gesundheit in 2016!
 
ppg360 schrieb:
Dazu kommt ein gewisser Mangel an Inhalten und journalistischen Grundfähigkeiten, was die Aufbereitung derselben angeht, und schon sind wir bei 1Live, NDR1, WDR2 oder dem ganzen lokalen Dudelfunk, bei dem es nicht um Inhalte, sondern allenfalls um Trenner zwischen kommerziellen Werbeblöcken geht.

Es geht nicht um die genannten Stationen und der pauschale Vorwurf zeigt eigentlich nur, dass Du nicht kennst, was Du kritisierst.
Die Situation ist inzwischen so, dass es schon lange mehr ausländische Stationen mit "Deutschen Diensten" gab (also deutschsprachige Sendungen) als wir als Hochkulturnation verbreiteten. Nun ist damit gänzlich Schluß.
Ein Wort noch zu Deinem pauschalen Vorwurf aus der Propagandaschmiede gegen "GEZ". Er ist dumm und falsch weil es eben "pauschal" ist. Es gibt auch auf FM sehr gute Sender die Kultur und Bildung ganz oben ansetzen und zum Teil NULL(!) Werbung machen. Das kann man natürlich als Nicht-Nutzer dieses Mediums nicht wissen
 
ppg360 schrieb:
Ach, Lutz... :roll:

Stephen

Was heißt "Ach Lutz"? Mit der Bemerkung machst Du Deine Ausagen nicht wahrer. Es gibt viele Rundfunksender (jetzt nur noch auf FM) die ein hochkarätiges und werbefreies Programm anbieten, ob es Dir nun passt oder nicht.
Guten Rutsch...
 
In Zeiten der Digitalisierung und globalen Vernetzung noch von Rundfunk zu sprechen, ist Anachronismus pur.
Ich weine dem klassisch-analogen Radio-Zeitalter noch nicht einmal die kleinste Träne nach - wir befinden uns im Jahr 2015, und morgen ist 2016.
In diesem Sinne: Einen guten Rutsch euch allen!
 
serge schrieb:
Ich höre nur UKW, und darüber auch nur Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur. Keine Werbung, breitgefächtert, niveauvoll, ausgewogen und informativ. Falls die abgeschafft werden sollten, würde ich auf die Barrikaden gehen.

+1

Bislang hör ich radio nur im garten, oben auf dem berg, mit so einem ollen zerbeulten sony weltempfänger der auch schon mehrfach im regen stand und trotzdem immer noch funktioniert. Bin mir grad nicht sicher ob das UKW-empfang war, eher mittelwelle vom ätherrauschen her...
Das wäre ja schon ein herber verlust wenn ich das dort oben nicht mehr empfangen könnte.

EVTL muss ich mir ein neues raadioo holen, diigiiital mit parabol oder so.

Aber stimmmt schon, is dann was anderes... und wenn ich ehrlich bin, ich bin auch ein bisschen wehemütig wenn heute nacht die mittelwelle verschwindet... ich werd mich wohl betrinken müssen.


guten rutsch
 
zum musik hören wirklich überholt
(das letzte mal als ich bewußt radio gehört hab da hat john peel noch auf bfbs gesendet - das war auch der einzige Grund weshalb ich ein radio besaß)
und talkradio ist auch von podcasts überholt worden
ist nur ein medium das von zahn der zeit überholt wurde
wenn man nicht gerade im Urwald ohne internet sitzt
der deutsche kram geht mir eh nicht ab, BBC ist da schon immer viel moderner gewesen auch in netzgeschichtet

während man auf wdr 5 noch stundenlang wortgewaltig über Synclavier und Zappa abschnarcht gähn
gibts bei bbc dann witzig ironische Hörspiele über Delia Derbyshire - böse und liebevoll zugleich
choose your poison

deutschlandradio ist zwar ganz ok und besser als der deutsche rest, macht es aber auch nicht zum bringer

:kaffee:
 
Mittelwelle hat doch in den letzten Jahren kaum einer noch gehört und wenn man dann die Sendeleistung von ~300kW und den Energeverbrauch und die Personalkosten mit Technikern, Sendewart usw., in Relation sieht, dann ist es schon vernünftig die ollen Stationen dichtzumachen.
Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte mal bewußt MW gehört habe.

Werbefreie Sender mit unkommerzieller guter Musik gibt es ja genug, man muss sie eben nur einschalten.
Im Rhein/Main-Gebiet beispielsweise haben wir in Frankfurt Radio-X und in Darmstadt Radio RaDar, beides Lokalradios, die regelmäßig auch elektronische Musik ausstrahlen und die man ebenso streamen kann, dazu kommen auch noch einige gute Internetradios.
Die Zeiten ändern sich nun mal ...
 
Bernie schrieb:
Werbefreie Sender mit unkommerzieller guter Musik gibt es ja genug, man muss sie eben nur einschalten.
Meine Rede. Dieses pauschale Gemecker von gekauftem Rundfunk und Lücken zwischen der Werbung füllen.... doof
Bernie schrieb:
Im Rhein/Main-Gebiet beispielsweise haben wir in Frankfurt Radio-X und in Darmstadt Radio RaDar, beides Lokalradios, die regelmäßig auch elektronische Musik ausstrahlen und die man ebenso streamen kann, dazu kommen auch noch einige gute Internetradios.
Die Zeiten ändern sich nun mal ...
Jau, das ist klar. Trotzdem ist es schade und, auch das ist eine Tatsache: in abgelegenen Teilen der Welt (und das sind viele) gibt es weder Internet noch Handyempfang (oder werden blockiert) und einfache Empfänger wie es die Mittel/lang/Kurzwellenradios sind, waren die einzige Möglichkeit auch mal Infos aus Deutschland zu bekommen. Die deutschsprachigen Dienste von Radio Moskau, Radio China international und anderen haben jetzt freie Bahn, die Meinungsbildung wird ein großes Stück einseitiger
 
Na schau, da wird ein Schuh draus. Was gut ist, sich die Möglichkeiten zu zeigen.
Ich hab mit meinem alten Radio im Auto auf MW gestellt, damit ich DLF hören kann, weil der auf UKW regional mal schwach war - meine aktuelle Antenne ist außerdem so doof angebracht, dass sie ständig abgebrochen wird. Da hat einer nicht nachgedacht. Aber was kommt? DAB+ - das hat sich bisher nicht sehr durchgesetzt und wird es aber (nur) wenn alle (alle) drauf setzen. Es ist aber wahr, dass sich die Welt längst mehrere andere Wege bahnen. Man kann nicht nur Streams hören sondern in div. Foren, Portalen, und Videocasts tolle Dinge finden und das ist alles gleichzeitig, es ist eben vielfältiger. Der alte Nutzen des MW Bandes war eine größere Reichweite. UKW ist ja ultrakurz-Band und das ist ein wenig mehr wie die Cell-Phone Zellen - wenn auch nicht so engmaschig. Das ist also nur eine Frequenz. Es ist etwas wehleidig, diese faktisch seit meiner Geburt feste Größe sich ändern sehen. Das ist Vergänglichkeit. Auch DVB-T und Analogfunk ist/wird gehen, DVB-T2 ist bereits beschlossen. HIER sehe ich ein Problem, denn man sollte den Leuten nicht alle 5 Jahre neue Empfänger und Wandel-Boxen aufzwingen, sondern lieber langfristig handeln. Das ist aber schwer, da die Frequenzen politisch und nicht technisch verteilt werden.

Aber - dennoch sollten wir immer die Chance wahr nehmen, die guten Dinge auszutauschen, zB wo es tolle Musik gibt, wo gute Sendungen gemacht werden oder etwas, was nach Radio und TV kommt oder irgendwas dazwischen. Das tun wir ansich bereits - aber es geht eben weiter.

Ja, ich verstehe das mit der MW und LW. Ich denke früher oder später werden alle Frequenzen neu verteilt sein und die Frage ist, ob das alles immer nur auf 5-10 Jahre geschieht, denn das erzeugt sinnlosen Druck. Einmal richtig, damit es nochmal Jahrzehnte passt. Wenn das dann anders ist, weil die Technik anders ist - nun, dann kann man ja auch, oder einen Kanal doppelt nutzen weil man Kompression hat oder bessere Verfahren und die werden kommen. DAB+ Audio hat ja auch eine feste Form, man könnte dem Format ja auch mitgeben ein anderes Format haben zu können. Oder aber man macht es gleich in einem Format was faktisch selbsterkennend ist. Geräte updaten - geht. Auch bei alten Geräten. Oder aber diese Geräte sind eh Computer und das ist alles IP. Das ist nämlich früher oder später eh so.

Na dann, liebe Grüße an die Mittelwelle, hab dich lieb und jetzt küsse ich IPv6 und alle Frequenzen im anderen Licht und morgen wohl ………… <--- hier eintragen.
Hauptsache die lassen uns ein paar Räume für unsere Microfone für die Bühne und so..

die werden übrigens nur für 2 Jahre festgelegt, aktuell.
Da lohnt sich ja der Kauf kaum.
 


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