Die vier Kriterien der Elektronischen Musik

Wie gesagt - den philosophischen Teil finde ich durchaus nachvollziehbar.
Und die jeweiligen Herleitungen zielen natürlich auf ein Klassik-Publikum vor 50 Jahren, denn die Stringenz die dort aus wissenschaftlich klingenden Zusammenhängen hergeleitet werden, gibt es so m.E. nicht, einem heutigen Publikum kann - und muss - man damit nicht mehr kommen.
Einige der Anforderungen die KHS an Elektronische Musik™ stellt sind letztlich "nur" seine Ideen, wie er auf einen Kompositionsansatz gekommen ist. Eine Verallgemeinerung dieser Ansprüche an Musik ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn ich *genau* diese Art von Musik machen will.

Natürlich nicht alle. Nur das, was über bleibt, muss heute doch eher als Allgemeinplatz gelten. Mit dem Art of Noise Beispiel nimmst du mir da die Worte aus dem Mund. (Hatte ich in einem Beitragsentwurf inhaltlich praktisch identisch wie du thematisiert). Hier und heute im Forum "jeder Klang kann als Teil eines musikalischen Werkes dienen, er muss nur passend eingesetzt werden" zu "begründen", lässt schon die Frage nach der dahinter stehenden Motivation aufkommen, wenn viele das als "du doof" interpretieren, finde ich das nicht von der Hand zu weisen.

Zu deiner ersten Frage, das Zitat:
Das zeigt auf einmal, daß ein Konsonant ein Grad eines Vokals ist: wenn ich einen Vokal kontinuierlich mehr und mehr überhauche oder verzerre, wird er über die Halbkonsonanten ein Konsonant. Jeder Klang kann mit jedem anderen zunächst einmal in ein Kontinuum gebracht werden, und in der Mitte zwischen den zwei gegebenen Klängen entsteht eine zweideutige Situation. Man weiß nicht, ist es das eine oder das andere. Ist es Fisch, oder ist es Fleisch. Bei drei vorhandenen Klängen entsteht eine dreidimensionale Vermittlung,

Gesprochene Sprache besteht aus Phonenem. Die sind stimmhaft und stimmlos, die Stimmlosen haben den Sonderfall der Explosivlaute. Die Explosivlaute lassen sich keineswegs in ein Kontinuum bringen, die funktionieren nur 1:1. Wenn du schon mal Vocals ediert hast, dann wirst du sicher festgestellt haben, das die Phoneme erstaunlich eigenständig nebeneinander stehen, und Übergänge selten (wenige Laute - das dann trivial a->e) sind. Eine generische Mitte 'zwischen' den Klängen gibt es nicht, daran scheitern selbst heute noch viele Morphing-Algorithmen - es klingt immer nach dem jeweiligen Algorithmus. (Witzigerweise kritisiert EK das scheitern des Neurons an diesem Problem nur zu gerne. )

Diese Mitte kann man sich natürlich *vorstellen* und sie dann mit einem Algorithmus der Wahl so designen, dass sie der Vorstellung entsprechen.
Das hat dann aber mehr was von einen Sounddesigner, der für einen Hollywoodstreifen die Sprache der Außerirdischen machen soll, als von stringenter Herleitung einer zwingenden Eigenschaft.
Eine "dreidimensionale Vermittlung" in diesem Kontext ist dann endgültig Schlausprech, um die Hörer vom gewählten Ansatz zu überzeugen - Substanz, die irgendwo im Klangmaterial begründet sein könnte, hat das nicht mehr.

Mit was für einem Bullshit er allerdings noch zu kämpfen hatte findet man dann allerdings einen Satz weiter:
Es gibt Traktate über Musik, in denen bestimmte Schlagzeugklänge, Geräusche mit dem Teufel identifiziert wurden, und andere harmonische Klänge mit Gott.
Von da aus ist er natürlich schon ein gutes Stück weiter, allerdings sind das doch Punkte, die heute bestenfalls musikhistorisches Interesse erwecken.
Inklusive der Gefahr, des "wer seine Geschichte nicht kennt, Gefahr läuft sie zu wiederholen", denn wenn die Esos an Planetenstimmungen glauben, dann suchen sie ja schon wieder Gott in den "richtigen" Klängen.
 
und in 40 jahren sagt mann dann dasselbe über heute
und wieder 40 jahre etc.
also warten wir 45000 jahre bis wir dann mal an der wahrheit dran sind
bestimmt ist das leben dann ganz anderst
wieso soll mann eigentlich intuitiv ohne zu begründen nicht schon längst alles erfassen können
wir sind doch schlieslich menschen
avangardisten machen einfach was sie wollen und es stimmt immer
das gibt zu denken
 
wenn man davon ausgeht, dass jeder bearbeitete oder unbearbeitete klang und jedes geräusch musik sein kann - was ist dann komposition? ist es komposition, nach einem schema intro-jetzt gehts ab-breakdown-geht wieder ab-geht noch mehr- ein paar loops übereinanderzuwerfen? was sind kriterien für komposition mit klängen? da fällt mir jetzt nichts besseres ein, als die immer wieder zitierten versuche von KHS, eimert und freunden.

was KHS vollkommen abgeht ist das verständnis für repetitive rhythmik, groove, d.h. negermusik. was das anbelangt haben die germanen ja bis zu den 60er jahren noch auf bäumen gesessen. heute kämpfen wir mühsam darum, wenigstens auf den stand der schwarzen amerikanischen musik der 60er zu kommen.

es haben bis heute viele komponisten der Neuen Musik nicht verstanden, dass afrikanische rhythmik über den umweg USA und südamerika für "westliche" musik konstituierend geworden ist, genauso wie europäische melodik und harmonielehre (der einfluss letzterer stagniert seit 50 jahren bzw. bildet sich sogar zurück. daher auch so gut wie keine weiterentwicklung auf diesem gebiet seit cecil taylor.)
 
fab schrieb:
wenn man davon ausgeht, dass jeder bearbeitete oder unbearbeitete klang und jedes geräusch musik sein kann - was ist dann komposition?

Heutzutage ist für einen Komponisten jeder Klang potentiell musikalisches Material. Auch ein Klogeräusch. Es ist nur die Frage, in welchen Kontext er gesetzt wird, um als Klogeräusch einfach neutralisiert zu werden, und dann hören sie ihn gar nicht mehr als Klogeräusch. Und wenn die Assoziation noch vorhanden ist, dann muß er halt vermittelt werden, um sich in eine Musik, die einen weiteren realistischen Darstellungsrahmen hat als nur Oboe, Klavier, und, wie bei Messiaen vielleicht, Le merle noir zu integrieren.
In mehreren meiner Kompositionen aus den letzten Jahren wie TELEMUSIK, HYMNEN, KURZWELLEN kommt praktisch alles an assoziativen Klängen vor. Hier und da hört man überall neu hinzukommende Klangereignisse. Das Wesentliche ist heute: jeder Klang kann musikalisches Material sein.

Nicht die Klänge sind gute oder schlechte Musik, sondern es kommt darauf an, was damit gemacht wird. Ob sie vermittelt, ob sie wirklich komponiert sind. Oder ob sie nur wie in einer Ausstellung exponiert sind - wie in einem akustischen Bauchladen, wenn der Hausierer sagt: ich habe diesen Klang, ich habe auch jenen Klang, ich kann solche Töne machen, ich kann aber auch noch andere machen. (Die meisten Komponisten machen es so. Meistens kümmern sie sich dann wenig um die Nachfrage und wundern sich...) Wesentlich ist, daß Vermittlung stattfindet, daß ein Klang plötzlich eine Variante eines anderen ist, daß also zwischen Ton und Geräusch ein Kontinuum komponiert wird. Und das schafft Bewußtseinserweiterung.

Quelle: siehe Thread-Titel

fab schrieb:
was KHS vollkommen abgeht ist das verständnis für repetitive rhythmik, groove, d.h. negermusik.
Nimmt er nicht dazu in dem Komponistenportrait auf ARTE, das ich dir geschickt hatte derart Stellung, dass ihn diese Musik an die erinnert, mir der über Jahrhunderte Unschuldige in Kriege geschickt wurden? Muß ich mir noch mal daraufhin ansehen. Dass er da so vehement zu Stellung nimmt, ist sicherlich in seiner persönlichen Vita begründet.
 
fab schrieb:
was sind kriterien für komposition mit klängen? da fällt mir jetzt nichts besseres ein, als die immer wieder zitierten versuche von KHS, eimert und freunden.

du kannst es aber gern NOCHMAL zitieren... :P

EK schrieb:
Nimmt er nicht dazu in dem Komponistenportrait auf ARTE, das ich dir geschickt hatte derart Stellung, dass ihn diese Musik an die erinnert, mir der über Jahrhunderte Unschuldige in Kriege geschickt wurden? Muß ich mir noch mal daraufhin ansehen. Dass er da so vehement zu Stellung nimmt, ist sicherlich in seiner persönlichen Vita begründet.

ja genau! diese association drängt sich ihm doch deshalb auf, weil er in "rhythmus" (=marschmusik, krieg) und "kein rhythmus" unterscheidet. das ist eben unterwentwickeltes empfinden für die rhythmische sprache. ein guter groove (elvin jones, nicht kraftwerk!) ist doch eine antithese zur marschmusik. es gibt doch nicht nur den rhythmus des changó (der kriegsgott grooved allerdings auch, ist ja kein preußisches militär), sondern auch den der obatalá.

(witzig - nur am rande - das man international vom deutschen pop immer noch marschmusik erwartet. kraftwerk, rammstein, berliner techno funktioniert, anderes weniger.)
 
Wenn meine Mutter von den Nazis umgebracht worden wäre, würde ich bei einem Elektrozaun sicherlich eher an ein KZ als an eine Kuhweide denken. Will sagen: Verstehe ihn aufgrund seiner Vita, die selbstverständlich nicht zu 100 Prozent deckungsgleich mit der anderer Menschen sein muß. Aufgrund meines Alters und meiner Lebenserfahrung beschleicht mich jedoch auch bei bestimmten Rhythmen und Instrumentierungen sowie Massenveranstaltung (ich war 1970 auf der Isle of Wight einer unter 600.000 Besuchern) immer ein ungutes Gefühl.
 
zur harmonik noch einmal:

- man kann sie schrittweise erweitern, dann hat man ein akzeptanzproblem (ornette coleman, cecil talyor...)

- man kann auch gleich in siebenmeilenstiefeln weiterspringen, dann ist man revolutionär.

zwölftonmusik ist natürlich konsequent, das klavier hat nunmal zwölf tasten. will ich sie gleichberechtigt verwenden, dann lass ich die zwölftonskala (durchaus ja mit mehreren tönen gleichzeitig) ablaufen.

allerdings gibt es auf diesem gebiet beim publikum keine weiterentwicklung sondern zurückbildung. harmonik in den meisten pop-tracks im radio ist zum atavismus (oder: avatar?) verstümmelt. durch entsprechendes training könnte man zwölftonharmonien genießen, genauso wie ich als jazzmensch ein 7alt.-akkord harmonisch empfinde. (außer, wenn cecil taylor da noch eine maj7 draufsetzt, der sack).

gibt es eigentlich eine harmonik der bloßen klänge? losgelöst von stimmung und skalen?

das hier:

"Melodien und Harmonien im geläufigen Sinne kann es also nicht geben. Aber Schlaginstrumente erzeugen doch auch mehr oder weniger klar erkennbare Tonhöhen, und wenn 6 verschieden hoch gestimmte Trommeln nacheinander angeschlagen werden, so ergibt das auch eine Melodie; und werden sie gleichzeitig angeschlagen, so ergibt das einen Akkord. Warum klingen denn entstechende Trommellharmonien niemals dissonant, auch wenn die Intervalle der Trommeltöne nach Maßgabe der Naturtonreihe seht kompliziert sind? Weil die Trommeltöne und die Töne der meisten Schlaginstrumente überhaupt keine >Obertonreihe<, keine >harmonischen Spektren ( haben, die sich miteinander reiben könnten, wenn sie in, >dissonanten < Intervallen gleichzeitig erklingen; ihre Schwingungsform ist also nicht periodisch, sondern mehr oder weniger unregelmäßig, es sind >Geräusche<."

weicht der frage aus. es geht gerade um nicht gestimmte, tonale klänge - der text spricht auch zunächst von der naturtonreihe. behauptet dann aber sofort, es seien eigentlich "geräusche". mE ein fehler, aber darauf kommt es nicht an - gibt es harmonik ungestimmter klänge? oder ist das eine harmonik der klangfarben?
 
fab schrieb:
gibt es harmonik ungestimmter klänge? oder ist das eine harmonik der klangfarben?
Betrachten wir einmal die extremste Ausformung: das Geräusch. Diesem lassen sich Frequenzbereiche zuordnen (Farbgeräusche) und so nach Maßgabe des Komponisten in einer auskomponierten Harmonik anordnen. Dass das mit den natürlichen Instrumenten eher unbefriedigend zu lösen ist, hat mit zur Entstehung der Elektronischen Musik geführt. Offentlich habe ich das richtig verstanden, kannst du aber selber rauskriegen.

 
fab schrieb:
du kannst es aber gern NOCHMAL zitieren... :P
Bekommt aber langsam was von den Bibeltreuen Christen - die zitieren ihre Bibelstellen auch wieder und wieder, selbst wenn sie für die Fragestellung nicht zielführend sind .
In der zitierten Stelle wird doch nicht begründet was die gute Komposition auszeichnet, sondern nur die geistige Grundhaltung thematisiert, die Herrn Stockhausen zu *seinen* Kompositionsentscheidungen veranlasst hat. Es ist seine Idee, wie er einer Komposition Zusammenhalt geben will.

Als objektiver Maßstab bleibt davon nicht mehr als ein Zirkelschluß: wenn es funktioniert, dann funktioniert es - und die Trivialität, dass die Abfolge der Trackelemente eine fundamentale Bedeutung hat, deren man sich bewusst sein sollte. Sprich: der Aufruf, doch bitte hin zu hören, was man da treibt und eine Idee vom Flow zu haben.

Das der Einwand "beliebiger Aneinanderreihungen" berechtigt sein kann, steht damit natürlich nicht zur Debatte. Nur ist er immer subjektiv. (Dazu demnächst mehr diesem Thread, wenn es um den Zufall bzw. die Aleatorik geht. )
 
seit 1945 wird in deutschland mehr über musik geredet
warum ist das so?
 
Fetz schrieb:
Bekommt aber langsam was von den Bibeltreuen Christen - die zitieren ihre Bibelstellen auch wieder und wieder, selbst wenn sie für die Fragestellung nicht zielführend sind .

fab hat geschrieben:
wenn man davon ausgeht, dass jeder bearbeitete oder unbearbeitete klang und jedes geräusch musik sein kann - was ist dann komposition?

Bei Stockhausen ist zu lesen, für einen Komponisten jeder Klang potentiell musikalisches Material sein kann. Ich gehe mal davon aus, dass der Unterschied zwischen Kompostion und Material klar ist, vor allem wenn im nachfolgenden Text dann weitere Erklärungen folgen.

Vielleicht bin ich auch zu blöd und verstehe nicht, was ihr meint.
 
Elektrokamerad schrieb:
Offentlich habe ich das richtig verstanden, kannst du aber selber rauskriegen.


würd ich gerne, leider funktioniert der link bei mir im moment nicht - habe ich glaube ich aber schon auf der festplatte.

nochmal zur klarstellung: ich meinte gerade nicht geräusche, sondern tonale (also periodische) klangereignisse, die sich aber keiner europäischen oder sonstigen skala zuordnen lassen. geräusche sind insofern die "einfachere" variante, als es dort nur klangfarbe gibt.

das zielt auch auf fetz' bemerkung in anderem kontext ab, die sinngemäß war: wenn man schon auf mur/doll verzichtet, warum dann ausgerechnet zwölftonmusik? warum eine temperierte skala, die gerade für die chromatische harmonik geschaffen wurde? warum nicht etwas völlig anderes?

dazu meine frage: gibt es dann noch eine harmonik, für die man hörerfahrung gewinnen kann, um sie zu schätzen?

(darin steckt ein teil der antwort: zwölftonmusik kann man "lernen" (ich meine: intuitiv hören lernen). es gibt genau ein stück, das ich lebenslänglich auswendig kann: a.weber - kinderstück.



klasse song :P )
 
Diese Klänge oder Tongemischen haben ja eine periodische Schwingung, lediglich die Teiltöne stehen nicht im ganzzahligen Verhaltnis zum Grundton. Ein Beispiel sind glockanartige Klänge, die sehr wohl tonal angeordnet werden können. Ist die Frage damit beatwortet?

 
noch nicht beantwortet, aber wir nähern uns der frage.

glocken sind gestimmt. sie zwar haben ungeradzahlige obertöne, der grundton ist aber klar erkennbar. mehrer glocken werden in bestimmten intervallen gestimmt.

was ich meine sind: gibt es eine harmonik aus klängen bestimmter tonhöhe, die jedoch nach keiner europäischen oder außereuropäischen skala gestimmt sind?
 
Welche Skala außer der europäischen und außereuropäischen könnte das sein?
Vielleicht vom Sirius?
 
die 4 kriterien
so ein mist
stockhausen als moses der musik
die welt schafft sich ihre eigenen wege
der mensch geht mit oder führt aus
während intellektuelle 4fachspinner noch über gesetze diskutieren die sie erlauben wollen
kommt die sinnflut und räumt alles weg
genauso ist es in der evolution der kunst etc
 
Die Frage, ob du heute musikalisch so denken würdest, wie du es tust, wenn es die um die Jahrhunderwende eingeleitete antiautoritäre Auflehnung gegen die alten Denkmuster der klassischen Musik nicht gegeben hätte, ist ja nicht so einfach zu beantworten.
Sicher ist das meiste nicht über pubertäre Auflehnung hinausgekommen. Dennoch bleiben, auch nach dem Erwachsen werden, immer wieder Ideen über, die die (hier musikalische) Gesellschaft verändern.
 
Es beschleicht mich immer ein ungutes Gefühl, wenn Differenzierungen und komplexere Gedankenvorgänge, nachvollziehbar ausformuliert, pauschal abgebügelt werden.
 


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