Interpretation ist alles

Ich habe mir gerade mal das Programm des gerade in Osnabrück laufenden EMAF (European Media Art Festival) durchgelesen. Bei den Performances wird einem ganz schwindelig ob der vielen weit hergeholten und aufgeblasenen Assoziationen, die man mit der gebotenen Musik verbinden soll :lollo: Wahrscheinlich muss das so sein, wenn man als Künstler ernstgenommen werden will :roll:

Beispiele:

Inspiriert durch die Poetik von Energie und lebender Materie im ewigen Widerstand gegen die Entropie, erforscht das Stück den kompositorischen Raum von synthetischen audio- und visuellen Materialien um die Grenzen der technischen Möglichkeiten auszuloten. [...] Parallel zu diesem Prozess, re-interpretieren Jebanasams Kompositionen den Konzertraum als ein riesiges architektonisches Instrument auf der Grundlage der akustischen Designs von Kirchenorgeln und werden angetrieben durch eine kühne Vision maschineller Musik.
Seine Kompositionen basieren auf "Natur, Geschichte und der Erkundung", der Erzeugung elektronischer und organischer Sounds. Seine improvisierten Live-Performances experimentieren mit der Neuerschaffung als Entdeckungsreise.
Das Set ist eine knapp einstündige Reise, die an jegliche Limits geht und das gewöhnliche Zeitempfinden ausschaltet.
 
Ha, ich hab mir das auch angesehen und nur gedacht - oh, schade, ist zu weit.
Ich finde es besser man hat Ideen und Gedanken als wenn alles nur noch ohne Message und ohne Bedeutung und nur mit dem Grund "das ist Spaß" machen muss, es darf auch mal ein Konzeptalbum sein, ein bisschen was bedeuten etc.
Ob man das allerdings herausbrechen muss ist eine andere frage. Also im Sinne von extrem konstruiert. Aber ich sage mal - Begrundungsfaktor Faust - also Goethes Faust, nicht mit Gewalt - das hat mich in der Sekundärliteratur und auch sonst immer daran erinnert, dass sich der Urheber ggf. nicht all diese Gedanken gemacht hat. Man darf da auch die Kirche im Dorf (oder dort!) lassen.

Wenn Kunst gut ist, dann hat sie auch automatisch Legitimation und ich kenne so viele Dinge, wo es weniger wichtig wäre und ist, diese durchs Dorf zu treiben, so wie die jetzt offenbar kaum noch relevante Flüchtlingspolitik, die Sache mit Satire und Böhmermann und Griechenland - um nur einige zu nennen, da sie so plakativ sind und eben nicht überlegt und nur hitzig diskutiert werden. Sachen mit Gelassenheit und allem, mit Emotion und Gehirn und so weiter - da geht schon was.

Du darfst auch nicht vergessen, dass in Kunst auch oft Dinge begründet werden, damit die Bereichtigung akademisch ok ist, da sind andere Kriterien bis hin zur Finanzierung. Normalerweise haben die nämlich keine Möglichkeiten, sie haben sie oft nur über diesen Weg, der gern als Privileg gesehen wird aber an sehr vielen Instanzen vorbei muss. Nicht immer, aber oft.
Ich habe auch schon gespielt, wo sowas nötig war mit Ausweiskopie und Begründung und so. Das ist alles so eine Art systemischer Beifang. Ich sag mal - du kannst planen eine Seite für Gewalt gegen lesbische Frauen zu machen oder du machst das weil du das sinnvoll findest und bekommst aber für 1 Jahr eine Genehmigung, danach nicht mehr. Dh - danach ist das alles weg, es ist alles eben total politisch. Und ganz egal, ob man das nun gut findet oder nicht, Kontinuität und Sponsoring läuft in den Kreisen auch anders. Und das alles ist verwoben.

Das ist also auch was, was ggf. denen die das praktizieren nicht immer klar ist oder nicht SO klar ist.
Mir ist es lieb, dass es öffentliches oder öffentlich-rechtliche Dinge gibt in Sachen Kultur. Und da kommt schon auch so etwas dabei raus, wenn du dir das anschaust, wird es dir ggf. auch manchmal mehr oder weniger sagen, aber es ist da.
 
Moogulator schrieb:
Du darfst auch nicht vergessen, dass in Kunst auch oft Dinge begründet werden, damit die Bereichtigung akademisch ok ist, da sind andere Kriterien bis hin zur Finanzierung. Normalerweise haben die nämlich keine Möglichkeiten, sie haben sie oft nur über diesen Weg, der gern als Privileg gesehen wird aber an sehr vielen Instanzen vorbei muss. Nicht immer, aber oft.
Ja, so denke ich mir das auch. Wenn ich mich bei so einem Festival anmelden und sagen würde, ich möchte ein paar nette Sachen auf meinen Synthies spielen, würde ich wahrscheinlich sofort abblitzen.
 
Ich möchte damit natürlich nicht sagen, dass das speziell verhüllter Banalkram sei, aber es gibt eben andere Mechanismen.
 
sagen würde, ich möchte ein paar nette Sachen auf meinen Synthies spielen, würde ich wahrscheinlich sofort abblitzen.

ja, genau das ist der Unterschied, der besteht, wenn genau dieselbe Tätigkeit (z.B. das Herumklopfen auf Steinen) einmal von Künstlern (als Kunst, z.B. Bildhauerei) und einmal von nicht-Künstlern (als profanes Handwerk, z.B. Straßenbau) ausgeführt wird. Der Künstler hat mit seiner Tätigkeit eben noch was ›höheres‹ im Sinn, und kann das auf Nachfrage auch erklären. Das, und nicht der Grad des handwerklichen Könnens ist notwendige Bedingung, damit es Kunst ist.

Das war schon ›immer‹ so, seit es Künstler als Künstler gibt, und ist, auch wenn gerne anderes behauptet wird (von wegen »moderne Kunst ist ja so schwer zu verstehen«), kein besonderes Kennzeichen unserer speziellen Zeit.

Im Übrigen: Texte wie oben (bei denen ich den Leuten wirklich abnehme, dass sie an etwas Höheres appellieren) finde ich unendlich viel erkenntnisreicher als die immergleichen, und dann eben wirklich nichtssagenden Promo-Flyer zu stinknormaler Popmusik (egal ob gute oder schlechte). Die nämlich kann oftmals durchaus für sich stehen und wirken und braucht keine weitere Erläuterung. Das ist bei Kunst (die ja nicht einfach unterhalten oder gefallen will) in der Regel anders. Und man kann sogar umgekehrt nen Schuh draus machen und es den Leuten sogar hoch anrechnen, dass sie versuchen, sich zu erklären, also transparent zu machen, was sie z.B. mit ihren Perfomances eigentlich im Sinn haben. Ob ihnen dieses Erklären wirklich gelingt oder nicht, ist dann eine andere Frage und sicherlich vom schreiberischen und pädagogischen Talent des Autors abhängig.
 
Ein Taucher der nicht taucht, taucht nix.

Und Kunst die nicht ohne Erklärung funktioniert, funktioniert nicht.
 
Obwohl an vielem was oben geschrieben wurde berechtigterweise einiges dran ist - folgender Witz fiel mir trotzdem unweigerlich wieder ein.

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Moogulator schrieb:
Mir ist es lieb, dass es öffentliches oder öffentlich-rechtliche Dinge gibt in Sachen Kultur. Und da kommt schon auch so etwas dabei raus, wenn du dir das anschaust, wird es dir ggf. auch manchmal mehr oder weniger sagen, aber es ist da.

Sehe ich auch so. Trotz und entgegen dem ganzen gebashe - ich bin nicht nur wegen dem Kulturaspekt froh, daß es hier das öffentlich-rechtliche gibt. Laß ich mir gern was kosten.

Alles Gute
 


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