Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition?

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Anonymous

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Drei Uhr und die Kaffeemaschine sputtert.

Als ich dem Teil gerade so zuhörte, kam mir dann auch die Frage ob Klang nicht eigentlich auch schon so etwas ist wie eine kleine Komposition? Damit meine ich jetzt nicht mehrere Klänge hintereinander, sondern eben den einzelnen Klang, der ja auch schon mal aus einer Vielzahl Beteiligter, also Oszillatoren, Modulatoren etc. und vielleicht noch Effekten, bestehen kann, die diesen erst ermöglichen. In Musik gibt es ja auch viel bis wenig Veränderung über lange oder kurze Zeiträume und dies findet man ja auch in einfachen bis komplexen Klängen wieder.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Ich verstehe dich hoffentlich richtig, dass so was möglich ist? Oder meintest du, jeder Einzelklang ist bereits eine Komposition?
An Ersterem habe ich keinen Zweifel. Als ich vor Jahren tagelang am K5000 saß und Sounds programmierte und Hunderte von Hüllkurven einzelner Obertöne "komponieren" konnte, habe ich das auch ausgiebig getan. Hier sind 4 Note-Ons und nach einer Minute 4 Note-Offs, ohne(!) Sequencer oder Arpeggiator: [mp3]www.optimolch.de/jens.groh/K5000/Quartz-5.mp3[/mp3] Ohne die Note-Offs liefen solche (und auch weniger pulsierende) Sounds dann bei mir teils tagelang am Stück. Wir machten in der Mailingliste auch einen "Long Evolving Patch"-Wettbewerb, an den Sachen konnte man sich kaum satthören.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

ich bin jetzt ein bisserl entäuscht, hätte gewettet dass dies ein Peter Uertz thread ist.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Ein Klang alleine? Nein, für mich kann das nicht als Komposition gelten.
OK, eine Klangcollage mag da schon dichter dran sein.
Aber auch da bin ich mir nicht so sicher.
Anderseits: Instrumententöne sind natürlich auch Klänge ...
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Da man "Klang" komponieren, d.h. zusammen-setzen kann, ist das Ergebnis dann eine "Komposition eines Klanges". Ob das dann zu "Musik" wird, und das ist sicherlich die spannendere Frage, ist zuerst einmal die Erklärung des Komponisten, der dann diesen einzelnen Klang zu fertiger Musik erklärt, und die Einschätzung des Hörers, was für ihn Musik darstellt. Aber was schert dich als Komponist die Ansicht des Hörers? Arschlecken.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Elektrokamerad schrieb:
Aber was schert dich als Komponist die Ansicht des Hörers? Arschlecken.

Frage: Schreiben Sie denn Musik für die über-menschliche Minorität?

Stockhausen: Nun, wenn Sie dazu gehören wollen, ja. Ich schreibe überhaupt nicht Musik für bestimmte Menschen, was bedeutet, daß ich Musik schreibe, weil sie geschrieben werden muß; sie kommt in mich hinein und ich muß sehr hart daran arbeiten, sie so genau wie möglich zu komponieren, und dann können Sie damit machen, was Sie wollen.

Frage: Wenn Sie so viel Zeit darauf verwenden, Ihre Musik herzustellen und zu kommunizieren, stört es Sie dann nicht, daß sie nicht mit einer großen Zahl der Menschheit kommuniziert?

Stockhausen: Oh nein. Wenn ich das gewollt hätte, so wäre ich der beste Konkurrent der Beatles gewesen, und was die für nur sieben Jahre geschafft haben, hätte ich wahrscheinlich ein bißchen länger geschafft, denn Sie können sicher sein, daß ich niemals in solch einem Quartett gearbeitet hätte. Nein, wann immer die große Menge sich nach der Mode richtet, dann richtet sie sich nach Mittelmäßigkeit und Banalität.

Frage: Was schlagen Sie vor, wie wir zwischen Elektronischer Musik und musikalischem Abfall unterscheiden sollen?

Stockhausen: Die meiste Elektronische Musik ist Abfall: Das steht außer Frage. Die untalentiertesten Komponisten sind in Studios aufgetaucht, weil sie keine Chance hatten, irgendwo anders zu komponieren, und so sitzen sie also in den Studios herum und sagen sich: »Nun gut, schau Dich um, versuch Dein Glück« - und da sind sie also. Denn sie glauben mehr an die Mittel als an sich selbst: sie meinen, wenn sie moderne Mittel verwenden, so würde das Ergebnis interessant sein wegen der Mittel - was ein fürchterlicher Irrtum ist.

Frage: Meinen Sie, daß bei den Hörern Ihrer Musik ein angemessenes Niveau des Bewußtseins vorhanden sein müßte, so daß sie all die Klänge überhaupt wahrnehmen könnten?

Stockhausen: Es wäre wunderbar, wenn die Erleuchtung des Bewußtseins zunehmen würde, aber wie ich schon sagte, gibt es da sehr kritische Grenzen, und die kann man nicht einfach überschreiten. So habe ich keine Illusionen über die Zukunft. Wie ich schon vorher erwähnte, benutzt sowieso jeder meine Musik, wie er will : Wenn ich mir heute Abend bei einem Autounglück den Hals bräche, so wäre das eigentlich von sehr geringer Bedeutung für die anderen - die Leute würden sowieso in Zukunft meine Musik so verwenden, wie sie wollen. Sie sind absolut frei, und es sollte keine Regeln geben, die den Leuten vorschreiben, was sie über meine Musik zu denken haben und wie sie sie erfahren sollen, denn jeder ist verschieden. In diesem Sinne bin ich Subjektivist, und ich schlage vor, daß jeder sich seinen eigenen Reim machen sollte über sein Leben, über die Welt und über Stockhausens Musik.

Ausschnitt aus:
Karlheinz Stockhausen, „Texte zur Musik 1970 – 1977“, Band 4
Ausschnitt aus „Frage und Antworten zu den ‚Vier Kriterien ...’“
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Jens Groh schrieb:
Ich verstehe dich hoffentlich richtig, dass so was möglich ist? Oder meintest du, jeder Einzelklang ist bereits eine Komposition?
Nein, nicht jeder. Den Schlag mit einem Kochlöffel auf den Kochtopf und das dann schnöde als Sample abgespielt, also eventuell noch nicht einmal Granular auseinander genommen, nehme ich da für mich schon raus. Das hatte ich vergessen zu schreiben. Ich meine zwar auch einfache Klänge aber eben schon eher so die Richtung wie in dem Verlinkten von dir.

Wir machten in der Mailingliste auch einen "Long Evolving Patch"-Wettbewerb, an den Sachen konnte man sich kaum satthören.
Gibt es noch irgendeine Möglichkeit sich vieles davon einmal anzuhören?
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

intercorni schrieb:
Ein Klang alleine? Nein, für mich kann das nicht als Komposition gelten.
OK, eine Klangcollage mag da schon dichter dran sein.
Aber auch da bin ich mir nicht so sicher.
Anderseits: Instrumententöne sind natürlich auch Klänge ...

Ich bin mir da selber noch nicht so ganz im klaren, deshalb ja auch die Frage. Letztendlich entscheidet ja der Macher ob da, z.B. bei einer Fläche, der Filter per LFO auf und zu geht, oder ob er das dann später lieber selber per Hand macht. Vielleicht ein simples Beispiel: Ich kann ja auch aus mehreren OSCs einen Akkord bauen und die VCA-ENV durch einen LFO triggern. Oder minimal komplexer: Schiebe Rauschen durch einen Note-Quantizer und lassen mit dessen output die Tonhöhe eines OSC steuern, das kann schöne Zufallsmelodien ergeben.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Elektrokamerad schrieb:
Aber was schert dich als Komponist die Ansicht des Hörers?
Mir geht es bei der Frage um die Sicht derer die Machen. Natürlich schließe ich nicht aus, dass ein Hörer auch Macher sein kann.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

He he. Den Thread hatte ich schon mal vor einer Kleinen Ewigkeit auf dem Schirm, werde ihn, aber nochmal lesen, weil das schon recht lange her ist. :D
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Unterbewusst zerlegen wir Klaenge (bis zu einer bestimmten Frequenz) eh in ihre Harmonische und diese Muster ergeben bei gleicher Lautstaerke einen Akkord, den man wiederum in Einzelntoene zerlegen kann. Von daher besteht ein Sound fast immer irgendwie aus einer Melodie von Harmonischen. Geraeusche (Maschinen, Bremsen, Klohspuehlung etc.) besitzen haeufig ein Art Rhythmus, den man in den meisten Faellen erst dann bemerkt, wenn man das Gerauesch in einer Loop und unterschiedlichen Geschwindigkeiten spielt...
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Zur Terminologie:

Musiktheoretische Grundbegriffe der Elektronischen Musik sind:

Der Ton, der Klang, das Tongemisch, das Geräusch und der Zusammenklang. Der Zusammenklang ist identisch mit dem neueren akustischen Begriff "Klanggemisch".

Der Ton:
Der einfachste Ton, den das Ohr kennt, ist ein Ton von sinusförmigem Schwingungsverlauf, der sogenannte Sinuston. Dieser reine, einfache Ton oder Sinuston hat keine Oberschwingungen und demnach keinen ausgeprägten Klangcharakter. Der Sinuston klingt gleichförmig strömend und unmoduliert starr. Sein Hauptmerkmal ist die hüllenlose Direktheit des Tönens. Er klingt in der Farbe unbestimmt, im Verhältnis zu Instrumenten oft dick und breit. Mit dem Fehlen der Obertöne hängt es ebenfalls zusammen, dass das Ohr - sowohl das absolute wie das relative Gehör - sich an Sinustönen nicht so leicht orientieren kann, wie an obertonreichen Klängen.

Im Gegensatz zu Intervallen, die meist im Sinne überlieferter Tonvorstellungen zurecht gehört werden, reagiert das Ohr außerordentlich empfindlich auf die bei verstimmten Oktaven und Einklängen entstehenden Schwingungen.

In der Akustik von je her bekannt, ist der Sinuston in der Musik etwas Neues. Er ist nun auch musikalisch eine letzte fundierende Einheit, ein Element, aus dem alles was klingt, zusammengesetzt ist. Seine zentrale Bedeutung in der Elektronischen Musik wird nicht durch die subjektiven Gehörserscheinungen eingeschränkt. Werden solche Sinustöne dynamisch geformt - und zwar durch sogenannte Hüllkurven - so sind sie musikalisch unbeschränkt verwendbar.

Der Klang:
Vom Ton oder Sinuston unterscheidet sich der Klang dadurch, dass er aus einer Reihe von Teiltönen oder Sinusschwingungen harmonisch zusammengesetzt ist. Spricht man vom Ton einer Geige, Trompete, Klarinette, usw., so handelt es sich immer um einen zusammengesetzten Klang, dessen Einzeltöne das Ohr nicht als solche, sondern als Klangfarbe wahrnimmt.

Der einheitliche Eindruck des Klangs rührt daher, dass die Frequenzen der Teiltöne harmonisch zum Grundton liegen. Sie bilden ganze Vielfache der Grundtonfrequenz. Da Klänge zusammengesetzt sind, können sie auch wieder zerlegt werden. Das geschieht durch Filter.

Klänge sind zum Beispiel auch die Vokale der Sprache. Die Summe der Teiltöne des Klangs wird als die Klangfarbe registriert, die durch die Anzahl und Stärkeverhältnisse der Einzelschwingungen bestimmt wird. In der traditionellen Musik ist die Klangfarbe der Instrumente unabänderlich gegeben. Elektronisch dagegen können die Teilton-Komponenten des Klangs variiert werden, so dass sich der Komponist gewissermaßen seine eigene elektronische Instrumentalität schaffen kann.

Das bedeutet, dass der Komponist den Klang nicht mehr fertig von den Instrumenten bezieht, sondern selbst herstellt. Er komponiert ihn. Noch bedeutsamer nun wird dieses Klangkomponieren im Tongemisch, das ein weiterer Begriff der Elektronischen Musik ist. Wie der Klang ist auch das Tongemisch aus Teiltönen zusammengesetzt, aber nicht aus Harmonischen sondern aus Unharmonischen. Solche unharmonischen Teiltongebilde kommen in der Instrumentalmusik bei Glocken, Röhren, Platten und Stäben vor, die angeschlagen werden und verklingen. Die Instrumentalmusik kennt das Tongemisch nur in dieser Form des Anschlags und Verklingens, also des Einschwingvorgangs und der Hüllkurve. Dagegen lässt sich etwas scheinbar so Widerspruchsvolles wie ein stationärer Glockenklang nur elektronisch realisieren.

Solche unharmonischen Klänge oder Tongemische sind nicht zu verwechseln mit Akkorden. Akkorde entstehen aus Zusammenklängen. Tongemische dagegen sind immer Sinustongemische. Sie haben einen höheren Verschmelzungsgrad als Zusammenklänge, können weit einheitlicher Klang werden als Instrumental-Akkorde. In der Instrumentalmusik sind Klang und Zusammenklang klar geschieden. Elektronisch schiebt sich hier das Tongemisch mit seinen neuartigen Verschmelzungsgraden dazwischen. Das Tongemisch ist eine völlig neue Dimension des Kompositorischen. In ihm scheinen sich übrigens die vielen und nie bewältigten Widersprüche der sogenannten Atonalität endlich zu lösen. Besonders interessant sind Tongemische, deren unharmonische Teiltöne in der Nähe von Harmonischen eines Klangs liegen.

Solche Tongemische lassen sich kompositorisch orten, so dass die Klangstruktur zu einem Teil der Werkstruktur werden kann. Ist ein klangliches Gebilde durch eine besonders dichte Teiltonfolge unharmonischer Lage definiert, so spricht man von einem Geräusch.

Herbert Eimert: Einführung in die Elektronische Musik, Wergo Schallplatte, ca. 1963

Quelle: elektropolis.de

Die ganze Schallplatte hören: http://www.elektropolis.de/audio_f.html
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Illya F. schrieb:
Drei Uhr und die Kaffeemaschine sputtert.

Als ich dem Teil gerade so zuhörte, kam mir dann auch die Frage ob Klang nicht eigentlich auch schon so etwas ist wie eine kleine Komposition? Damit meine ich jetzt nicht mehrere Klänge hintereinander, sondern eben den einzelnen Klang, der ja auch schon mal aus einer Vielzahl Beteiligter, also Oszillatoren, Modulatoren etc. und vielleicht noch Effekten, bestehen kann, die diesen erst ermöglichen. In Musik gibt es ja auch viel bis wenig Veränderung über lange oder kurze Zeiträume und dies findet man ja auch in einfachen bis komplexen Klängen wieder.

Man müsste den Begriff der Komposition klären. Es gibt ihn ja ihn vielen Bereichen: In der Musik, in der Kunst etc. Er kommt aus dem Lateinischen: "com-ponere" = "zusammen stellen, setzen, legen". Allein diese Definition impliziert bereits, dass ein handelndes Individuum bestimmte Einzelteile zielgerichtet zu einer irgendwie gearteten höheren Ganzheit zusammensetzt (vgl. auch Aristoteles: Der Teil und das Ganze).

Bei dem von Dir genannten Beispiel würde ich mich fragen, ob hier irgendjemand zielgerichtet gestalterisch Klang-Einzelteile zu etwas Höherem zusammengesetzt hat.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Illya F. schrieb:
Gibt es noch irgendeine Möglichkeit sich vieles davon einmal anzuhören?
Auf die Schnelle wäre das etwas schwierig. Die K5000-Patchdateien existieren garantiert alle noch in den einschlägigen Sammlungen im Netz, sie waren ja öffentlich. Aber welche waren nur die aus dem Contest? Ich müsste suchen, ob ich die Sounds irgendwo auf einer K5000-Diskette habe, wo man die Herkunft noch erkennt. Bei meinen eigenen ist das einfacher, da kenne ich mich ja aus. Und dann müsste ich jeden mal anspielen, aufnehmen, online stellen. Leider ist mein Studio zur Zeit völlig zerlegt... :sad:
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Ach ja, und dann sollte ich diesmal idealerweise immer nur eine Note spielen, denn vier Noten sind ja geradezu eine Irreführung. Beim Contest war das auch nicht erlaubt, und auch keine "Controller-Komposition".
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Diese ganze Diskussion geht davon aus, dass Töne und Klang nicht überführbar sind. Aber jeder hier weiss sicher, dass man ohne "Noten" zu spielen faktisch ein Stück rekonstruieren kann aus Sinuspartialen oder Mischungen aus höheren Wellentöchtern.
Umgekehrt könnte man per Komposition per Noten mit ausschließlich Sinustönen theoretisch jeden Klang nachbilden.

Das sind daher Mittel und Teil von Musik - Musik kommt nicht ohne sie aus aber sie können auch nur Teile von Musik sein. Die eigentliche Frage bedeutet daher also: Wann ist ein Geräusczh oder ein paar Töne ein Stück? Nun, das bestimmst du. Da passt die Definition von Dirk ganz gut.
Vielleicht sogar noch ab wann Geräusche Musik sind.
Oder ab wann Random eben Musik ist. Und es gibt auch Stellen, an denen ein Komponist bewusst "Random" gesetzt hat und dann kann das auch ein Musikstück sein, sofern er es so definiert und die Hörer es halbwegs kapieren ;-)
Stichwort Kunst ;-)

Das wird man daher in Menge nicht messen sondern in ERmessen des Komponisten. Wobei es sicher auch Werke gibt, wo man das brhauptet, es aber keiner als Musik erkennen kann. Man kann dann noch drüber reden ob das dann Teil eines Stückes werden kann. zB als Sample ;-)
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Herbert Brün - Über Musik und zum Computer
Verlag G. Braun Karlsruhe, 1971

bruen.jpg


Probleme der Verständigung

Selbst noch der leugnende Scherz hat stets etwas unleugbar Vorhandenes zum Gegenstand. Während eines Konzertes machte ein Zuhörer über ein für ihn neues Musikstück die abfällig gemeinte Bemerkung, daß ihn diese Klänge und Geräusche an den Lärm der Bauarbeitein erinnerten, die ihn des Morgens aus dem Schlafe reißen. Wenige Tage später mußte er an einer Straßenecke ein Gespräch unterbrechen, da in nächster Nähe, an einer Baustelle, mit ohrenbetäubendem Krachen ein Lastwagen seine eiserne oder steinerne Ladung auf den Arbeitsplatz schüttete. In die folgende kurze und relative Stille drängte der im Sprechen unterbrochene Zuhörer die scherzhaft bagatellisierende Meinung, daß das Ärgernis ihn an die neue Musik erinnere, die wohl auch nur so zu verstehen sei. Sowohl im Konzertsaal wie auch an der Straßenecke werden hier gedankliche Assoziationsvorgänge für erwähnenswert gehalten, deren private Formulierung für Kritik gehalten werden soll. Der Inhalt ist die Voraussetzung, daß Arbeitslärm und Musik sich voneinander unterscheiden. Die Deutung ist die Beobachtung, daß Arbeitslärm und neue Musik sich nicht voneinander unterscheiden. Der Scherz und sein Niveau aber werden von folgender Überlegung bestimmt: Komponisten wollen sicherlich keinen Arbeitslärm, sondern Musik machen. Wie lächerlich also muß die Musik dem Komponisten mißlungen sein, wenn der Zuhörer beim Hören dieser Musik an Arbeitslärm, und wenn der gleiche Zuhörer beim Hören von Arbeitslärm an diese Musik denken kann. Der Scherz leugnet, daß unter solchen Umständen noch von Musik ernsthaft die Rede sei, und beweist damit, daß der Zuhörer unleugbar vorhanden ist. Der Scherz würde sich gegen den Scherzenden richten, wenn man ihn umgekehrt interpretierte und verstehen würde, daß der Scherz beweise, wie Musik und Arbeitslärm unleugbar vorhanden seien, von einem Zuhörer jedoch unter solchen Umständen nicht ernsthaft die Rede sein könnte. So einfach ist es aber nicht. Auch ließe das Niveau des Scherzes sich derart nicht wesentlich heben. Vorausgreifend läßt sich nämlich absehen, wie das glossierende Talent den Zuhörer ins Absurde befördert und ihn verärgert scherzend reflektieren läßt, wie mißlungen doch den Arbeitern ihr Lärm sein muß, wenn der Zuhörer dabei an Musik denken kann.

http://www.elektropolis.de/ssb_story_bruen.htm
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Damit hab ich fast gerechnet, da es natürlich um den Ansatz über die Musik geht und nicht den technischen. Aber den hast du schon genannt und ist damit schon aus meiner Sicht klar abgelegt. Das hier ist als Ergänzung zu betrachten, aber ist schon wahr. Es ist halt eine andere Verständnisrolle, denke aber die kognitiv geschulten Menschen hier raffen das ;-) Sind ja keine "Doofen" im Forum.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Schlußwort des Artikels von Herbert Brün:

Ein brauchbarer Befund, dessen Richtigkeit sorgfältig und geduldig zu prüfen wäre, könnte etwa so lauten: Die wesentlichen Probleme der Verständigung zwischen Hörer und Komponisten sind beabsichtigte und planend durchdachte Störungen einer Kommunikationskette, die bliebe sie ungestört, leerlaufen oder zerreisen würde. Die wesentlichen Probleme der Verständigung verbauen nirgends, auch in der Musik nicht, den Zugang zu beabsichtigten Mitteilungen, sonders sie sind der Zugang selbst. Jede Kultur mißt sich an der Menge und Bedeutung der Probleme der Verständigung, die sie als solche erkennen und lösen konnte. Jede Musik, die ein solches Problem stellt, ermöglicht einen weiteren Akt der Erkenntnis und der Lösung, ermöglicht eine neue und das gegenwärtige Leben betreffenden Verständigung, und somit eine Vermehrung dessen, woran der Gesellschaft es noch allenthalben zu fehlen scheint. Die unwesentlichen Probleme der Verständigung, die mehr privaten und emotionellen, sind lediglich Symptome des Fehlens.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Ich stör gerne, wenn sie (die Störung) etwas hinzufügt - Oder auch nur von mir vermutet etwas hinzufügt ;-)
der Rest ist Interpretation und überlasse ich jedem Leser, so wie Stockhausen seine Musik freigibt. Dies ist ein freies Land.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Rimper, ramper, rumper, in der Ecke bumper.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

moogist schrieb:
Bei dem von Dir genannten Beispiel würde ich mich fragen, ob hier irgendjemand zielgerichtet gestalterisch Klang-Einzelteile zu etwas Höherem zusammengesetzt hat.

Du meinst jetzt hoffentlich nicht die sputternde Kaffeemaschine. Bei Jens musst du ihn mal fragen, oder auf welches Beispiel beziehst du dich? Falls du das mit den Note-Quantizer meinst, dann ist der Fall für mich klar. Ich entscheide Rauschen in Tonhöheninformationen (RND-LFO -> Note-Qantizer -> Pitch in vom OSC) zu wandeln. Zudem entscheide ich die Tonhöhe eines jeden beteiligten Tons am Quantizer, die Reihenfolge in der die Töne dann erklingen bestimme ich nicht, da die ja vom RND-LFO abhängig ist. Das Resultat ist Höheres aufgrund der Entscheidung es überhaupt so zu machen. Natürlich kann ich die Tonhöhe auch "auswürfeln" oder so gut ich es kann Zufallsähnlich dann Note für Note im Sequenzer setzten, das Ergebnis aber ist meiner Meinung nach gleichwertig und aufgrund obiger Erläuterung genauso eine Komposition.

Oder nehmen wir mal etwas mehr von Menschenhand gemachtes, also z.B. mein "In The Mountains (DW13V2)" http://www.myspace.com/illyafo Das ist nur ein auf die gesamte Dauer anliegender Akkord bei dem ich den Klang über die gesamte Spielzeit hinweg so wie ich es haben will "hinbiege". Für mich ist das Komposition über die klangliche Eben. Denke mit dem Beispiel kannst du mehr anfangen als mit dieser Quantizer Geschichte.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Auch aus Herbert Brün:

Würde der Komponist seine Absicht, zu stören, aufgeben, so gelänge ihm nur noch bedeutungslose Musik, das heißt, die Anpassung fände statt, bevor ein störendes Geschehen dafür sorgen konnte, die Kommunikationskette zwischen Hörer und Komponisten beiden, sei es auch als gestörte, ins Bewußtsein zu bringen. Fehlt aber das Bewußtsein von einer musikalischen Kommunikationskette, so gibt es keinen Grund mehr, der vorhandenen Musik irgendwelche weitere oder andere hinzuzufügen Der Beruf des Komponisten würde in solchen Fällen in Ermangelung wahrnehmbarer Berufung eingehen.
Für den Hörer sieht es interessanter aus. Gelingt es ihm, dem Störenden den Stachel dadurch zu nehmen, daß er die Störung als überwindbar durchschaut, so nur deshalb, weil er begreift, daß zeitgenössische Kunst eben nicht aus gestörten Mitteilungen, sondern aus mitteilsamen Störungen bestehen muß. Er kann die Störung als Mitteilung empfangen. Das bedeutet Anpassung, nachdem etwas die Kommunikationskette zwischen Hörer und Komponisten, und sei es auch als gestörte, beiden ins Bewußtsein gebracht hat.
Der Komponist hat nur die Wahl, ob er Komponist sein will oder etwas anderes. Der Hörer kann sich aussuchen, ob oder was er hören will. Er bleibt Hörer, ob er sich dem Nichtgeschehen oder dem Geschehen anpaßt. Der Komponist kann sich nicht anpassen, ohne seine Existenz als Komponist zu opfern, und statt dessen ein tonsetzender Arrangeur zu werden. Er muß, koste es was es wolle, seine Mitteilungsabsicht solchen musikalischen Vorgängen anvertrauen, deren Störungseinfluß bis dahin von möglichst wenig Anpassungsmethoden vermindert wurde. Solche musikalischen Vorgänge sind schwer zu erfinden und schwer zu kombinieren. Darin liegt die Arbeit des Komponierens, wenn es dem Komponisten um eine musikalische Mitteilung geht. Häufig sagen solche professionellen Hörer, die einen guten Komponisten nicht von einem schlechten unterscheiden können, beiden nach, daß sie versucht hätten, um jeden Preis neu zu sein. Offenbar haben beide Werke nicht dem Anpassungsvermögen der Nachsager entsprochen. Tatsächlich versucht ein guter Komponist, eine Musik zu schreiben, die um jeden Preis da ist, und sei der Preis auch der Verzicht auf alles, was, auch von ihm geliebt, schon da war.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Wer reitet so spät durch Nacht und Gewitter?
Es ist der Vater mit seinem Pitter.

Im Arm den Knaben er wohl hält,
er hält ihn warm, denn er ist erkält’.

Mein Vater, mein Vater und hörest Du nicht,
der Erlkönig dem Pferd viel Hafer verspricht.

Sei ruhig mein Sohn, mein einziges Kind,
das sind die dürren Blätter im Wind.

Halb drei, halb fünf, es wird schon hell,
noch immer reitet der Vater schnell.

Oh Vater, oh Vater, gib endlich mehr Gas,
Erlkönig verspricht dem Gaul noch mehr Fraß.

Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
die Haare ihm flattern im eisigen Wind.

Erreicht den Hof mit Müh und Not,
der Knabe lebt, das Pferd ist tot.
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Ein einzelner Sound bzw. einzelne Note, die eine Melodie spielt. Der Sound funktioniert auch recht gut mit Akkorden, dann jedoch mit weniger extremen Einstellungen....

[mp3]www.summasounds.de/files/temp/Single%20Note%20Melo.mp3[/mp3]
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

NI Metaphysical Function. Ein Stück oder ein Klangerzeuger? Oder Teil eines Stückes? Ist es ein Stück?

Die alberne Mausschieberei sollte man aber lassen, denen die das besser können, Wichtigtuer ;-)
 
Re: Ist Klang nicht eigentlich schon eine kleine Komposition

Illya F. schrieb:
Drei Uhr und die Kaffeemaschine sputtert.

Als ich dem Teil gerade so zuhörte, kam mir dann auch die Frage ob Klang nicht eigentlich auch schon so etwas ist wie eine kleine Komposition? Damit meine ich jetzt nicht mehrere Klänge hintereinander, sondern eben den einzelnen Klang, der ja auch schon mal aus einer Vielzahl Beteiligter, also Oszillatoren, Modulatoren etc. und vielleicht noch Effekten, bestehen kann, die diesen erst ermöglichen. In Musik gibt es ja auch viel bis wenig Veränderung über lange oder kurze Zeiträume und dies findet man ja auch in einfachen bis komplexen Klängen wieder.

kommt auf den komponisten an
 


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