RIP John Kerr

StefanE

StefanE

Crastination Pro™
Es ist schon mehr als einen Monat her, aber ich habe gerade erst auf der Seite von Ron Boots davon erfahren: John Kerr starb bereits am 13. September.
Wieder einer weniger. Seine Alben Cathedral und Norland sind zwei meiner Lieblingsscheiben.

Und ich ärgere mich sehr, das ich damals "Norland revisited" nicht gekauft habe. John selber konnte mir später leider auch nicht weiterhelfen.

Vielen Dank für deine Musik, John!
 
Ich war nicht sicher, ob ich einen Nachruf auf John schreiben soll oder nicht -- ich war eher davon ausgegangen, daß sein Name hier im Forum eher unbekannt sein dürfte, und wenn überhaupt, dann für sein eher maues Spätwerk, das er im zweiten Leben veröffentlichte und das so ungleich populärer wurde als sein -- in meinen Ohren um Längen besseres -- Frühwerk.

Ich habe Johns Musik das erste Mal 1988 in der einschlägigen Radiosendung Schwingungen gehört (Citadel-Album), und ich fand es bemerkenswert. 1990 bekam ich durch Frits Couwenberg von KLEM Kontakt mit John und rief ihn an in Amsterdam -- ich hatte einen sehr humorvollen Briten am anderen Ende der Strippe, der -- über Umwegen -- Einfluß nahm auf meine Beschäftigung mit der britischen Sprache und Kultur, weil er mich in meinem Sprechen sehr ermutigte und ich in einem einzigen Telefonat mehr von ihm lernte als von meinem Leistungskurslehrer in der gesamten Oberstufe.

Interessanterweise erzählte er mir, daß er eigentlich nach Citadel das Musikmachen komplett an den Nagel hängen wollte, weil er fand, alles gesagt zu haben, was zu sagen war, aber er habe da mit einem jungen Niederländer namens Ron Boots ein paar Jamsessions veranstaltet, und das habe doch mehr Spaß gemacht als erwartet, vielleicht entwickelt sich da ja doch wieder was. Ende 1990 kam dann Offshore Islands raus, und John war dann plötzlich mittendrin statt nur dabei -- mir persönlich gefiel seine Musik danach überhaupt nicht mehr (was wohl an den modernisierten Klängen lag, die ich nicht mochte und mag, und dem an der Grenze zum Kitsch wandelnden pseudo-orchestralen Schwulst), und ich habe mir so manches Mal gedacht, daß er vielleicht doch damals einen Haken hinter dem Musikmachen hätte machen sollen, aber der Erfolg gab ihm Recht.

Außerdem war er eine Schlüsselfigur in meiner eigenen technischen Entwicklung: In einem Interview in Schwingungen im April 1989 (fünf Tage, bevor ich meinen Minimoog kaufte) gab er preis, welches Instrument für die elektronischen Chorklänge bei ihm zuständig ist -- der Roland VP-330 Vocoder Plus. Diese Klänge hatte ich schon bei Kitaro umwerfend gefunden, und jetzt wußte ich endlich, welches Instrument das war. Es war also klar, daß ich einen VP-330 brauchte (was auch jahrelang das Wunschkennzeichen an meinem Auto war). Und nicht nur den, sondern auch eine TR-808, einen Yamaha CS50 und ein Roland RE-501 Chorus Echo -- das alles kam im Laufe der Jahre hier an und blieb z. T. sogar bis heute. Der ruhigere Teil meiner 1992 erschienenen Cassette Polarity stand ganz im Zeichen von Johns Musik -- würde keiner glauben, der mein Gedudel von heute kennt.

John selbst verkaufte sein altes Gerümpel um 1998 herum (ich hätte damals noch den CS50 kaufen können, war aber chronisch pleite), und der VP-330 ging an einen niederländischen Elektronikmusiker... ich fand es immer wieder beeindruckend, wie viel John mit so wenig Equipment machte, und wie hoch der klangliche Wiedererkennungswert durch das verwendete Instrumentarium war.

1990 bestellte ich im Anschluß an das lange Telefonat bei John einen großen Schwung LPs, aber leider gab es zwei nicht mehr, da sie ausverkauft waren: Als ich eines schönen Donnerstages von der Schule nach Hause kam, lag ein dickes Paket aus Amsterdam auf den Stufen. Es waren nicht nur die bestellten LPs darin, sondern auch die beiden Alben, die schon lange vergriffen waren (Cathedral und Three By Three) -- signiert und mit Widmung! Jahre später bekam ich von John eines seiner letzten Exemplare einer raren Single, die zusammen mit seiner ersten LP Cathedral erschienen war, einfach so geschenkt! So war er -- warmherzig, großzügig, mit schrägem Humor und ganz durch und durch britisch. Und Caballeros rauchte er damals Kette...

Im Laufe der Jahre liefen wir uns immer wieder bei Veranstaltungen über den Weg -- ganz besonders erwähnenswert ein Treffen mit ihm und John Dyson, was eigentlich als Interview für ein amerikanisches Fanzine gedacht war, dank der beiden schrägen Briten aber völlig aus dem Ruder lief: John Dyson mampfte einem Kumpel von mir munter die Fritten weg, während John Kerr zwischendurch dringend auf's Klo mußte, was John Dyson mit "he's getting old, it's his prostate" kommentierte. Irgendwo habe ich diesen Mitschnitt noch... auch hier wieder mehr Landeskunde an einem Nachmittag als in einem ganzen Studium.

Mitte der 1990er -- ich glaube, es war 1994/95 -- ging die Schreckensmeldung durch die EM-Szene, daß John einen schweren Herzinfarkt erlitten habe. Unter den vielen Genesungswünschen waren auch meine, und irgendwann trafen wir uns für ein Schwätzchen, wo John etwas sehr Weises zu mir sagte: Irgendwann hast Du Dein Auto, Dein Sofa, Deine Stereoanlage und was auch immer, aber Du solltest Dich immer fragen, ob es den Preis wert ist, den Du in Form von Arbeit und Lebenszeit dafür bezahlen mußt. Ihm wurde der Preis zu hoch, er hängte seinen Job als freiberuflicher Grafikdesigner an den Nagel und machte fortan nur noch Musik. Sein Freund und langjähriger Lebensgefährte Rob verdiente zum Glück genug Geld, um diesen Schritt zu einem überschaubaren Risiko machen zu können. Der Erfolg, den er in seinem zweiten Leben einfuhr, gab ihm Recht.

John bleibt nicht nur als guilty pleasure bei mir -- Reflections und Citadel im Player neben allerlei abseitigem Zeug? --, sondern als jemand, der auf feinstofflicher Ebene bei mir viel bewegt hat, nicht nur musikalisch. Und guilty habe ich mich noch nie gefühlt, wenn ich gutem, solidem, aufrichtigem Musikerhandwerk bei der Arbeit zuhören durfte.

Stephen
 


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