Jimi Hendrix hat gemerkt, dass er Feedback und elektrische Artefakte so musikalisch findet, dass er sie nicht nur als Gag oder Effekt nutzen wollte (das haben andere vor ihm sicher auch ein bisschen), sondern als kultivierten, persönlichen musikalischen Ausdruck. Soweit die Idee. Und das ist ihm – in Verbindung mit traditionellem Blues-Gitarrespiel – mit einer klanglichen Vielfalt, Hingabe, Konsequenz, Überzeugung, Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit gelungen. Sogar so wirksam, dass es auch andere Gitarristen auf den eigenen persönlichen musikalischen Ausdruck angewendet haben – so wurde es zum ganz normalen Stilmittel beim E-Gitarrespielen.
In einem Satz: Hendrix hat Lärm zu Emotionen gemacht. Der Gitarrenkrach und das Häßliche, das Schrille und Verzerrte, das Wilde und Brutale findet dabei auf wenigen Zentimetern, ja Millimetern eines Saiteninstruments statt und wird mit kleinen, feinen Fingerbewegungen unter höchster Konzentration und mit höchster Ausdruckskraft erzeugt. Dieser Gestus, diese Hingabe an diese Art der Klangformung mit diesen Instrumenten, Geräten und Bühnensituationen war überraschend, erfrischend, neu. Bekanntes erscheint in einem weiteren (neuen) Licht
So entstanden magische, erhabene Momente – Eindrücke, die nur angemessen eingeordnet werden können, wenn die Hörenden (auch Hendrix selbst!) die geistige Haltung "Offenheit" dafür mitbringen: Man ist bereit nicht nur Lärm hören zu wollen, sondern Lärm, Kontext, Künstler, Bilder, persönliche Reaktionen ... alles eben ... zusammen resonieren zu lassen. Der Zeitgeist muss das möglich machen – Zeit ist ja ab Werk in Weiterentwicklung eingeschrieben. In Verbindung mit seiner Gestik, Mimik und Hingabe wurdn Jimi Hendrix und seine virtuose Musikalität, sein Instrument, die Elektrizität und die Schallwandlung zu einem brachial-feinfühligen entrückt-gewaltigen Gesamtkunstwerk. Es geht eben scheinbar nicht nur um Musik per se, wenn sie sich weiterentwickelt hat
Nun sind das Leid, der Schmerz und die Feinsinnigkeit nicht nur im Blues immer Teil des Hörerlebnisses und nicht zwangsläufig Teil einer Weiterentwicklung. Und es ist auch nicht unbedingt eine Weiterentwicklung das Brachiale oder Schrille emotional aufzuladen. Das Entscheidende: Ich würde sagen, dass das, was Hendrix gemacht hat, erstmal eine Umdeutung war: Hendrix hat ein Phänomen (Krach) umgedeutet in Gefühl. Das ist die geistige Leistung. Zu dieser Umdeutung gehört die Fähigkeit der technischen Umsetzung. Hendrix kann seine neuartige Klangvorstellung so praktizieren, dass sie auch für andere (Viele, "Unwissende" UND "Wissende") positiv nacherlebbar wird – "positiv erlebbar" meint Freude an der Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung (Spüren, Fühlen, Denken, Erkennen. Liken).
Das alles beschreibt "Entwicklungen", aber nicht "Weiterentwicklungen". In dem Wort "Weiter" befindet sich ein versteckter Komparativ – das hat etwas Bewertendes. Es erweckt den Eindruck, das Entwickeln alleine genüge nicht für ein befriedigendes Ergebnis. Technologisch und Wissenschaftlich mag das stimmen – in der Kunst geht es weniger ums Ergebnis, denn um die Wirkung. Der Höhlenmaler in der Steinzeit wird es langweilig finden, dass 1.400 Generationen später eine KI das "Festhalten in Bildern" übernimmt - es geht ja nicht nur ums Ergebnis, sondern vor allem um den Zweck: Oh! Wahnsinn! Schöööön! etc. Der Wert ist innen, nicht außen. Hat eine künstlerische Weiterentwicklung stattgefunden, dann ist jemand "Weiter gegangen beim Entwickeln" als üblicherweise erwartet, sonst kommt "es" ja nicht "weiter rein, als sonst", es lässt einen eher kalt, erreicht einen nicht so sehr.
Dem, der das erste Mal Erzählungen verzaubernd "gut" gemalt und nicht "gesprochen" hat, ist eine wertschöpfende Grenzüberschreitung gelungen: Der Wert ist das Staunen und die Erhabenheit, die die Zeichnung erzeugt, nicht (mehr nur?) die bekannte Leistung eines Geschichtenerzählers. Auch in der Höhle wurde etwas umgedeutet: Worte werden zu Abbildungen (oder andersum, wer weiss): Eine Erzählart löst die andere ab.