Erhielte man die klassische Musik nicht als bildungsbürgerlich bedeutendes Kulturgut ständig künstlich am Leben, indem man sie zum Eichmaß aller Dinge erklärt, dann würde sich da schon längst kein Mensch mehr für interessieren.
Hm, da schmeisst einer wieder mal alles in einen großen Topf.

Egal.
- Für mich persönlich (und fast alle, die musikalisch tätig sind und die ich persönlich kenne) ist die Musik entscheidend. Nicht, ob die Musik angesagt ist, ein gesellschaftliches Ereignis ist oder mir eine Instanz erzählt, Musik XYZ müsse man unbedingt hören. (Der Typ, der mir auf penetranteste Weise Musik angeboten hat, die "man unbedingt hören muss", hörte beiden Arten Musik: Country & Western.)
- Ich kenne genügend Leute, die Zugang zur klassischen Musik gefunden haben, weil es sie anrührt.
- Interssanterweise kann ich mir der "Wiener Klassik" in der "Klassik" noch so ziemlich am wenigsten anfangen. Dafür erstreckt sich mein Interesse aus vor-Bachschen Zeiten bis in die Moderne. Und da geibt es verdammt viel zu entdecken.
Du klingst wie einer, der mit klassischer Musik nix anfangen kann, (weil oder obwohl) man sie ihm in Kindes- und Jugendjahren reinzudrücken versuchte. Naja, Frank Zappa sagte ja auch über Jazz: "Jazz isn't dead. It just smells funny."
Ist Klassik der Maßstab? Naja, meistens wird ja implizit sowas wie Europäische Kunstmusik einer gewisen Epoche angenommen und da hat ja der Ausleseprozess ja bereits statt gefunden, nur das Beste hat meistens irgendwie überlebt. *) Und ja, qualitativ setzt sie Maßstäbe, aber sie ist nicht die einzig Art und Weise, wie man Musik machen kann. Sie bildet nur einen kleinen Ausschnitt der musikalsichen Welt ab. Sie hat gewisse Bereiche, in denen sie sehr stark ist, aber andere Bereiche, in denen sie vergleichsweise unterentwickelt ist. Dieser Ausschnit ist auch verdammt groß, wenn man auch die Klassik des 20. und 21. Jahrhunderts mit einbezieht. Da wurde quasi alles zerstört und neu aufgebaut, jeder musikalische Regel hinterfragt, Musik an Grenzen gebracht, bis die Leute nicht mehr wussten: ist das jetzt noch Musik? Wie kann man Musik parametrisieren? Was macht Musik aus? Ich finde das eine faszinierende Reise. Weg von der Tonalität und Funktionsharmonik, hin zur Klangfarbe ... hatten wir im Schulmusikunterricht. Über Debussy zu Schönberg und weiter zu Stockhausen, Cage und Co. Eigentlich die Musik, über die sogennte "Bildungsbürger" die Nase rümpfen. Muss man einfach nur schauen: Welches Publikum ist bei welcher Musik zugegen? Es gibt ja Leute, die haben ein Theater-Abo. Und die sieht man dann in voller Abndgarderobe schon vor der ersten Pause das Konzert verlassen.
Oder, wie mein Klavierlehrer, seines Zeichens Opernsänger, immer sagte:
Wir müssen Operetten spielen. Das ist halt musikalisch relativ flach, aber unterhaltsam. Das zieht Publikum. Damit versorgen wir die Abos.
Mit dem Geld kann man dann Opern quer finanzieren, das interessiert nur ein Minderheit.
Operette ist auch viel Sehen und gesehen Werden.
Oper dann nicht mehr so stark.
Ach, da gäbe es soviel zu erzählem. Ich mache aber ma einen Punkt:
. <= da isser!
Grüße
Omega Minus
*)
Sturgeon's law
"ninety percent of everything is crap"