Stromnetzbetreiber aus mehreren EU-Ländern wollen ab 2021 den Ladestrom an privaten Ladestationen beschränken. So soll verhindert werden, dass es in Spitzenzeiten zur Überlastung der Verteilernetze kommt. Das könnte Deutschlands Elektro-Pläne bremsen.
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An diesem Artikel sind eine Vielzahl von Dingen fragwürdig.
Da ist zum einen die Einleitung, in der dieses Horrorszenario aufgebaut wird:
"Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit Ihrem Diesel-PKW zur Tankstelle und wollen volltanken. Doch der Tankwart winkt ab: 'Sorry, mehr als zehn Liter kann ich Ihnen nicht geben. Sie können das Auto aber hier lassen, dann tanke ich es Ihnen in ein paar Stunden voll.' Ein ähnliches Szenario erwartet künftig Fahrer von Elektroautos…"
Der jetzt noch einen Verbrenner Fahrende erschrickt und ist dann erleichert: Gott sei Dank, mich betrifft das nicht, ich wußte doch gleich, dass das alles unausgegorener Kappes ist mit der Elektromobilität. Brauche ich nicht, und weiterlesen brauche ich auch nicht."
Wer sich dagegen für Elektromobilität interessiert, ist verunsichert und liest weiter, um dann einen Absatz zu erfahren: "Öffentliche Ladesäulen sollen davon allerdings nicht betroffen sein." Sprich: Der vom Autor Sebastian Viehmann gewählte Vergleich mit einer Dieseltankstelle war schlichtweg falsch.
Der Vergleich hinkt noch auf einer anderen Ebene: Die geschilderte Situation "Wagen stehen lassen, dann ist er in ein paar Stunden vollgetankt" entspricht der Realität all derjenigen Elektromobilisten, die ihr E-Auto ohnehin über Nacht gemächlich über acht oder mehr Stunden aufladen. Sprich: Das ist schon jetzt so, ohne irgendeine Stromrationierung – es ist normal. Dass dies Herrn Viehmann für seinen Vergleich entweder nicht bekannt ist, oder er es bewußt ignoriert, lässt Zweifel sowohl an seiner Objektivität als auch an seiner Kompetenz aufkommen.
Damit zum zweiten fragwürdigen Punkt. Herr Viehmann schreibt: "Die Verbände aus Tschechien, Österreich und der Schweiz haben sich auf eine einfache Übergangstechnik geeinigt, die zum 1.1.2021 eingeführt werden soll." Aha. Von wann ist dieser Artikel nochmal? 2.2.2021, Moment, das ist doch nach dem Stichtag, an dem die "einfache Übergangslösung" in unseren Nachbarländern eingeführt werden
soll. Konnte oder wollte Herr Viehmann nicht vor Erscheinen seines Artikels recherchieren, ob diese "einfache Übergangslösung" tatsächlich seit dem 1. Januar eingeführt worden
ist?
Machen wir weiter im Reigen der Fragwürdigkeiten: Wenn Herr Viehmann in Österreich, der Schweiz und Tschechien nachgefragt
hätte, ob denn zum Stichtag am 1.1.21 tatsächlich eine "einfache Übergangslösung" eingeführt worden ist, dann
hätte er doch gleich auch nachfragen können, worin genau diese "einfache Übergangslösung" denn eigentlich bestehen soll. Wäre das nicht die Aufgabe eines sorgfältig arbeitenden Journalisten gewesen? Aber nein, im ganzen Artikel kein Wort davon, was man sich unter dieser ominösen Übergangslösung vorzustellen habe.
Wer nun glaubt, ich würde den Rest des Artikels, dessen Niveau sich, soviel sei an dieser Stelle verraten, sich mitnichten steigert, mit der gleichen Detailtiefe untersuchen, den muss ich enttäuschen: Dazu ist mir meine Zeit zu schade. Es genügt ein Blick auf die Überschriften, Bilder und eingeschobenen weiteren Artikel (ich zitiere in keiner besonderen Reihenfolge), um zu sehen, wes Geistes Kind der Autor Herr Viehmann ist:
"Heute kein Strom: Eine Ladestation für Elektroautos bei einem VW-Händler in Bayern trägt ein Schild 'Außer Betrieb'"
"Audi e-tron im Test: Tolles E-Auto, enttäuschende Reichweite"
"Schnecken-Ladung und Ladesäulen-Pflicht"
"1000 Kilometer Reichweite - das gibt es nur beim Diesel"
"Trotz Maxi-Akku: Nissans neuer Leaf hat immer noch ein Lade-Problem"
"Volvos Edel-Stromer im ersten Check: Wie Tesla, nur ohne abfallende Teile"
Zum Abschluß nur noch eins: Herr Viehmann schreibt wiederholt, dass eine solche Regulierung der Ladeströme an privaten Ladestationen für Pendler kein Problem sei, wohl aber für Viel- und Fernfahrer. Dabei verschweigt er aber, dass der Viel- und Fernfahrer naturgemäß auf öffentliche Ladestationen entlang der zu fahrenden Strecke angewiesen ist, die von der geplanten Reguliertung eben nicht betroffen sind.
Ob er das aus Unkenntnis (= schlechter Journalist) oder Absicht (= schlechter Journalist) verschweigt, ist letztlich nebensächlich, das Urteil ist das gleiche.