Eine Schlagerkomponistin erzählt

oli

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http://www.spiegel.de/karriere/beru...e-ich-auch-das-intro-schreiben-a-1238362.html

Auszug:

"Pro Lied haben wir einen Tag Zeit

Viele Schlager werden mittlerweile in Songwriter-Teams geschrieben. Oft gibt es sogenannte Writing-Camps, in denen Lieder für bestimmte Künstler oder Bands entstehen sollen. Musikverlage oder Plattenfirmen mieten dafür ein Studio mit mehreren Aufnahmeräumen. In jedem dieser Räume sitzen dann zwei bis drei Songwriter und sollen innerhalb eines Tages ein Lied schreiben.

Am Morgen gibt es ein Briefing. Da erklärt die Plattenfirma oder das Management, in welche Richtung das kommende Album gehen soll. Danach legen die Teams los, tauschen Ideen aus, entwickeln Melodien, das Playback, den Text. Schon vormittags sollten die Hook und das grobe Soundgerüst stehen. Danach kommen die Strophen und weitere Instrumente dazu.

Am Nachmittag singt irgendwer den Song ein, am besten die Künstler selbst. Aber wenn die nicht da sind, macht das einer der Songwriter. Es ist ja erst mal nur ein Demo. Abends präsentieren alle Teams, was sie sich ausgedacht haben. Dann kommt es vor allem auf die Reaktion der Plattenfirma an.

Mir ist es erst einmal passiert, dass ein Team überhaupt nicht funktioniert hat. In der Regel klappt es gut: Jeder bringt andere Stärken in eine Session ein. Die Briefings sind aber teilweise irreführend. Da gibt es merkwürdige Vorgaben. Einmal hieß es, die Musik solle wie bei Amy Winehouse klingen, aber kombiniert mit der Credibility von Andreas Bourani. Am Ende gab es natürlich keinen einzigen verwertbaren Song."
 
Wer glaubt da noch daß in solchen Strukturen keine KI eingesetzt werden wird, falls das nicht schon der Fall ist?
 
naja - diese praktik ist in den usa auch bei popmusik nicht unüblich - die produktionsprozesse sind da teilwesie auch nach industriellen schemata organsiert.

ich habe dazu keine wertung - ich wäre froh wenn ich auf 10% solch einer effizienz beim musikmachen käme :)

ausserdem sind die grundideen die einen guten song ausmachen ja eh oft in eine paar stunden gefunden - der rest ist dann - für solche profiteams - nur noch handwerk und wenn das 10 bis 30 profis am werk sind kann man sich ja vorstellen was los ist :)
 
Ich habe mal gelesen, dass es auch pro Song-Part solche Teams gibt, bzw die Teile von verschiedenen Leuten eingekauft werden. Also ein paar sind auf Strophen spezialisiert, andere können besser Refrains schreiben und andere sind Intro-Experten.

Bei HipHop ist es ja auch gar nicht so anders, da wird ja auch oft der Beat eingekauft und irgendjemand ganz anderes rappt dann drüber.

Oder die Pop-Sänger/innen suchen sich nach bestimmten Kriterien ihren Produzenten aus oder haben auf dem Album pro Song jemand anderen, der dahinter steht.
 
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M.i.a.u.: oli
Schade ist nur, dass jegliche künstlerische Authentizität und Individualität dabei natürlich auf der Strecke bleibt. Ob es die im Schlager-Bereich aber überhaupt je gegeben hat, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
 
Sich Songs schreiben lassen hat im kommerziellen Bereich übrigens weniger damit zu tun das man selbst kein Talent hat. Hier geht es bei vollem Terminkalender oft recht schlecht Abstand zu nehmen und regelmäßig neues eigenes Material zu erarbeiten.

Schlagermusik ist dabei nochmal eine Welt für sich. Die Budgets sind extrem klein, da bleibt oft nicht mal die Zeit für schöne Sounds und viele der "Künstler" sind tatsächlich Meatpuppet ohne entsprechende Writingskills.
 
Bei HipHop ist es ja auch gar nicht so anders, da wird ja auch oft der Beat eingekauft und irgendjemand ganz anderes rappt dann drüber.

Ja genau, sowas hab ich auch mal gehört, dass es z.B. im Hip Hop / Rap spezialisierte "Teilbereichs-Produzenten" gibt - vor allem scheinen viele auf Beats fokussiert zu sein.
Hier ist eine Liste aus 2017 von denjenigen, die die Musik austüfteln und welche Hits dabei rausgekommen sind
http://www.xxlmag.com/news/2017/12/best-hip-hop-producers-2017/

Fand bei dem Bericht von der Schlagerkomponistin interessant, dass es da jetzt auch so läuft und dass es in so kurzer Zeit und an einem Ort stattfindet.

Dabei könnten die Schlagermacher doch eigentlich mittels Online-Plattformen wie bei dem "type beats"-Phänomen im (ok, schon wieder) Hip Hop / Rap auch sich gleich die (fertigen) Rosinen rauspicken und damit weitermachen. Bzw. ungebunden von Zeit/Raum sich dezentral die Versatzstücke "anliefern" lassen...
https://genius.com/a/how-type-beats-have-changed-hip-hop-production
 
Es gibt eben Musik als Produkt.

Musik als Kunst (was auch immer Kunst ist).
Und es gibt das Musizieren.
Musik als Produkt ist halt das Ergebnis eines durchoptimierten Prozesses, genau wie industrielle Produkte, Konsumgüter und unsere Nahrungsmittel.
Wir wollen immer etwas "Neues" was aber möglichst nicht zu weit vom Gewohnten ist
und das möglichst immer billiger und in immer kürzeren Zyklen.
Der von uns zugemessene Wert von Nahrung,Gebrauchsgegenständen und auch von Musik sinkt.
Insofern ist der Musikmarkt genau wie alle anderen Märkte...ein Spiegel der Gesellschaft.

Wenn Musik als Produkt immer weniger wert ist dann steigt der Wert des Musizierens (möglichst gemeinsam mit Gleichgesinnten) wieder.
Der Prozess der Entwertung der Musik als Produkt führt die Musik wieder zurück zum Ursprung
- dem (möglichst gemeinsamen) aktiven oder auch passiven Erleben von "Musik im Moment".

So entwickelt sich das zumindest bei mir gerade.
 
Musik als reine Ware ist ja nicht neu und Prozesse werden nun einmal optimiert, heutzutage sicherlich noch effektiver auf das Maximum an Möglichkeiten getrimmt. Was mich an der Stelle aber schon nachdenklich stimmt ist die Tatsache, dass sich dieses für den kreativen Kopf kaum wirklich lohnt. Mag sein, dass die Budget klein geworden sind, aber ich vermute da landet noch ganz viel Geld an bestimmten Stellen in der Industrie.
 
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M.i.a.u.: oli
Wobei man sagen muss, so weitverbreitet das "Typ schraubt Beat und verkauft den" - Dingens im Hiphop ist, die Königsklasse arbeitet natürlich im Team (also Rapper und Beatmacher) und spielt sich gegenseitig die Bälle zu - oder ist grad beides in Personalunion. Das merkt man dann aber auch, entweder in der Klasse des Ergebnis oder dass er an einem Punkt mangels Skill in einer Sache wirklich hörbar verkackt.
 
in so kurzer Zeit und an einem Ort stattfindet.

Dabei könnten die Schlagermacher doch eigentlich mittels Online-Plattformen wie bei dem "type beats"-Phänomen im (ok, schon wieder) Hip Hop / Rap auch sich gleich die (fertigen) Rosinen rauspicken und damit weitermachen. Bzw. ungebunden von Zeit/Raum sich dezentral die Versatzstücke "anliefern" lassen...

Ich glaube, da ist wichtig, dass ein Teamwork stattfindet. Das geht zwar online, aber ist bei körperlicher Präsenz in einem Raum einfach viel unmittelbarer - und schneller. Das Teamwork sorgt letztlich dafür, dass m an nicht mehr hört, dass das Stück aus Versatzstücken entsteht, und dass das Album von mehreren Komponisten geschrieben wurde.
Letztlich ist es dann effizienter, 8 Leute für einen Tag in einen Raum zu stecken, als über Tage hinweg zu versuchen, 8 Leute online aneinander anzugleichen.
Und effizienter heißt hier auch einfach: Billiger.

Aber die online Kollaborationswerkzeuge für Musiker werden auch kontinuierlich besser. Ist also nur eine Frage der Zeit.
Aber vielleicht sind KIs ja schneller ;-)
 
Schade ist nur, dass jegliche künstlerische Authentizität und Individualität dabei natürlich auf der Strecke bleibt. Ob es die im Schlager-Bereich aber überhaupt je gegeben hat, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
Andererseits ist die Einheit von Komponist und Interpret nun auch kein Garant für "künstlerische Authentizität und Individualität":

Obwohl – das war damals nun wirklich ein origineller Ohrwurm. Daher: Zustimmung, zumindest manchmal.
 
Ich kannte mal ein Mädel die hat Schlager-Texte geschrieben, als Ghost-Writerin...

hat mir mal ein paar davon gezeigt inkl. der Schecks die sie dafür bekommen hat... durfte natürlich alles nachher ihren Namen nicht tragen, sondern hat "der Künstler" dann eben mit übernommen...

Hat dafür aber auch immer n paar hundert (pro Text) bekommen, das waren aber noch D-Mark...
 
Wie gut dass ich mir das Ergebnis dieses "Handwerks", wie es die Komponistin im Text selbst nennt, nicht anhören muss...:kiffa:
 
Dass die Trennung von Produzenten und Aufführenden schon älter ist.

und sie geht ja sogar noch viel weiter. Schreiber/Interpret/Produzent/Aufnahmeleiter... alles komplett verschiedene Rollen, schon seit Jahrzehnten, bzw. im goldenen Zeitalter der klassischen Plattenindustrie (1940er-70er) eigentlich sogar noch extremer als heute, wo durch die veränderten Produktionsmittel manche dieser Rollen wieder stärker zusammenfallen.

Symptomatisch für diese alte Rollenverteilung ist vor allem eine weitere, ganz entscheidende Rolle (gewesen), der sogenannte "A&R" (Artist & Repertoire). Eine etwas nebulöse Figur, bisschen halb Typ Schreibtischtäter, halb vermeintlicher Hipster am Puls der Zeit, die die Aufgabe hatte, die richtigen Interpreten mit den richtigen Songschreibern zusammenzubringen, bzw. mit den richtigen Songs, die ja durchaus nicht bloß just-in-time, sondern "auf Halde" geschrieben wurden.
 
Fließbandproduktion gab es schon in den Zwanzigern in der Tin Pan Alley.

Und sogar Bach schwebte nicht in einem kompositorischen Elfenbeinturm, sondern musste jeden Sonntag eine komplette Gottesdienstmusik komponiert und mit seinen Leuten einstudiert haben.
 


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