Tim Kleinert schrieb:
Man sollte auch nicht den Fehler machen, die eigenen Vorlieben und Interessen zu generalisieren. Auch Künstler, die z.B. ohne jeglichen Show-Schnickschnack rein nur auf ihre musikalischen Fähigkeiten (Virtuosität, Authentizität etc.) setzen, finden ihr jeweiliges, wenn auch entsprechend spezialisiertes und somit kleineres, Publikum. Allan Holdsworth kennt hier vermutlich niemand, aber wenn der irgendwo ein Konzert spielt, steht jedenfalls stets die gesamte lokale Gitarristenarmee (und zwar stilübergreifend) Schlange und findet sein Gitarrenspiel in sich hör- und sehenswert genug -ganz ohne Lightshow, Pyrotechnics oder tanzende Teddybären.
Freut mich dass du AH kennst ... aber du unterschlägst da was ... AH hatte (laut Interviews im Guitar Player) die Schnauze so voll davon, dass immer nur ne Handvoll Musiker gekommen sind, dass er zwischenzeitlich sogar aufgegeben hatte Musik zu machen und einem bread-andbutter-Job nachging. Von irgendwas musste er ja leben. Es hat wohl eher Jahrzehnte(!!) gedauert bis der Geheimptipp keiner mehr war und genug Leute kamen. Wie es aktuell um ihn aussieht, weiss ich leider nicht.
Wer ihn nicht kennt:
Ich behaupte jetzt nicht, dass mit einer irgendwie gearteten Show und entsprechendem Marketing das anders gelaufen wäre, aber wenn man sich seine Shows ansieht dann war/ist(?) das wirklich für die Puristen unter den Gitarristen. OK, jedem sein DIng, aber ihn hats ja selbst genervt.
ikonoklast schrieb:
Selbst die virtuosesten Künstler inszenieren ihre Performance, setzen sich "in Szene".
Ich bezweifle, das die hiermit unweigerlich verbundene Selbstobjektifizierung letztendlich vereinbar ist mit Authentizität. Letzteres muss aber auch nicht zwingend eine Priorität sein! (Bitte vorangegangenen Satz 3x lesen, bevor man auf die Barrikaden geht. ;) )[/quote]
Du wirst - um mal im Genre zu bleiben - niemals einen Segovia (ok, lebt nicht mehr, ist aber schönes beispiel) im Schlabber-T-Shirt und zerrissener Jeans sehen. Die Auftritte finden in einer eher würdevollen Umgebung statt. Er ist korrekt gekleidet, er ist nie betrunken, das Licht passt (er ist gut zu sehen UND zu Fotografieren (wichtig)), es gibt Eintrittskarten, der Saal ist bestuhlt (Yay! Macht einen RISEN Unterschied!!), es gibt Programmhefte, die Atmosphäre stimmt. Das Konzert wird angekündigt durch entsprechende Artikel in der Lokalpresse, die Fotos sind 1a ...
Das alles unterstützt die Authentizität des Musikers. Und das überlässt/überliess er sicher nicht dem Zufall.
Sag mir keiner das wär jetzt ne aufwendige Show. Aber die Performance ist perfekt.
ikonoklast schrieb:
Auch hier sehe ich ein Kontinuum, wo man sich als Künstler je nach Neigung positionieren kann/muss. An einem Ende dieses Kontinuums gibt es Protagonisten, die sich einen regelrechten Sport daraus machen, derart mit ihrem inszenierten Image zu spielen, bis dass dies zum Selbstzweck wird (z.B. Lady Gaga, die's als Performerin eigentlich sogar ziemlich drauf hat, nur spielt das leider keine wirkliche Rolle, woran sie eben genau wegen ihrem inszenierten Dauerzirkus selber schuld ist

). Am anderen Ende gibt es dann die, die einfach in Alltagsklamotten auf die Bühne gehen und singen, dass es das Publikum umhaut (z.B. Joni Mitchell, obwohl sie's ja nicht mehr tut weil sie u.A. eben die Schnauze voll hat von unserer medial gesteuerten Gesellschaft und dem daraus resultierenden Selbstinszenierungsimperativ). Und dazwischen gibt es auch hier ein riesiges Mittelfeld. Auch als Zuhörer/Konsument ist es persönliche Geschmackssache was einem gefällt.
Ehrlich gesagt, weiss ich jetzt nicht wie das im Rahmen dieses Forums zu bewerten ist. Ich stimme dir ja prinzipiell zu, aber als Performance-Tipp zu sagen "Ordne dich irgendwo zwischen Lady Gaga und Joni Mitchell ein" bringt uns doch auch nicht weiter - das ist doch eher eine Floskel, oder nicht?
Ich wüsste jetzt auch nicht was ich damit anfangen soll - "irgendwo in der Mitte" ?? Es bringt halt nicht weiter. Ich denke mal, konkrete Denkanstöße sind notwendig. Nicht weil wir alles ach so fantasielos sind, sondern weil wir alle unsere
Scheuklappen haben.
Und was die "Nachvollziehbarkeit des direkten Musizierens" angeht: EM ist halt zu großen Teilen "Maschinenmusik" - mit voller Absicht, das braucht man auch nicht verstecken oder "kompensieren". Das maschinelle Element macht geradezu den Reiz aus. Wie man das in die Performance integriert, das ist das Problem.
Das "verstecken oder kompensieren" und "in die Performance integrieren" sind doch zwei Ausdrücke für ein- und dasselbe

, nur dass das erste pejorativ ist. Vielleicht bin ich falsch rübergekommen, aber ich meine dieses "Kompensieren" (nennen wir's mal so) nicht abwertend.
ikonoklast schrieb:
Es ist auch ein sehr modernes Problem: wenn man sich mal die K4 von Kraftwerk anhört, dann haben sich die Leute damals mit - aus heutiger Sicht - unglaublich wenig zufrieden gegeben - es war halt alles neu, ungehört, un-er-hört.
Heute konkurriert man aber mit einer unglaublichen Vielfalt an Performances: nur auf die eigene Virtuosität zu vertrauen wird in den meisten Fällen schiefgehen.
Absolute Zustimmung. Ich denke nicht dass es ein intrinsisches Problem der Sache an sich ist, sondern definitiv ein Ausdruck unserer medial zugedröhnten und entsprechend abgestumpften Gesellschaft. Für mich persönlich (wiederhole: für mich persönlich) ist es das darbieterische Äquivalent des 'Loudness Wars'. So wie die Musik heutzutage 'kesseln' muss, so muss die Performance 'flashen', sonst daddeln die Leute lieber wieder an ihren Smartphones rum. Obwohl -tun sie mittlerweile sowieso: denn wenn heutzutage eine Live-Show so richtig kesselt und flasht... wird gefilmt!

Naja, immerhin kann der Artist seine Show am nächsten Tag auf YT bewundern. Tja, jetzt müsste er nur noch was dran verdienen.
Sorry for the long lazy sunday post.

[/quote]
Much appreciated ...
Worauf ich hinauswill: IMHO hat auch das geringste musikalische Ereignis es verdient, in angemessenem Rahmen präsentiert zu werden.
Ich erzähl mal ne Story. Mein allererstes Konzert ... na ich erzähls lieber doch nicht
Jedenfalls habe ich mir damals eines geschworen: *Wenn* ich auftrete, dann möglichst so dass selbst die Leute die nix mit meiner Musik anfangen können nachher sagen: "Die Musik hat mir ja nicht so gefallen, aber es war ein nettes Konzert." Hat oft geklappt.
Kann man ja mal drüber nachdenken
Servus,
Alex