Moogulator schrieb:
Es ist auffällig, dass rel. oft zum Thema Kraftwerk gepostet wird. Das endet fast immer darin, dass einige diese Band wichtig finden, die anderen nicht. Weshalb ist das eigentlich so polarisierend?
Ist „polarisierend“ bei dir negativ konnotiert? Für mich ist die Fähigkeit zur Polarisierung eine Positive. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass sie ein wichtiger Erfolgsfaktor im Sinne einer Positionierung ist. Oder anders gesagt: Bei Kraftwerk weiß man was man hat. Kraftwerk ist „Düsseldorfer Schule“ und das ist etwas anderes als „Berliner Schule“ und wieder etwas anderes als Carlos, Tomita, Jarre, usw., um nur einige zu nennen, die in den Anfangsjahren elektronische Musik unterschiedliche Styles produziert haben. Kraftwerk verkörpern eine Marke mit starkem Kern und Botschaft. Unabhängig davon, ob man die Musik persönlich mag oder nicht, sollte man sich das bei einer Beurteilung von Kraftwerk vergegenwärtigen. Als Künstler oder wie auch immer man das eigene Sein definiert, kann man von Kraftwerk lernen.
Moogulator schrieb:
- Ist das wirklich so extrem oder eben doch eine Band die in der Vergangenheit viel erreicht hat und jetzt wie alle Bands die in der Vergangenheit ne Menge Einfluss hatten jetzt eben durch das was jetzt passiert bestenfalls gegengescheckt werden und man sich da halt positionieren möchte?
Ich denke, diese Stichpunkte greifen zu kurz. Aus meiner Sicht gibt es eine ganze Reihe von Aspekten, die aus heutiger Perspektive Widerspruch erregen können.
Künstlerverständnis: Angenommen man vertritt die Ansicht, die Aufgabe eines Künstlers ist die Schöpfung in Sinne von etwas Neuem und nicht die Wiederholung, kann man sich bei Kraftwerk daran stoßen, dass es an dem Neuen heute fehlt. Gesetzt der Fall man sieht das so, stehen Kraftwerk also regelmäßig auf einem Podest, auf dem, statt Innovation, regelmäßige Reproduktion stattfindet. Das kann auf Widerstand stoßen.
Zeitgeist: Das, was den meisten von uns von Kraftwerk bekannt ist, hat nichts mit dem Zeitgeist bzw. dem Lebensgefühl der Gegenwart zu tun. Der überwiegende Teil ist in den 1970er-Jahren entstanden. Wir sprechen also von einer Zeit „von vor 40 Jahren“. Das bedeutet, man muss sich die Lebensumstände vergegenwärtigen, um überhaupt rezipieren zu können, welche Leistung Kraftwerk vollbracht haben. Eine Platte wie Radio-Aktivität, mit der ihr eigenen – wie ich finde – naiven Technik-Gläubigkeit, kann heute nicht mehr funktionieren. Kraftwerk waren Propheten des Aufbruchs in ein neues Zeitalter der verheißungsvollen Technologie. Heute leben wir in diesem Zeitalter und geblieben sind Ängste: vor Terrorismus, Überwachung; Misslingen der Energiewende, Klimakatastrophe und neuerdings den Maschinen, die uns zunächst mithilfe von Wearables in Mensch-Maschinen verwandeln und bald – wie Kurzweil und Hawking uns verkünden – den Menschen substituieren werden. Man kann somit schwerlich Kraftwerk dafür kritisieren, dass sie in den 70er-Jahren ein Bild gezeichnet haben, dass so nicht eingetroffen ist. Dennoch kann man im Gegenzug Verständnis dafür aufbringen, dass es auf Widerstand und Unverständnis stoßen kann, wenn dieses Bild immer und immer wieder in einer Zeit präsentiert wird, in der das Utopische daran längst verloren gegangen ist. Hier manifestiert sich sozusagen der Nachteil, wenn eine Positionierung aufrechterhalten wird, die nicht mehr zeitgemäß ist.
Und somit komme ich zum Museum und der ausgestellten Kunst:
Vorweg, da einige aus Köln und Umgebung kommen, erlaube ich mir einen kurzen Ausflug dorthin: Dr. Peter Ludwig (Museum Ludwig) gilt als einer der bedeutendsten Kunstsammler. Er ist u. a. bekannt für seine Pop-Art-Sammlung. „Die Kunst dieser Jahre (60er) ..., so schrieb er, „... brach über uns herein wie ein Sturm.“ Wer die Gelegenheit hatte, die aktuelle Pop-Art-Ausstellung zu besuchen, wird sich ebenfalls in die USA und das von ihr beeinflusste Europa der Nachkriegszeit versetzen müssen, um nicht nur das Bild, sondern auch die Intention und Aussage des Werks verstehen zu können. Dass Kraftwerk heute in Museen spielen, verwundert somit kaum. Es ist ein guter Ort, an dem man die Vergangenheit in Ruhe studieren und die Zusammenhänge verstehen kann. Zudem kann ich mir vorstellen, dass Kraftwerk irgendwann als Installation – wie ein interaktives Werk a la Rauschenberg, das auf Geräusche der Besucher mit Licht und Klang reagiert – zu sehen sein werden. Möglicherweise ist eine solche Vorstellung den meisten Musikern irgendwie fremd, allenfalls sind musikspezifische Museen wie z. B. das MIM in den USA bekannt, in denen z. B. ein paar Klamotten von Elvis zu bewundern sind. Wer an Kraftwerk und Museum denkt, sollte vielleicht mal Yoko Ono im Museum besuchen.
Zusammenfassend: Den Widerspruch gegenüber von Kraftwerk würde ich eher als Infragestellung des künstlerischen Anspruchs sowie der inhaltlichen Positionierung bezogen auf die 2020er-Jahre sehen. Kraftwerk hatten ihre Zeit und gehören mit allen Ehren ins Museum. Dass sie dort auftreten, ist somit stillvoll und logisch zugleich.
Über die oben genannten Punkte hinaus kommen dann noch Faktoren hinzu, die Musiker generell und diejenigen hier im Forum im Speziellen betreffen:
- Live spielen ist angesagt: Kraftwerk ist ein Live-Act mit festem Programm, aber keine Live-Band. Was auf der Bühne wirklich passiert, ist für das Publikum nicht nachvollziehbar.
Authentizität ist gefragt: Kraftwerk haben möglicherweise das Zurücktreten des Musikers hinter die Musik in der Pop-Musik kultiviert, aber selbst Techno-DJ’s, die diesen Ansatz aufgegriffen haben, wurden vom Starrummel um die eigene Person eines Besseren belehrt: Das Publikum möchte Helden, keine Roboter.
Elektronische Musik im Überfluss: Die Generation um Kraftwerk und die danach konnte sich nur mit dem Vorhandenen beschäftigen. Die heutige Generation kann das Vorhandene inhaltlich nicht mehr bewältigen und somit ggf. kaum einen Bezug zu Kraftwerk aufbauen. Darunter könnte dann auch das Verständnis dafür leiden, weshalb Kraftwerk einen derartigen Einfluss auf die elektronische Musik hatte.
Zugang zu Produktionsmittel: Gerade hier im Forum ist das Wissen um den Umgang mit Synthesizern und den Produktionsmitteln bekannt. Insofern ist es um ein vielfaches einfacher, Kraftwerk und deren Werk zu kritisieren. Um sich aber die Leistung von Kraftwerk vergegenwärtigen zu können, müsste man entweder „zurück auf Los“ (was eher theoretischer Natur ist) oder gänzlich neue Instrumente kreieren, mit deren Hilfe dann ein neuer Style erfunden und erfolgreich so etabliert wird, dass sich nachfolgende Generation darauf beziehen, weil deren Musik davon inspiriert wurde.
Möchte sagen: Zwischen Kritik üben und prduktiv sein ist ein immens großer Unterschied. Wissen, Instrumente und Produktionsmittel allein machen weder einen noch einen erfolgreichen Künstler.
Abschließend: Es mag nerven, wenn Kraftwerk in den Olymp aufgenommen werden. Andererseits: Man darf den geneigten Menschen ihre Helden lassen. Kraftwerk sind von allen potenziellen Kandidaten immer noch mit die Besten
