Angesichts der Zweifler hier im Thread möchte auch ich eine Lanze für Renoise brechen. Ich nutze es (mittlerweile) allerdings etwas zweckentfremdet, nämlich so gut wie nie mit Samples, sondern als MIDI-Sequenzer für meine externe Hardware. Was hier nämlich sehr genial zum Tragen kommt, ist das von den traditionellen Trackern weitergetragene Prinzip, dass die verschiedenen Spuren nicht an bestimmte Klangerzeuger gebunden sind (wie in den üblichen DAWs a là Logic, Live... eine Spur = ein Instrument), sondern dass auf jeder Spur potentiell alles passieren kann. Die Noten auf ein und der selben Spur können Samples, VST-Instrumente oder eben externes MIDI triggern, weil die Zuweisung zu den verschiedenen Klangerzeugern *pro Note* geschieht (also z.B. Note C#4 mit Velocity 70 auf Instrument 8, wobei sich dann hinter Instrument 8 eine der verschiedenen Arten von Klangerzeuger verbergen kann, oder auch mehrere gleichzeitig).
Dieses Modell führt dazu, dass man nicht nur mit weniger Spuren auskommen kann, wenn man es denn möchte, was die Sache übersichtlicher machen kann, sondern es kann auch eine wesentlich »musikalischere« Arbeitsweise befördern. Ich kann mir z.B. eine Spur einrichten, die schlicht »Bass« heißt, und auf der Noten liegen, die mal einen FM-Bass auf dem DX ansteuern, und ein paar Noten weiter einen klassischen Filterbass auf der xoxbox. Ich hätte dann also zwei Basssounds, zwischen denen ich innerhalb, sagen wir eines Taktes, hin und her wechseln kann, dabei aber die Noten des Basslaufs in einer kontinuierlichen Reihe auf der selben Spur behalte und nicht auf zwei verteilen muss (in diesem Sinne »musikalisch«). Oder: ich kann auf der selben Spur (die ja in Renoise anders als bei den alten Trackern polyphon sind), einen Akkord haben, dessen verschiedene Noten aber von je verschiedenen Klangerzeugern gespielt werden. Sagen wir ein pad-sound, bei dem den Grundton die xoxbox macht, die Terz von einer cheesigen Oberheim-Tröte gespielt wird, und die Quinte ein DX7-Patch mit fluffigem Geflirre eines random-LFOs in den Obertönen.
A-4 70 06 --- C-5 70 07 --- E-5 70 08
alles eben auf einer Spur, was natürlich auch die Arbeit mit Muten und ent-Muten sehr erleichtert.
Ob das jetzt ein Grund ist, von einem System, das man (idealerweise) so gut beherrscht, dass es quasi transprent ist, der eigenen Kreativität nicht im Wege steht, wegzuwechseln hin zu sowas grundlegend anderem -- das muss jede/r selber wissen. Ich bin in den 90ern mit Trackern groß geworden, dann vermeintlich mit der Zeit gegangen (erst Logic, dann Live), und jetzt seit zwei Jahren wieder bei einem Tracker, eben Renoise, gelandet, und fühle mich dort am ehesten zuhause.
Das schlagende Argument ist dabei für mich, dass Renoise (wie alle Tracker) einem Paradigma verpflichtet ist, das ich beschreiben würde als »dritten Weg« jenseits (1.) der klassischen linearen Arbeitsweise auf der horizontalen Zeitachse a là Cubase & Co. und (2.) dem loop-basierten Arbeiten, wie man es aus Live oder diversen Grooveboxen kennt. Zwar liegt auch im Tracker, wie in Modell Nr. 2, der Fokus auf dem einzelnen Pattern von z.B. 4 Takten Länge. Jedoch
erlaubt es der Tracker nicht, innerhalb eines Patterns (wie in Live innerhalb einer Scene) verschiedene Einzelelemente spontan und nondestruktiv auszutauschen. Ich kann nicht Pattern 2 spielen lassen, und mich mal eben entscheiden, nur die Drums für eine Weile aus Pattern 1 kommen zu lassen. Dafür
fordert der Tracker dich aber auf, durch seine allgegenwärtige Darstellung der Patternabfolge auf der vertikalen Zeitachse am linken Rand, immer auch die größeren zeitlichen Dimensionen jenseits des loopenden Patterns im Blick zu behalten. Der Übergang vom endlosen Loop zu einem richtigen Arrangement wird einem dadurch sehr leicht gemacht. Hinzu kommt (als Spezialität in Renoise) eine ausgefeilte »Pattern-Matrix«, die wirkt ein bisschen wie ein Zugeständnis an ehemalige Live-Fans. Hier lassen sich pro Pattern z.B. Spur-Mutes automatisieren und sog. Aliase, also Verweise innerhalb eines Patterns auf Elemente aus anderen Patterns einrichten -- wie gesagt nicht so spontan wie z.B. in Live, aber dennoch so einfach, dass man sehr niedrigschwellig dazu angeregt wird, sich Gedanken zu machen, was denn aus dem fertigen Pattern, das so geil groovt, aber eben nur 4 Takte hat, über eine Strecke von zwei, drei Minuten werden soll.
Für Leute aus der Arrangement-Selbsthilfegruppe, sofern sie noch offen für neues sind, sicher eine Option. Sehr freundlicher Kaufpreis, nahezu uneingeschränkte Probeversion übrigens.
PS: oben wurde der Gegensatz aufgemacht zwischen »Programmieren« (das, was man im Tracker macht) und »einspielen« (das, was man woanders macht). Ich sehe das nicht so: wenn es darum geht, live zu sequenzieren (im Sinne von MIDI-Daten in Echtzeit aufnehmen), wüsste ich nicht, was Renoise heutzutage besser oder schlechter kann als andere Systeme. Und »programmieren« würde ich das nicht nennen, was ich in Renoise tue, wenn ich (wie eigentlich immer) Noten im Step-Modus eingebe. Es ist halt eine andere Form der Repräsentation der musikalischen Daten. Keine piano-roll, keine Lauflichter, sondern die Notenwerte im Klartext. Da steht ein Cis, ich höre ein Cis, was will ich mehr. Ist doch intuitiv wie sonstwas. Sieht halt nur nerdiger aus, sicher -- aber diese Nerdigkeit ist sicher auch ein, wie sagt man, »USP« von Renoise, über den die Entwickler nicht undankbar sind, wenn man bedenkt, von welchen
Künstlern mit welcher Musik es promotet wird.
Gutes Gelingen
Nils