Klingt das wirklich "gut" ?

fcd72

Training Season's over.
Hier mal eine ungewohnterweise ernsthafte Frage von mir:

Klingt ein MiniMoog wirklich gut?

Ok, ihr könnt gerne statt dem Mini jeden anderen beliebigen Synthesizer einsetzen.

Hintergrund der provokanten Frage ist, dass ich mir nicht sicher bin ob das Gerät selbst "gut" klingt, sondern wir vielleicht den Klang nur gewohnt sind und er in Musik benutzt wurde, die uns gefällt. Will sagen, dass es weniger um den Klang des Gerätes selbst geht als um den Kontext in dem wir das schonmal gehört haben. Da beispielsweise ein Mini - in damaliger Ermangelung anderer brauchbarer Geräte - in vielen vielen Musikstücken benutzt wurde, von denen sicherlich einige uns besonders gefallen (sei es kompositorisch oder emotional) haben wir einfach mehr positive Erinnerung daran, ergo "klingt" das Teil besser. Ein Beispiel wäre die 808, in unserer Schule stand so ein Teil rum und keiner fand das Ding irgendwie auch nur ansatzweise brauchbar wegen des Klanges. Aber wir alle hatten damals noch kein HipHop gehört, ganz einfach weil der 1982 in der Voreifel noch gar nicht angekommen war. Nach fast 40 Jahren 808 Dauerberieselung denke sogar ich darüber nach mir eine RD-8 zuzulegen, einfach weil ich den Sound inzwischen ziemlich gut finde. Oder halt mit vielen positive Erlebnissen verbinde, bei denen eine 808 zu hören war. Bevor jemand was ferkeliges einwirft - da wäre es dann eher der M1.

Worauf ich hinaus will ist, dass guter Klang halt nicht nur das ist, was man am Audioausgang abgreifen kann, sondern das ist was darauf hin im Kopf entsteht. Und das ist abhängig von dem was wir gelernt haben. Daß der MiniMoog gut klingt, ist also nicht physikalisches Gesetz, sondern "anerzogen".
 
Klar, es hängt immer vom musikalischen Kontext und von der Person ab, die das Instrument spielt. Die Moogs, X0Xs und Co. passen anscheinend seit jeher mit ihrem Grundklang sehr gut in diverse Musiksetups und Genres rein. Insofern können die in der Tat vielleicht auch objektiv „gut“ klingen, weil der Klang eben passt und bei den meisten Menschen Emotionen weckt.

Anerzogen ist das sicherlich auch, ähnlich wie unsere westliche Zwölfton Musiktheorie (oder wie man das nennt). Weil Moog, etc. sich etabliert haben, probiert man die ggf. auch gerne als erstes, weil man eigentlich schon weiß dass es gut klingt. Danach testet man vielleicht nichts anderes mehr und so bleibt alles wie es ist. Haha! :D
 
Zuletzt bearbeitet:
Was heisst denn dann "objektiv gut" ?? Nur "langeweilige" Wellenformen, die sich einfach mit Analog-Technik hinbekommen lassen?
 
Ist ja auch Geschmacksfrage und der musikalische Kontext. Es gab ja auch mal eine Zeit vor elektronischer Musik in der ein Minimoog schon existent war ..
 
In den falschen Händen klingt jedes Instrument scheiße. Das braucht dann noch nicht einmal ein Synthesiser zu sein, ein 150.000-Euro Bösendorfer tut's da auch.

Da spielt der Grundklang oder der dem Instrument innewohnende Charakter gar keine Rolle mehr.

Stephen
 
Gibts "technische" Parameter was gut klingt? Irgendwas messbares?
Nein.

Das zeigt schon ein Blick auf die Entwicklung dessen, was als "gut klingend" angesehen wird: Das technische Artefakt einer Generation wird zur Ästhetik der nachfolgenden Generation. Im Folgenden ein paar Beispiele dazu:

Hörbare technische Artefakte galt es in der Früh- und Blütezeit des Digital Audio um wortwörtlich jeden Preis zu vermeiden – bloß kein Quantisierungsrauschen, also mindestens 16 Bit, und ja kein Aliasing, also bitte 44.1 kHz! Heute dagegen kann man Plug-ins erwerben, mit denen sich solche Nebengeräusche und Verzerrungen bewußt herbeiführen lassen.

Oder nimm Vinylknistern: Was führte man früher nicht für Tänze auf, um das zu vermeiden! Naß abspielen, mitlaufende Antistatik-Bürstentonarme usw. Heute unterhält man sich darüber, welche Plug-ins das am besten klingende Knistern bieten.

Überhaupt Verzerrungen jeglicher Art: Erst bekämpft, dann modelliert.

Ein letztes Beispiel: An analogen Synthesizerklängen hatte man sich um die Mitte der 1980er satt gehört, sie galten als altmodisch, stattdessen waren die vergleichsweise komplexen Klänge digitaler Synthesizer (DX7) und Sampler (Fairlight, Emulator) zeitgemäß. In den 90ern erlebten die analogen Büchsen ihre Renaissance, eben aufgrund ihrer rohen, ungeschlachten Klänge, an denen man aber handfest, live und in Echtzeit schrauben konnte.
 
Worauf ich hinaus will ist, dass guter Klang halt nicht nur das ist, was man am Audioausgang abgreifen kann, sondern das ist was darauf hin im Kopf entsteht. Und das ist abhängig von dem was wir gelernt haben. Daß der MiniMoog gut klingt, ist also nicht physikalisches Gesetz, sondern "anerzogen".

Ja und Ja - aber er klingt auch einfach so gut - ein Widerspruch ? Keine Ahnung ?

Man kann den ja nicht kennen und den nicht kennen :)

Natürlich ist im Rahmen der Ästethik viel sozialisiert - aber "Alles" um Glück auch nicht.
 
Fuck, besser hätte ich das nicht sagen können. Ich kauf dir ein Bier. Thema durch.

Stammt aber nicht von mir, sondern von Brian Eno:

“Whatever you now find weird, ugly, uncomfortable and nasty about a new medium will surely become its signature. CD distortion, the jitteriness of digital video, the crap sound of 8-bit - all of these will be cherished and emulated as soon as they can be avoided. It’s the sound of failure: so much modern art is the sound of things going out of control, of a medium pushing to its limits and breaking apart. The distorted guitar sound is the sound of something too loud for the medium supposed to carry it. The blues singer with the cracked voice is the sound of an emotional cry too powerful for the throat that releases it. The excitement of grainy film, of bleached-out black and white, is the excitement of witnessing events too momentous for the medium assigned to record them.”
(Brian Eno: A Year With Swollen Appendices)
 
Natürlich gibt es Hörgewohnheiten.

Es gibt aber auch Psychoakustik. Und die liefert gegebenenfalls auch Gründe, warum sich der Sound des Minimoog, der TR-808 oder des DX7 durchgesetzt hat.

Ästhetik ist nicht losgelöst von der Biologie. Bestimmte Klangcharakteristiken verbinden wir von Natur aus mit Eigenschaften. Komplexität, Geschwindigkeit, Natürlichkeit usw. Der Minimoog kann knackig, organisch und komplex klingen wie wenige andere Monos. Immer wenn ich diesen Sound irgendwo gehört habe, wollte ich wissen, was das ist. Bei einem guten Orchester in einem guten Saal geht mir das übrigens genauso. Und anderen natürlich auch.

Davon abgesehen gibt es auch prozessabhängige Klangqualität, d.h. wie ein Instrument sich beim Jammen und Produzieren verhält, wie gut bzw. schnell man zum Ergebnis kommt, weil es sich im Mix einfügt usw.


Insgesamt sind wir aktuell was Klang angeht völlig "verzogen", weil kaum noch jemand direkt und unverfälscht, bzw. wenigstens auf einem hochwertigen System, Musik hört. Ähnlich wie beim Essen, das häufig nur aufgrund von hinzugefügten Aromastoffen schmeckt. Trotzdem kann jeder wirklich hochwertiges Essen problemlos identifizieren.
 
Folglich gibts in ein paar Jahren ein Plugin, was die schlechte Bitrate von Youtube und Streaminganbietern nachbilden soll. Nice.

Gibts doch so in der Art, schließlich will man seinen Sound ja dahingehend optimieren, dass er bei Spotify, Apple, Youtube und Co gut klingt und dafür nimmt man dann dass Plugin. Man will ja nicht jeden Sound hochladen um zu testen wie es klingt. Genauso wie es Tools gibt mit denen man testen kann wie es als schlechte mp3 klingt, ohne es vorher komplett umwandeln zu müssen.

Ein letztes Beispiel: An analogen Synthesizerklängen hatte man sich um die Mitte der 1980er satt gehört, sie galten als altmodisch, stattdessen waren die vergleichsweise komplexen Klänge digitaler Synthesizer (DX7) und Sampler (Fairlight, Emulator) zeitgemäß. In den 90ern erlebten die analogen Büchsen ihre Renaissance, eben aufgrund ihrer rohen, ungeschlachten Klänge, an denen man aber handfest, live und in Echtzeit schrauben konnte.

und/oder weil sie grade billig gebraucht zu kriegen waren.
 
...ein Klang der grundsätzlich allen (oder den meisten) Zuhörern angenehm und passend erscheint.

Sehe ich auch so. Umgekehrt wird z.B. ein sustainloser, stumpf klingender E-Gitarrensound bei den meisten Menschen auf Ablehnung stoßen.
Als ich ich das erste mal „Son of my father“ von Giogio Moroder hörte, ist der Sound der Synth Basslinie positiv bei mir hängengeblieben.
Damals wusste ich nicht einmal wie Synthesizer geschrieben wurde, geschweige wie sie aussahen. Holzig, knarzig, Bratsche fiel mir dazu ein. Alles positive Begriffe.
Somit gibt es durchaus Kriterien für ein angenehmes oder unangenehmes Klangempfinden. Man muss sie nur für die Instrumente bzw. Sounds herausarbeiten.


https://www.youtube.com/watch?v=4KSLfhx_10M
 
Insgesamt sind wir aktuell was Klang angeht völlig "verzogen", weil kaum noch jemand direkt und unverfälscht, bzw. wenigstens auf einem hochwertigen System, Musik hört. Ähnlich wie beim Essen, das häufig nur aufgrund von hinzugefügten Aromastoffen schmeckt. Trotzdem kann jeder wirklich hochwertiges Essen problemlos identifizieren.
Bezüglich des letzten Satzes wage ich zu widersprechen. Denn natürlich wird Geschmack auch mit davon beeinflusst, was man gewohnt ist. Das legt man nicht einfach so ab, auch wenn man hochwertiges Essen probiert. Es kann also durchaus sein, dass jemandem hochwertiges Essen nicht schmeckt, weil er eben ganz anderes gewohnt ist. Habe mal eine Sendung über Kochschüler gesehen und der Lehrer (selber gestandener Koch) meinte, es wäre schon nicht einfach, weil eben heutzutage viele Kinder und Jugendliche mit Fast- und Convience Food aufwachsen. Er würde z.B. seinen Schülern eine richtige Sauce Hollandaise anrühren und viele wären total irritiert, weil die nur die Hollandaise aus der Tüte kennen und diese ihnen viel besser schmecken würde als eine wirklich frisch zubereitete Hollandaise. Andere Sendungen haben Blindtests gezeigt, wo es um frisch gekocht gegen Industrienahrung ging und auch da waren die Ergebnisse sehr durchwachsen. Häufig genug war die Industrienahrung das, was den Leuten besser schmeckte.
 
Könnte was dran sein an der These. Neulich schickte mir jemand einen Link zu einem Konzert von Armin van Buuren (Trance). Ich fand, die Sounds, die er benutzte, klangen alle sehr künstlich, sehr nach VA. Ich würde in so einem Konzert immer denken, "Na, so toll klingt das aber nicht. Könnte besser klingen mit MiniMoog, DW 8000 und Juno 60". :) Aber das Publikum dort sah das anscheinend nicht so. Die haben diesen künstlichen VA-Klang anscheinend verinnerlicht und vermissen auch keinen MiniMoog. Seltsam anzusehen, aber scheint so zu sein.
Deren Klassiker sind dann wahrscheinlich irgendwann Sylenth1, NI Massive und Virus Ti2. Nix MiniMoog mehr dann.

Da lob' ich mir jemanden wie Nils Frahm, der nicht nur immer noch richtig spielen kann, sondern auch heute noch Geschmack hat, was die Instrumentenauswahl angeht. Macht halt auch kein Trance.
 
Zuletzt bearbeitet:
[...] Aber das Publikum dort sah das anscheinend nicht so. [...]

Das Publikum bekommt in der Regel überhaupt nichts mit, weil die wenigsten Anwesenden im Publikum erzogene und gebildete Hörer sind, die a) wissen und verstehen, was sie da hören und b) wegen ihres Wissens das Gehörte nachvollziehen, einordnen und bewerten können. 99,99% werden sagen Das ist aber schön oder Da kann ich gut mit dem Arsch zu wackeln, aber sie könnten Dir nicht erklären, warum das Gehörte Schön oder zum Arschwackeln ist. Oder sie werden Dir gar nicht sagen können, was sie da gerade gehört haben, weil sie nicht wissen, was sie hören -- denen fällt dann nur die Abwesenheit von Geräusch und die beunruhigende Anwesenheit von Stille auf.

Das Publikum als Maßstab für irgendetwas ist leider schon immer ein Irrtum gewesen, der heute immer schneller immer größer wird -- ich habe jahrelang den Fehler gemacht, das Publikum als reflektiert und interessiert zu behandeln, was sich bei näherer Betrachtung als Irrtum erwiesen hat. Die meisten konnten mir nicht sagen, was sie an dem soeben Gehörten (nicht) gut fanden, genauso wenig, wie sie mir hätten sagen können, warum ihnen das soeben Gegessene (nicht) geschmeckt hat.

Stephen
 
Häufig genug war die Industrienahrung das, was den Leuten besser schmeckte.
Mir erzählte ein Bekannter, der viel Filmmusik produziert, er mache meist eine Vorproduktion mit Samples und nehme dann richtige Instrumente auf. Und oft genug bevorzugten die Regisseure und Verantwortlichen dann die Sampleversion; er meinte, die haben sich an diese Art Sounds gewöhnt.

Das Publikum bekommt in der Regel überhaupt nichts mit
Es gab zur documenta 6 mal ein Interview mit Sol LeWitt, der zum Thema Publikum gefragt wurde und sofort sagte: "Publikum? Welches Publikum? Es gibt nur Künstler, Händler und Groupies." Ich finde den Satz noch heute sehr, sehr wahr. Auf tanzorientierten Veranstaltungen gibt es natürlich 99,5% Groupies, und von denen kann man wirklich nicht viel erwarten.
 


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