1. Theoretische Grundsätze
1.1 Die Fourieranalyse und Sinusaddition
1822 veröffentlichte der französische Ingenieur(Roads, S. 1075), Mathematiker und Physiker Jean Baptiste Joseph Fourier (1768-1830) in Paris unter dem Titel Theorie analytiques de la chaleur einen Beweis dafür, dass sich jede noch so komplexe periodische Schwingung als Summe endlich bzw. unendlich vieler simultaner Sinusschwingungen mit unterschiedlichen Amplituden, Frequenzen und Phasen dekonstruieren lässt. Im Umkehrschluss betrachtet, bedeutet diese hierarchische Betrachtungsweise der so genannten *Fourieranalyse* ebenso die Möglichkeit, aus diskreten Sinusschwingungen eine komplexe Schwingung zu konstruieren (*Fouriersynthese*), womit schon der grundlegenste Kerngedanke der Additiven Synthese formuliert wurde. Im Gegensatz zur weitaus verbreiterten subtraktiven Synthesetechnik setzt die Additive Synthese, wie schon aus dem Namen ableitbar, auf die Addition von Sinuswellenformen. Anstatt sich aus einem obertonreichen Spektrum den gewünschten Klang wortwörtlich herauszufiltern, geht man bei der Additiven Synthese den genau umgekehrten Weg: Das gewünschte Spektrum wird direkt aus den benötigten Teiltönen zusammengemischt. Die Sinusschwingung wird auf Mikroebene deshalb ausgewählt, weil sie sich nicht filtern lässt und somit keine Obertöne besitzt, womit sie ideal als eine Art Atom eines Klanges fungieren kann. Ähnlich wie sich jegliche Materie aus immer gleichen Zutaten wie Atomen, Elektronen und dergleichen aufbaut, kann jeder Klang als eine Mischung von elementaren Schwingungen verstanden werden, wobei durch ihre Obertonfreiheit die Sinuswelle die elementarste aller Schwingungen darstellt. Auch technisch hat sich der Sinus als purste Wellenform für Oszillatoren bei additiven Synthesizern etabliert, da er durch seine relativ simple mathematische Definition vergleichbar leicht elektronisch umsetzbar ist.
Wenn man davon ausgeht, dass der Mensch durchschnittlich ein Frequenzspektrum hörbar wahrnehmen kann, welches ungefähr 15.000 Hertz (u.a. altersabhängig) umfasst, wäre dementsprechend im Idealfall eine gleiche Anzahl von Oszillatoren von Nöten, um Klänge in dessen Rahmen zu (re)synthetisieren. Diese Umsetzung wäre natürlich mit einem gewaltigen technischen und finanziellen Aufwand verbunden, wenn man vergleicht, dass subtraktive Synthesizer meist mit nicht mehr als drei Oszillatoren ausgestatten waren und trotzdem schon einige tausend Deutsche Markt kosteten. Zudem kommt noch hinzu, dass Fourier seine Theorie auf periodische Signale bezieht, dass heißt: bei unperiodischen, dynamischen Klängen wäre eine ebenso hohe Anzahl an Modulationsquellen (wie beispielsweise Hüllkurvengeneratoren) notwendig, um jedem Oszillator einen individuellem Lautstärkeverlauf zu ermöglichen.
Diese Veranschaulichung mag erklären, warum die Additive Synthese in der elektronischen Instrumentenentwicklung des 20. Jh. eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat, besonders da die analoge Realisierung noch weitaus aufwendiger und kostspieliger wäre, als eine digitale Umsetzung, die sich aber erst viel später erst richtig entwickeln sollte. Dennoch versuchte man schon früh diese Probleme zu bewältigen, was folgende Chronik dokumentieren sollte.
2. Umsetzungsentwicklung des Additiven Synthesemodells - Eine Chronik
2.1. Die Orgel
Eigentlich ist das Konzept der Additiven Synthese bereits seit Jahrhunderten existent, da die Orgel schon allerspätestens im 14. Jahrhundert einen vergleichbaren Entwurf anwendete. Dieser setzt auf mehrere Pfeifenreihen gleicher Bauart. Normalerweise wird eine, manchmal jedoch auch mehrere, dieser Pfeifenreihen zu einem Register zusammengefasst, welches ein- und ausgeschaltet werden kann. Die Register erzeugen verschiedene Tonhöhen, die durch die Fußtonzahlen gekennzeichnet werden, welche sich auch bei einem Großteil der Synthesizer durchgesetzt hat. Man unterscheidet zwischen Grundregister und Aliquoten, wobei Letztere durch bewusste Kombination maßgeblichen Einfluss auf die Klangfarbe wegen ihrer Abstimmung mit Obertönen haben. Doch die Registrierung entscheidet ebenso über die unterschiedlichen Lautstärken der einzelnen Pfeifenreihen, was sich genauso auf die resultierende Klangfarbe bzw. der so genannten Disposition einer Orgel auswirkt.
Es ist spannend zu wissen, dass man wohl nirgendwo Orgeln mit identischem Klang finden wird, da jede Orgel eine individuelle Konstruktion ist, bei der Material, Maße oder Bauart geschmacks- oder bauortsbedingt variieren. Auch jede Epoche bevorzugte sein eigenes, spezielles Klangbild, das nur noch vom Organisten durch die Wahl der Register umgesetzt werden musste.
Wie man sieht, wurden schon deutlich vor Fouriers Lebzeiten Klänge durch Addition zusammengesetzt. Jedoch erzeugten die Orgelpfeifen längst keine puren Sinuswellen, aber dennoch wurde die Mischung von Teiltönen schon praktisch umgesetzt. Es ist nicht bekannt, ob Fourier sich in irgendeiner Art und Weise an der Orgelkonstruktion orientierte, als er sein Theorem postulierte. Jedenfalls ist festzuhalten, dass er das Phänomen ,Klang; bis aufs Äußerste präzisieren wollte, bis er mit dem Sinus als kleinsten Bestandteil einer Schwingung am Ende seines Erstrebens angekommen war.