24. November 1966:
“No one I think is in my tree . . .
Es ist mir unmöglich über Sgt Pepper zu reden, ohne die beiden entscheidenden Songs zu erwähnen, die dieses Album so elegant f1ankieren, „Strawberry Fields Forever“ und „All You Need Is Love“. Wenn „All You Need Is Love“ alles darüber aussagt, wo die Beatles hinsichtlich Popularität und Erfolg standen dann zeigt uns „Strawberry Fields Forever“ , wo sie musikalisch einzuordnen waren. Dieser ursprünglich für Sgt Pepper bestimmte Song prägte den Charakter des gesamten Albums. Ich weiß nicht recht, inwiefern kaltblütige Analyse mit der Leidenschaft für ein Kunstwerk zu vereinbaren ist. Es ist ein bißchen so wie wenn man sich verliebt. Macht es uns wirklich etwas aus, wenn wir hier oder da den einen oder anderen Makel entdecken? Die Kraft Menschen zum Weinen oder Lachen zur Gewalttätigkeit oder zum Mitgefühl zu verleiten, ist die bedeutendste Eigenschaft, die einem Kunstwerk innewohnen kann. In dieser Hinsicht besitzt Musik die stärkste Kraft. Sie wirkt viel direkter auf die Emotionen ein als jede andere Kunstform. Die unmittelbare rein gefühlsmäßige Reaktion auf ein Musikstück ist fast immer auch die richtige. Als ich zum ersten Mal „Strawberry Fields Forever“ hörte - in einer kalt-stürmischen Novembernacht des Jahres 1966 - war ich zutiefst bewegt. (Und wenn ich es heute höre, läuft es mir noch immer kalt den Rücken runter). Wir waren im Abbey-Road-Studio 2. John stand direkt vor mir mit seiner Akustikgitarre im Anschlag. Stets führte er mir auf diese Weise seine neuen Lieder vor - und auch diesmal sollte es für mich eine von diesen außerordentlich privilegierten Privatvorstellungen werden. „Es geht ungefähr so“ , sagte er - und die Nonchalance, mit der er das sagte, kaschierte sogar seine eingefleischte Scheu vorm Singen. Dann strich er sanft über die Saiten.
Ein paar einleitende Akkorde, und schon waren wir mittendrin, in dieser leuchtenden, nachhallenden Strophe. „Living is easy with eyes closed " (mit geschlossenen Augen ist das Leben leicht ....) Diese wunderbar charakteristische Stimme hatte ein leichtes Tremolo und eine einmalig nasale Klangfarbe, die dem Song Schärfe verlieh, ja ihn beinahe zum Leuchten brachte. Ich war hingerissen. Ich hatte mich verliebt. „Was hältst du davon?“, fragte mich John sichtlich nervös, nachdem er zu Ende gespielt hatte. John hatte für überschwängliches Lob nie viel übrig gehabt. Aber er wußte, daß ich den Song wirklich mochte, noch ehe ich etwas gesagt hatte. Benommen erwiderte ich: „Das war stark. Das ist wirklich ein starker Song. Wie willst du ihn machen?“ „Ich dachte, das sagst du mir!“, konterte er lachend. Offen gestanden, heute wünschte ich mir, ich hätte es ihm gesagt; ich hätte den Song genau so genommen, wie ich ihn gerade gehört hatte. Oh, wie sehr wünschte ich mir, ich hätte diesen ersten Durchlauf so mitgeschnitten und herausgebracht. „Strawberry Fields Forever“ war sanft und verträumt für den damaligen John wenig charakteristisch. Er war in ein neues Territorium eingebrochen; ein Schritt, den ich aufgrund seiner früheren Songs nicht erwartet hatte. „Tomorrow Never Knows“ hatte womöglich Hinweise darauf enthalten. Aber nicht in dieser Radikalität. John komponierte „Strawberry Fields Forever“ in Spanien. Er spielte eine kleine Rolle als Gefreiter Gripweed in Richard Lesters Militärsatire WIE ICH DEN KRIEG GEWANN, und während der endlosen Drehpausen beschäftigte er sich mit dem Song.
Das Lied bringt all die drückende, sonnenblumige Schwere eines spanischen Sommernachmittags zum Ausdruck - und das, obwohl es ein Stück Erinnerung an eine Kindheit in Nordengland ist.
Wenn dies der Maßstab für die nachfolgenden Songs war, dann w,ürden wir ein hervorragendes Album zustande bringen. Es war vollkommen anders als alles was wir zuvor gemacht hatten. Es war traumartig, ohne gespenstisch zu sein, und übernatürlich, ohne überkandidelt zu sein. Im krassen Gegensatz zum soliden Realismus des Songs „Penny Lane" den Paul unmittelbar danach schrieb, hüllte „Strawberry Fields Forever" seine Nostalgie in eine geheimnisvolle Aura und beschwor eine vage impressionistisch-idyllische Traumwelt herauf. „Strawberry Fields“ war eigentlich der Name einer Heilsarmee-Herberge in Liverpool unweit von dem Haus, wo John seine Kindheit verbracht hatte. Tatsächlich war dies wohl kaum ein romantisches Motiv, doch in Johns Lied wurde es zu etwas Göttlichem erhoben. Die Worte „Strawberry Fields" assoziierten eine satte Wiese in warm schimmerndem Sonnenschein, wo man sich in wundervoller Selbstvergessenheit seinen Träumen hingeben und treiben lassen konnte. Johns andere Welt, die in seinem Kopf war bis zum Schluß die gewesen, in der er lieber lebte. Es war ein bedeutend angenehmerer Ort zum Leben. Die reale Welt hat irgendwie nie so richtig seinen Erwartungen entsprochen. Oder wie er sich ausdrückte: “It's getting hard to be someone but it all works out … It doesn't matter much to me." (Es ist hart sich zu behaupten, aber es entwickelt sich .Es macht mir eigentlich gar nichts aus). Das Brillante an den Texten ist die Art und Weise, wie sie starke Bilder auslösen, indem sie die oftmals unlogische und zusammenhanglose Alltagssprache verwenden. Spielt man ein Band mit sprechenden Menschen ab, so hört man Worte die aus dem Kontext gerissen sind, syntaktisch Verdrehte Sätze, Unterbrechungen, ,ähs’ und ,ähms’, und Unschlüssigkeiten auf der ganzen Linie. Die gesprochene Sprache ist ein einziges Chaos. Wenn man sich Johns Lied noch mal anhört, wird man feststellen, wie vorzüglich das dort eingefangen ist. „Always no sometimes think it's me but you know, and I know it's a dream.” (Denk immer nein manchmal daß ich es bin aber du weißt und ich weiß, daß es ein Traum ist) - Wem sonst würde man eine solche Zeile durchgehen lassen?
Johns Musik war eine perfekte Ergänzung zu seiner originell verdrehten Lyrik. Wie bei so vielen seiner Songs, basiert ein Großteil der Melodie in der Strophe von „Strawberry Fields Forever“ auf einer einzigen Note - unterlegt mit wechselnden Treibsand-Harmonien, die ihr Halt geben. Diese melodische Verflechtung ist der Schlüssel zum ganzen Song: Sie entzündete den unvergeßlichen Instrumental-Auftakt und machte es möglich, daß Johns Stimme auf der traurigen Eintönigkeit verweilen konnte.
Auch die Liedform ist ziemlich ungewöhnlich: Eine Strophe und nur ein kurzer Refrain, ohne acht Takte Zwischenspiel. Der Refrain verändert die Stimmung, indem er eine genauere Aussage trifft. Der plötzliche Harmoniewechsel, der das ,to' von „Where I'm going to“ (Wo ich hingehe) betont, hat eine starke dramatische Wirkung, von der ich mir sicher bin, daß sie nicht geplant war, sondern daß sie ein reines Produkt instinktiver musikalischer Genialität ist.
Wie geht man nun vor, einen solchen Song aufzunehmen?
Johns erste Idee zum Arrangement war, das Mellotron, sein damaliges Steckenpferd, zu benutzen. Das Mellotron war eine ziemlich zusammengestoppelte Apparatur. Man sah sämtliche Schnüre und Gummibänder, die es zusammenhielten. Es sah aus, als ob ein Neandertaler-Klavier ein primitives Keyboard geschwängert hätte und die beiden dann ihrem deformierten, zwergenhaften Sprößling den Namen „Mellotron“ gegeben hätten. (Die Musiker-Gewerkschaft versuchte, dieses ulkige Ding mit der Begründung zu verbieten, daß es die Live-Musik „killen“ würde; ich behaupte, es war viel mehr geeignet, denjenigen zu killen, der es bediente!) Wenn man auf eine der Tasten drückte, spielte es Aufnahmen gängiger Musikinstrumente von einem Band ab. Dieses Band war ungefähr zwei Meter lang und lief, angetrieben von einem Elektromotor, über einen Tonkopf, um schließlich von einer starken Feder wieder zurück an den Anfang gesetzt zu werden. Das bedeutete, daß wenn man eine Note länger als ein paar Sekunden hielt, der Apparat mit einem lauten Schluckauf so lange seine Arbeit unterbrach, bis er zurückgespult und sich neu eingestellt hatte. Man lernte, verdammt kurze Noten zu spielen.
Ein weiterer Konstruktionsfehler bestand darin, daß die Bandgeschwindigkeit nur selten konstant war, weshalb auch die Tonhöhe meist ein wenig suspekt anmutete. Eine Art eingebauter Wow-Effekt. Immerhin gab es einen Knopf zur Regulierung des Tempos, der, wenn man daran herumspielte, unerschöpfliche Klangvariationen erzeugte - bis zu einer Quarte, also fünf, sechs Halbtöne. Das Mellotron war außerdem sehr groß und gigantisch schwer, und wie es da in seinem polierten Holzkasten kauerte, sah es eher wie ein umgekippter Kleiderschrank aus.
Wir fingen am Donnerstag, dem 24. November 1966, an, im Studio 2 des EMI Abbey-Road-Komplexes "Strawberry Fields Forever“ aufzunehmen. Niemand hatte ein Arrangement für den Song geschrieben; die vier Beatles setzten sich im Studio etwas später gemeinsam daran. John hatte das Grundschema ausgearbeitet. „Wir beginnen gleich mit einer Strophe, ohne Intro, machen dann mit dem Refrain weiter, dann mit einer anderen Strophe und so weiter.“ - OK, John.
John wollte für diese Session seine Akustikgitarre behalten, also übernahm Paul das Mellotron. Mit Ringo am Schlagzeug und George an der E-Gitarre klang der Song zwar schwerer, als ich ihn von jenem ersten Durchlauf mit John in Erinnerung hatte, aber er fügte sich dann sehr rasch zusammen. Wir hatten fast sofort eine Aufnahme im Kasten, von der wir dachten, daß es die endgültige sein könnte. Diese erste Aufnahme ist brillant, vor allem Johns Stimme. Klar, rein und fesselnd. So, wie John in dieser Nacht sang, verlieh er dem Lied etwas Hypnotisches. Es war so sanft und sehnsuchtsvoll, aber auch sehr stark, da seine dünne Stimme im scharfen Kontrast zum vollen Sound von Georges E-Gitarre, zu Pauls blühenden Mellotronphantasien und Ringos herrlichem Schlagzeug stand.
Johns ursprüngliche Idee verfolgend, ließen wir „Strawberry Fields Forever“ mit jenem Part anfangen, der in der Endfassung zum Refrain wurde. "Living is easy with eyes closed…” – Die Einleitung, die wir heute alle kennen, war noch nicht geschrieben worden. - Wie immer schlug John eine Geschwindigkeitsveränderung seiner Gesangsaufnahme vor. Ich war stets der Ansicht gewesen, seine Stimme sei das Größte überhaupt, aber er bat mich immer wieder, sie zu verzerren oder irgendwie zu biegen, um sie zu „verbessern“, wie er meinte. Als wir die Tonbänder abmischten, „pumpten“ wir daher das Band mit seinem Gesang anstatt der normalen 50 Hertz auf eine Frequenz von 53 Hertz hoch. Die Wiedergabe mit normaler Geschwindigkeit verringerte seine Stimmhöhe um einen Halbton und ließ sie wärmer und rauher klingen.
Es war ein berauschender Abend. Wir waren über den Beginn unseres neuen Albums alle sehr glücklich und gingen in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages, des Freitages, müde, aber zufrieden nach Hause.
Wir waren in diesem großen weißen Raum, der sehr dreckig war und den seit Jahren keiner mehr gestrichen hatte; und er war mit diesen alten hängenden Schallwänden ausgestattet, die allesamt verdreckt und kaputt waren. Es gab da diese riesigen Deckenspots, aber keine Fenster, kein Tageslicht. Es war eine sehr sterile, nicht gerade angenehme Atmosphäre. Es ist erstaunlich, was für Songs in diesem Studio 2 aufgenommen wurden, wenn man bedenkt, daß es dort keine Atmosphäre gab, wir mußten die Atmosphäre erst selbst schaffen. Nach mehreren Jahren fragten wir mal nach, ob wir nicht farbiges Licht oder einen Dimmer oder irgend etwas Ähnliches bekommen könnten; und nachdem wir drei Jahre lang gefragt hatten, stellten sie uns endlich diesen großen Stahlständer mit ein paar roten und blauen Neonlampen rein. Das war die magische Beleuchtung, die sie uns zur Verfügung stellten.
Am Kühlschrank war ein Vorhängeschloß angebracht, so daß wir, wenn wir uns eine Tasse Tee machen wollten, das Schloß aufbrechen mußten, um an die Milch zu kommen. Das mußten wir jeden Abend so machen, fünf Jahre lang. Es war nicht etwa so, daß sie merkten: „Oh, sie trinken nach sechs noch Tee, also sollten wir den Kühlschrank offen lassen“ - nein, sie verbarrikadierten ihn jeden Tag aufs neue. Es war wirklich seltsam.
Über das Wochenende erblühten dann sehr fruchtbare Phantasien, und kurz nachdem wir uns zur Montags-Session wieder zusammengefunden hatten, verkündeten John und Paul, daß sie eine Menge Ideen hätten, wie man „Strawberry Fields Forever" verbessern könnte. Ich hatte gedacht, unser Baby wäre perfekt, aber. . .
Ich hatte ihnen vor langer Zeit eingebleut, wie wichtig es ist, bei einem Song so schnell wie möglich zum Kern der Sache zu kommen. Und genau das wollte John jetzt tun, indem er den Refrain „Let me take you down ...“, an den Anfang stellte und nicht, wie er es zuvor getan hatte. „Living is easy with eyes closed ...” Es war eine gute Entscheidung, weil der Text einem nun gleich an die Kehle ging. Der Song nahm einen sofort auf eine verblüffende Reise mit, anstatt zunächst mit abstrakten Erläuterungen umherzuschweifen. Es war, als ob John wildfremde Leute auf der Straße ansprach, um sie auf eine Party einzuladen. Trotzdem brauchte man immer noch eine Einleitung. John dudelte ein paar Akkorde vor sich hin und präsentierte uns schließlich eine Noten-Sequenz, die zwar wirklich die Akkorde des Songs darstellte, allerdings in einen Arpeggio-Stil ausartet.
Man stelle sich unser vierspuriges Band vor. Ich konnte nur vier verschiedene Aufnahmen damit machen und mußte genau wissen, wie ich sie einteile. Wir reservierten Spur 1 für das Schlagzeug, aber wir konnten uns nicht den Luxus erlauben, lediglich ein einziges Instrument auf diese Tonspur zu legen.
Ringo mußte sich die Spur mit Paul am Mellotron und George an den Kürbisrasseln teilen Ringo spielte das Schlagzeug sparsamer als bei unserer ersten Aufnahme, wobei er seine Tom-Toms benutzte und den Song dadurch effektvoller pointierte.
Spur 2 war in dieser Phase George mit seiner E-Gitarre vorbehalten, die er zupfte, was einen melodischen Kontrapunkt zum Text schuf. Auf Spur 3 legten wir Pauls Baß und gaben John Gelegenheit, noch ein paar wohlplazierte Sturzflüge mit dem Mellotron hinzuzufügen, indem er seinen geliebten Geschwindigkeitsregler bediente. Mit zunehmender Gestalt des Songs wuchs auch meine Aufregung. Es sah wahrhaftig nach etwas aus. Schließlich belegten wir eine Hauptspur mit Johns Gesang, ehe wir gegen halb zwei Uhr morgens aufbrachen.
Noch waren wir aber nicht fertig - und gespannt auf die nächste Session. Am darauffolgenden Tag um halb drei nachmittags - für uns wirklich früh - waren wir wieder da. Wir machten eine weitere Aufnahme, Nummer 6, die der Aufnahme 4 vom Vortag ziemlich ähnlich war, und überspielten sie auf ein neues Vierspurband, um uns einige Extra-Spuren zu sichern. Dieses neue Band, mit ein paar vokalen und instrumentalen Schnörkeln mehr, erhielt die Nummer 7, und das war's. Das Mastertape von “Strawberry Fields Forever”.
Wir waren allesamt bester Laune und verließen das Studio schon sehr früh, gegen acht Uhr abends, nachdem wir einen Monomix von dem fertigen Song zusammengestellt hatten. Jeder der Jungs nahm ein Acetat, also eine Musterpressung, unserer Neuabmischung mit nach Hause.
Es gab allerdings noch ein kleines Problem: John kam eine Woche später zu mir und sagte, er wäre mit unserem Ergebnis noch nicht zufrieden. Der Song sei immer noch nicht ganz ausgereift. Im Kopf höre er genau, was er haben wolle, aber er könne es irgendwie nicht in die Realität umsetzen. Nie zuvor hatten wir das getan, was John jetzt tun wollte: die Endfassung eines Songs nochmals zu überarbeiten. Aber es war mir genauso wichtig wie John, dem Wesen von „Strawberry Fields Forever“, so wie John es innerlich spürte, auf den Grund zu kommen und herauszuarbeiten Was würde dabei herauskommen?
Sein Vorschlag überraschte mich: Ich selbst war noch ganz auf die ursprüngliche Schlichtheit eingestellt, doch er wollte nun Streich- und Blechblasinstrumente einsetzen, und ich sollte die Partitur dazu schreiben.
Wir verabredeten einen Studiotermin für den kommenden Donnerstag, den 8. Dezember, um eine neue Rhythmusspur anzulegen. Die ]ungs wollten um sieben Uhr abends im Studio sein. Die Sache hatte nur einen Haken. Ich hatte versprochen, an diesem Abend in die Premiere von Cliff Richards neuem Film, FINDERS KEEPERS, zu gehen Geoff Emerick, unser Tontechniker, war ebenfalls eingeladen. Wir beschlossen, es zu riskieren und zur Premiere zu gehen, ohnehin kamen die Beatles häufig viel zu spät ins Studio - mitunter sogar überhaupt nicht. An diesem Abend kreuzten sie natürlich Punkt sieben im Studio auf. Ironie des Schicksals oder „such is the law of sod " , wie man hierzulande sagt.
Als Geoff und ich gegen elf eintrudelten, war im Studio die Hölle los. Die Jungs hatten sich gedacht, es wäre bestimmt witzig, eine „unkonventionelle“ Rhythmusspur für „Strawberry Fields" aufzunehmen, indem sämtliche zur Verfügung stehenden Leute einfach auf allem herumtrommelten, was ihnen gerade zwischen die Finger geriet. Als wir dazustießen, hatten wir bei all dem Tohuwabohu den Eindruck, in einem schlechten Tarzanfilm gelandet zu sein: John und Paul bearbeiteten die Bongos, George schlug auf riesenhafte Pauken ein, sporadisch unterstützt von Paul; Neil Aspinall hantierte mit einem Kürbisschrapper herum, Mal Evans trommelte auf einem Tamburin und Terry Doran, Georges Freund, rasselte mit den Rumbakugeln. Irgend jemand klimperte noch mit Fingercymbeln.
Und über dem Ganzen schwebte Ringo, tapfer bemüht, diese Kakophonie mit Hilfe seines vertrauten Schlagzeugs zusammenzuhalten. Die Beatles waren wie von der Leine gelassen, und da mußte ich kommen und ihnen den Spaß verderben.
Gegen Ende dieser fröhlichen Session, bei der Dave Harries als improvisierender Ersatz- Tontechniker sein Bestes gegeben hatte, um diese Karnevalsspur aufzuzeichnen, waren alle außer Rand und Band, und noch heute klingt mir Johns schwerfälliges Geleier in den Ohren. „Cranberry sauce, Cranberry sauce ..:” (Preiselbeersoße, Preiselbeersoße ...) Wieso Preiselbeersoße? Wieso nicht? Ist doch bald Weihnachten! Ein Teil dieser übermütigen Gib-ihm-Saures-Aufnahme fand sogar seinen Weg auf die offizielle Schallplatte, und wenn man aufmerksam hinhört, kann man noch verstehen, wie John diese Worte herunterleiert. Dies war übrigens auch der Auslöser für die Entstehung einer dieser absurden Beatles-Mythen nämlich daß Paul gestorben sei. Anstatt „Cranberry sauce“ hatten irgendwelche findigen Leute „I buried Paul“ (ich habe Paul begraben) verstanden - oder es sich zumindest eingebildet (1969 hatte in den USA irgendein phantasiebegabter DJ die Mär erfunden, Paul wäre tot. Die Kunde davon breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Jedes willkürlich aufgeschnappte „Indiz“ mußte zur Aufrechterhaltung dieses Märchens herhalten, einschließlich der Tatsache, daß Paul auf der Rückseite des Plattencovers von Sgt. Pepper der Kamera den Rücken zuwandte, und natürlich auch wegen der berühmten Barfüße auf dem Zebrastreifen, die später auf dem Abbey Road-Cover abgebildet waren - Idiotie!)
Einige Jahre zuvor hatte George Harrison zufällig eine Sitar gefunden, während er über das Set zum Film HELP spazierte. Georges anschließende Beschäftigung mit der indischen Musik war für unser folgendes "Strawberry Fields Forever“-Kapitel sehr inspirierend. Er brachte eine Swordmandel mit, eine Art nordindische Tischharfe. Die einzige Technik, die er beherrschte, war das Zupfen, wie man es ja auch mit einer richtigen Harfe tut, und er verbrachte Stunden damit, sie so zu stimmen, daß sie das richtige Notenspektrum erzeugte. Seine Geduld kam uns sehr zugute, denn das Glissando, das er dem Instrument entlockte, war einfach grandios und ergab einen phantastischen Effekt auf unserer Rhythmusspur. John hatte herausgefunden, wie man auf dem Mellotron nicht bloß eine einzige, sondern jede beliebige Tonfolge spielen konnte, was "Strawberry Fields Forever“ am Ende einen fabelhaften Touch von Wahnsinn verleiht. Und schließlich dachte sich Paul eine erstklassige Einlage auf einer „klingenden“ Leadgitarre aus, die den Song auf brillante Weise abrundete.
Unterdessen mußte ich nach wie vor die Instrumentalbegleitung organisieren, um die John mich gebeten hatte. Für den 15. Dezember heuerte ich vier Trompeter sowie drei Cellisten zur Tonmischung an. Ich bin ein Verfechter der Sparsamkeit in der Musik - nicht um des Geldes willen, sondern um eine Klarheit zu bewahren, die durch zu viele Instrumente mitunter getrübt wird. Mir blieb weniger als eine Woche, um die Partitur zu schreiben, die John benötigte. Ich wußte, daß er die Blasinstrumente hell und beschwingt haben wollte, war jedoch der Ansicht, daß die Akkorde bei einigen Harmoniewechseln, ein bißchen Verstärkung vertragen konnten.
Bereits eine Basisspur aufgezeichnet zu haben, nach der man sich beim Schreiben der Partitur richten kann, ist von unschätzbarem Vorteil. Ich beschloß, die Cellos einstimmig sprechen zu lassen, unisono, und einen Baß-Kontrapunkt zur Melodie zu setzen. für die Trompeten überlegte ich mir sowohl simple Dreiklangakkorde (Drei-Finger-Akkorde) als auch Unisono-Stakkato-Hervorhebungen, die auf einzelne Noten losschmetterten .
Ich hörte zu Jener Zeit eine Menge amerikanischer Platten mit sehr groovigen Blechbläser-Passagen, und ich muß gestehen, daß ich ein oder zwei Ideen davon abgekupfert habe. Bei der Weiterentwicklung des Songs erschien es mir selbstverständlich, die Trompeten als Harmonie unter den Gesang zu legen und ihnen die gleiche Melodie zu geben, die wir schon in unserer wunderbaren Intro benutzt hatten. Dann kam der einzige Abschnitt, mit dem ich meine Probleme hatte. An diesem speziellen Punkt wird das Tempo von einem schnellen Cymbel-Rhythmus zusammengehalten, den Ringo bereits rückwärts aufgenommen hatte - es ist niemals leicht, sich einem solchen Sound anzupassen. Die Cellos arbeiteten mit einem langsamen triolischen Motiv gegen diesen eiligen Beat an, und ich war weit davon entfernt, zu glauben, daß das funktionieren würde.
Heute aber, und ich bin froh, das sagen zu können, kann ich mir den Song ohne diesen Rhythmus überhaupt nicht mehr vorstellen.
Bei der Aufzeichnung jener Parts, die ich geschrieben hatte, stellte sich eine exakte Abgleichung als ungemein schwierig heraus: Alle vier Trompeten mußten laute, beschwingt-scharfe Stöße vollkommen im Takt spielen, während die Cello-Einlagen einen gleichakkuraten und strengen Bogenstrich erforderten. Sie mußten sich perfekt an unsere frenetische Rhythmusspur anpassen, was ich praktisch für ausgeschlossen hielt. Ich hatte völlig vergessen, daß unser Kindergarten-Rhythmus ja unmöglich mit einem strikt quarzkontrollierten Beat konform gehen konnte. Das Tempo schwankte höllisch. Heutzutage nehmen es Musiker als gegeben hin, daß ihre Basisspur beim Overdubbing niemals vom Tempo abweicht. Aber bei unserer Rhythmusspur ergaben sich Abweichungen manchmal schon zwischen zwei Takten! Es war nicht viel, aber immerhin genug, um einem das Leben zur Hölle zu machen, wenn man versuchte, irgend etwas daran anzupassen. Nachdem ich das nun alles losgeworden bin, muß ich konstatieren, daß Ringos Schlagzeugeinlagen in diesem Song zu seinen besten überhaupt zählen. Seine spitzfindigen Außenfiguren akzentuierten das Ganze genau richtig und ergänzten Johns Melodien wunderbar durch sämtliche Wechsel hindurch, die der Song durchwanderte.
Ein vierspuriges Masterband abzumischen, ist kein großer Aufwand. Heute, mit 48 Spuren als Norm, eskaliert die Mischung zu einem Akt, der nicht selten länger dauert als die eigentliche Aufnahme. Mit vier Spuren sind die grundlegenden Abgleichungen jedoch bereits beim Aufzeichnungs- und Überspielprozeß fertig. Wir hatten unsere besten Aufnahmen immer schon laufend ausgewählt und abgemischt. Bei all den Varianten, die „Strawberry Fields“ aufzuweisen hatte, mochte sich John einfach nicht entscheiden, welche unserer Einspielungen ihm am besten gefiel. Die ursprüngliche Version auf Take 1 hatte er längst verworfen, und er war nun hin- und hergerissen zwischen dem langsam-kontemplativen Arrangement und dem rasenden Percussion-Kraftwerk, dem Cello- und Trompeten-Arrangement von Take 20. Stets idealistisch und ohne jeden Sinn für handfeste Probleme, sagte mir John: „Ich mag sie eigentlich beide. Warum legen wir sie nicht zusammen? Wir beginnen mit Take 7 und blenden nach der Hälfte auf Take 20 über, um ein starkes Finish zu haben.“
„Brillantt“, erwiderte ich. "Die Sache hat nur zwei klitzekleine Häkchen: Die Takes sind erstens in ganz verschiedenen Tonarten aufgenommen, sie weichen um einen Ganzton voneinander ab; zweitens haben sie extrem unterschiedliche Tempi. Aber ansonsten ist das kein Problerm!“ John grinste über meinen Sarkasmus mit der Toleranz eines Erwachsenen, der ein zeterndes Kind beschwichtigen muß.
"Nun ja“, sagte er lakonisch, „ich bin überzeugt, daß du das hinkriegen wirst, oder?“ - machte auf dem Absatz kehrt und verschwand. Ich blickte hinüber zu Geoff Emerick und stieß einen tiefen Seufzer aus.
Jedesmal, wenn ich mit jemandem über den primitiven Stand des Aufnahmeverfahrens der Mitsechziger rede, komme ich mir wie Baron von Richthofen vor, der einer Gruppe Concorde-Piloten die Technik eines Fokker-Dreideckers erläutert.
Aber es gab damals an der Technikfront, jedenfalls in EMI's Abbey-Road-Studios, nicht das geringste Werkzeug, welches uns aus diesem Dilemma hätte heraushelfen können. Wir hatten nicht die geringste Chance, diese beiden Einspielungen irgendwie zusammenzubringen. Es sei denn ..., es sei denn ... Mir fiel ein, daß ich versuchen konnte, Take 20, den frenetischen Take, zu verlangsamen. Das würde nämlich nicht nur das Tempo, sondern auch die Tonhöhe herunterfahren. Ob sich das bewerkstelligen ließe? Ein ganzer Ton - das war ein Unterschied wie Tag und Nacht ..., fast zwölf Prozent; trotzdem, einen Versuch war es wert.
Wir trommelten unsere fabelhafte Experten-Band zusammen. Sie rollten einen Apparat herein, der wie eine brontosaurusgroße Waschmaschine aussah: den „Frequenz-Wechsler“. Dieses ventilbetriebene Monster - eine Erfindung von Ken Townsend, unserem leitenden Tontechniker, und seiner munteren Truppe - konnte einfach ans normale Netz angeschlossen werden und die Frequenz in beide Richtungen von den normalen 50 Hertz verzerren. Frage mich niemand, wie er das gemacht hat - ich habe keinen Schimmer. Das einzige, was ich sagen kann, ist, daß die Maschine immer sehr heiß wurde, und daß man mit einem Funkenregen beziehungsweise einer Explosion zu rechnen hatte, wenn man sie überlastete. Aber wir hatten nun mal nichts anderes. Schließlich schlossen wir den Apparat an und suchten nach einer Stelle im Lied, wo ein Soundwechsel stattfand; das würde uns helfen, den Schnitt des Jahrhunderts zu kaschieren. Nach exakt einer Minute im Song hatten wir sie gefunden.
Dieser Schnitt hinterließ meiner Ansicht nach eine häßliche Narbe, die allerdings sonst niemand bemerkt zu haben schien. John war ganz offensichtlich mit dem Ergebnis zufrieden und akzeptierte es als endgültige Liedfassung, aber weniger hatte er auch nicht erwartet. Nach dem Motto: Unmögliches muß sofort erledigt werden, Wunder dauern etwas länger. Hatte er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt, so mußte es schleunigst in die Tat umgesetzt werden. Geschah das nicht innerhalb kürzester Zeit, wandte er sich meist gleich etwas anderem zu und verlor das Interesse.
Die Art und Weise, wie wir arbeiteten, unsere schöpferische Tätigkeit, erinnert mich an einen Film, in dem man Picasso dabei zusehen kann, wie er auf einer Glasplatte malt. Eine Kamera nahm seine Pinselstriche von hinten auf, so daß sie wie von Zauberhand ausgeführt wurden. Mittels Zeitraffertechmk sah man zunächst seine ursprüngliche Komposition, dann die vollständige Veränderung, nachdem er eine neue Schicht aufgetragen hatte, und danach eine wiederum neue Gestaltung des ganzen Werks, indem er hier etwas wegnahm und dort etwas hinzufügte. Irgendwann kam der Punkt, wo man dachte, das ist grandios, hör jetzt um Himmels willen sofort auf! Aber er hörte nicht auf, sondern machte immer weiter und weiter.
Endlich legte er seinen Pinsel aus der Hand und war zufrieden.
Oder? Ich frage mich, wie viele seiner Bilder er gern noch einmal übermalt hätte.
Es war ein faszinierender Film über einen großen Künstler, über einen unglaublich kreativen Kopf bei der Arbeit. Ich mußte häufig daran denken, wie ähnlich seine Methode des Malens unserer Methode des Aufnehmens war. Auch wir fügten Schichten hinzu und nahmen welche weg, legten Tonspuren unter- oder übereinander, und alles im begrenzten Rahmen unserer primitiven Vierspurbänder.
Es gab eine ganze Menge Material, das wir wieder ausrangierten oder überspielten. Die erste Aufzeichnung von „Strawberry Fields Forever" ist ein gutes Beispiel dafür. Sie war großartig, aber wir verwarfen sie gleich wieder. Es konnte noch großartiger werden. Dann liegt irgendwann die Endversion der orchestrierten Fassung vor, und man stellt fest, daß der Rhythmus zu locker ist. Trotz unserer ganzen Schnippelei existierte kein einziger fertiger Take mit hundertprozentiger Synchronität.
Die normale Vorgehensweise wäre gewesen, den Take auszublenden, ehe das Gemurkse losgeht. Das hätte jedoch geheißen, daß eine meiner Lieblingspassagen herausgeflogen wäre, die ein paar erstklassige Trompeten- und Gitarrensoli enthielt und außerdem jenen magisch-mellotronischen Notenerguß, den John sich hatte einfallen lassen. Dieser Abschnitt sprudelte förmlich vor Energie, und ich war fest entschlossen, ihn zu behalten.
Wir taten das einzig Mögliche: Wir blendeten das Lied genau an dem Punkt aus, wo sich der Rhythmus in wohlgefallen auflöst, so daß der Zuhörer denken muß, es sei zu Ende, blendeten es dann langsam wieder ein und warteten mit unserem glorreichen Finale auf. Dies war unsere eigene kleine Picasso-Technik - ein Klecks auf der Leinwand, den wir wegwischten und dabei einen exotischen Hauch Farbe hinterließen.
Die Beatles-Alben sind voll von beispielhaften Stellen, die man schlichter hätte gestalten können, und wo wir vermutlich über die Stränge geschlagen sind; doch „Strawberry Fields Forever" gehört nicht dazu. Seiner Zeit weit voraus, stark, diffizil in der Planung wie auch in der Ausführung, höchst originell und schon bald als „psychedelisch“ bezeichnet, war der Song zweifellos das Werk eines Genies. Wir hätten für die Zukunft keinen besseren Prototyp herstellen können. Die Mühe und Sorgfalt, die wir auf dieses Stück verwendeten, seine technische und musikalische Perfektion, Johns Bereitschaft, gute, aber verbesserungsfähige Takes wegzuwerfen und neu aufzunehmen- all diese Dinge setzten den Maßstab für das, was Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band werden sollte. Und wir waren alle verdammt stolz auf unser jüngstes Baby. Soweit ich es beurteilen kann, ist dies bis heute das originellste und innovativste Werk in der Geschichte der Popmusik.
Endlich mußten die Beatles nicht mehr die Mühlsteine ohrenbetäubender Live-Auftritte mit sich herumschleppen. Jetzt, da sie endlich ein bißchen Zeit und Raum hatten, konnten sie ihre musikalischen Flügel ausbreiten und uns zeigen, was sie noch alles draufhatten.
Viele Jahre später saßen John und ich gemeinsam in der Küche seiner Wohnung im New Yorker Dakota-Building und rekapitulierten jene glorreichen Zeiten - ganz wie zwei alte Knacker. Plötzlich warf mir John einen bedeutungsvollen Blick zu. „Weißt du was, wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich alles, was wir gemacht haben, noch mal neu aufnehmen." „Wie bitte?", erkundigte ich mich. „Sogar ‘Strawberry Fields,?" „Vor allem ‚Strawberry Fields’“, sagte er. „Das meiste von dem, was die Beatles fabriziert haben, ist Müll.“ Ich war schockiert. Für John war die Vision immer besser gewesen als die Wirklichkeit. Vor seinem geistigen Auge war immer alles großartiger als in der Realität. So war sein Leben.
Die einzigen wahren Songs, die ich geschrieben habe, waren „Help!“ und „Strawberry Fields Forever“.
John Lennon Remembers
Aus “George Martin – Summer of Love!”