WDR 3 Studio Elektronische Musik - Allgemeines & Zukunft des historischen Studios

rythmus lehnt er ja eh ab, kann also gar nicht sein.
Das erste Beispiel zeigt folgendes: Aus einer dichten Schar von mehr oder weniger undefinierbaren Tönen schießt ein Klang heraus, der 169 Hertz hat.
Wir hören also ungefähr das kleine >Es<. Er schießt heraus und hat solch eine Klangfärbung [imitiert mit Stimme], fällt herunter in mehreren Kurven und zerbricht förmlich vor unseren Ohren, weil er durch die Wahrnehmungsgrenze schießt zwischen 30 und 16 Hertz; von 169 Hertz fällt er ungefähr 7 Oktaven 'runter. Das sind ungefähr vier Oktaven tiefer als das Klavier! Mit anderen Worten: die ursprünglichen Perioden hört man nicht mehr als Tonhöhen. Aber irgendetwas hört man ja doch noch: die Impulse, in die sich der konstante Ton zerlegt hat, haben auch noch eine Tonhöhe. Ich habe das ziemlich raffiniert gemacht, daß die Tonhöhe, auf der man landet, wieder dieselbe Tonhöhe ist, wie diejenige, mit der es begonnen hat, obwohl man 7 1/2 Oktaven gefallen ist.
Das muß man erläutern. Der erste Ton hatte eine Klangfarbe, bestimmte Teiltöne oder Obertonkomponenten, und diese Klangfarbenkomponenten sind, nachdem der Ton 7 1/2 Oktaven tiefer gefallen ist und sich in Einzelimpulse aufgelöst hat, jetzt als Tonhöhenkomponenten zu hören. Diese Tonhöhe stammt von den vorherigen als Klangfarbe gehörten Teilkomponenten der ersten Tonhöhe. So kann man 7 1/2 Oktaven fallen und genau dort ankommen, von wo man ausgegangen ist. Und das hat oft sichtbar und auch hörbar bei Leuten merkwürdige Gefühle im Magen hervorgerufen. Es liegt einfach daran, daß man eben dort eine kritische Zone durchfährt, wo man das akustische Gleichgewicht verliert. Das ist so ähnlich, wie wenn man für einen kurzen Moment in einen gravitationslosen oder orientierungslosen Raum kommt. Man verliert das Gleichgewicht, und der Körper und die Psyche reagieren sofort, um die Balance wiederzufinden, und zeigen entsprechende Symptome. So etwas geschieht immer dann, wenn man durch solche kritischen Zonen fährt, die Niemandsland sind. Die sind weder Tonhöhen noch Zeitdauern. Man kann sie noch nicht als Rhythmus hören, man kann sie aber auch nicht mehr als Tonhöhe hören. Das entspricht den tiefen Knacken bei Orgeln zum Beispiel, wenn die Tonhöhe so tief ist, daß das ganze Gehäuse zu scheppern anfängt und schließlich auch die Lampen im Raum mitklirren. Was also zwischen ca. 12 Impulsen pro Sekunde und 30 Impulsen pro Sekunde ist, läßt uns die Orientierung verlieren. Das liegt an uns, nicht an dem Klang. Hören wir jetzt das Beispiel.

Klangbeispiel 1

Man kann so etwas künstlerisch mehr oder weniger artikulieren; also mehrmals hinunter- und wieder hinaufgehen, die Einzeltöne länger machen und dann zum Beispiel wieder auf einen kontinuierlichen Ton kommen, der vorher auch schon da war, und dann mit diesem Ton weiter arbeiten. Man kann also innerhalb eines musikalischen Prozesses solch einen phänomenalen Vorgang sich ereignen lassen, der wie eine Öffnungsstelle wirkt, wo man auf einmal begreift, was eine Zeittransformation ist. Das physikalische Beispiel kann mehr oder weniger artikuliert werden, und das macht den wichtigen Unterschied zwischen Beispielen in der Physik und in der Musik aus.
Man kann bestimmte Kriterien auf ziemlich simple und banale Weise musikalisch klarmachen, oder aber sie irgendwie so komponieren, wie es noch keiner gemacht hat, also sehr eigenartig und unerwartet. Dann wird es Musik, dann wird es etwas Künstlerisches. Im übrigen aber ist es nichts anderes als eine Öffnung und eine Erweiterung des Bewußtseins. Auf einmal ist man nicht mehr derselbe, wenn man begriffen hat, daß Töne ja nur innerhalb eines bestimmten Prozesses so sind, wie sie scheinen; daß ich aus jedem Ereignis irgend etwas anderes machen kann, also aus einer Tonhöhe einen Rhythmus, aus einem Rhythmus eine formale Einteilung, aus einer formalen Einteilung eine Klangfarbe; daß man also kontinuierlich durch die musikalischen Wahrnehmungskategorien hindurchkomponieren kann.
Und das ist eigentlich das Wesentliche, was in der neuen Musik stattgefunden hat im Vergleich zur alten Musik. Alte Musik - eine Perspektive. Man hatte eine Orientierung: so, jetzt höre ich rhythmisch-metrisch, und das Harmonisch-Melodische gehört dazu, aber in eine andere Kategorie, das Dynamische wieder in eine andere Kategorie. Man hatte immer das Problem, diese Kategorien zusammenzubringen, statt von einer einheitlichen Konzeption auszugehen und die Vielfältigkeit aus der einheitlichen Konzeption heraus zu entfalten und zu entwickeln. Das Podest ist umgestürzt. Der ganze Kompositionsprozeß ist umgekehrt worden und damit auch die Wahrnehmung.
Die eine Perspektive ist durch Relativität zu einer Vieldimensionalität geworden. Was Rhythmus ist, ist unter Umständen gar kein Rhythmus, oder ist so gestaucht, daß er plötzlich eine Melodie, ein melodisches Phänomen wird, oder ein Klangfarbenphänomen. Und dieses kontinuierliche Übergehen von einer Perspektive in eine andere während ein- und desselben Stückes: das ist eigentlich das Thema des Komponierens geworden. Nicht mehr irgend etwas anderes zu komponieren oder darzustellen oder zu exemplifizieren oder zu konstruieren, sondern die Transformationsmöglichkeiten der Klangmaterie sind das Thema selbst.
Ständig komponiere ich multidimensionale Aspekte des Klanglichen, um denjenigen, der das erlebt, auch multidimensional zu machen oder werden zu lassen, ihm jedenfalls die Chance zu geben, daß er nicht mehr nur eine Perspektive hat, sondern sich mit den Veränderungen mitverändert. Daß er sich sozusagen auf den Klang draufsetzt und mit dem Klang bewegt, und wenn der Klang eine Dimension durchschießt und in eine andere Dimension hineinspringt, muß man selber diesen Wahrnehmungssprung mitmachen.
 
Mir geht es hierbei nicht darum, womit man das macht, sondern was man damit macht. Womit wir wieder mitten im Thema sind, dass ein Großteil des Forums eher an Technik und weniger bis garnicht an Musik interessiert ist, was sich ja auch bei den Besuchen des Studios herausstellte.
 
Mir geht es hierbei nicht darum, womit man das macht, sondern was man damit macht.

für mich hat sich das irgendwie anders angehört:

Aber ich suche nach einer idealeren Möglichkeit, so daß auch schnelle Bewegungen erzeugt werden; also Rotationen um den Zuhörer herum, die schneller als 16 Umdrehungen pro Sekunde sind. Ich suche nach einer Lösung, einen Apparat zu entwickeln

willst du nun komponieren oder apparate entwickeln? und warum eigentlich nicht beides?

ich hatte ja oben versucht über die benutzung zu sprechen

gerade ein unnatürliches bewegungsverhalten, was nicht der natur entspricht, kann so manchem geräusch eine form von lebendigkeit einhauchen, die es in der natur gar nicht hätte. das gilt um so mehr für tote klänge, also klänge, die man nicht mit physikalischen ereignissen wie einem umfallenden blecheimer oder einem geigespielenden geigespieler in verbindung bringt.

ich mach das auch mit delays gerne. man lässt den zuhörer sich erst daran gewöhnen, dass das delay immer 180 grad zum ereignis hat, und wenn er sich dran gewöhnt hat, zerstört man das muster wieder.

als antwort bekomme ich aufgewärmte stockhausen zitate. :sad:

deine eigene erfahrung würde mich ja viel mehr interessieren. wie bist du da bei deiner letzten 3d komposition rangegangen?


so, ich muss jetzt aus dem haus, die gewerkschaft ärgern. du kennst das spiel: scheitere ich mit meinem anliegen, betrachte ich es einfach als kunst.
 
  • Daumen hoch
M.i.a.u.: oli
Ich habe mir erlaubt, mich zum Thema "Umzug des Elektronischen Studios" zu äußern, ohne dabei eine Qualifikation als Gerätebauer oder Komponist vorweisen zu können. Dafür möchte ich mich herzlich entschuldigen.
 
ja, das glaube ich dir gerne, dass es auch leute wie müller gibt, die es dann auch noch falsch erklären. dann ist es sicherlich am wenigsten hilfreich.


Also Herr Müller hat in meiner Gegenwart extra immer betont, dass diese oder jene technische Anwendung immer mit einer bestimmten kompositorischen Absicht zu sehen ist, Er selber diesbezüglich aber nicht immer alles über jeden Zusammenhang darlegen könne, dafür hat Er jedoch exemplarische: Skizzen/Wege/Notitzen/Werke/Pläne/Arbeiten -auf Papier von unterschiedlichen Künstlern (-meißt von Stockhausen) -bereit gelegt
...und wer da Muße/Neugier/und noch genug Energie hatte, dies musikalisch nachzuvollziehen , -bot Herr Müller hierzu die Gelegenheit.

Ich hatte später gerade noch genug Kraft -für einen guten Grappa, (auch hier hatte Er keine Kosten und Mühe gescheut!)
 
Zuletzt bearbeitet:
Dann sollte er es auf jeden Fall nicht falsch darlegen und von diesen Tontricks, die in diesem Studio nichts zu suchen haben, Abstand nehmen. Es gibt diverse Beispiele, wo er etwas falsch erklärt bzw. darstellt. Das Studio für Elektronische Musik war nie ein Klangeffektstudio wie das Tontrickstudio unter Leitung von Heinz Schütz eine Etage drunter, sondern ein Studio, in dem vom WDR eingeladene Komponisten mit Unterstützung eines Assistenten und Toningenieur Auftragskompositionen realisierten.
 
Ich muss auch mal dieses Studio hier posten, weil ich es für ein positiv-produktives (und sich scheinbar finanziell selbst tragendes) Beispiel halte. Man kann die Studios mieten.

Willem Twee Studios - welches in dieser Form erst seit 2015 existiert. Und was für tolle Betreiber / was für ein entspannter Umgang mit diesem Thema / Ansatz.
Finde ich sehr sympathisch.

https://youtu.be/6KQ9se5PHQg


 
Indessen, nicht die Produktionsmethoden, sondern die sie bestimmenden Kompositionsmethoden machen das „Gesicht“ einer Musik aus. Eimert/Humpert – Das Lexikon der elektronischen Musik, Seite 340
 
Falls es nicht klar geworden ist, ging es mir darum, den Aufbau und das Betreiben eines Studios aus dieser Frühzeit der Elektronik - fast nur durch eine Eigeninitiative von ein paar wenigen Personen zu beleuchten.
Welche Musik dort komponiert wird, liegt natürlich nur an den MusikerInnen / KomponistInnen.

Und ob die Kompositionen im WDR-Studio losgelöst von den Produktionsmethoden entwickelt worden sind, wurde bereits in einem Post weiter oben bezweifelt.
 
Die Kompositionsmethoden folgten nicht den Produktionsmethoden, sondern die Produktionsmethoden folgten den Kompositionsmethoden.
 
Frage: Was schlagen Sie vor, wie wir zwischen Elektronischer Musik und musikalischem Abfall unterscheiden sollen?
Stockhausen: Die meiste Elektronische Musik ist Abfall: Das steht außer Frage. Die untalentiertesten Komponisten sind in Studios aufgetaucht, weil sie keine Chance hatten, irgendwo anders zu komponieren, und so sitzen sie also in den Studios herum und sagen sich: »Nun gut, schau Dich um, versuch Dein Glück« - und da sind sie also. Denn sie glauben mehr an die Mittel als an sich selbst: sie meinen, wenn sie moderne Mittel verwenden, so würde das Ergebnis interessant sein wegen der Mittel - was ein fürchterlicher Irrtum ist.

Karlheinz Stockhausen, „Texte zur Musik 1970 – 1977“, Band 4
Ausschnitt aus „Frage und Antworten zu den ‚Vier Kriterien ...’“

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Eimert wurde der erste Leiter des Studios für elektronische Musik. Werner Meyer-Eppler war Dozent am Institut für Phonetik und Kommunikationsforschung der Bonner Universität. Er hatte 1949 als erster den Begriff „elektronische Musik“ im Untertitel eines seiner Bücher verwendet (Elektrische Klangerzeugung. Elektronische Musik und synthetische Sprache). Nach einer Bestandsaufnahme der bis dahin entwickelten elektronischen Musikinstrumente in diesem Buch entwickelte Meyer-Eppler in seinem Bonner Institut experimentell eines der grundlegenden Verfahren der elektronischen Musik, nämlich die kompositorische Musikgestaltung unmittelbar auf Magnettonband.
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Im Jahre 1962 wurde Herbert Eimert pensioniert. Sein Nachfolger in der künstlerischen Leitung des Studios wurde 1963 Karlheinz Stockhausen.
 
Wenn es doch um die Komposition geht, warum sollte man sich für einen Raum voll mit alten (veralteten!) Geräten interessieren?
Ich glaube die wären im Deutschen Museum besser aufgehoben.
 
Weil Komposition und Realisation an diesem historischen Ort stattfanden, sollte das in der von Volker Müller enworfenen und von mir ergänzten Form stattfinden, wobei die musikalischen Aspekte im Vordergrund stehen sollten, aber das ist meine Meinung. Darin unterscheidet sich der Vorschlag von einem technischen Museum, wie dem Deutschen Museum in München und Bonn.
 
Nein, beide Gruppen sind nicht mehr interessiert - dh es ist wie vorher, ob der WDR die Reste des Studios auf den Müll wirft oder rumschimmeln lässt ist noch nicht klar - denn die haben so viele Regeln wie eine Behörde, die auch durch die GEZ Basis begründet sein könnten. Daher wird es vermutlich kaum was geben, ob Besuche möglich sind, kann man nur Volker Müller fragen.

Aktuell dürfte es mind bis August nicht möglich wegen Corona, es ist nämlich sehr eng da.
Und somit würde ich für 2020 eher mal sagen - schwarz ist die Farbe in der man in dieser Reihe am besten sieht.

Es gab einige Artikel dazu, aber sie sind alle mit Rückbezug auf die Nichtannahme des Mödrath-Angebots. Später haben sie sich dann auseinander geschrieben. Neuere Berichte danach gibt es noch nicht. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir nie wieder was davon hören, Herr Müller ist auch nicht so jung und kann das nicht mehr so lange so intensiv betreuen, ich wünsche ihm und allen die da sich engagieren viel Kraft - es wäre etwas, was wirklich Bedeutung hat für unsere elektronische Musikkultur.

Das schreib ich während da einer mit holländigem Happy Hardcore am Fenster vorbeidonnert, das meine ich damit nicht! :)
 
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Schade, das sich da nichts tut, das ist doch Weltkulturerbe.
Hey, und der Ingmar im Club Camouflage! :)
 
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Weltkultur ist es nur wenn es nicht Elektronik ist. Das kommt nicht in die Medien. Grundgesetz. Aber vielleicht erbarmt sich ja jemand und es kommt klar mit deren Regeln. Ich glaub aber es wird so quasi unter der Hand versacken, weil die Reglen alles unmöglich machen. Wenn das passiert ist was mit den Regeln nicht so gut.

Ok, bisschen emotional, aber es wirkt schon so, dass das noch immer ein Faktor ist. Mal sehen, ob das noch stimmt.
 
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Könnte auch gut sein, dass sich durch die Corona-Krise das finanzielle Möglichkeitsfenster für die nächsten Jahre geschlossen hat...
 
Natürlich - denke das ist bereits sonst schon klein, weil das Interesse an dem Thema winzig ist - ich sag mal : Popmusik wie zB Depeche Mode ist erst kürzlich mit Preisen ausgestattet worden, weil elektronisch, in dieser Ernst-Szene ist das alles noch viel viel schlimmer. Da ist Elektronik noch immer ein wenig böse, es muss ja alt und traditionell sein. Das ist natürlich überzeichnet, aber diese Leute sollten mal drüber nachdenken, weil ich der Meinung bin, dass dieses Studio und die Musik quasi der Urtyp und Prototyp dessen ist, auf dem die Elektronische_Musik™ fußt. Das sollte man nicht so wegwerfen.
 
Eine neue Hoffnung:

Kölner Stadtanzeiger von heute, 27.8.2020:
Zuflucht für eine Legende - Stadt Köln plant Haus der Musik, in dem auch das Studio für Elektronische Musik Platz finden soll
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WDR stellt für Transport, Einbau und Inbetriebnahme einmalig EUR 500.000 in Aussicht, die Betriebskosten ab 2022 von ca. EUR 760.000 Sollen hälftig von Stadt und Land getragen werden.
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geplanter Ort: Köln Ehrenfeld, Heliosgelände, also auch noch sehr gut mit ÖPVN erreichbar.
 
Habt Ihr jetzt die Zeitung per SMS verschickt? Aber falls es da eine Link gibt, wäre ich auch interessiert.
 
Ich nutze kein Smartphone, kannst mir aber eine E-Mail schicken.
SMS ist eine Basisdienstleistung seit GSM und jedes Balla-Balla Telefon muss das können. Mit einem Click den Link im Browser öffnen, das geht natürlich nicht auf einem der alten Knochen. Da muss man dann eben abtippen.
 



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